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REZENSION/011: Goetz Steeger - Nutzlose Zeugen (SB)


Klangvoll, wortstark, kulturkritisch ...


Zu Aussage und Positionierung entschieden zu sein, ist eine in zeitgenössischen Produktionen der populären Musik eher selten anzutreffende Tugend. Zuviel, namentlich Marktkalkül und Zielgruppenorientierung, spricht dagegen, mit gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Stellungnahmen ein klar konturiertes Profil zu erarbeiten. So ist die Exklusivität derartiger Versuche mitunter wortwörtlich als Ausschluß großer Bereiche öffentlicher Wahrnehmung zu verstehen. Sich den Gepflogenheiten kulturindustrieller Vermarktungslogik zu entziehen, muß jedoch keine Ausrede für Dilettantismus auf hohem Niveau sein, wie die mit demonstrativer Ignoranz vollzogene Zurückweisung interessanter Außenseiterproduktionen glauben macht. Auch Ergebnisse von herausragender künstlerischer Qualität schließen durch die fehlende Marktgängigkeit und die unverhohlene Abneigung, sich dem Diktat handelsüblicher Erwartungen zu beugen, große Teile der potentiellen Zuhörerschaft aus.

Goetz Steegers jüngstes Album "Nutzlose Zeugen" ist ein Beispiel für eine künstlerische Haltung, die nicht demonstrativ verweigern muß, was in der Reichweite eigener Interessen und Absichten ohnehin nicht zustandegekommen wäre. Dabei hat der Hamburger Musiker nicht das Problem, um Worte zu ringen oder kompositorischer Redundanz zu frönen. Vorgetragen in einer eher erzählerischen Form, deren sparsame Intonation um so näher geht, als ihre empathischen Akzente so treffsicher gesetzt sind wie die Wechsel der Tonarten und Takte, taucht der Zuhörer ein in Welten subjektiver Befindlichkeiten und Reflexionen, die bei aller Unvertrautheit stets Anschluß an das Allgemeinmenschliche herstellen. Daß dies gerade auch in der Negation all dessen geschieht, was gemeinhin als wünschens- und erstrebenswert gilt, zeichnet gute Literatur und anrührende Poesie seit jeher aus.

So ist "Nutzlose Zeugen" ein Album zum Zu- und Hinhören. Es entzieht sich dem Gebrauchswert stimmungsaufhellender Hintergrundsberieselung so konsequent, daß sich seine musikalischen und poetischen Qualitäten mitunter erst nach mehrmaligem Abspielen erschließen. Was beim ersten Eindruck spröde und überambitioniert wirken mag, erweist sich schließlich als im Zusammenspiel von Wort und Klang kompositorisch durchdachtes und kunstfertig arrangiertes Gesamtwerk von einigem Erkenntniswert. Prägnant und transparent produziert, unterlegt der musikalische Part der Produktion die lyrischen Wendungen und inhaltlichen Transformationen Steegers mit stilistischer Formenvielfalt, dramaturgischem Tempowechsel und ironischen Akzentuierungen, ohne jemals in der Schaukel gefälliger Formatmusik und anbiedernder Soundtapeten zu enden. Wo immer Wiedererkennbares aus dem Fundus des Prog-Rock, Blues- oder Electro anklingt, sorgen der Schlagzeuger Olve Strelow, die Bassistin Rebecca Wulf und der Cellist Tobias Unterberg mit trockenem Sound, sparsam eingesetzten Harmonien und unkonventionellen Breaks für eine spannungsreiche Elastizität der musikalischen Realisation des Albums.

Als trete man in ein Gespräch mit Goetz Steeger ein, regen seine metapherreichen Betrachtungen und symbolträchtigen Analogien zu Überlegungen in eigener Sache an. "Du kommst mit nichts, du gehst mit nichts" - der Refrain des Titels "In der Zwischenzeit" faßt die Vergeblichkeit menschlichen Lebens in die gesellschaftliche Realität sozialer Not und die Fruchtlosigkeit individuellen Begehrens ein. Dem großen Kulturkritiker der spanischen Linken, Rafael Chirbes, gewidmet, zeigt Steeger in diesem wie ein intimer Dialog verfaßten Lied, daß er die schmerzhaften Seiten menschlicher Lebens- und Sterbenslagen nicht scheut, sondern den Kontakt mit der ihnen innewohnenden schöpferischen Kraft geradezu sucht.

Auch das mit brachialem Optimismus aufwartende Titelstück "Nutzlose Zeugen" tritt schnell als Abgesang auf eine urbane Kulturelite hervor, die einen Nimbus eigener Bedeutsamkeit pflegt, die in der Arriviertheit szenecodierter Geschmackspräferenzen als bloße Geste durchschnittlichen Distinktionsstrebens kenntlich wird. Die abschließende Textzeile "Für die Option in unseren Händen, das Blatt tatsächlich noch zu wenden, haben wir viel zuviel zu verlieren" bringt die Malaise poplinker Ambitionen auf den Punkt einer Teilhaberschaft, die keinen Blick über den eigenen Tellerrand mehr wagt, weil er mitten in die Widersprüchlichkeit eigener Vergesellschaftung führte.

Klassenspaltung ist das Thema in "Das Bankett", verteidigt doch jeder noch so Gedemütigte seinen Platz an der Tafel Europas, obwohl an ihr jeder Bissen gezählt und als auf Euro und Cent zu begleichende Schuld verbucht wird. Steegers musikalischer Kommentar zur Erniedrigung eines Griechenlands, dessen Wundschmerz nach dem Wüten eines Meisters aus Deutschland noch nicht verebbt ist, als es wiederum auf deutsches Betreiben hin in ein Labor sozialer Verelendung verwandelt wird, in dem das Maß widerstandslos hingenommener Duldsamkeit und Zurichtung für die Zukunft der Ausbeutung bestimmt werden soll, ergeht sich nicht in moralischer Empörung, sondern fragt danach, was die hierzulande lebenden "Lohngedumpten" mit diesem Gewaltverhältnis zu tun haben.

Wie es sich ganz vorne in der Freßkette unter den unternehmerischen Eliten informationstechnischer Innovation lebt, ist der gesprochenen Erzählung "Wann ist es soweit" zu entnehmen. Von gnadenloser Effizienzlogik und Selbstoptimierung getrieben, bleibt die Überheblichkeit jedes Kalkül sprengender Gewinnerwartung auf der Strecke einer ins Minus menschlicher Solidarität getriebenen Sozialkonkurrenz. So majestätisch der Blick vom Gipfel eines Berges auf den global führenden Technologiecluster Silicon Valley sein mag, so steil verläuft die Abfahrt in die Niederungen eines Erfolgsstrebens, dessen Akteure sich als bloße Funktionen der sie treibenden Wachstumsziele zeigen.

"Unter der Sichel eines neuen Mondes" versieht die kolonialistische Heimsuchung Afrikas mit der überraschenden Pointe eines Widerstands, auf den sich keiner der in diesem Fall deutschen Eroberer einen Reim machen kann. Inspiriert von dem Roman "Morenga" von Uwe Timm und an den Analogiezauber in Gustav Meyrinks "Das Grillenspiel" gemahnend, blendet Steeger auf eine Epoche des deutschen Imperialismus zurück, die in seinem Text in die Novemberrevolution 1918 mündet. Deren Scheitern analog gesetzt zum beklagenswerten Zustand der bundesrepublikanischen Linken läßt das Ergreifen außergewöhnlicher Mittel in Anbetracht anstehender Verwüstungen geradezu als rational und pragmatisch erscheinen.

Doch "Daheim in den Grauganskolonien" herrscht der Kleinmut einer neofeudalen Bourgeoisie, die ihre Schwingen nicht ausbreitet, weil die Freiheit, alles zu lassen, was sie in ernsthafte Schwierigkeiten bringen könnte, die Fessel ihrer uneingelösten Träume desto enger zieht, je hartnäckiger sie das Gegenteil behauptet. Um so bunter schießt das kulturelle Spektakel ins Kraut, dessen schönen Schein Steeger mit der Eleganz auf die Vermeidungsmechanismen bürgerlicher Existenz angewandter Dialektik auf einen zeitgemäßen Begriff bringt: "Information ist das Futter in den Grauganskolonien. Die vorgekauten Brocken, die sich wie von selbst in die gestreckten Hälse schieben, machen ahnungslos genug, um jede Schuld von sich zu weisen, aber doch so eingeweiht zu wissen, wo die Geier gerade kreisen."

Goetz Steeger, der sich bei aller ironischen Vielschichtigkeit nie in der Verächtlichmachung blanken Zynismus ergeht, war in seinem künstlerischen Werdegang auch als Produzent und Musiker auf den letzten beiden Alben Franz Josef Degenhardts tätig. Wenn das poetische Vermächtnis dieses wortmächtigen Liedermachers bei ihm hin und wieder anklingt, dann merkt man, wie sehr um kritische Analyse und historische Zusammenhänge bemühte Töne heute, wo sie besonders erforderlich wären, fehlen. "Nutzlose Zeugen" kann durchaus als respektabler Versuch des Bemühens darum verstanden werden, an diese vom kulturellen Mainstream aus naheliegenden Gründen niemals angemessen gewürdigte Tradition anzuschließen.

16. Februar 2016



Goetz Steeger "Nutzlose Zeugen"
Label/Vertrieb: plattenbau
Digitalvertrieb: Off Ya Tree Records
Best.-Nr.: 15038
Erschienen: 1. Februar 2016


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