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ARTIKEL/500: Docmobil - Arzt auf Achse. Wenn die Praxis durch die Dörfer rollt (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2011

Docmobil
Arzt auf Achse: Wenn die Praxis durch die Dörfer rollt

Von Dirk Schnack


Wo sich keine Ärzte niederlassen, könnten mobile Praxen die Patienten aufsuchen - eine Idee, von der die Körperschaften nicht begeistert sind.


Eine kleine Gruppe von Menschen wartet schon, als Thomas Müller mit seinem Fahrzeug auf die Haltestelle zurollt. Nach dem Einparken öffnet Dr. Dietrich Schröter die Tür des hinten am Fahrzeug installierten Behandlungsraums und lässt die erste Patientin eintreten. Sie berichtet dem Internisten von ihren Beschwerden, wird von Schröter behandelt und tritt anschließend wieder auf die Straße - der nächste Patient wartet schon.

Realität ist diese mobile Versorgung jeden Tag in Lübeck, wo das Gesundheitsmobil der Gemeindediakonie und der Johanniter-Unfallhilfe gezielt Haltepunkte anfährt, um Menschen zu versorgen, die den Weg in die Arztpraxen scheuen oder nicht schaffen. Die Gründe für den Besuch des Gesundheitsmobils sind vielfältig und reichen von Scham bis zum Misstrauen gegenüber allen etablierten Strukturen im Gesundheitswesen - nur eines gehört in Lübeck nicht dazu: fehlende Arztpraxen.

Auf vielen Dörfern im Land dagegen fehlen Praxen und Menschen in manchen Regionen des Landes fühlen sich unterversorgt. Eine Idee aus dem Kieler Gesundheitsministerium ist es deshalb, eine mobile Praxis durch die unterversorgten Regionen rollen zu lassen. Hinter den Kulissen ist die Idee weiter gediehen, als die Öffentlichkeit dies bislang wahrnimmt. Das Ministerium hat mit verschiedenen Akteuren über das Projekt gesprochen und auch schon einen Antrag auf Förderung zur Umsetzung eines solchen Modells formuliert.

Die fahrende Arztpraxis, ein sogenanntes "Docmobil", soll helfen, die Grundversorgung in der Fläche ergänzend sicherzustellen und dem Grundsatz ambulant vor stationär Rechnung zu tragen. Noch tun sich die vom Ministerium angesprochenen Partner schwer, sich mit dem Modell anzufreunden oder es öffentlich zu propagieren. Die KV ist sogar entschieden dagegen. Gesundheitsminister Dr. rer. pol. Heiner Garg dagegen ist zumindest für einen Versuch und bemüht sich beim Bund um eine Anschubfinanzierung über drei Jahre.

Die mobile Arztpraxis wäre in einem Container untergebracht, der von einer Zugmaschine von Dorf zu Dorf gefahren werden kann. Dort steht die mobile Praxis an zuvor bekannt gegebenen Standorten für einen oder mehrere Tage, bevor sie in die nächste Region weiter transportiert wird. An Bord wären ein Arzt und ein Mitarbeiter - ähnlich wie beim Lübecker Gesundheitsmobil, wo allerdings überwiegend ehrenamtliche Kräfte im Einsatz sind. Für das Docmobil müssten Mitarbeiter fest oder auf Honorarbasis angestellt werden. Notwendig wäre eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen wie Rathäusern, Gemeindebüros, Markt-Treffs, Kindergärten, Schulen oder mit Gasthöfen, um die für den Betrieb erforderliche Infrastruktur wie Warteraum, Sanitäranlagen und Wasser- und Stromversorgung zu erhalten. Das Gesundheitsmobil in Lübeck verzichtet darauf und kommt ganz ohne weitere Infrastruktur aus.

Im Gegensatz zum Gesundheitsmobil, das nur aus einem Mercedes Sprinter besteht und für die Behandlung mit nur acht Quadratmetern auskommt, setzt das Ministerium für das Docmobil auf eine Anhängerlösung, um mit einer Zugmaschine im Bedarfsfall auch mehrere Praxen in verschiedene Regionen transportieren zu können. Zugfahrzeug und Fahrer müssten dafür nur einmal vorgehalten werden. Die Anhänger, so die Idee des Ministeriums, könnten im Bedarfsfall auch auf die Belange bestimmter Facharztgruppen umgerüstet werden.

Das Ministerium sieht in Schleswig-Holstein gleich in mehreren Regionen Bedarf. Auf den nordfriesischen Inseln, im Südosten Nordfrieslands, im Nordosten und im Süden Dithmarschens, im westlichen Teil von Rendsburg-Eckernförde, im Südwesten von Schleswig-Flensburg, im Nordwesten Steinburgs, im Großraum Selenter See, im Großraum Ascheberg, in Teilen der Kreise Segeberg und von Herzogtum-Lauenburg - weiße Flecken der ambulanten Versorgung zeichnen sich typischerweise in den Regionen ab, die eine schwache Infrastruktur aufweisen. Die Entwicklung für Schleswig-Holstein ist seit Jahren bekannt: In den kommenden fünf Jahren werden rund 900 der 1.900 Hausärzte zwischen Nord- und Ostsee in den Ruhestand gehen. 63 Prozent der Hausärzte sind mindestens 50 Jahre alt. "Die Liste der frei werdenden Hausarztsitze, bei denen sich innerhalb der Bewerbungsfrist niemand beworben hat, wird von Monat zu Monat länger", begründet das Kieler Ministerium seinen Vorstoß. Mit dem hohen Ersatzbedarf steht Schleswig-Holstein nicht allein. Insbesondere in vielen Regionen der neuen Bundesländer ist die Situation ähnlich. Garg setzt deshalb auf Fördermittel für ein bundesweites Pilotprojekt, weil andere Länder von den Docmobil-Erfahrungen in Schleswig-Holstein profitieren könnten. Für eine Umsetzung müssten aus Sicht des Ministeriums folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sein:

- Das Konzept muss attraktiv für Ärzte sein.
- Es muss Einkommen sicherstellen.
- Es muss den besonderen Bedingungen eines Flächenlandes Rechnung tragen.
- Es muss innovativ und flexibel sein.
- Es muss auch im Verbund mit Krankenhäusern umsetzbar sein.
- Es muss die Versorgung auch in entlegenen Regionen auf tragfähige Beine stellen.

Im Antrag auf finanzielle Förderung werden verschiedene ärztliche Institutionen und Zusammenschlüsse als mögliche Partner genannt. Neben der KV könnten dies aus Sicht des Ministeriums die Ärztegenossenschaft, Praxisnetze, Praxisgemeinschaften, Medizinische Versorgungsgemeinschaften, aber auch einzelne Krankenhäuser und Haus- und Fachärzte der jeweiligen Region sein. MVZ oder Gemeinschaftspraxen könnten, so die Vorstellung des Ministeriums, ihre vorhandenen Organisationsstrukturen nutzen, um Sprechzeiten und Termine zu verwalten, Patientendateien zu führen und abzurechnen - also stationär vorhandene Kapazitäten für die mobile Versorgung einzusetzen. Die Reaktionen der Ärzte sind noch überwiegend skeptisch. Die Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein etwa lotet die Stimmung in Dithmarschen zu diesem Thema schon seit geraumer Zeit aus und hat anfangs großes Misstrauen gegen die Idee des Ministeriums gespürt. Denn eine fahrende Praxis wäre immer auch eine Konkurrenz zur eigenen. Sie mit eigenen Angestellten zu besetzen, erscheint wegen der Probleme, Ärzte zu gewinnen, schwierig. Für Dr. Klaus Bittmann, Vorsitzender der Ärztegenossenschaft, kommt ein Einsatz des Docmobils nur infrage, wenn die Ärzte in der jeweiligen Region dafür sind und sie dies in Eigenregie mit organisieren können. "Die Ärzte der Region müssen dabei und dafür sein", sagte Bittmann dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt. Er hatte dem Modell wegen der geballten Skepsis kaum noch Chancen gegeben, beobachtet aber wegen der sich verschärfenden Versorgungssituation vor Ort bei manchen Kollegen inzwischen ein Umdenken. Und er gibt auch zu bedenken: "Das Angebot der Landesregierung gilt nicht ewig. Wenn wir nicht mitmachen, machen es vielleicht irgendwann andere Anbieter und uns fehlen die Einflussmöglichkeiten."

Die von Bittmann beobachtete Skepsis unterstreicht Dr. Thomas Maurer. Der Vorsitzende des Hausärzte verbandes Schleswig-Holstein hält das Docmobil für einen falschen Ansatz, weil Ärzte damit knappe Zeit auf den Straßen zubringen müssten. Zudem sieht er in Schleswig-Holstein keine räumlichen Lücken, die Patienten nicht selbst durch eigene Fahrten schließen könnten. Die Patienten, die ein Docmobil versorgen könnte, wären nach seiner Einschätzung immer auch in der Lage, zur nächsten Praxis zu kommen. "Es gibt in Schleswig-Holstein nirgendwo Entfernungen zwischen Patienten und Praxen, die verhindern, dass Patienten einen Arzt erreichen." Zu lösen seien dagegen Probleme in der Versorgung ungeplanter Beschwerden, die früh morgens oder nachts auftauchen - wenn das Docmobil gerade nicht vor Ort ist. Einen weiteren Schwachpunkt der Idee sieht er in der fehlenden kontinuierlichen Betreuung: "Das wäre durch ein Docmobil nicht zu leisten", glaubt der Hausarzt aus Leck. Mit anderen Worten: Das Docmobil wäre keine Entlastung für die vorhandenen Praxen. In seinem Kreis Nordfriesland schätzt Maurer die Stimmung seiner Kollegen ähnlich skeptisch ein wie die eigene. Aber auch Maurer betont, dass viel von der konkreten Ausgestaltung abhängt. So sei es für die Akzeptanz ein großer Unterschied, ob die mobile Praxis mit einem angestellten Arzt aus Kiel durch Nordfriesland rollt oder ob ein Netz aus der Region seine Patienten damit erreicht. Dies wäre aber ein zusätzlicher Service, der unweigerlich die Frage nach der Finanzierung aufwirft, so Maurer.

Für das Lübecker Gesundheitsmobil stellt sich die Finanzierungsfrage auch immer aufs Neue. Das auf Spenden angewiesene Modell hat Stammpatienten gefunden, obwohl es eigentlich keine Versorgungsprobleme in Lübeck gibt. Die Kriterien für die medizinisch Unterversorgten sind hier andere. Schröter und seine Frau Hannelore, die als gelernte Krankenschwester dabei ist, spüren den Bedarf bei jedem ihrer Einsätze. Ob das Modell auf das Land übertragbar ist, können auch sie nicht pauschal beantworten.


Dr. Bartmann: Der über das Land fahrende Arzt, dessen Zeiten sich die Dorfbewohner wie die fahrende Bücherei oder den Bäckerwagen in den Kalender schreiben müssen, ist nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus Imagegründen abzulehnen. Die Arztpraxis als feste Institution muss erhalten bleiben. Dies ließe sich über Zweigpraxen erreichen, mit einer mobilen Praxis, die mit wechselndem Personal besetzt ist, sicher nicht."

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201112/h11124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2011
64. Jahrgang, Seite 12 - 14
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2012

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