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HINTERGRUND/201: Frank Zappa - das (fast) vergessene Musikgenie (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2014

Oh God, I'm the American Dream
Frank Zappa - das (fast) vergessene Musikgenie

Von Dirk Kohn



2013 wurden zwei neue - von einem breiteren Publikum weitgehend unbeachtete - dokumentarische (Heimat-)Filme präsentiert, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben und doch eng verbunden sind. Während Where's the Beer and when do we get paid? die Geschichte des US-Rockmusikers Jimmy Carl Black erzählt, den es vor etlichen Jahren "der Liebe wegen" nach Bayern verschlagen hatte und der 2008, kurz nach Ende des letzten Interviews für den Film, starb, un-ternimmt Summer 82 when Zappa came to Sicily eine Zeitreise in die 80er Jahre und versucht die Schnittpunkte zweier sizilianischer Familien zu ergründen.

Das Bindeglied zwischen diesen beiden Werken ist die exzentrische Musikerlegende Frank Zappa, in dessen Band "Mothers of Invention" Black über Jahre Schlagzeug spielte, und der sein Leben weitgehend prägte, ihn aber auch oftmals an den Rand der Verzweiflung trieb. Salvo Cuccia wiederum, Regisseur des zweiten Films, erinnert sich an ein verpasstes Zappa-Konzert 1982 in Palermo und bereist daraufhin seine Heimat zusammen mit dessen Familie. Denn Zappas Vater stammte aus Sizilien, auch seine Mutter hatte italienische Eltern. Beide Filme sind also auch Erinnerungen an Frank Zappa, die zwei seiner zentralen Charakterzüge verdeutlichen. Einerseits hochgradig kreativ und charismatisch, hielt er andererseits selbst langjährige Wegbegleiter emotional auf Distanz, betrachtete Bandmitglieder eher als Angestellte denn als Kumpel, verlangte Atteste im Krankheitsfall und strenge Disziplin während der "Arbeitszeiten" im Studio - ein für Rockmusiker eher ungewöhnliches Verhalten, zumal in den 60er und 70er Jahren.

Doch trotz - oder gerade wegen? -dieser Skurrilität war Zappa ein einzigartiger Komponist und Autor/Dichter, der selbst produzierte und arrangierte, sein eigener Toningenieur und Verleger war, Pionier im Multimediabereich und Technikfreak. Auf diese Weise völlig unabhängig, konnte sich der Workaholic und Misanthrop so allein auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen und verbrachte den Großteil der tourneefreien Zeit im Studio. So entstand ein erstaunliches Werk. Allein zu Lebzeiten erschienen 60 Alben. Immer zugleich innovativ, provokant, politisch und humorvoll-kritisch wie kein zweiter in der neueren Musikwelt, ist er dennoch heute weitgehend vergessen - zu Unrecht.

Am 21. Dezember 1940 in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland geboren, ist Frank Vincent Zappa schon als Kind kränklich, eigenbrötlerisch und kontaktscheu, fällt allerdings durch sein zeichnerisches wie musikalisches Talent auf. Er gewinnt Gestaltungswettbewerbe, widmet sich dann aber zunehmend der Musik. An der Highschool dirigiert er bald das Schulorchester. Schnell liegen auch eigene Kompositionen vor. Er absolviert Kurse in Harmonie- und Kompositionslehre, beginnt sogar ein Musikstudium, das er aber bald wieder abbricht. Mit diversen Jobs als Grußkartengestalter, Handelsvertreter etc. hält er sich über Wasser. Das Gitarren-, Schlagzeug-, Vibraphon-, Orgel- und Klavierspiel eignet er sich selbst an, mit 19 Jahren komponiert er erste Filmmusiken, die ihm die Einrichtung eines eigenen Studios finanzieren.

1964 steigt er bei der Band "Mothers Of Invention" ein und wird schnell deren Kopf, der künftig die mit Abstand meisten Stücke beisteuert. Mit dem Debüt-Album Freak Out! von 1966 avancierten die "Mothers" rasch zur Kultband der Underground-Szene von Los Angeles, wohin Zappa umgezogen war. Diese Platte, die dem sogenannten "Progressive Rock" zugeschrieben wurde, erweiterte den Werk-zeugkasten des Rock erheblich. Der kommerzielle Erfolg blieb allerdings (zunächst) aus. Einige Rezensenten lobten das Werk hymnisch, die meisten aber verrissen es genauso genüsslich. Denn hier wurden altbekannte Hörgewohnheiten vom "Ästhetiker des immanenten Bruchs" (Ingo Meyer) völlig dekonstruiert.

Bevor sich die Hörerschaft allzu gemütlich in einem Stück einrichten kann, wird sie von abrupten Wechseln in Tempi und rhythmischen Mustern, von ungewohnten Sprach- und Klangfetzen aufgeschreckt, atonale Passagen wechseln mit harmonischen Partien, Vokalteile mit Orchesterblöcken, Big Band- mit Rockbandarrangements. Nichts ist von Dauer, vieles elektronisch verfremdet. Erstmalig wurde hier auch eine Art Sprechgesang eingesetzt. Und die Songtexte waren in jener Zeit neu und für viele auch unerträglich, da sie rücksichtslos offen und provokant waren.

Zappa setzte sich zudem in seinen frühen Jahren auch durch Auftreten und Kleidung von allen bürgerlichen Standards ab. Gerade deshalb wurde er zu einer Ikone der Gegenkultur. Das berühmte Poster, auf dem er mit langen Haaren und heruntergelassener Hose auf dem Klo sitzt und raucht, schmückte in den 60er und 70er Jahren so manche Studenten-WG, die sich irgendwie als "Anti" verstand.

Die Fronten waren von da an allerdings klar: Einer eingeschworenen Fan-Gemeinde stand die breite Masse gegenüber, die der Musik Zappas ablehnend, zumindest aber verständnislos begegnete. Dabei spielten in der Band, deren Besetzung ständig wechselte, immer wieder auch die großen Vertreter des Jazz-Rock, die auch veritable Solo-Karrieren vorweisen können und heute klangvolle Namen haben: der Geiger Jean-Luc Ponty etwa, die Keyborder George Duke (der am 5. August 2013 starb) und Don Preston oder der Drummer Chester Thompson. Nach der Auflösung der Band 1976 verfolgte auch Frank Zappa weiter seine Solo-Karriere.

Mit Sheik Yerbouti, einem seiner Alben aus dem Jahr 1979, gelingt ihm auch ein relativer Charterfolg; mit der Auskoppelung Bobby Brown goes down erreicht er einmalig die Top Ten der Hitparaden. Ungewöhnlich, ist doch der Text eine reine Ansammlung von Obszönitäten. 1988 erhält er einen Grammy Award für das Album Jazz from Hell. Apostrophe (noch mit den "Mothers" eingespielt) erreicht mit Platz 10 die höchste Platzierung eines Zappa-Albums in den Billboard-Charts. Doch größere kommerzielle Erfolge blieben ihm versagt. Zappa konnte (und wollte) die Massen nicht begeistern. Zu irritierend war die Musik, zu provozierend seine Texte. Einem größeren Kreis wurde der Name Frank Zappa ohnehin eher auf Umwegen bekannt, etwa durch den Rock-Klassiker Smoke on the Water von Deep Purple, der einen Brand im Casino von Montreux während eines Konzertes der "Mothers" thematisierte.

Einer Reihe von Musikwissenschaftlern gilt Frank Zappa als Erfinder des "Underground"- und des Jazz-Rocks. Klar ist, dass er eine Nische besetzte, die von niemandem sonst beansprucht wurde. Wirklich einordnen lässt er sich nicht, zu eklektisch ist sein Stil. Seine Wurzeln liegen nicht nur im frühen Rhythm and Blues. Selbstverständlich verehrte er deren große Gitarristen -Johnny "Guitar" Watson etwa, Matt Murphy, Howlin' Wolf und John Lee Hooker. Auch seine Zuneigung zur sogenannten Doo-Wop-Musik der frühen 50er Jahre, einer Rhythm-and-Blues-Unterart mit mehrstimmigem Gesang, scheint immer wieder durch. Aber bereits vor seiner Rockkarriere schrieb er auch Stücke für Sinfonieorchester. Seit er sich in den 50er Jahren seine erste Langspielplatte (The Complete Works of Edgar Varèse, Vol. 1) gebraucht kaufte, war er auch der Orchestermusik zugeneigt. Die Musik von Béla Bartók, Igor Strawinski und Anton Webern, einem Schüler Arnold Schönbergs, waren Quellen seiner Inspiration, auch bei John Cage machte er Anleihen. Vor allem aber haben Varèses Collagen, seine Experimente mit Geräuschen, Stimmen, Tonbändern, Elektronik und Perkussion und auch das Provokationspotenzial seiner Musik Zappa, so Musikwissenschaftler Hans-Jürgen Schaal, nachdrücklich geprägt. Von nun an verließ Zappa in seinen eigenen Werken immer häufiger den Weg der Tonalität.

Sein erstes Soloalbum Lumpy Gravy (1968) war ein für ein 40-köpfiges Orchester konzipiertes Werk. Er arbeitete später mit dem Royal Philharmonic Orchestra zusammen und veröffentlichte 1979 das rein orchestrale Album Orchestral Favorites. Darüber hinaus gab es Zusammenarbeiten mit dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Kent Nagano sowie Kooperationen mit Pierre Boulez und Zubin Mehta. Kurz vor seinem Tod entstanden im Rahmen des Projektes The Yellow Shark noch 19 Orchesterkompositionen. Im September 1992 fand in der Alten Oper in Frankfurt am Main im Beisein und zum Teil unter der musikalischen Leitung des Komponisten deren Uraufführung durch das Ensemble Modern statt, einem der weltweit führenden Formationen für Neue Musik.

Zappa verstand seine Musik aber immer als Verbindungselement zwischen E- und U-Musik. So war etwa 200 Motels ein viersätziges Werk für Orchester und Rockband, Joe's Garage eine veritable Rockoper. Niemals verfolgte er aber eine Linie. Die collagehaften Kompositionen machen Stil-Anleihen in vielen musikalischen Bereichen und werden zusätzlich durch zum Teil eigenartige Texte komplettiert.

Zappa hielt vor allem der US-amerikanischen Gesellschaft den Spiegel vor. Seine hochpolitischen, schmutzig-ordinären und oft auch zynischen Texte entlarvten die bigotte Frömmelei, den rein auf Konsum ausgerichteten sogenannten American Way of Life, die verlogene Sexualmoral, den sittlichen Sauberkeitswahn und die inhaltsleere Popmusik, die Verdummung der Massen, die Rassendiskriminierung u.v.a.m. Sein bevorzugtes Angriffsziel waren aber die amerikanischen Präsidenten, allen voran Richard Nixon (etwa in: Dickie's such an asshole) und Ronald Reagan (z.B. in: Reagan at Bitburg). Aus seinen Texten könnte man eine politische Tendenz ableiten, doch parteipolitisch positionierte er sich nicht. Dazu gefiel er sich zu sehr in der Rolle des Outcasts. Die durchgängige politische Grundierung seiner Musik aber macht Zappa auch in diesem Punkt zu einem Phänomen, weshalb der Musikkritiker Ben Watson ihn (zusammen mit den "Mothers") als "the most politically potent musical force since the collaborations of Bertolt Brecht and Kurt Weill" bezeichnete. Politisch nicht direkt aktiv, setzte er sich aber z.B. stark für die Wählermobilisierung gerade der jüngeren Amerikaner ein.

Die Obszönität seiner Texte bereitete Zappa zunehmend Probleme. Mitte der 80er Jahre etwa rief diese die von Al Gores Ehefrau Tipper angeführten "Washington Wives" auf den Plan, die massiven Druck auf die Plattenindustrie und den Rundfunk ausübten, um die ihrer Meinung nach "bedenkliche" Musik von öffentlicher Aufführung fernzuhalten bzw. speziell zu kennzeichnen. Der Fall endete zwar mit einem Vergleich, Zappa verarbeitete die seiner Meinung nach absurden Vorgänge aber zugleich auf dem darauffolgenden Album Frank Zappa Meets The Mothers of Prevention (die "Mütter der Verhütung").

Viele von Zappas Texten sind zudem reichlich kryptisch, voller Anspielungen, die sich nur dem Eingeweihten erschließen. Dadurch erschwerte er natürlich zusätzlich einem größeren Publikum den Zugang zu seiner Musik. Text und Musik ergaben oft einen unverständlichen Stil, der gerne auch in Anspielung an Kafka als "zappaesk" bezeichnet wird. Einige Platten wie etwa Uncle Meat von 1969 waren geeignet, potenzielles Publikum für immer abzuschrecken. Auch seine mitunter in größeren dramaturgischen Zusammenhängen gestalteten Bühnenshows, die schon einmal in Publikumsbeschimpfungen münden konnten, und seine (Musik-)Filme, die die Bildästhetik des Musikfernsehens vorwegnahmen, waren abseits des Gewöhnlichen.

Frank Zappa, der am 4. Dezember 1993 im Alter von 52 Jahren an den Folgen eines Krebsleidens starb, war vielleicht der "universalste Gestalter der Rockkultur" (Volker Rebell). Heute pflegt aber nur noch eine überschaubare, aber treue Fangemeinde das Andenken. So etwa in jedem Sommer seit 1990 bei der sogenannten "Zappanale" im mecklenburgischen Bad Doberan. Entstanden aus der Initiative eines einzelnen Fans, hat sich dort das weltgrößte Zappa-Festival etabliert. Dieses Jahr findet es zum 25. Mal statt.


Dirk Kohn, Redaktion NG/FH, ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftler.
dirk.kohn@fes.de

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1+2/2014, S. 102-105
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Kurt Beck, Siegmar
Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2014