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ENTWICKLUNG/858: Trojanisches Pferd im Pflaster (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - I.2012
Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft

Trojanisches Pferd im Pflaster

Von Christian Meier



Operation gelungen - Patient tot. Allein in deutschen Krankenhäusern sterben jedes Jahr 30.000 Patienten an resistenten Keimen, die Verletzungen und Wunden befallen oder sich auf Implantaten einnisten. Mit speziell beschichteten Verbänden wollen Forscher um Renate Förch vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz diese Bakterien austricksen.

Die Idee kommt aus der Praxis, genauer gesagt: aus dem South West UK Children's Burn Centre in Bristol. Dort behandelt die Kinderärztin Amber Young jedes Jahr Hunderte von Kindern mit Verbrennungen. Und jedes Jahr werden es mehr. Oft ist der Grund eine Tasse Kaffee oder Tee, den die Kinder über sich gießen, wenn sie etwa versuchen, das Gefäß von der für sie viel zu hohen Küchenanrichte herunterzunehmen.

Oft kommen die Eltern mit den Kindern nach der Entlassung wieder in die Klinik, weil der kleine Patient Fieber bekommt. Das kann eine vergleichsweise harmlose Immunreaktion sein. Aber auch eine Bakterieninfektion, die tödlich enden kann, wenn man den Verband nicht abnimmt und sie behandelt. Die Ärzte können nur raten und müssen auf dieser Basis eine schwere Entscheidung treffen: Verband wechseln oder nicht? So ein Wechsel ist eine Tortur für den kleinen Patienten; man will ihm das möglichst ersparen.


Neuartige Pflaster als Infektionsindikator

Amber Young fragte sich, ob Forscher nicht einen Verband entwickeln könnten, der zuverlässig anzeigt, ob es sich um eine Infektion handelt oder nicht. Oder besser noch: der die Infektion behandelt, bevor sie sich festsetzen kann, sodass das Kind kein zweites Mal ins Krankenhaus kommen muss. Die Frage der Kinderärztin fand zu den Chemikern der EU-Forschungsprojekte Embek1 und BacterioSafe, die Renate Förch vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz leitet. Sie hatte sich zuvor damit beschäftigt, Kunststoffbecher und -tüten sowie technische Textilien mit Schichten zu versehen, die man etwa bedrucken kann. Auch in ihrem neuen Forschungsfeld spielen Kunststoffe eine wesentliche Rolle: "Plastiktüten und Verbände sind oft aus dem gleichen Material", sagt Förch. Obwohl sie sich unterschiedlich anfühlen und aussehen, bestehen beide aus Materialien wie Polypropylen, Polyester oder Nylon.

Im Projekt BacterioSafe entwickeln die Forscher gewissermaßen intelligente Pflaster und Verbände. Sie zeigen eine Infektion der Wunde an, indem sie Farbstoffe ausschütten. Und mehr noch: Sie töten Bakterien durch gezieltes Freisetzen antibakterieller Wirkstoffe. Renate Förch ist überzeugt, dass dies mithilfe der Nanotechnologie gelingen kann. So verfolgen die Forscher von BacterioSafe zwar das Ziel, Amber Youngs Wunsch zu erfüllen - die Kinderärztin gehört ebenfalls zum Konsortium. Doch das Problem, zu dessen Lösung die Gruppe ebenfalls beitragen will, geht viel tiefer: Die alten Waffen gegen Bakterieninfektionen, die Antibiotika, werden immer stumpfer.


Neue Waffen gegen resistente Keime

Anlass zu besonderen Sorgen bereiten die Krankenhauskeime Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa, die heilende Verletzungen und Operationswunden befallen und zu Entzündungen führen. Fast ein Drittel der Bakterienstämme sind resistent gegen alle Antibiotika. Solche Resistenzen kosten allein in Deutschland jährlich 30.000 Patienten das Leben, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Auch Implantate bringen die Keime über die Patienten. So muss etwa mancher Träger eines künstlichen Hüftgelenks mehrere Operationen ertragen, weil Bakterien am Implantat Entzündungen verursachen.

"Man braucht neue Waffen gegen die resistenten Keime", resümiert Förch. "Am besten solche, die eine Infektion schon im Ansatz verhindern." Die Forscherin denkt dabei an Materialien oder Implantate, die eine Schicht tragen, die bei einer aufkeimenden Infektion antibakterielle Substanzen abgibt.

Die Substanz, welche die Mainzer Forscher favorisieren, ist Zink. Im Projekt Embek1 haben sie eine Kunststoffbeschichtung entwickelt, die das Schwermetall freisetzt. "Schwermetalle stellen eine gute Waffe gegen Bakterien dar", sagt Renate Förch. Denn Silber und Zink töten Bakterien ab und kommen deshalb als Speerspitzen gegen Krankenhauskeime infrage. Zink eignet sich besonders gut, weil bei diesem Schwermetall ein Konzentrationsbereich existiert, in dem es zwar für Bakterien toxisch wirkt, nicht aber für den Menschen - selbst nach langer Anwendung nicht. Zink hat gegenüber Silber zudem einen klaren Preisvorteil, ergänzt Förch. Allerdings sei noch nicht geklärt, ob eine langfristige Zinkanwendung zu Resistenzen führt.


Eine Nanoschicht regt Zellwachstum an

Erste Beschichtungen haben die Mainzer Wissenschaftler bereits hergestellt, etwa für Titanplatten, wie sie Ärzte bei der Behandlung von Knochenbrüchen einsetzen. Sogar die Schrauben, mit denen Platten am Knochen festgemacht werden, konnten die Forscher mit einer nanometerdünnen Kunststoffschicht versehen, in die Zinknanopartikel eingebettet sind. Plasmaverfahren heißt diese Methode. "Damit lassen sich beliebige dreidimensionale Strukturen beschichten", erläutert Förch.

Wie das Plasmaverfahren funktioniert, zeigt der Doktorand Martin Heller. Er dreht an einem Ventil, das die Verbindung herstellt zwischen einem birnenförmigen Glaskolben und einem viel größeren Glaskolben, den ein Kabel spiralförmig umschlingt. In Letzterem befindet sich ein kleines Titanschräubchen, das beschichtet werden soll. "Aus dem kleinen Kolben strömen nun Moleküle, sogenannte Monomere, in den größeren Kolben", sagt Martin Heller. Dann dreht er an einem Regler: "So, ich stelle nun 100 Watt ein."

Jetzt fließt Wechselstrom durch die Spirale, sodass im Innern des größeren Kolbens ein elektrisches Wechselfeld entsteht. Dieses Feld entreißt den Molekülen Elektronen. Auf diese Weise bildet sich ein Gemisch aus geladenen Teilchen und Elektronen: ein Plasma. "Die Ionen sind durch den Elektronenverlust sehr reaktiv", sagt Heller. Auch von der Oberfläche des Schräubchens entferne das elektrische Wechselfeld Elektronen, sodass auch diese reaktiv werde. So entstehen auf der Oberfläche gleichsam Anhängerkupplungen - und an den Molekülen Anhänger, die sich nun miteinander verbinden.

Die Monomere bestehen aus einer Komplexverbindung, bei der organische Moleküle ein Zinkion umschließen. Das Wechselfeld zerlegt diese Verbindungen in ihre Bestandteile und macht sie reaktiv. An der Oberfläche verbinden sich die organischen Komponenten zu einem Netzwerk aus Molekülketten, ähnlich wie bei einem Kunststoff, nur dass die Ketten verschieden lang sind und unterschiedlich große Maschen bilden. Aus den Monomeren wird somit ein Plasmapolymer. In dessen Maschen finden sich die Zinkionen zu Nanopartikeln zusammen.

"Wir haben das Plasmaverfahren auch deshalb gewählt, weil man es schon seit Jahrzehnten in der Industrie, etwa für die Beschichtung von Plastiktüten, verwendet", sagt Renate Förch. "Wir haben von Anfang an besonderen Wert darauf gelegt, dass sich unsere Entwicklungen in der Praxis umsetzen lassen." Die Mainzer Forscher wiesen nach, dass die Schichten tatsächlich eine antimikrobielle Wirkung ausüben. Sie haben eine Zellkulturschale mit einer 500 Nanometer (millionstel Millimeter) dünnen zinkhaltigen Schicht versehen und versucht, darauf den Krankenhauskeim Staphylococcus aureus zu züchten. Die Bakterien vermehrten sich nicht. Auf einer Kontrollschale ohne Zinkschicht hingegen wuchsen die Mikroorganismen sehr wohl.


Hohlkugeln setzen Wirkstoffe frei

Auch die Wirkung auf menschliche Zellen prüften die Forscher. Ein Implantat oder ein Verband, die zwar schädliche Bakterien töten, aber gleichzeitig den Körperzellen des Trägers schaden, wären nutzlos. Daher testete das Team um Renate Förch, ob die antibakterielle Schicht sogenannte Endothelzellen, die bei der Wundheilung eine entscheidende Rolle spielen, in ihrem Wachstum hemmt. Das war tatsächlich so - ein Rückschlag.

Doch auch dafür fanden die Forscher eine Lösung. Sie fügten eine weitere, diesmal nur 15 Nanometer dünne Schicht hinzu. Sie bestand aus plasmapolymerisiertem Allylamin (ppAA), das ähnliche funktionelle Gruppen besitzt wie biologisches Material. Auf dieser Schicht wuchsen die Endothelzellen sogar besser als auf einer Unterlage aus reinem Titan.

Mit dieser Zusatzschicht lösten die Wissenschaftler zwei Probleme. Ohne Schicht leerte sich das Zinkreservoir binnen 24 Stunden. Für die Praxis ist das oft zu wenig: "Chirurgen sagen uns, dass das Reservoir zwei Wochen halten sollte", sagt Förch. Denn so lange brauche die Wunde nach einer Implantation, um zu heilen, und so lange bestehe eine erhöhte Infektionsgefahr. Die ppAA-Schicht verzögerte das Leeren des Zinkreservoirs. "Durch die Dicke der Schicht können wir steuern, über welchen Zeitraum hinweg - eine, zwei oder drei Wochen - das Zink abgegeben werden soll", sagt Renate Förch.

Das Konzept, multifunktionale Beschichtungen durch Stapeln mehrerer Schichten herzustellen, verfolgen die Mainzer Chemiker jedenfalls weiter. Die ideale Beschichtung sollte nicht nur Zink über einen bestimmten Zeitraum abgeben, sondern auch wie ein Sensor wirken, der die Anwesenheit der Schadbakterien detektiert und den Wirkstoff nur dann freisetzt. Gleichzeitig muss sie das Wachstum des Körpergewebes und somit die Wundheilung fördern. Zudem soll die Beschichtung von Implantaten dafür sorgen, dass das umgebende Gewebe daran anwächst. Oder genau das verhindern - je nachdem, ob das Implantat im Körper verbleibt oder wieder entfernt wird.

Warum Letzteres manchmal gewünscht ist, erläutert Renate Förch an einem Beispiel: "Nach einem Handgelenkbruch muss eine Titanstütze implantiert werden, aber nur für mehrere Wochen." Der Arzt stehe dann stundenlang im OP, um das verwachsene Implantat herauszuschneiden, und produziere dadurch eine neue Wunde. "Würde das Implantat nicht anwachsen, nähme der Eingriff deutlich weniger Zeit in Anspruch, und es gäbe nur eine kleine neue Wunde", sagt Förch.

Derzeit arbeitet ihr Team an einer Beschichtung, die das Verwachsen von Titanimplantaten verhindern soll. "Diese Beschichtung wird Siloxane enthalten, chemische Verbindungen von Silizium und Sauerstoff." Mehr will Förch nicht verraten.


Wirkstoffkapseln aus abbaubarem Bioplastik

Auch für ein erwünschtes Verwachsen gibt es Beispiele: Augenimplantate zur Behandlung von Glaukomen bestehen aus Kunststoffen und verwachsen nicht mit dem Körper, obwohl sie dauerhaft in ihm verbleiben sollen. Der Organismus behandelt sie wie Fremdkörper und kapselt sie ab, indem er sie mit einer Schicht aus Bindegewebe umschließt. Das zur Regulation des Augeninnendrucks dienende Implantat funktio niert dann nicht mehr. Das wollen die Mainzer Forscher ändern, indem sie mit dem Plasmaverfahren eine Kunststoffschicht auf die Implantate auftragen, die in ihrem chemischen Aufbau natürlichem biologischem Material ähnelt und daher das Anwachsen des Gewebes fördert.

Unterdessen testet Martin Heller die Praxistauglichkeit der nur wenige Nanometer dünnen zinkhaltigen Schichten auf den Implantationsschrauben. "Die Schichten dürfen den Durchmesser der Schraube nicht merklich vergrößern", erklärt der Biologe. Er hat sich den Oberschenkelknochen eines Schweins besorgt, weil Schweineknochen den menschlichen Knochen in ihrer Festigkeit sehr ähneln. Mit einem chirurgischen Schraubendreher schraubt er ein knapp einen Zentimeter langes Schräubchen in den Knochen hinein und wieder heraus. Anschließend untersucht er es im Elektronenmikroskop auf Kratzer oder Abschürfungen und prüft, ob die Schicht durch das Schrauben beschädigt wurde.

Renate Förch hofft, dass es in fünf bis zehn Jahren erste Produkte geben wird. Der Bedarf ist da, wie eine E-Mail zeigt: Eine Frau erkundigt sich darin nach den Ergebnissen der Embek1-Studie. Ihr Mann, Träger eines künstlichen Hüftgelenks, habe die dritte Hüft-OP hinter sich und kämpfe immer wieder mit Infektionen. "Auch aus der Industrie gibt es immer wieder Anfragen", sagt Förch. Obwohl Embek1 abgeschlossen ist, forscht das Team an den intelligenten Beschichtungen für Implantate oder Verbandsmaterial weiter.

Zudem treiben die Forscher das BacterioSafe-Projekt voran. "Wir erfinden das Trojanische Pferd auf der Nanoebene neu", sagt Renate Förch. Die zu überlistenden Trojaner sind in diesem Bild die Krankenhauskeime. Das Trojanische Pferd besteht aus Nanokapseln, also Hohlkügelchen von nur rund 150 bis 400 Nanometern Durchmesser, die Direktorin Katharina Landfester mit ihrem Team am Mainzer Max-Planck-Institut entwickelt. Die Forscher befestigen die Kügelchen auf einem Polypropylen-Gewebe, das als Grundlage für einen Verband dient. Die Rolle der im Pferd versteckten Soldaten übernehmen anti bakterielle Wirkstoffe wie Zink oder Antiseptika, die sich im Innern der Nanokapseln befinden.

Für ein Geschenk halten die Krankenhauskeime die Nanokapseln zwar nicht, dennoch werden sie von den Kapseln überlistet. Da Letztere eine Hülle aus natürlich vorkommenden Polymeren wie etwa Polymilchsäure besitzen, sehen sie für die Schadbakterien so aus wie natürliche Zellen. Wegen dieser Täuschung richtet sich die Angriffslust der Krankenhauskeime gegen sie.

Die Bakterien sondern Giftstoffe und Enzyme ab, die normalerweise die Zellen des befallenen Gewebes angreifen. Ein Beispiel ist ein Enzym namens Lipase, das die Zellmembran gesunder Zellen buchstäblich verdaut. Das sieht man typischerweise in Form beschädigten Gewebes rund um die Infektionsstelle. Die von den Bakterien freigesetzten Stoffe verdauen auch die Hüllen der Nanokapseln. Jetzt ergießen die beschädigten Hohlkügelchen ihren Inhalt in die Umgebung - die antibakteriellen Wirkstoffe werden frei.

Diesen Effekt will man für verschiedene Funktionen neuartiger, mit den Nanokapseln beschichteter Verbände nutzen. "Erstens könnte ein mit Nanokapseln ausgerüsteter Verband eine Infektion anzeigen, etwa indem die Kapseln einen Farbstoff freisetzen", sagt Renate Förch. Dann könnten Ärzte wie Amber Young sicher sein, dass wirklich eine Bakterieninfektion vorliegt, und den Patienten nur dann der Tortur eines Verbandswechsels aussetzen. Zweitens könnte ein Antibiotikum oder ein anderer Bakterien tötender Wirkstoff aus der Kapsel strömen und die Keime direkt bekämpfen. Und drittens könnte auch ein Wirkstoff austreten, der das Neuwachsen gesunden Gewebes unterstützt.

Zwei der Funktionen haben die BacterioSafe-Forscher schon anhand von Verbandsprototypen nachgewiesen. Für die erste Funktion geben die Kapseln einen Farbstoff frei, wenn ihre Hülle verdaut worden ist, wie Forscher um Toby A. Jenkins von der University of Bath zeigten.


Materialien und Prozesse für die Industrieproduktion

Das britische Team gehört ebenfalls zum BacterioSafe-Konsortium und demonstrierte auch die zweite Funktion: Im Versuch knackten zwar gefährliche Krankenhauskeime die Nanokapseln; die vergleichsweise harmlosen Darmbakterien Escherichia coli hingegen konnten den Kapseln nichts anhaben. Was gut für sie war, denn in den Kapseln befand sich der antimikrobielle Wirkstoff Natriumazid. Dem wiederum fielen in dem Experiment die aggressiven Krankenhauskeime zum Opfer. "Der Versuch zeigt, dass die Wirkstoffe nur freigesetzt werden, wenn sie auch gebraucht werden", erklärt Jenkins. Seiner Meinung nach könnte das auch zum sparsameren Einsatz von Antibiotika führen und damit das Risiko der Entstehung antibiotikaresistenter Keime reduzieren.

Am Max-Planck-Institut für Polymerforschung entwickelt das Team um Katharina Landfester weitere Varianten von Nanokapseln. Deren Hüllen bestehen aus unterschiedlichen biologischen Molekülen, Polymilchsäure oder Hyaluronsäure, die sich zu einem kunststoffartigen Netzwerk verbinden. Die Hüllen bestehen also aus abbaubarem Bioplastik. "In das Netzwerk sind oft Sollbruchstellen eingebaut", sagt Landfester. Das seien etwa Peptidsequenzen - also Ketten von chemisch verknüpften Aminosäuren, die mit diesem chemischen Aufbau Proteinen ähneln.

"Die Sollbruchstellen werden von den Enzymen der Schadbakterien zersetzt", erklärt Landfester. Auch die Hyaluronsäure ist eine solche Sollbruchstelle: Sie wird von einem bestimmten Enzym namens Hyaluronidase zersetzt. "Die wichtigsten Stämme der Krankenhauskeime sondern dieses Enzym in hohen Konzentrationen ab", erklärt die Max-Planck-Forscherin. Der Einsatz einer Hyaluronsäure-Hülle sei daher vielversprechend.

Die Wissenschaftler testen dennoch weiterhin Kapseln aus unterschiedlichen Stoffen und haben dafür gute Gründe. Erstens lässt sich nicht jeder Wirkstoff in jede Hülle sperren, ein wasserliebender Wirkstoff etwa braucht auch eine wasserliebende Hülle. Darüber hinaus erzeugen die Forscher einen Pool von Wissen um die Herstellung und die Eigenschaften unterschiedlicher Arten von Nanokapseln. Es geht dabei etwa um solche Fragen: Wie stabil sind die Nanokapseln? Können sie an der Luft oder müssen sie im Wasser gelagert werden? Halten sie den Bedingungen in heißen Ländern stand?

Unterschiedliche Hüllen ließen sich außerdem für multifunktionale Verbandsmaterialien nutzen. Wenn man eine Kapsel in eine andere sperrt, wie bei einer Matroschka-Puppe, dann kann man laut Landfester eine zweistufige Reaktion auf eine Infektion herbeiführen. So könnten etwa zunächst ein in der äußeren Kapsel enthaltener Farbstoff freigesetzt werden und danach ein in der inneren Kapsel befindliches Antibiotikum.

Doch zunächst geht es darum, nach geeigneten Nanokapseln zu suchen. "Nach 18 Monaten Projektlaufzeit haben wir bereits 13 Systeme entwickelt, von denen einige vielversprechend erscheinen", sagt Projektleiterin Förch. "Und dabei haben wir immer die praktische Machbarkeit im Hinterkopf." So etwa verwenden die Wissenschaftler für die Hüllen nur von der US-amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA genehmigte Stoffe.

Das Know-how über die Beschichtung per Plasmaverfahren erweist sich auch für die Entwicklung von Verbänden mit Nanokapseln als unerlässlich. Denn die Kügelchen müssen fest am Verband verankert werden. "Dazu beschichten wir das Verbandsmaterial so, dass einzelne Aminogruppen hervorstehen wie Bäumchen aus dem Boden", erklärt Renate Förch. Auch die Nanokapseln ließen sich so fertigen, dass reaktive Gruppen aus ihnen hervorragen wie Anker. Diese chemischen Anker verbinden sich mit den Aminogruppen und verschmelzen somit die Kapsel mit der Oberfläche des Verbandes.

"Die Materialien und Prozesse, die wir für diese Beschichtung wählen, eignen sich für eine Produktion im industriellen Maß", sagt Förch. "Unser Ziel sind funktionierende Demonstratoren." Es sei nicht immer einfach, diesen Spagat zwischen Grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung hinzubekommen, räumt die Chemikerin ein. EU-geförderte Forschungsprojekte verlangen einen Mehrwert für die Gesellschaft und damit eine potenzielle Machbarkeit.

Auf der einen Seite erzeugen die Mainzer Wissenschaftler grundlegendes Wissen über neuartige intelligente Verbandsmaterialien und Implantate. Auf der anderen Seite sorgen sie dafür, dass ihre Forschungsergebnisse möglichst nicht in der Schublade liegen bleiben. Dass ihre Konzepte gut geeignet sind, diesen Spagat hinzukriegen, beweist Förchs Erfolg mit Forschungsanträgen bei der in dieser Beziehung besonders kritischen EU: "Im Durchschnitt fallen 90 bis 95 Prozent der Anträge bei der Evaluierung durch. Wir hatten mit jedem unserer bisher drei Anträge Erfolg." Es bestehen also gute Chancen, dass Amber Youngs Wunsch nach einem intelligenten Pflaster in Erfüllung geht.


AUF DEN PUNKT GEBRACHT
  • Multiresistente Keime rufen bei Operationswunden, heilenden Verletzungen oder Implantaten oftmals tödlich verlaufende Infektionen hervor.
  • In den EU-Projekten Embek1 und BacterioSafe entwickeln Forscher intelligente Pflaster und Verbände. Diese zeigen eine Infektion der Wunde an, indem sie Farbstoffe ausschütten. Und sie töten Bakterien durch gezielte Freisetzung von antibakteriellen Wirkstoffen.
  • Mit dem Plasmaverfahren entwickeln die Wissenschaftler dünne Schichten für Implantate, oder sie verpacken ihre Waffen gegen die Keime in Nanokapseln.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Pflaster ohne Bakterienschutz: Mit dem Biobrane-Pflaster der Firma Smith & Nephew werden Verbrennungen behandelt. Antibakteriell wirkt es nicht. Die Forscher des BacterioSafe-Projekts entwickeln ein Pflaster, das bakterielle Entzündungen verhindert oder zumindest anzeigt.

Bakterienwachstum im Vergleich: Auf einem Kompositmaterial mit einer biokompatiblen Beschichtung, das als Modell für Implantate dient (a), wachsen sowohl menschliche Zellen als auch Bakterien (Pfeile). Enthält die Oberfläche Nanokapseln, die Zink freisetzen, verhindert sie dagegen das Bakterienwachstum (b).

In dem mit leuchtendem Plasma gefüllten Glasreaktor versehen Renate Förch und Martin Heller Titan, das in Implantaten verwendet wird, mit einem antibakteriellen Überzug. Das Plasma enthält die Bausteine von Kunststoffen, die sich auf dem Metall zu der Polymerschicht zusammenschließen.

Der Doktorand Martin Heller dreht eine beschichtete Schraube in einen Schweineknochen. Anschließend wird er im Elektronenmikroskop prüfen, ob die Beschichtung der Schraube dadurch beschädigt wurde.

Nach einem orthopädischen Eingriff befielen Krankenhauskeime das Knie eines 39-jährigen Patienten. Die dunklen Flecken auf der nachkolorierten Röntgenaufnahme zeigen die infizierten Stellen.

Der Auslöser des Forschungsprojektes: Die Brandwunde des kleinen Isambard hatte sich unter dem Verband bakteriell entzündet. Der Fall des jungen Patienten am South West UK Children's Burn Centre stieß die Entwicklung eines antibakteriellen Pflasters an.

Die Doktoranden Kerstin Malzahn und Alexander Lotz untersuchen verschiedene Oberflächen auf ihre antibakterielle Wirkung und ihren Einfluss auf Säugetierzellen. Vor den Tests auf Verbundmaterialien stehen zunächst Untersuchungen in Zellkulturschalen.

Trojanische Pferde im Kampf gegen Bakterien: Die Aufnahme des Rasterelektronenmikroskops zeigt die Nanokapsel, die mit antibakteriellen Substanzen oder Farbstoffen, die auf eine Entzündung hinweisen, gefüllt und in ein Pflaster eingebettet werden.

Bakterien halten die rund dargestellten Nanokapseln für menschliche Zellen und infizieren sie, weil die Kapseloberfläche entsprechende Signalmoleküle trägt. Sobald die Erreger die Hülle mit Toxinen öffnen, werden entweder Farbstoffe (jeweils im linken Bildteil) oder mit eichnete antibakterielle Wirkstoffe freigesetzt.

Der Beitrag kann als PDF-Datei mit Bildern heruntergeladen werden unter:
http://www.mpg.de/5764482/W004_Material-Technik_064-071.pdf

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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin
der Max-Planck-Gesellschaft, I.2012, S. 64-71
Hrsg.: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2012