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RECHT/113: Neues Arbeitsfeld der Schwangerenberatung - Das Recht auf "Vertrauliche Geburt" (pro familia)


pro familia magazin 2/2015
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

Vertrauliche Geburt
Fachkraft für Vertrauliche Geburt: Ein neues Arbeitsfeld für Schwangerschaftsberaterinnen

Von Christin Picard


Ein Jahr ist vergangen seit Inkrafttreten des bundesweiten Gesetzes, das es Müttern ermöglicht, ihr Kind heimlich zur Welt zu bringen, ohne dadurch für das Kind für immer anonym zu bleiben. Mit 16 Jahren können Kinder die Identität der leiblichen Mutter erfahren, davor ist deren Name ausschließlich in der Beratungsstelle bekannt, die ihn im Sinne des Privatgeheimnisses nicht preisgeben darf. Inzwischen haben sich bundesweit zahlreiche SchwangerenberaterInnen zur Fachkraft für Vertrauliche Geburt fortbilden lassen, denn den Schwangerenberatungsstellen wird eine zentrale Rolle in dem Verfahren zugewiesen. Zentral deshalb, weil die Beraterinnen neben der psychosozialen Begleitung und Betreuung der schwangeren Frau auch für die Koordination der verschiedenen beteiligten Institutionen wie der Klinik, der Adoptionsvermittlungsstelle, dem Jugendamt, dem Standesamt und weiteren Akteuren verantwortlich zeichnen. Die Beratung zur vertraulichen Geburt erweitert das Aufgabenspektrum der Schwangerenberatungsstellen also erheblich. Wie wurde das Gesetz bislang in der Praxis umgesetzt? Welche Kompetenzen sind für eine Beraterin in dem komplexen Verfahren notwendig und wie können sich Beratungsstellen noch besser vorbereiten?

Die Qualifizierung der Fachkräfte

Im Dezember 2014 hat der pro familia Bundesverband erstmalig eine zweitägige Fortbildung für SchwangerschaftsberaterInnen veranstaltet, deren Teilnahme zur Fachkraft für Vertrauliche Geburt qualifizierte. Kernpunkte der Fortbildung waren das Verfahren und seine rechtlichen Vorgaben, Informationen über die erwartete Zielgruppe, die Rolle der Beraterin sowie die Vernetzungsarbeit.

Bislang haben die Länder die Qualifizierung sehr unterschiedlich gehandhabt, wie die TeilnehmerInnen berichteten. Je nach Bundesland haben sich einige Beratungsstellen zum Beispiel anhand der umfangreichen Materialien des Bundesfamilienministeriums im kollegialen Kreis selbst fortgebildet. Daneben wurden von verschiedenen Trägern Fortbildungen unterschiedlicher Dauer angeboten.

Im März 2015 hat das Bundesfamilienministerium eine Handreichung zur Qualifizierung von Beratungsfachkräften der Schwangerschaftskonfliktberatung zur Umsetzung der Vertraulichen Geburt veröffentlicht. Das Manual enthält Themenschwerpunkte und Materialien für die Träger von Beratungsstellen und soll als zukünftige Grundlage für die Qualifizierung der SchwangerschaftsberaterInnen dienen.

Die Fortbildung des Bundesverbands orientierte sich bereits an diesen Vorgaben. Um zu überprüfen, inwiefern die Themenschwerpunkte die Beratungspraxis abbilden, wurden die TeilnehmerInnen der Veranstaltung des Bundesverbands vor Kurzem nach ihren bisherigen Erfahrungen befragt und um eine Einschätzung des Nutzens der Fortbildung gebeten.

Eine vielschichtige Beratungsarbeit, die Flexibilität und Prozessoffenheit erfordert

Auch wenn man nach einem Jahr noch keine verlässlichen Aussagen über die Frauen machen kann, so ist doch bereits jetzt anhand der etwa 80 gemeldeten Fälle deutlich, dass Frauen aller sozialen Schichten die neue Möglichkeit in Anspruch nehmen. Aufgrund dieser Heterogenität komme es vor allem auf einen sicheren Umgang mit den rechtlichen Details des Verfahrens an, der es den BeraterInnen ermöglicht, die komplexen Inhalte in klientInnengerechter Sprache zu vermitteln. Auch eine hohe Flexibilität sei gefordert, sagen die BeraterInnen, die an der vom Bundesverband veranstalteten Fortbildung teilgenommen haben. Insbesondere, wenn die Beratung nicht in der Beratungsstelle, sondern in der Klinik unter großem Druck und in einem Setting stattfinden muss, das dafür denkbar ungeeignet ist, weil die Frau nach der Geburt möglichst schnell in ihr Leben "ohne Kind" zurückkehren möchte oder muss. Die BeraterInnen sind jedoch unabhängig davon dazu verpflichtet, die wesentlichen Informationen zu vermitteln, auch wenn die Gebärende eventuell nur eingeschränkt aufnahmefähig ist. Gesetzlich verpflichtend sind die Auskünfte über den Ablauf des Verfahrens (zum Beispiel welche Institution welche Daten der Mutter erhält und welche Hilfsangebote ihr zur Verfügung stehen), die Rechte des Vaters und des Kindes und die Bedeutsamkeit für das Kind, die eigenen Wurzeln zu kennen.

Wie die Erfahrung eines Jahres zeigt, ist es nicht untypisch, dass eine Frau mit Wehen in der Geburtshilfeeinrichtung erscheint und angibt, dass sie vertraulich gebären möchte. Dies ist möglich, wenngleich der Gesetzgeber es so nicht intendiert, da die medizinische Begleitung während der Schwangerschaft ein zentrales Anliegen darstellt. Die breit angelegte Bekanntmachung der neuen gesetzlichen Regelung (zum Beispiel in den öffentlichen Verkehrsmitteln) und die ausführlichen Informationen im Internet ermöglichen es schwangeren Frauen allerdings, sich bereits im Vorfeld über die vertrauliche Geburt zu informieren. Es könnte daher sein, dass zukünftig mehr Schwangere, die diesen Weg wählen, so lange wie möglich anonym bleiben und den Kontakt mit den geburtshilflichen Institutionen erst spät suchen oder das neugeborene Kind direkt in der Klinik abgeben.

Neben den oben genannten Szenarien ist jedoch eine Vielzahl anderer Verläufe denkbar, weil seitens der Ratsuchenden immer wieder neue, unterschiedlich gewichtige Entscheidungen vor und nach der Geburt erforderlich und möglich sind. Manchmal bricht der Kontakt zu den werdenden Müttern kurz vor dem Geburtstermin ab. Andere möchten so wenig wie möglich über sich preisgeben, wieder andere möchten dem Kind eine Nachricht und den zukünftigen Adoptiveltern Informationen über ihre Herkunft und ihren Gesundheitsstatus hinterlassen. Wie auch immer sich die Frau entscheidet, es ist die Aufgabe und der Auftrag der BeraterInnen, die Frau in ihrer isolierten Lage in allen möglichen Entscheidungen zu begleiten, im besten Fall Vertrauensperson zu sein und gleichzeitig alle rechtlichen Vorgaben umzusetzen. Manchmal muss sie dabei auch in sehr persönliche Bereiche eingreifen, beispielsweise wenn sie mit der Namensgebung des Kindes betraut wird. In dem Fall, dass die Mutter sich doch für ein Leben mit dem Kind entscheidet, steht gegebenenfalls die psychosoziale Begleitung einer ganzen Familie im Vordergrund, wie etwa bei einem jungen Paar, das sich nicht imstande sieht, eine Familie zu gründen, sich nach intensiver Beratung aber doch für ein gemeinsames Leben mit dem Kind entscheidet. Der Prozess ist von den BeraterInnen in allen Phasen und auch bei plötzlichen Wendungen ergebnisoffen zu gestalten.

Auch wenn die Mutter in einem anderen als ihrem Wohnort entbinden möchte, sollten die BeraterInnen Hilfe anbieten können. Netzwerkarbeit ist also nicht nur vor Ort, sondern bundesweit zu leisten. Für den schnellen Zugriff auf die Informationen über örtliche Kooperationsstellen hingegen haben die meisten Beratungsstellen einen Ordner erstellt, in dem neben dem Ablaufschema und dem Gesetzestext auch die Adressen aller Anlaufstellen enthalten sind und auf den alle KollegInnen zugreifen können. In vielen Orten haben sich bereits Arbeitskreise für alle geschulten Fachkräfte gegründet, um sich zum Austausch von Wissen und neuen Unterlagen zu treffen. Die Gespräche mit erfahrenen KollegInnen helfen und beruhigen, gerade mit Blick auf die Umsetzung der teilweise komplexen Gesetzesvorgaben, so eine Fortbildungsteilnehmerin. Daneben erleichtern auch die eigenständig initiierten Netzwerktreffen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den Adoptionsstellen, den Jugendämtern und den Geburtsstationen die Abläufe.

Fazit und Ausblick

Die Gespräche mit den Beratungsstellen zeigen, dass die Themenschwerpunkte der Fortbildung, die jetzt auch in der Handreichung des Bundesministeriums abgebildet sind, die BeraterInnen gut vorbereiten. Auch wenn nicht jeder mögliche Verlauf einer vertraulichen Geburt antizipiert werden kann, geben nach Rückmeldung der Teilnehmerinnen vor allem die Fallbeispiele und der Austausch mit anderen Beraterinnen Sicherheit. Klar ist aber auch, dass die Begleitung einer vertraulichen Geburt viel psychosoziale Kompetenz erfordert, die in einer Fortbildung allein nicht vermittelt werden kann. Deshalb werden in den Beratungsstellen vor allem erfahrene BeraterInnen mit der Aufgabe betraut, die im Umgang mit den kooperierenden Institutionen und mit komplizierten Fällen geübt sind.

Der Themenbereich der Vertraulichen Geburt wird zukünftig fester Bestandteil der Grundlagenfortbildung zur Sozial- und Konfliktberatung des Bundesverbands sein. BeraterInnen, die diesen absolviert haben, sind zukünftig also auch für die Beratung zur Vertraulichen Geburt qualifiziert, sodass es nach und nach ein flächendeckendes Angebot an qualifizierten Fachkräften geben wird. Es ist davon auszugehen, dass die Länder sich inhaltlich an dem vom Bundesfamilienministerium entwickelten Curriculum orientieren werden. Die Zahl der fortzubildenden Fachkräfte wird sich sicher an der Infrastruktur und an der Nachfrage des Beratungsangebots ausrichten. Mit belastbaren Daten diesbezüglich ist im Rahmen der ersten Evaluation des Bundes 2017 zu rechnen.

Die Handreichung zur Qualifizierung von Beratungsfachkräften der Schwangerschafts(konflikt)beratung zur Umsetzung der vertraulichen Geburt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt es als Download unter
www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationsliste,did=214048.html.

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Fortbildung Vertrauliche Geburt

Seit dem 1. Mai 2014 ist die Beratung zur Vertraulichen Geburt originäre Aufgabe aller SchwangerschaftsberaterInnen. Zur Durchführung des Verfahrens fordert das Schwangerschaftskonfliktgesetz besonders qualifizierte Fachkräfte. Diese Fortbildung vermittelt alle Inhalte und Kenntnisse, die Bestandteil der Pilotfortbildungen zur Qualifikation der Fachkräfte durch das BMFSFJ waren. Die TeilnehmerInnen qualifizieren sich somit als Fachkraft für Vertrauliche Geburt und können von ihren Bundesländern als solche anerkannt werden.

Inhalte der Fortbildung:
• Informationen über die Zielgruppe
• Zu erwartende Psychodynamik
• Eigene Werte und ethische Haltung
• Ausführliche Informationen zu den gesetzlichen Vorgaben und den Verfahrensabläufen
• Definition der eigenen Aufgaben im Verfahren
• Vernetzung und Schnittstellenmanagement

Methoden:
• Fachreferate, Gruppengespräche, Arbeitsgruppen,
• Falldarstellungen, Rollenspiele, berufsbezogene Selbstreflexion

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Dokumentation

pro familia Fachgespräch zur Vertraulichen Geburt

Am 13. Februar 2014 fand das ExpertInnengespräch "Das neue Gesetz zur Vertraulichen Geburt Kooperationsgeschehen - Beratungshandeln - Vefahrensschritte" statt. Fachkräfte aus der Schwangerschaftsberatung, aus der Geburtshilfe (Krankenhäuser, Hebammen), von Adoptionsvermittlungsstellen, Jugendämtern, Standesämtern und aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) nahmen teil. Sie tauschten sich darüber aus, mit welchen Kooperationsmöglichkeiten die Angebote für die Frauen bestmöglich aufeinander abgestimmt werden können und wie es gelingen kann, die durchführenden Institutionen in ihrer Arbeit zu stärken. Die Dokumentation kann auf der pro familia Website unter Publikationen →   Fachpersonal →   Beratung heruntergeladen werden.


Dr. Christin Picard ist Referentin für Fort- und Weiterbildung beim pro familia Bundesverband.

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Quelle:
pro familia magazin Nr. 02/2015, S. 15 - 17
Herausgeber und Redaktion:
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V., Bundesverband
Stresemannallee 3, 60596 Frankfurt am Main
Telefon: 069 26 95 779-0, Fax: 069 26 95 779-30
E-Mail: info@profamilia.de
Internet: www.profamilia.de
 
Das pro familia magazin erscheint vierteljährlich.
Das Einzelheft kostet 5,10 Euro, ein Jahresabonnement 19,50 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2015

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