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HINTERGRUND/112: Frauen-Samba aus Bahia (Frauensolidarität)


Frauensolidarität - Nr. 98, 4/06

Im Rhythmus der Emanzipation
Frauen-Samba aus Bahia

Von Ulla Ebner


Der Samba-Reggae ist ein bedeutsamer und durchaus authentischer Ausdruck afrobrasilianischer Identität. Um der männlichen Dominanz in diesem Bereich entgegenzuwirken, wurde Anfang der 1990er Jahre in Salvador das Mädchenprojekt Didá ins Leben gerufen, das sich stark auf die legendäre Figur der Anastacia bezieht und sie als Heilige verehrt.


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Salvador, Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Bahia war einst Hochburg des Sklavenhandels und ist bis heute Zentrum der afrobrasilianischen Kultur. Im historischen Stadtkern, dem Pelourinho, tummeln sich unzählige TouristInnen und zu beinahe jeder Tageszeit kann man aus irgendeiner Ecke die Sambatrommeln der diversen Blocos Afros hören - Percussiongruppen, die den lokalen Rhythmus Bahias spielen, den Samba-Reggae.


Neguinho do Samba

Der Samba-Reggae ist mittlerweile ein bedeutender und durchaus authentischer Ausdruck afrobrasilianischer Identität. Er ist untrennbar mit einem Namen verbunden, nämlich mit Antônio Luiz Alves de Souza, besser bekannt als Neguinho do Samba.

Der "kleine Schwarze des Samba" - so der Name in Übersetzung - entwickelte diesen Rhythmus Ende der 1970er Jahre, indem er traditionellen brasilianischen Samba de Roda mit jamaikanischem Reggae vermischte. Neguinho gründete mehrere der bekannten Percussiongruppen Salvadors wie z.B. 'Ilê Aiyê' oder 'Olodum'.

Alle diese Gruppen unterhalten auch Schulen, in denen der musikalische Nachwuchs ausgebildet wird. Und diese sind mehr als bloß Orte, um Musik zu lernen, denn hier geht es v.a. darum, den Kindern der Favelas, wie die Armenviertel in Brasilien genannt werden, eine sinnvolle Beschäftigung zu geben und ihr Selbstbewusstsein, insbesondere ihr ethnisches Selbstbewusstsein, zu stärken. Heute ist der Samba-Reggae in Salvador beinahe so bedeutend wie Fußball. Mitglied eines bekannten Blocos zu sein, schafft soziales Prestige.

Die meisten der Gruppen sind jedoch auffällig stark männerdominiert, denn Trommeln ist offensichtlich Männersache. Nicht dass den Mädchen der Zugang zu den Blocos verwehrt wäre, jedoch trauen sich in der Praxis nur wenige hin.


Didá - Macht des kreativen Schaffens

Neguinho wollte sich damit nicht abfinden und sein soziales Engagement nicht nur auf die männlichen Jugendlichen der Favelas beschränken. Und so entschloss er sich, ein eigenes Projekt nur für Mädchen ins Leben zu rufen. Er nannte es 'Didá', ein Wort aus dem Yoruba, das soviel bedeutet wie "die Macht des kreativen Schaffens".

Die männliche Umwelt reagiert zunächst skeptisch. Man(n) traute den Frauen nicht zu, die komplizierten Rhythmen zu erlernen, die schweren Trommeln zu spielen. Woher sollten denn die Frauen und Mädchen überhaupt angesichts ihrer enormen Arbeitsbelastung die Zeit zum Üben nehmen? Und wo käme man(n) denn hin, wenn sie plötzlich ihre hausfraulichen Pflichten vernachlässigen würden? Außerdem war der nächtliche Pelourinho mit seinen zwielichtigen Gestalten, den Touristen, dem Alkohol und den Drogen auch nicht der richtige Ort für anständige junge Frauen. Sicher würden sie sich innerhalb kurzer Zeit von den Männern dort schwängern lassen und aus wäre es wieder mit der Trommelkarriere.

Dies bestätigt auch Viviam Queirós, die Präsidentin von Didá: "Uns gibt es jetzt seit über 12 Jahren. Und immer noch haben die Männer Angst davor, dass auch wir trommeln lernen, dass wir die gleichen Gagen bekommen, bei den gleichen Veranstaltungen spielen, in ihren Raum eindringen... Aber vor allem haben Männer Angst davor, nach Hause zu kommen und ihre Frau ist nicht da und die Wohnung nicht aufgeräumt, weil sie gerade irgendwo Samba spielt. Und von der Macho-Logik aus betrachtet hatten sie natürlich recht. Denn all das wovor sie Angst hatten, ist auch tatsächlich eingetroffen..."


Didá-Schule

Allen Unkenrufen zum Trotz war das Projekt erfolgreich. Didá ist bzw. hat heute eine bekannte Musikgruppe, die Banda Feminina Didá, die immer wieder mit Stars der brasilianischen Musikszene, wie Daniela Mercury oder Caetano Veloso zusammenarbeitet. Daneben gibt es aber auch die Didá-Schule, die sich als kulturelles und soziales Projekt für afrobrasilianische Frauen und Mädchen aus der Peripherie der Stadt versteht. Dort wird Tag für Tag kostenlos unterrichtet. Neben Perkussion gibt es auch Kurse für Afro-Tanz, Capoeira, Theater, Gesang und diverse andere Instrumente. Die künstlerische Betätigung soll das Selbstbewusstsein der rund 800 Schülerinnen stärken und ihnen neue Perspektiven im Leben eröffnen, wie auch Viviam betont: "Normalerweise können sie sich kein anderes Leben vorstellen als das ihrer Mütter und Großmütter. Sie kennen nichts anderes. Man muss den Frauen andere Möglichkeiten zeigen, damit sie entscheiden können, was sie wirklich für sich selbst wollen..."

Die Lehrerinnen der Didá-Schule versuchen, den Mädchen ein neues weibliches Bewusstsein zu vermitteln, das nicht durch das Tragen kurzer Röcke und tief ausgeschnittener T-Shirts definiert wird. Die Arbeit mit den Trommeln selbst sowie die Interaktion mit dem Publikum tragen zur Stärkung des Selbstwertgefühls bei. "Die Trommeln verleihen dir Macht. Du fühlst dich kraftvoll und schön. Und du achtest auf dein Äußeres, denn du willst dich natürlich gut vor dem Publikum präsentieren. Die Leute jubeln dir zu, sie erkennen dich auf der Straße. Alle wissen, wer du bist. Du erreichst einen neuen sozialen Status und das ist sehr gut fürs Selbstbewusstsein. So geht es mir und allen Frauen von Didá", beschreibt Viviam die Persönlichkeitsentwicklung der Musikerinnen.


Spirituelle Bedeutung der Trommeln

Darüber hinaus geht es hier insbesondere auch um die Herausbildung einer stolzen Identität als Afrobrasilianerinnen. Den Trommeln kommt in diesem Zusammenhang eine beinahe spirituelle Bedeutung zu. Sie werden als die Trägerinnen und Bewahrerinnen afrikanischer Tradition gesehen, als der "Soundtrack von Bahia". Ihr Klang ist heilig und die runde Form der Instrumente wird verglichen mit der Erde. Wenn sich also die Frauen von Didá diese Trommel-Erdbälle um den Schoß binden, machen sie sich symbolisch die Welt zu Eigen. Nicht umsonst hieß die erste CD der Banda Feminina Didá "A mulher gera o mundo" - die Frau erschafft die Welt.

Auch spirituelle schwarze Vorbildfiguren spielen eine wichtige Rolle in der Bewusstseinsarbeit von Didá. An der Decke von Viviams Büro befindet sich das Bild einer schwarzen Frau mit einer eisernen Maske. Dieselbe Figur ist auf den Textilien zu sehen, die sich die Musikerinnen von Didá um ihre Trommeln wickeln. Dabei handelt es sich um die legendäre Figur der Anastacia, einer versklavten Bantu- Prinzessin. Wunderschön soll sie gewesen sein, schwarz mit blauen Augen. Und so habe sie das Begehren ihres Herrn auf sich gezogen, dem sie sich jedoch beharrlich widersetzt habe. Mit Hilfe von gesprochenen Zauberformeln soll sie in der Lage gewesen sein, Wunderheilungen zu vollbringen, was sie für ihre Umwelt unheimlich machte. Und um sie daran zu hindern, wurde ihr eine eiserne Maske aufgesetzt. Das jahrelange Tragen dieser Maske fügte ihrem Gesicht offene Wunden zu, welche schließlich zum Tod durch Wundbrand führten.


Anastacia als Identifikationsfigur

Anastacia wird heute in verschiedenen Teilen Brasiliens, insbesondere aber in Bahia verehrt. Einige ihrer gläubigen AnhängerInnen sind überzeugt, sie könne immer noch Wunder vollbringen und setzen sich beim Papst für ihre Heiligsprechung ein. Für die Frauen von Didá ist Anastacia eine Symbol- und Identifikationsfigur. Früher trugen die Musikerinnen manchmal bei ihren Auftritten selbst Masken. Anastacia wird als Frau gesehen, die unter denselben Vorurteilen ihrer Umwelt zu leiden hatte, unter denen noch heute schwarze Frauen in Brasilien leiden. Die Didá-Musikerinnen verehren sie in Form von Ritualen und bitten selbst auf der Homepage um ihren Segen für die Schule.

"Wir haben unsere eigenen Heldinnen wie etwa Anastacia", betont Viviam Queirós. "Sie soll bei den Mädchen Stolz erwecken. Den Stolz, schwarz zu sein, Stolz auf die Vergangenheit. Aber sie sollen auch in die Zukunft blicken und sagen: Ich kann und will mein Leben verbessern."


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Webtipps:
http://www.projetodida.org/
http://community.attac.at/sambattac.html

Hörtipp:
Der Rhythmus der Emanzipation.
Ulla Ebner im Gespräch mit Viviam
Queirós, Präsidentin von Didá. Auf www.noso.at
(http://cba.fro.at/show.php?eintrag_id=5331

Zur Autorin:

Ulla Ebner ist freie Filmemacherin und Radioredakteurin bei Women on Air. Sie spielt selbst Samba bei sambattac, der Samba Bateria des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC und besuchte Didá im Rahmen einer Brasilienreise im Februar 2006. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 98, 4/2006, S. 14-15
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Fon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Fax: 0043-(0)1/317 40 20-355,
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis ab 2007: 5,-- Euro.
Abonnement ab 2007: Inland 20,-- Euro,
Ausland 25,-- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2007