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HINTERGRUND/136: Prof. Zumpe plädiert für den Bau eines neuen Konzerthauses in Dresden (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 6 vom 31. März 2009

"Ideeller Wert über die bauliche Substanz hinaus"

Mit Prof. Zumpe sprach Martin Morgenstern


Der Architekt Prof. Manfred Zumpe plädiert für den Bau eines neuen Konzerthauses in Dresden. Aus seiner Sicht hat der geplante Umbau des Kulturpalastes wenig Sinn.


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Ob Dresdner Philharmonie oder Sächsische Staatskapelle Dresden - beide in der Landeshauptstadt ansässigen Orchester haben über die Grenzen Deutschlands hinaus einen exzellenten Ruf. Leider entspricht diesem guten Ruf die bauliche Situation zuhause mitnichten: keines der beiden Orchester hat einen akustisch befriedigenden Konzertsaal zur Verfügung.

Die Staatskapelle spielt in der Semperoper, in einem Rangtheater, mit Platzierung des Orchesters auf der Bühne. Das beklagen schon seit Generationen berühmte Dirigenten: Richard Wagner hat schon 1845 ein Gesuch an den König gerichtet mit der Bitte, neben dem vorhandenen Opernhaus ein Konzerthaus zu bauen!

Die Philharmonie dagegen führt ihre Konzerte im Kulturpalast auf - in einem Mehrzwecksaal mit fast 2500 Plätzen, der gut geeignet ist für Jazz, Unterhaltungsmusik und Tagungen bis hin zu Tanzveranstaltungen. Aber für klassische Musik? Nach langem Ringen hatte der Stadtrat sich voriges Jahr entschieden, diesen Saal zu verkleinern und für klassische Musik zu ertüchtigen. Sofort regte sich Widerstand aus den Reihen der Konzertveranstalter: warum einen funktionierenden Saal zerstören, in dem Klassik ohnehin seltener zur Aufführung kommt als andere Musik- und Unterhaltungsformen?

Vor einigen Wochen hat nun der Architekt Manfred Zumpe, der 1992 an der Technischen Universität Dresden zum Honorarprofessor berufen wurde, eine Machbarkeitsstudie für ein neues Konzerthaus vorgestellt, das neben den beiden Dresdner Orchestern auch internationale Ensembles bespielen könnten. Im Gespräch mit dem UJ schildert Prof. Zumpe eine gangbare Alternative zum geplanten Umbau des Kulturpalastes.


UJ: Herr Prof. Zumpe, viele Dresdner Bürger sind der Meinung, dass die Stadt ein neues Konzerthaus braucht. Sie haben vor einem Jahr eine kleine Initiativgruppe gebildet, mit der dieses Ziel konsequent verfolgt werden soll.

PROFESSOR ZUMPE: Wenn die Verantwortlichen für die Kultur die Stadt Dresden in den obersten Rängen der europäischen Musikkultur erhalten wollen, muss in dieser Beziehung etwas geschehen, sonst werden wir von anderen Städten überholt. In Hamburg, in München, in Stuttgart und Bonn werden neue Konzerthäuser gebaut. Für die weitere Entfaltung der Musikkultur müssen wir schnellstens das nachholen, was andere bereits haben beziehungsweise jetzt verwirklichen.

UJ: Wie sähen denn konkrete Lösungsmöglichkeiten für dieses drängende Problem aus?

PROFESSOR ZUMPE: Gegenwärtig gibt es zwischen Stadt und Land kein gemeinsames Handeln. Die Philharmonie hat ihren Kulturpalast und die Zusage der Stadt, dass die seit langer Zeit beklagte Unzulänglichkeit der Akustik durch den Bau eines neuen Konzertsaals beseitigt wird. Das ist durchaus verständlich; für die Stadt allein wäre es nicht zu bewältigen, neben dem Kulturpalast auch noch ein Konzerthaus zu betreiben, das leuchtet allen ein. Ein neues Haus funktioniert nur, wenn sich Freistaat und Landeshauptstadt an einen Tisch setzen: der Ministerpräsident mit der Oberbürgermeisterin, der Kulturbürgermeister und die Kunstministerin. Zusammen müssten sie noch einmal darüber nachdenken, ob das jetzige Konzept ideal ist.

Wenn man jetzt nur an den Kulturpalast denkt und den mit einem Riesenaufwand herrichtet (67 Millionen Euro werden dafür genannt), hat man am Ende - aus Sicht einer progressiven Stadtentwicklung - nichts Neues, was die Stadt Besuchern vorzeigen kann. Denn wenn ich so viel Geld in die Hand nehme, möchte ich auch etwas sehen: ein tolles Haus in einer modernen Architektur, das sich in das große Konzert der Dresdner Dominanten einfügt: Frauenkirche, Hofkirche, Semperoper, Museum usw.

Wir glauben auch: mit einem neuen Konzerthaus wird die Stadt Dresden auch wieder ein großer Anziehungspunkt für die Musikkultur sein, wie sie das in früheren Zeiten war. Man braucht sich nur daran zu erinnern: als Richard Strauss die Uraufführungen seiner Opern inszenierte, wurden Sonderzüge eingesetzt! Das müssten die Kulturverantwortlichen von Stadt und Land bedenken: ein Neubau würde auch wieder einen Zustrom von Touristen bewirken. Die Frauenkirche haben viele gesehen, das Grüne Gewölbe auch. Mit so einem neuen Highlight könnte man die Stadt auch touristisch wieder beleben.

UJ: Wenn hingegen das jetzige Konzept der Stadt realisiert wird, hieße das: 2012 begänne der Umbau, und man rechnet mit drei bis dreieinhalb Jahren Bauzeit. Was bedeutet das für die Dresdner Philharmonie?

PROFESSOR ZUMPE: Das würde für die Philharmonie bedeuten, dass sie für dreieinhalb Jahre ein neues Quartier braucht: Räume für Dirigenten, Solisten, Musiker, Chorsänger, Garderoben, Instrumente, Probenräume etc. müssten "evakuiert" werden. Da fragt sich: wohin? Man kann sich natürlich vorstellen, dass das eine oder andere Konzert in der Frauenkirche, der Kreuzkirche oder dem Kongresszentrum stattfindet. Man müsste mit großem Aufwand die schweren Instrumente hintransportieren. Ich fürchte, dass die Philharmonie darunter sehr leiden würde. Während der Bauzeit wird zudem ein voll funktionsfähiger Mehrzwecksaal, den viele lieben (vor allem die Fans der Unterhaltungsmusik) erst einmal vernichtet - was viele Millionen kostet! - und dann wird in das Gehäuse ein neuer Saal eingebaut. Mir mutet es an, wie wenn man einem Patienten, dessen Herz gut schlägt, ein neues implantiert. Wolfgang Hänsch, der Architekt des Kulturpalastes, spricht von einem "Schildbürgerstreich".

Wenn man aber unserem Vorschlag folgt und sich dazu bekennt, so schnell wie möglich ein neues Konzerthaus zu bauen, wenn tatsächlich alle Ämter und Institutionen (Stadtplanungsamt, Bauaufsichtsamt, Grünflächenamt, Verkehrsamt usw.) angehalten werden, in einem verkürzten Verfahren die Voraussetzungen dafür zu schaffen - dann müsste das in zwei Jahren möglich sein. Es müsste ein Wettbewerb ausgeschrieben werden. Dann könnte die Planung beginnen. Dann rechnen wir mit einer Bauzeit von 27 Monaten, hinzu käme eine Probezeit des Betriebs von mindestens zwei Monaten. 2013 könnte die Philharmonie ohne dieses belastende Interregnum in das fertige Haus einziehen und es gemeinsam mit der Staatskapelle betreiben.

UJ: Was für Baukosten erwarten Sie für einen kompletten Neubau, und an welchem Standort könnten Sie sich ein solches Haus vorstellen?

PROFESSOR ZUMPE: Wir rechnen für dieses neue Gebäude mit Baukosten von 80 Mio. Euro ohne Grundstück. Wir erwarten, dass die Stadt oder das Land das entsprechende Grundstück zur Verfügung stellen. Verschiedene Standorte würden sich ja anbieten. Der schönste ist das Areal zwischen Blockhaus und Finanzministerium, mit dem faszinieren Blick auf die berühmte Altstädter Elbfront, das "Narrenhäusl"-Gelände. Dort ist ohnehin von Seiten des Stadtplanungsamtes ein öffentliches Gebäude vorgesehen. Nichts würde dort besser hinpassen als ein Konzerthaus! Es würde im Blickpunkt der Brühlschen Terrasse stehen und wäre eine glückliche Bereicherung der Neustädter Elbfront: Japanisches Palais - Hotel Bellevue - Blockhaus - Finanzministerium - Staatskanzlei. In diesen Bogen müsste es sich einreihen. Damit wäre der Stadtentwicklung Dresden ein großer Schritt gelungen.

UJ: Der parteilose Kulturbürgermeister Ralf Lunau will laut einem Zeitungsartikel ein solches Konzerthaus "nicht mal geschenkt" und redet bisher nicht mit dem Land. Verstehen Sie das?

PROFESSOR ZUMPE: Das liegt an einer gewissen Provinzialität. Es wäre ja nötig, einmal einen großen Schritt zu tun und etwas zu schaffen, womit Dresden an Berühmtheit zulegen könnte. Wir haben deshalb an den Ministerpräsidenten geschrieben und dringend gefordert, zusammenzugehen. Wenn das nicht gelingt, würde die Staatskapelle weiter in der Semperoper spielen und die Philharmonie würde im Kulturpalast bleiben. Es ist ein großer Lapsus, dass man hier noch nicht erkannt hat, was Dresden hier für eine Chance hat. Man könnte die Voraussetzungen schaffen, dass berühmte Orchester aus aller Welt gerne nach Dresden kommen! Der Generalmusikdirektor der Staatskapelle, Fabio Luisi, sprach kürzlich von einer gewissen "Inzucht", die dadurch entsteht, dass Dresden in seinem eigenen künstlerischen Saft schmort. Das ist ein absolutes Manko einer Musikmetropole wie Dresden.

UJ: Im Juni wird der Dresdner Stadtrat gewählt, im Herbst folgt eine Neubesetzung der Landesregierung und damit auch des Kunstministeriums. Sind Stadt- und Landespolitiker damit jetzt schon "lame ducks" - erwarten Sie, dass sich vor 2010 überhaupt noch etwas im Konzerthausstreit bewegt, dass die Kulturschaffenden mit ihren Vorstellungen durchdringen?

PROFESSOR ZUMPE: Politik spielt immer eine große Rolle. Es war für uns sehr enttäuschend, dass unsere Initiative, die ich anfangs mit Professor Heinz Diettrich - versehen mit wichtigen Argumenten - den Bürgermeistern und Fraktionsvorsitzenden zugeleitet habe, keine Beachtung fand. Auch ein gemeinsamer Brief der berühmtesten Dresdner Musiker (Theo Adam, Hartmut Haenchen, Ludwig Güttler, Peter Schreier, Peter Rösel, Fabio Luisi, Jan Vogler) wurde nicht beantwortet. Vielleicht liegt es daran, dass es den Verantwortlichen an der nötigen Begeisterung für die klassische Musik mangelt? Wir hoffen aber, dass sich in nächster Zeit etwas verändert. Es gibt erste Zeichen dafür. Wenn die Vernunft siegt, müssen die Verantwortlichen von Stadt und Land gemeinsam an die große Aufgabe herangehen.

UJ: Vielleicht hülfe ja etwas mehr öffentlicher Druck?

PROFESSOR ZUMPE: Wir wollen noch Ende April eine große Podiumsdiskussion inszenieren, wo wir die Verantwortlichen einladen. Dort wollen wir das Thema noch einmal in einer großen Öffentlichkeit von verschiedenen Seiten beleuchten. Und dort sollen viele zu Wort kommen: die Orchesterdirektoren, die Veranstaltungsspezialisten. Natürlich soll die Staatskapelle ausführlich gehört werden, die bisher - laut Fabio Luisi - nur sehr wenig einbezogen wurde. Wir hoffen, dass mit einer solchen Öffentlichkeit die Wege geebnet werden, die wir brauchen, um zum Ziel zu kommen.

UJ: Warum sperrt sich die Philharmonie gegen Ihre Konzeptionen?

PROFESSOR ZUMPE: Weil der Intendant, Anselm Rose, mit dem Angebot der Stadt den Sperling in der Tasche hat - und an die Taube auf dem Dach glaubt er nicht. Er hat aber auch keinen Versuch unternommen, die nötigen Kontakte zu knüpfen. Die Staatskapelle dagegen spricht sich unbedingt für die Konzerthauslösung aus. Herr Luisi und Herr Nast haben uns das mehrmals bestätigt.

UJ: Luisis öffentlich erklärtes Ziel war ja bereits zu seinem Amtsantritt, alles erdenklich Mögliche für ein neues Haus zu tun, in dem die Staatskapelle konzertieren könne!

PROFESSOR ZUMPE: Schon Karl Böhm, der die Staatskapelle von 1934 bis 1943 dirigierte, hat in seinen Lebenserinnerungen beklagt, dass Dresden kein Konzerthaus hat.

UJ: Über die Akustik des großen Kulturpalast-Saales ist schon lange kein versöhnliches Wort mehr gesprochen oder geschrieben worden. Musste sich die Philharmonie denn quasi seit ihrem Einzug mit klanglichen Kompromissen abfinden?

PROFESSOR ZUMPE: Unsere Hörgewohnheiten wandeln sich über die Jahre. Aber die Klangqualität eines Konzertsaales ist sowieso immer etwas unterschiedlich zu bewerten. Es gibt keine einheitliche akustische Qualität, jeder Saal hat Vorzüge und Nachteile. Auch im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins herrschen für bestimmte Aufführungen schlechte Bedingungen. Aber da sagt man heute: man kann ja durch technische Möglichkeiten die Akustik verbessern, den Saal "ertüchtigen". Da wäre es schon zu überlegen, ob man den Saal so lässt wie er ist, weil er von Millionen Menschen in der jetzigen Form erlebt worden ist und geliebt wird. Die klassische Musik bewältigt ja überhaupt nur einen geringeren Anteil an Veranstaltungen dort.

Der Kulturpalast hat einen sowohl materiellen als auch ideellen Denkmalswert. Der Geschichtswert, der durch den 40-jährigen Gebrauch des Hauses entstanden ist, in dem viele Zuschauer tolle Konzerte erlebt haben, schafft einen ideellen Wert über die bauliche Substanz hinaus. Im Übrigen muss einmal gesagt werden, dass der Saal in den letzten Jahren schlechtgeredet wurde. Es gibt viele prominente Persönlichkeiten, die den Saal großartig fanden.

UJ: Die Stichworte Waldschlösschenbrücke, Dynamo-Stadion oder "Wiener Loch" mögen genügen: irgendwie hatte die Stadt in den letzten Jahren kein sehr glückliches Händchen, was eine umsichtige, ganzheitliche Stadtentwicklung angeht. Fehlt hier der Blick über Stadtratswahlperioden hinaus, oder fehlt es an grundsätzlichem Sachverstand?

PROFESSOR ZUMPE: Das ist begründet in der fachlichen Qualität der Verantwortlichen, liegt aber auch an einer mangelnden Abstimmung untereinander, vor allem aber an dem Vermögen, etwas größer zu denken. Es liegt natürlich auch an der Parteiendemokratie, weil vieles in den Gremien der Parteien zerstritten wird und nicht vorangebracht wird: wenn die CDU das will, ist die SPD dagegen, usw. Dieses Gezänk ist sehr frustrierend. Es fehlt in Dresden etwas an Größe. Andererseits muss man auch gestehen, dass einige gute Sachen gebaut worden sind: der Landtag, die Synagoge oder das Kongressgebäude, die Palucca-Schul-Erweiterungsbauten, das St.-Benno-Gymnasium, auch viele Universitätsbauten - da gibt es schon tolle Beispiele. Aber es gibt auch wirklich beklagenswerte Entwicklungen: der Postplatz, oder die Quartiere südlich des Altmarktes. Das ist total danebengegangen.

UJ: Eigentlich bräuchten wir ein kleines bisschen Monarchie für eine integrative Stadtentwicklung.

PROFESSOR ZUMPE: Ja, zu vieles wird zerredet. Das ist natürlich im Feudalismus einfacher gewesen. Wenn August der Starke kein Geld hatte, hat er besonders gern gebaut. Deswegen sollten wir jetzt nicht die Demokratie abschaffen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Parlamente durch eine höhere Qualität ihrer Arbeit auch zu besseren Ergebnissen kommen könnten. Nur nicht in dieser Streitkultur, die sich hier breitgemacht hat.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 6 vom 31.03.2009, S. 3
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2009