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ARTIKEL/039: "Forschungsergebnisse und medizinische Ideen besser in die Praxis bringen" (BVMed)


BVMed / Bundesverband Medizintechnologie e.V. - 28. Mai 2014

"Forschungsergebnisse und medizinische Ideen besser in die Praxis bringen"

BVMed-Konferenz zur Translation medizinischer Ideen im Medical Park Hannover


Berlin/Hannover | Um medizinische Ideen und wissenschaftliche Erkenntnisse besser in die Praxis der Patientenversorgung umzusetzen, müssen Ärzte und Wissenschaftler frühzeitig die Themen Patentanmeldung, Zulassung, klinische Studien und Überführung in die Erstattungssysteme berücksichtigen. Das machten die Experten der BVMed-Sonderveranstaltung "Translation: Wissenschaft und Ökonomie - ein Widerspruch?" am 27. Mai 2014 im Medical Park in Hannover deutlich.

Eine Herausforderung sei es, die Forschung stärker am Bedarf in der Patientenversorgung auszurichten. Forscher müssten dabei ihre Ergebnisse nicht nur publizieren, sondern auch patentieren. Und sie müssten ökonomischen Sachverstand frühzeitig einbeziehen. Ein wichtiger Aspekt der erfolgreichen "Translation" ist das Vermitteln von Wissen über regulatorische Anforderungen und klinische Studien. Zum Beginn eines Translationsprozesses müsse die präzise Zielsetzung und Planung des Prozesses stehen, so die Experten. Weitere Erfolgsfaktoren sind eine Strategie zur Kostenerstattung, eine professionelle Studienplanung, um Evidenz zu generieren, und eine Strategie hinsichtlich Marktzugang, Vermarktung und Vertriebswegen. Wichtig sei auch, frühzeitig Schlüsselkunden in der Ärzteschaft zu gewinnen, die das Produkt unterstützen, sowie Vergleichstherapien zu identifizieren, um den Nutzen der Innovationen nachzuweisen.

Ingelore Hering vom niedersächsischen Wirtschaftsministerium betonte die Bedeutung der Medizintechnik für das Land Niedersachsen. Man sei insbesondere in der Material-, Laser- und Implantate-Forschung sehr gut aufgestellt. Die Herausforderung sei, die Forschung stärker am Bedarf auszurichten und die Forschungsergebnisse dann in erfolgreiche Unternehmensgründungen umzusetzen. Zu den Erfolgsfaktoren gehören Kooperationsplattformen im klinischen Bereich und der Aufbau von Technologiezentren im Umfeld von wissenschaftlichen Einrichtungen. Ziel des Medical Parks in Hannover, in dem die Konferenz stattfand, sei es, Wissenschaft und Unternehmen "Tür an Tür" zu bringen, um sich gegenseitig zu befruchten, so Hering. Sie schlug zudem vor, den nationalen Strategieprozess Medizintechnik auf die Ebene der Bundesländer herunterzubrechen.

Dr. Manfred W. Elff stellte das Niedersächsische Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE) in Hannover vor. Elff ist Vorstandsvorsitzender des Zentrums und zudem BVMed-Vorstandsmitglied und Geschäftsführer von Biotronik in Berlin, einem Hersteller von Herzschrittmachern. Das Zentrum wurde im November 2008 als gemeinsame wissenschaftliche Einrichtung der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), der Leibnizuniversität, der Tierärztlichen Hochschule und des Laser Zentrums Hannover gegründet, um die Kompetenzen der Implantatforschung an einem Standort zu bündeln. Im Umfeld der MHH entstehen zahlreiche Einrichtungen, um Forschung und Industrie nebeneinander anzusiedeln.

Thom Rasche, Partner bei Earlybird Venture Capital, führte in Finanzierungsaspekte ein. Venture Capital sind Eigenkapitalmittel, die von öffentlichen und privaten Geldgebern gestellt werden, um in gute Ideen zu investieren. Venture Capital ist damit ein "Saatgut-Finanzierer" für junge Unternehmensgründungen. Die Fonds sind in der Regel auf zehn Jahre beschränkt. Wichtig ist die Beurteilung, ob die Idee vermarktbar ist und die Ideengeber die Managementqualitäten haben, um sie kommerziell umzusetzen. Das "erste Geld" zur Unternehmensgründung ist in Deutschland ausreichend vorhanden, beispielsweise durch den High-Tech-Gründerfonds. Probleme gibt es bei der zweiten Finanzierungsphase von 15 bis 20 Millionen Euro, um die Innovation in die Praxis zu bringen. An die deutsche klinische Forschung appellierte Rasche, nicht nur an Publikationen, sondern auch an Patentanmeldungen zu denken. "Die Forschung sollte enger auch mit ökonomischem Sachverstand verzahnt werden. Kaufleute müssen früh dabei sein, um gute Forschungsergebnisse marktfähig zu machen", so Rasche.

Die Kultur zwischen Ärzten und Industrie müsse in Deutschland weiter entwickelt und verbessert werden, forderte Prof. Dr. Axel Haverich, Ärztlicher Direktor der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Ärzte dürften ebenso wenig Berührungsängste haben wie Forscher. Dies sei ein langwieriger Entwicklungsprozess. Beispiel Forscher: Sie müssten nicht nur publizieren, sondern auch patentieren. Als Beispiel für Innovationen aus der klinischen Praxis, die mit Hilfe der Industrie umgesetzt werden, nannte Haverich das Thema "Tissue Engineering". Es handelt sich dabei um Gewebezüchtung durch autologe Zellen auf einer Matrix. In Hannover werden beispielsweise mitwachsende Herzklappen entwickelt. Sie basieren auf körpereigenen Zellen und gehören damit zur individualisierten Medizin. "Auf diese Innovationen sind die regulatorischen Anforderungen in Deutschland aber nicht eingestellt", so Haverich. Haverich plädierte für neue Kooperationsformate, um Forscher, Kliniker, Industrie und Regulierer an einen Tisch zu bringen - mit dem gemeinsamen Ziel, "Innovationen auf die Straße zu bringen".

Die Translationsallianz "TRAIN" in Niedersachsen stellte der Forscher Prof. Dr. Ulrich Kalinke vor. Er ist Geschäftsführender Direktor des TWINCORE Zentrums für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung in Hannover. Ziel des regionalen Kompetenznetzwerkes ist es, gute Ideen aus der Grundlagenforschung zu identifizieren und zu entwickeln. "TWINCORE schlägt die Brücke zwischen der Grundlagenforschung und der klinischen Anwendung", so Kalinke. Bevor das Knowhow gebündelt werden könne, bedürfe es aber einer guten Infrastruktur, beispielsweise über den Bau von Innovationszentren. Zu den Netzwerken gehören das "Clinical Research Center" (CRC) oder das Biomolekulare Wirkstoffzentrum (BMWZ). "Hier entwickeln sich enorme Möglichkeiten", so der Forscher optimistisch. Ein wichtiger Aspekt der erfolgreichen Translation ist das Vermitteln von Wissen über regulatorische Anforderungen und klinische Studien.

Das Konzept des Clinical Research Center Hannover (CRC) als Teil des TRAIN-Verbundes stellte Prof. Dr. Norbert Krug vor. Er ist Ärztlicher Direktor am Fraunhofer Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin. Das CRC soll ein "professionelles Testzentrum" für klinische Studien in der frühen Phase sein, um Forschungsergebnisse in die klinische Praxis zu überführen. Wichtig sei es, dass sich die Probanden im Zentrum wohl fühlen und gut behandelt werden, damit sie die Teilnahme an der Studie über einen Zeitraum von vier Wochen erfolgreich gestalten können. Das Zentrum verfügt dafür auch über eine Übernachtungsstation für Verwandte im Hotelstil. Im CRC können zudem zahlreiche medizintechnische Spezialuntersuchungen durchgeführt werden. Zur "synergistischen Nutzung der Infrastruktur" im CSC gehören Ambulanzen, Forschungsstationen, Biobank, Labore und Imaging, um künftig auch Zulassungsstudien durchführen zu können. Es soll zudem ein Veranstaltungszentrum und Treffpunkt für Wissenschaftler sein, so Krug.

Wie können Forschungsergebnisse besser umgesetzt werden? Unterstützung beim Technologietransfer leistet Dr. Christian A. Stein, Geschäftsführer von Ascenion in München. Ein wichtiger Aspekt: die Patentierung der Idee. Stein empfahl, früh mit Experten zu sprechen und die Idee nicht auf Kongressen vorzuveröffentlichen. "Nach der Veröffentlichung ist ein Patentschutz nicht mehr möglich", so der Experte. Ein Technologietransferbüro helfe dem Forscher oder dem Arzt beim Erstellen einer Erfindungsmeldung und beim Einreichen der Patentanmeldung. Patentiert werden können Stoffe und neue Stoffzusammensetzungen, Verwendungen, biochemische Prozesse oder Methoden, Produktionsprozesse, diagnostische Prozesse oder Software mit technischem Charakter. Nicht patentiert werden können wissenschaftliche Theorien, Entdeckungen, Algorithmen, Software ohne technischen Charakter, aber auch klinische Behandlungen - im Unterschied zu den USA. Das Patent kann der Ausgangspunkt für Unternehmensgründungen, Lizenzen oder Kooperationen sein. Ein Verkauf führt zum vollständigen Transfer der Rechte.

Erfolgreiche Unternehmensgründer präsentierten Fallbeispiele "von der Idee zum Medizinprodukt" aus dem Medical Park in Hannover:

  • Dr. Michael Harder, Geschäftsführer von Corlife, stellte die "dezellularisierte humane Pulmonalklappe" vor. Wichtig seien die "Darstellbarkeit" des Produkts über einen OPS-Code, eine Abrechnungsmöglichkeit im DRG-System und die Akzeptanz der Ärzte. Vorteilhaft war, dass der Entwickler frühzeitig Strukturen geschaffen hat, um das Produkt mit Experten aus der Industrie zur Zulassung zu bringen. Dem standen aber zahlreiche regulatorische Hürden entgegen. So ist die Herzklappe trotz der mechanischen Wirkung in Deutschland ein Arzneimittel, in der Schweiz dagegen ein Medizinprodukt.
  • Robert Schavan von Syntellix stellte eine resorbierbare Schraube für die Orthopädie aus dem Werkstoff Magnezix, der aus einer metallischen Legierung besteht, vor. Magnezix basiert auf einer Magnesiumlegierung, die zwar metallische Eigenschaften aufweist, sich jedoch im Körper vollständig abbaut und durch körpereigenes Gewebe ersetzt wird. Die biomechanischen Eigenschaften sind denen des menschlichen Knochens sehr ähnlich, was den Heilungsverlauf begünstigt. Das Produkt hat seit 2013 die CE-Kennzeichnung. Schavans Tipp: "Erweitern Sie frühzeitig Ihr Netzwerk um Personen, die den Markt kennen und eine Machbarkeitsanalyse durchführen können." Wichtig sei es auch, mit akkreditierten und zertifizierten Instituten zusammenzuarbeiten und eine Teststrategie im Konsens mit der Benannten Stelle zu erarbeiten.
  • Prof. Dr. Thomas Lenarz, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der MHH, präsentierte das Projekt der Verfeinerung und Weiterentwicklung von Hörimplantaten. Ausgangspunkt war dabei die Kooperation universitärer Forschung mit einem industriellen Forschungszentrum. Daraus ist ein Firmencluster im Bereich der Hörimplantate entstanden.

Prof. Dr. Moritz N. Wente, Chief Medical Officer von Aesculap in Tuttlingen, veranschaulichte am Beispiel des medikamentfreisetzenden Ballonkatheters (DEB), dass der Weg von der Idee zum Patienten aufwändig und langwierig sein kann. Im konkreten Fall waren es neun Jahre. Ausgangspunkt war die universitäre Forschung. Nach Entwicklung der Technologie waren die nächsten Schritte der tierexperimentelle Wirkungsnachweis, die klinische Prüfung, das CE-Zulassungsverfahren für ein Kombinationsprodukt sowie letztlich die CE-Zulassung für das Produkt. Ein zunehmendes Problem sei der Nachwuchsmangel, nicht nur bei den Medizinern, sondern auch im Ingenieursbereich. Wente stellte daher verschiedene Modelle für die Nachwuchsförderung vor. So kooperiere Aesculap mit dem Hochschulcampus Tuttlingen, um die jungen Menschen zur Ausbildung in die Region zu holen. Das Programm "Industry on Campus Professor" helfe beim Schulterschluss zwischen Universität und Unternehmen. Im Rotationsverfahren arbeite man hier halb im Unternehmen und halb in einem Forschungsprojekt.

Eine zweite Industriesicht präsentierte Dr. Jürgen O. Böhm, Vorstand und Medizinischer Direktor von Xenios in Heilbronn. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die extrakorporale Zirkulation. Die Tochter medos entwickelt Lösungen für die Herzchirurgie und Kardiotechnik mit einem modularen Herz-Lungen-Maschinensystem. Die Tochter Novalung entwickelt Produkte zur interventionellen Lungenunterstützung. Unabdingbar sei am Beginn eines Translationsprozesses die präzise Zielsetzung und Planung des Prozesses. Eine kritische Phase sei insbesondere für die mittelständischen Unternehmen die Zulassungsphase, die zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich bringt. Zudem würden die Anforderungen an den Nutzennachweis und damit an die Studienplanung steigen.

Peter Hartung vom Engineering-Dienstleister Seleon verdeutlichte, dass der Zulassungsprozess bei Medizinprodukten sehr komplex sei. Dazu gehören unter anderem eine frühzeitige Nutzen-, Machbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsprüfung, die Definition der Anforderungen, der Nachweis der Funktion und Sicherheit und der Nachweis der klinischen Wirksamkeit. Bei komplexen Produkten sind die Anforderungen aus anwendbaren Normen sehr umfangreich. Die Anforderungen an die klinische Bewertung und Prüfung von Medizinprodukten sind in den letzten Jahren stetig gestiegen. Hartung empfahl, schon zu Beginn der Produktentwicklung eine klinische Bewertung vorzunehmen. Durch die derzeit diskutierte europäische Medizinprodukte-Verordnung kämen auf die Hersteller mehr Bürokratie und höhere Kosten zu, ohne mehr Patientensicherheit zu schaffen.

Nicht jede Invention sei auch eine Innovation, die den Menschen helfe, argumentierte Dr. Jan Helfrich, Vorstandsreferent bei der Krankenkasse DAK-Gesundheit in Hamburg. Deshalb müssten die Anforderungen an die Nutzenbewertung von Medizinprodukten erhöht werden. Wünschenswert sei der Vergleich mit der Standardtherapie. Die klinische Studie müsse ergänzt werden um Versorgungsforschung unter Alltagsbedingungen. "Wir brauchen eine echte Nutzenbewertung aus der Patientensicht in der Versorgungswirklichkeit und eine Preisbildung anhand des Zusatznutzens", so Dr. Helfrich. Er plädierte zudem für eine schnelle Erprobung von Innovationen unter Studienbedingungen in Zentren. So könnte einer ungebremsten Leistungsausweitung bei zweifelhafter Qualität entgegengewirkt werden.


Moderiert wurde die BVMed-Konferenz von der medizinischen Fachjournalistin Renate Harrington aus Hamburg.


BVMed-Pressemeldung 39/14
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Quelle:
BVMed-Pressemeldung Nr. 39/14 vom 28. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2014

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