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HINTERGRUND/163: Interview mit dem afrikanischen Reggae-Musiker Tiken Jah Fakoly (Guido Barth)


Interview mit dem afrikanischen Reggae-Musiker Tiken Jah Fakoly

Ein Gespräch über die Misstände in Afrika, jamaikanische Musiker und warum Tiken Jah Fakoly kein Rasta ist

Von Guido Barth

Tiken Jah Fakoly mit Guido Barth - © Guido Barth

Tiken Jah Fakoly mit Guido Barth
© Guido Barth


«Die Zeit für eine Revolution
in Afrika ist noch nicht reif»

(Tiken Jah Fakoly)


Berlin. Eine Hotellobby ist eine Hotellobby. Ja, jedoch diesmal mit dem klitzekleinen Unterschied, dass mir heute Afrikas Reggae-Superstar Tiken Jah Fakoly gegenüber sitzt. Ganz entspannt, mit einem Glas grünem Tee. Es ist zehn Uhr am Vormittag und die Sonne taucht den Raum in ein warmes Licht. Draußen ist es kalt. Natürlich viel kälter, als in der Elfenbeinküste, Tiken Jahs Heimatland, wo er lebte, bis er vor einigen Jahren ins Exil gehen musste. Ich frage ihn, ob er sich auf Tournee nicht sicherer fühlt, als in Afrika, speziell im Mali, dort, wo er jetzt zu Hause ist. Tiken Jah reibt sich die Stirn, allgemein stimme das schon; allerdings habe er sich mit der Situation arrangiert und als Afrikaner kenne er sich mit den Gepflogenheiten - auch im Mali - ganz gut aus. In den letzten Monaten gebe es sogar wieder eine Annäherung zur Elfenbeinküste.

Wer ins Exil geht, der geht diesen Weg nicht ohne trifftigen Grund. Wie kam es dazu? Nach seinem ersten national erfolgreichen Soloalbum "Mangercratie" (1996) und zwei weiteren, gelang ihm 2002 mit "Franceafrique" der internationale Durchbruch. Er spreche in seiner Musik, explizit auch auf Franceafrique, genau die Themen an, die in seinem Land und in vielen anderen Ländern Afrikas Ursache weitreichender Probleme sind: Korruption, Armut, Verletzung der Menschenrechte, die Rolle Frankreichs und vieles mehr. Den Politikern war er längst ein Dorn im Auge. Auch wenn ihm das keine Schweißperlen auf die Stirn trieb, blieb ihm nach mehreren Morddrohungen und unter dem politischen Druck des Präsidenten Laurent Gbagbo nichts anderes übrig, als das Land zu verlassen.

Besonders störe ihn, dass die "ehemalige" Kolonialmacht Frankreich nach der Unabhängigkeit der Elfenbeinküste 1960 immer noch genauso präsent sei, wie vorher. Es dominiere, genau wie zuvor, deren Wirtschaft und die Politik; "die wirklich schön anzuschauende Unabhängigkeitserklärung", belustigt sich Tiken Jah, "ist eigentlich nichts wert." Die meisten Politiker und Wirtschaftsbosse gelten als von Frankreich "abhängig". Diese kleine Oberschicht fürchtet um ihre Macht und ihren Reichtum. "Was meinst du, wo das ganze Geld bleibt, dass nach Afrika fließt, das geht in die Taschen dieser piekfeinen Leute. Leute, die das Land führen, die aber selbst nicht an ihr System glauben. Denkst du, dass auch nur ein einziger Politiker oder Wirtschaftsboss in seinem eigenen Land zum Arzt gehen würde, die fliegen alle nach Frankreich, England oder in die USA. Die Kinder von diesen Leuten findest du auf keiner staatlichen Schule. Nicht eines. Die besuchen alle französische Schulen, oder amerikanische."

Ich möchte, dass er mir erklärt, warum seit einigen Jahren so viele Künstler mit den jamaikanischen Produzenten Sly und Robbie zusammen produzieren wollen. Tiken Jah überlegt seine Antwort, nicht lange, sie seien exzellente Musiker. Er sagt das in einem Ton, als könnte man sicher annehmen, dass das bereits jeder weiß. Sie hätten mit den berühmtesten Reggae-Musikern musiziert und produziert, sogar mit Bob Marley. "Sly and Robbie sind Ikonen der Reggae-Musik." Außerdem seien sie Jamaikaner und dort ist der Reggae entstanden. Als er ihnen das erste Mal begegnet sei, sagt er, sei ihm sofort der Unterschied zwischen einem Bassspieler und einem Bassspieler, zwischen einem Drummer und einem Drummer, klar geworden. Während er das sagt beugt er sich etwas vor und legt die Finger seiner Hand auf die Tischkante vor ihm: "Die beiden sind wirklich phantastisch."

Spricht jemand von Reggae, fällt oft im gleichen Atemzug der Begriff "Rasta". Ich frage Tiken Jah, ob er sich als Rasta sieht. "Nein", nicht wirklich. Sicher, er singe schon darüber, über Haile Selassie und so, aber damit unterstütze er eher seine Brüder in Jamaika, als das er selbst überzeugter Rasta sei. Rastas würden Haile Selassie als Gott ansehen, für Afrikaner hingegen sei er zwar ein wichtiger Kämpfer für Unabhängigkeit und Menschenrechte gewesen, aber kein Gott. "Ich habe großen Respekt vor der Philosophie der Jamaikaner, aber es ist eben nicht die afrikanische Philosophie." Im Übrigen sei für ihn jeder ein echter Rasta, schwarz oder weiß, der sich für die Gleichheit aller Menschen einsetzte; "einer, wie der Verleger Marcus Garvey. Ich spüre in mir eine große Nähe zur Philosophie von Marcus Garvey. Er war kein Mystiker, kein Gott. Er war ganz praktisch und kämpfte für die Rechte der Menschen. Das gefällt mir."

Wenn heute die Rede von Afrika ist, hören wir von Kriminalität, Gewalt, Verletzung der Menschenrechte, Flüchtlingsdramen, Hungersnöten, Krieg Armut und Ausbeutung. Das war doch nicht immer so? "Nein, sicher nicht, Afrika habe viele Reichtümer: sozio-kulturell, traditionell, religiös und viele, viele Rohstoffe". Das Schlimme sei eben, dass fast der ganze Kontinent unter extremer Korruption leide. Was das bedeute, ließe sich wunderbar am Kongo studieren. "Ist die Balance in einem Land erstmal gestört, gibt es Bürgerkrieg, jeder kämpft gegen jeden und es dauert nicht lange, bis das Volk völlig ausgeblutet ist - im wahrsten Sinne des Wortes." Dabei sei der Kongo im Grunde ein an Rohstoffen außerordentlich reiches Land. "Was dort geschieht, ist unglaublich und wir, damit meine ich alle Afrikaner, müssen uns dafür schämen."

Tiken Jah hat letztes Jahr in Paris bei der von der kommunistischen Partei organisierten Fete de la Humanité (500.000 Besucher) ein Konzert gegeben. Ist der Auftritt somit auch ein politisches Bekenntnis, frage ich ihn. "Ja, das kannst du so sehen, obwohl" - er lacht - "in der Elfenbeinküste müsse es erst eine Revolution geben, damit der Kommunismus Einfluss gewinnen könnte". Stattdessen hinterlasse der Kapitalismus gerade tiefste Spuren. Das größte Problem dabei sei der Konsum. Handys, Autos, Klamotten: Es gebe keinerlei Rücksicht mehr untereinander. "Unsere Länder sind gerade 50 Jahre unabhängig, da habe ich schon Verständnis, aber diese Phase des zügellosen Konsums müssen wir schnell überwinden."

Nach über einer Stunde drängt die Zeit. Wir verlassen gemeinsam das Hotel, treten hinaus in die Sonne und unterhalten uns noch eine Weile bis das Taxi kommt. Nach seinem Album "Coup de Gueule" (2004) und "L' Africain" (2007) ist im Dezember 2008 "Live à Paris" erschienen. Inzwischen gilt Tiken Jah Fakoly als einflussreichster Reggae-Musiker Afrikas und hat sogar sein Vorbild, Alpha Blondy, überflügelt. Ein neues Album ist für 2010 geplant. "Was das genau wird, kann ich noch nicht sagen." Er lacht mit seinen strahlend weißen Zähnen. "Ich hätte Lust, es 'African Revolution' zu nennen."

© Guido Barth


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Quelle:
Guido Barth
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors
http://www.armageddontimes.ch/Artist/Interview/I_Tiken_Jah_Fakoly.html
auch erschienen in: Armageddon Times / reggae - rasta - culture
Die Zeitschrift "Armageddon Times" informiert über Reggae, Dancehall
und RastafarI in deutsch und englisch.
Internet: www.armageddontimes.ch


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2010