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FRAGEN/004: Gespräch mit Matthias Henk vom Musikverlag JumpUp (Anja Röhl)


Die Gründung des Musikverlags erfolgte, weil nach der sogenannten "Wende" die linke Musik bzw. linke Kultur "verschwunden" war

Gespräch mit Matthias Henk vom Musikverlag JumpUp

von Anja Röhl, 26. März 2019


Anja Röhl (AR): Lieber Matthias, wie kam es dazu, dass du diesen Musikverlag gegründet hast, den ich als sehr besonders eng verbunden mit der linkspolitischen Geschichte unseres Landes empfinde?

Mattias Henk (MH): Der Musikversand wurde 1993 gegründet. Aber eigentlich fing alles 1972 an - im ersten in Bremen besetztem Haus, mit einen Konzert mit Ton Steine Scherben. Dort kam ich mit der linken deutschen Musikszene in Berührung. Im Laufe der Jahre wurde es musikalisch immer bunter, angefangen bei Schroeder Roadshow, Checkpoint Charlie, Cochise, Klaus der Geiger ... auf Demos wurde damals noch richtig mit tausenden Leuten gesungen (Anti-AKW, Hausbesetzungen...).

Die Gründung des Musikverlags erfolgte, weil nach der sogenannten "Wende" die linke Musik bzw. linke Kultur "verschwunden" war. Es gab zwar noch Antiquarisches, aber das musste man sich mühsam zusammensuchen. Der Versand fing mit Platten von Ton Steine Scherben, Slime und Mimmi's an. Im Laufe der Zeit wurde das Programm ergänzt mit Schallplatten und CDs von Ernst Busch, Arbeiterliedern in Originalaufnahmen, Brecht und Eisler, Gisela May, Degenhardt und Süverkrüp, die lange Zeit nicht mehr zu haben waren. Nach einiger Zeit war klar, dass es nicht ausreicht, nur deutsche Aufnahmen zu verbreiten, sondern dass auch internationale Arbeiterlieder und fortschrittliche Musik in den Versand mit aufgenommen werden sollten.

AR: Klingt gut. Deshalb heißt Ihr wohl: Steh auf? Aber zunächst eine kleine Verständnisfrage: Wieso war die linke Musik nach der Wende plötzlich "verschwunden"? Gab es so eine starke Abhängigkeit von der DDR?

MH (lacht): Wir heißen: Spring auf! Das ist mehr als nur aufstehen! Ja, nach der Wende wurde auch im Westen die politische Widerstandskultur gleich mit entsorgt. Wie in der DDR, z.B. die großartige Künstlerin Gisela May, waren es im Westen z.B. MEK Bochum, Klaus der Geiger oder Ton Steine Scherben.

Es gab kaum noch Läden, die deren CDs / LPs verkauften. Man mußte diese Musik plötzlich mit der Lupe suchen. Bald gab es kaum noch Liederbücher mit Arbeiterliedern und Notenhefte zu diesen Liedern.

AR: Also gut und dann kamt Ihr auf den Plan und habt Musik eingekauft, oder wie muss ich mir das vorstellen? Habt Ihr einfach inseriert oder wie? Wo denn? Ohne eigenen Laden? Wie kamt ihr überhaupt an die Musik?

MH: Es wurden verschiedene Kontakte in die USA, nach Italien, Irland und ins Baskenland aufgenommen, woher Arbeiterlieder und andere fortschrittliche Musik bezogen wurde. Das lief anfangs zuerst mit der normalen Post (Briefe) und erst viel später über das Internet. Im Laufe der Zeit hat der JumpUp Versand sehr gute Kontakte in die USA zu dem Label "Smithsonian Folkways Recordings" geknüpft, die dort eine Ausnahme darstellen. Sie "verwalten" u.a. das komplette Liedgut der nordamerikanischen Arbeiterbewegung. Der Verlag wurde in den 40er Jahren gegründet und er verlegt z.B. die CDs von Pete Seeger und Woody Guthrie. In Deutschland ist der JumpUp Schallplattenversand der einzige, der das komplette Programm vertreibt.

AR: Was meinst du damit, was findet man dort alles?

MH: Dort findet man u.a. auch Originalaufnahmen von Che, Fidel, Angela Davis und vom Befreiungskampf in Vietnam und den Philippinen. Aufnahmen von Brecht vor dem amerikanischen Untersuchungsausschuss während der McCarthy-Ära oder eine CD mit Originalaufnahmen aus den 20er Jahren aus der sozialistischen Sowjetunion runden das Programm ab - wahre Schätze. Insgesamt hat der JumpUp Versand jetzt ca. 4 000 Titel im Programm. Es gibt aber nicht nur rein politische CDs und LPs, sondern auch sehr schöne Alben aus dem Bereich "Weltmusik", Chanson, Blues, Pop, Jazz, Rock.

AR: Unglaublich, toll, und wie habt Ihr Eure Musik dann bekannt gemacht?

MH: Wir haben dann unsere ersten Kataloge herausgegeben, die wurden zunächst noch mit der Schreibmaschine geschrieben, erst einige Jahre später mit dem PC. Wir waren eh immer ein Versand, der immer auf der Strasse war. Wir haben viele Demos mit unserem Stand beglückt, waren auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, der Tageszeitung "junge Welt", "UZ-Pressefest", "Weltmusik-Festival" in Rudolstadt, "Woody Guthrie Festival" in Münster, Sommertreff vom Motorrad-Club "Kuhle Wampe", Rebellisches Musikfestival, Konferenz der kritischen ver.di Mitglieder. Einen besonderen Stand habe ich immer noch im Kopf - bei einer Gorleben Demo auf der Wiese mitten im "besetzten Land".

Die Kataloge oder die Extra Blätter haben wir an Ständen verteilt und per Post verschickt, an Menschen, die Kontakt zu uns aufgenommen haben. Viele Anzeigen wurden in der linken Presse geschaltet - ich glaube in den ganzen Jahren für über 30.000 Euro. Das wurde alles privat bezahlt, denn Gewinne haben wir kaum erzielt.

AR: WAS???

MH: Ja, der gesamte JumpUp Versand wurde neben dem regulären Job gemacht.

AR: Alle Achtung für Euer Engagement! Aber Ihr macht ja auch ganz besondere Sachen, z.B. diese Reihe mit Musik von Viktor Ullmann?

MH: Eine wesentliche Besonderheit in unserem Programm ist die Enzyklopädie der Musikliteratur aus den Konzentrationslagern - Musik komponiert in den Konzentrationslagern (1933-1945). Die Reihe "KZ Musik" ist die vollständigste und aktuellste CD-Enzyklopädie mit der "opera omnia" (Lyrik, Symphonie, Kammermusik, Instrumental, Klavier, Gesang und Chormusik; Kabarett, Jazz, Religiösem, Folk und Traditonellem, in Fragmenten erhalten und teilweise rekonstruiert nach dem Krieg) komponiert von 1933 (als die Lager Dachau und Börgermoor errichtet wurden) bis 1945. Die Reihe fasst all die Werke der gefangenen, deportierten, ermordeten und überlebenden Musikern, die aus allen nationalen, sozialen und religiösen Schichten und allen Gefängnis-, Transit-, Konzentrations-, Vernichtungs-, Militär- und Arbeitslagern des Dritten Reiches kamen, zusammen.

AR: Unglaublich, welche Arbeit, welcher Schatz, wie wertvoll! Wie kamt Ihr dazu?

MH: "KZ Musik" ist das Ergebnis einer musikwissenschaftlichen Arbeit des italienischen Pianisten und Dirigenten Francesco Lotoro. Wir stießen durch unsere internationalen Kontakte darauf.

Jedes Booklet von KZ Musik ist in drei Sprachen geschrieben (italienisch, englisch und deutsch) und enthält Informationen über die Lager, in denen die Musikstücke auf den CDs komponiert wurden, mit allen Details über die Komponisten und ihren Werken, kurzen Erklärungen zu den Noten und dem Gesangsvortrag, der Lyrik und der Originalsprache.

AR: Das ist ja sehr besonders, wirklich! Ein ungeheurer Verdienst, dass Ihr dieser vergessenen Musik in die Öffentlichkeit geholfen habt, dafür habt Ihr sicher schon Preise bekommen, oder? Ossietzky-Preis oder andere Menschenrechtspreise? (Henk schüttelt den Kopf, lacht) Nein? Ich werde euch mal vorschlagen!

MH: Wir sind tatsächlich die ersten, die auf die Idee gekommen sind. Und stell dir vor: Wie wir die CDs ins Programm genommen haben, haben wir diverse KZ Gedenkstätten angeschrieben, ob sie die CD bei sich verkaufen wollten. Es hat sich nur das DIZ Emslandlager gemeldet - sonst niemand. Das sagt schon sehr viel aus, wie es mit der Erinnerung in diesem Land bestellt ist.

AR: Ein Jammer. Aber vielleicht brauchen die noch mehr Anstoß, mehr Nachfrage, die Reihe muss vielleicht noch bekannter werden. Mehr Werbung?

MH: Wir haben alles getan, was wir konnten, aber klar, man kann bestimmt noch mehr tun. Wir haben sie angeschrieben und dachten, die nehmen die Musik bestimmt, aber so einfach ist es eben nicht, die Gedenkstätten haben selber sehr schwer zu kämpfen.

AR: Weißt du, in allem, was du erzählst, steckt ungeheure Arbeit und wahnsinnig viel Engagement drin und soviel Kompetenz, ich bewundere euch! Es ist so gut, dass Ihr das alles aufrecht erhaltet, die Erinnerung an so viel gesellschaftsverändernde oder um Veränderung ringende Musik-Kunst, toll!

Seht Ihr Euch, wie ich verstehe, also weniger einer bestimmten Partei, als einer globalen Bewegung verpflichtet? Wie würdest du diese Bewegung umreißen? Und welche Chancen siehst du für diese Bewegung in der heutigen Zeit? Wie kann Eure Musik da helfen? Denn ich denke, darin steckt doch Eure Antriebskraft, oder?

MH: Wir verstehen uns schon der Arbeiterbewegung verpflichtet. Denn solange es Ausbeutung und Unterdrückung gibt, d.h. die bestehenden Verhältnisse, gehen wir in die Barbarei. Der totale Wahnsinn in dieser Zeit, da kann man schon resignieren. Aber es nützt nichts. Alle Veränderungen in der Gesellschaft fangen klein an. Man muß ja auch sehen, was alles geleistet wurde, die Pariser Commune, Oktoberrevolution, die große chinesische Revolution, der Kampf der Völker gegen den Faschismus. Das ging alles nur, weil es eine starke klassenbewußte Arbeiterklasse gab. Davon sind wir z.Zt. leider ganz weit entfernt. Wir müssen dagegen anhalten und die Kämpfe, die hier stattfinden, unterstützen. Darin sehen wir unsere Aufgabe. Deswegen haben wir auch mit der Herausgabe von LPs und CDs angefangen.

Dabei legten wir den Schwerpunkt besonders auf Arbeiterlieder (CDs u.a. von Alistair Hulett, Pol Mac Adaim, Frank Baier und von Bernd Köhler & ewo2 mit den Alben "Avanti Popolo" I + II). Ferner gab es die Herausgabe der CD von Bernd Köhler: "Keine Wahl - Lieder, Gesänge und Balladen aus Arbeitskämpfen 1971 - 2013". Dann sehen wir ja auch die internationalen Kämpfe und haben das Projekt von Blandine Bonjour & Bernd Köhler unterstützt. Von beiden haben wir 3 CDs herausgegeben: Chansons sans cigare - Lieder aus dem anderen Frankreich, Les nouveaux Mousquetaires - chansons internationales und PARIS S'ÉVEILLE (PARIS ERWACHT) - Livemitschnitt vom Konzert am 22.05.2015 in Mannheim.

AR: Wahnsinn, mir schwirrt der Kopf, ist das vielfältig!

MH: Einen weiteren Schwerpunkt haben wir bei Soli-CDs. Wir haben 2 Doppel CDs für Mumia Abu-Jamal herausgegeben, eine CD zur Unterstützung von 2 Antifa-Zeitungen in Rußland und eine Doppel CD für die Rote Hilfe (alle Gelder durch den Verkauf werden gespendet). Dann haben wir mit dem Kolletiv "Lucha Amada" jetzt 3 Solidaritäts-CDs herausgegeben. Bei der ersten Doppel CD wurden alle Überschüsse an Agua par tod@s und das Afrique-Europe Interact-Netzwerk gespendet. Bei der zweiten Doppel CD geht das Geld an NSU Watch NRW und an die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Bei der ganz neuen Doppel CD bzw. Doppel LP "A Tribute to Punk" gehen die Überschüsse an Lucha Amada selbst, um ihre Arbeit zu unterstützen.

AR: Super! Macht Ihr auch Literatur, Hörbücher oder nur Musik?

MH: Wir machen nur Musik, obwohl, wir haben auch ein indianisches Märchen der Gruppe Cochise wiederveröffentlicht "Wie die Maus zum Adler wurde".

AR: In frischen, lebendigen Bewegungen spielt Musik und Kunst, auch Lebensstil meist eine zentrale Rolle, im alltäglichen politischen Geschäft etablierter Parteien dann oft gar nicht mehr. Woran, meinst du liegt das? Du glaubst ja offenbar, dass Musik Gesellschaft besser verändern kann als Zeitung und Sachbuch, oder?

MH: Nein, Zeitungen oder Sachbuch sind genauso wichtig und sollten nicht in Konkurrenz zur Musik stehen. Es gibt ja auch viele Maler, die wirklich sehr schöne Bilder von den aktuellen Kämpfen malen oder hervorragende Sachbücher und Geschichtsbücher. Es gibt ja viele Verlage oder auch Galerien, die ein wirklich gutes Programm haben. Was die etablierten Parteien betrifft (ich meine auch "Die Linke"), haben sie leider kein großes Interesse an linker Kultur.

AR: Woraus schließt du das?

MH: Es ist immer ein enormer Aufwand Unterstützung zu erhalten, um z.B. Konzerte zu organisieren. Es werden meistens bürokratische Einwände vorgebracht, um ein Konzert nicht finanziell unterstützen zu müssen, obwohl man das angeblich ursprünglich wollte - außer man kommt mit sehr bekannten Künstlern an - die dann wiederum Werbung für die etablierte Partei darstellen.

AR: Ja, siehst du, und das verstehe ich nicht. Ich meine, Kultur und Politik gehören zusammen und beflügeln sich gegenseitig. Also ich jedenfalls bin vor allem durch Kultur politisiert worden bzw. habe in der Kultur einen Ausdruck für meine Sehnsüchte nach einer freieren Gesellschaft gefunden, und mich dadurch bestärkt gefühlt. Dasselbe sagen ja sogar Künstler, die in den KZs waren, wie z.B. Esther Bejarano oder Viktor Ullmann, von dem ihr zahlreiche Werke in der KZ-Musik-Serie habt, die mE viel bekannter werden sollte. Ich würde die mal den "Ärzten gegen Atom" anbieten, die sind sehr an klassischer Musik interessiert und sehr links von ihrer Weltanschauung. Also der Stellenwert von Kultur wird in der Linken im Tagesgeschäft oft unterschätzt. Hast du das Gefühl, dass ist nur eine Krankheit linker Intellektueller, die ja meist etwas kopflastig sind?

MH: Das war bei mir genau so. Durch die Musik bin ich politisiert worden und dazu kam noch, dass wir in der Hauptschule sehr gute Lehrer und Lehrerinnen hatten. In der 9. Klasse gab es dann im Politikunterricht die ganzen Zeitungen, angefangen von der "Kommunistischen Volkszeitung", "Arbeiterkampf", "Roter Morgen", "Rote Fahne". Diese Zeitungen lagen auf den Schulbänken und es wurde diskutiert. Es gab damals eine sehr große kommunistische Bewegung und dort spielte die Kultur auch eine sehr große Rolle. Es gab sehr viele Aktivitäten von Theatergruppen, Songgruppen, Filmgruppen... und es gab diverse linke Kulturzeitungen wie "Ostwind", "Kunst und Gesellschaft", "linkskurve"... Ich weiß noch, wie es in Bremen die Theateraufführung von dem Stück von Ulrike Meinhof "Bambule" gab - ein ganz volles Haus mit begeisterten Jugendlichen. Dann im Laufe der Jahre, wie die Bewegung zerfiel, hat man richtig gemerkt, dass Kultur fast keine Rolle mehr spielte.

Wer kennt auf Demos noch die Arbeiterlieder und die Lieder, die in den 80igern oder 90iger Jahren entstanden sind? Das ganze kulturelle Wissen ist in der linken Bewegung fast verloren gegangen. Wir merken es immer an den Ständen, die wir machen, dass Musiker und Musikerinnen wie Pete Seeger, Woody Guthrie, Barbara Dane... inzwischen kaum noch bekannt sind. Die ganze Geschichte geht irgendwie verloren. Und andererseits merken wir, dass die Arbeiterlieder wieder sehr gefragt sind (bei denen, die sie noch von früher kennen). Die Genossinnen und Genossen vom Verlag "Das Freie Buch" haben ein Arbeiterliederbuch herausgegeben mit Noten - das ist bei unseren Ständen immer ausverkauft. Es besteht ein sehr großes Interesse daran - aber nicht als Entdeckung von jungen Menschen, sondern als Wiederentdeckung durch die Älteren. Und man muß feststellen, das die Kultur in der Linken sehr unterschätzt wird. Inzwischen ist es so, das quasi eine Enteignung der Künstler durch das Streaming erfolgt. Auch die "Linke" selbst, sie beteiligt sich daran. Es muß alles kostenlos sein, es muß alles im Downloadbereich bereitstehen.

AR: Deprimierend. Besonders, dass die jungen Leute es vergessen. Doch es gibt auch positive Beispiele, oder?

MH: Ja, es geht auch anders: Die Kampagne von Strom & Wasser für die kulturellen Zentren unter dem Motto: "Eine Million gegen Rechts!" Der Plan: 100 Konzerte in 100 Städten. Die Band spielt kostenlos und sammelt auf den Konzerten Spenden. Sie sagen, die gesammelten Gelder sollen den Jugendzentren und Kultureinrichtungen zugute kommen, damit die evtl. ihre Häuser kaufen können. Damit sie Sicherheiten gegen Kündigungen haben oder mit den Geldern entsprechende Anwaltskosten, Werbung für Überlebensaktionen, wichtige Kulturprogramme, notwendige Sanierungen usw. tragen können. Das zeigt, dass es Künstler gibt, denen es genauso wichtig ist, dass es eine linke Kultur gibt, egal, ob irgendwelche linken Intellektuellen dazu beitragen oder nicht. Es ist aber noch weit zu einer breiten linken Bewegung. Es ist keine Krankheit kopflastiger Intellektueller, sondern eine Geringschätzung linker Kultur.

AR: Und dagegen geht ihr an? Welche Mitstreiter habt Ihr? Wo ist Eure, wie man heute sagt: Zielgruppe? Wie ist Euer, wie man heute sagt: "Finanzierungskonzept"? Sorry, diese kapitalistischen Begriffe, aber die Frage zielt auch darauf ab: Wie entgeht Ihr den kapitalistischen Gesetzen?

MH: Ich meine, man muß bei allem den Überblick behalten. Wir machen den Versand quasi zu zweit - vom Internet, Anzeigengestaltung, Stände usw. Es gibt nun mal im Kapitalismus keine Oasen, man muß sich leider dem kapitalistischen Irrsinn unterziehen. Das einzige, was man machen kann, ist, dass man die CDs / LPs nicht zu Horrorpreisen verkauft. Wir machen den Versand / Vertrieb neben den "normalen" Job - so konnte ich den Versand finanzieren. Es ging nur, weil ich mein privates Geld in den Versand gesteckt habe. Die Zielgruppe ist eigentlich klar: in erster Linie die linke Bewegung, d.h. diejenigen, die ein Bewusstsein über ihre Unterdrückung haben, die Arbeiterinnen und Arbeiter, Hausbesetzer, Anti-AKW... - wir möchten vor allem darum kämpfen, dass unsere Kultur nicht untergeht. Auch gerade wenn man bedenkt, dass sehr viele Lieder auf den Barrikaden und mit sehr viel Blut entstanden sind. Natürlich ist es schwer, wenn die Massenbewegung abflaut, aber es bringt nichts, in die Resignation zu fallen - obwohl man auch oft diese Gedanken hat. Aber wenn man z.B. an die politischen Gefangenen denkt wie Mumia Abu-Jamal, Leonard Peltier, Turgut Kaya, Georges Ibrahim Abdallah, die G20-Gefangenen oder an die kämpfenden Menschen in Brasilien, Indien usw., dann weiß man, das man nicht aufgeben darf. Wir sind nicht alle - es fehlen die Gefangenen. Die Gefahr besteht natürlich immer, dass man von den herrschenden Mechanismen aufgefressen wird und man kann es eigentlich nur verhindern, indem man politisch aktiv bleibt.

AR: Danke für das Interview!



Kontaktadresse
JumpUp Schallplattenversand
E-Mail: info@jumpup.de
www.jump-up.de

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Quelle:
© 2019 by Anja Röhl
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2019

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