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INTERVIEW/031: Musikstil- und Kindertrip - Tellerrand, int'ressant ... Rapper Spax im Gespräch (SB)


Rapper Spax spricht die Rap-Ratte im Musik-Hörspiel 'Eule findet den Beat'

Interview mit Rapper Spax am 1. Juni 2014 im Abaton Kino in Hamburg



Das Erstlingswerk von Nina Grätz, Charlotte Simon und Christina Raack, ein multimedialer Mix aus Musik, Gesang, Erzählung und liebevoll lebhaften Zeichnungen, begeisterte viele kleine und große Kinobesucher bei einer außergewöhnlichen Premiere. Am 1. Juni 2014 sorgte das Musik-Hörspiel für Kinder 'Eule findet den Beat' im Hamburger Abaton Kino für einen vollbesetzten Saal. Die Eule begibt sich auf einen Entdeckerflug durch die ihr bisher unbekannte Musikwelt. Unterwegs begegnet sie verschiedenen Tieren, die ihre eigene Lieblingsmusik erklären und vorsingen oder -spielen. Die Begegnungen mit der Pop-Fliege, dem Rock-Maulwurf, der Jazz-Kellerassel oder der Opern-Motte bieten überraschende, witzige und lehrreiche Dialoge. Als anfänglicher Musiklaie lernt Eule viel über Pop, Jazz, Rock, die Oper, Punk, Reggae, Hip Hop und Elektro Musik - und nicht nur sie!

Der Rapkünstler Spax lieh der Hip Hop-Ratte seine Stimme und schrieb den Song dazu. Und das gefiel, denn in der gewünschten Zugabe konnten die Zuschauer Spax ein weiteres Mal live in Aktion auf der Bühne erleben. Kurz vor dieser Premiere sprach er mit dem Schattenblick über das Eule-Projekt, seine Theaterarbeit mit Kindern und Jugendlichen, wie auch über Geschichte und Hintergründe der Hip Hop-Kultur.

Portrait Rapper Spax - Foto: © 2014 by Schattenblick

Rapper Spax
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wie verbindet sich das Projekt 'Eule findet den Beat' mit deinem sonstigen Engagement?

Spax: Ich komme aus einer Generation von Rapkünstlern, die in eine Szene geboren wurden, in der es darum ging, Gedanken weiterzugegeben wie bei einer Familie. Ich rappe bei dem Eulen-Stück als Rap-Ratte, tue damit meiner Profession Genüge, und erkläre Kindern, also der nächsten Generation, in einfacher Form, was es mit Rap auf sich hat.

SB: Wie hat dir die Arbeit am Eule-Projekt gefallen?

Spax: Grundsätzlich erst einmal gut. Ich kenne Charlotte aus Hannover. Das Projekt ist eigentlich als ihre Bachelor-Arbeit gestartet. Es war zuerst nicht als 'wir machen jetzt mal etwas Großes' gemeint, bis dann alle gesagt haben: "Das ist wirklich ganz schön cool." Als sie mich gefragt haben, ob ich die Ratte selber sprechen möchte - das hätten sonst auch Sprecher gemacht -, habe ich gesagt: "Klar will ich das selber sprechen. Bloß bitte, das habe ich noch nie gemacht. Das muß ich erst mal ausprobieren." Insofern war das toll. Im nachhinein kommen einem natürlich noch zwanzigtausend Ideen.

Ich habe einen Raptext, das heißt, ich spreche relativ viel und schnell. Rückblickend hätte ich vielleicht weniger erklärt und auch mehr den Vibe aufgenommen. Aber am Ende ist es so, wie es ist, und es ist toll. Auch die Arbeit ist toll gewesen, nur zu kurz, ich hätte gerne noch mehr gerappt, und ich will sofort eine Wiederholung - um es besser zu sagen.

SB: Stammt der Rap-Song und die Idee, daß er von einer Ratte gerappt wird, von dir?

Spax: Der Song kommt von mir. Die Mädels haben die Tiere ausgesucht und zugeordnet. Dann war klar, ich mache die Ratte. Wobei das Tier für meinen Song an sich erst mal keine Bedeutung hatte. Nachher war es lustig, als ich die Ratte eingesprochen habe. Das war etwas Spezielles. Das hat Spaß gemacht.

SB: Hättest du ein anderes Tier für den Rap ausgewählt?

Spax: Nein, ich finde es total gut mit einer Ratte, die Rap macht, so ein bißchen alt und grau, aber doch irgendwie ganz cool. Ich sage immer: "Ratten und Kellerasseln sind die, die auch die Atomkriege überleben." Rap kommt eben von der Straße. Ich finde, so eine Ratte paßt. Die Leute denken immer, Ratten sind fies und hinterlistig. Das finde ich gar nicht. Ratten sind überall, sie leben auf der Straße und stehen halt an der Mülltonne. Ich fand das super. Ich habe damit gar kein Problem gehabt.

Auf der Leinwand sind die Rap-Ratte mit Ghettoblaster auf der Schulter und die Eule zu sehen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Rap-Ratte auf der Leinwand bei der Premiere 'Eule findet den Beat'
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Das Kinderhörspiel präsentiert verschiedene moderne Stücke und ein klassisches Stück nebeneinander. Warum ist es wichtig, daß Kinder verschiedene Musikstile kennenlernen?

Spax: Man glaubt ganz oft, daß Kinder keinen eigenen Geschmack entwickeln, daß Kindermusik einfach sein muß, verständlich und eingängig. Es gibt zum einen Leute, die meinen: "Unser Kind soll nur Klassik lernen. Das ist ganz wichtig." Andere, die nur Punkrock oder Gothic mögen, sagen vielleicht: "Meine Tochter soll hören, was ich höre. Ich habe doch keinen Bock, daß sie Rapmusik hört, ich kann mit Rapmusik nichts anfangen." Diese Einstellung ist für mich völlig bizarr. Ein Kind ist ein kleines Wesen, ein kleines Gefäß, und das fülle ich. Es hat auch eigene Ideen. Ich möchte, daß mein Kind ein eigenständiges Menschlein wird und ich es nicht von vorne herein in einem Extrem präge. So gut es mir möglich ist, möchte ich ihm alle Facetten aufzeigen, damit es selber entscheiden kann, was ihm gefällt und was nicht.

Die Kids in der Schule benutzen gerne Worte wie: "Den hasse ich voll." Natürlich meinen sie damit eigentlich: "Den mag ich nicht." Aber sie benutzen das Wort 'Haß'. Und Haß bedeutet meistens, daß man etwas so schlimm findet, daß man es sogar bekämpfen würde. Ich möchte meinem Sohn die Möglichkeit geben, verschiedene Dinge kennenzulernen und sich dann zu entscheiden, was er gut findet.

Einmal lief bei uns gerade die Semperoper im Fernsehen. Mein Kleiner kommt rein und fragt: "Was ist das?" Ich sage: "Ein Klassikkonzert." Da war er gerade vier geworden. Er schmeißt sich aufs Sofa und guckt sich die ganze Zeit an, wie da klassisch gesungen wird, und findet es faszinierend. Gleich am nächsten Tag hat er sich 'Peter und der Wolf' von einer Compilation für Kids reingezogen, auf Englisch. Er versteht kein Wort, aber er findet es super. Genauso geht er los und holt sich 'New York, New York', eine Rap-Scheibe von 1995, das ist wirklich harte Mucke. Daran sieht man, daß für Kinder diese Dinge nicht getrennt sind. Musik ist für sie Musik, und das ist ein Ausdruck der Stimmung, auf die sie gerade Bock haben.

Wir aber formen das. Deswegen ist alles, was auf der Eule-CD ist, ein Bestandteil der musikalischen Grunderziehung, und die findet nicht statt, wenn ich dem Kind nur eine Sache beibringe. In der Schule lernt es ja auch nicht nur Mathe. Das Wichtige an 'Eule findet den Beat' ist, daß die vorgestellten Musiken eine Grundidee verfolgen. Es gibt hinter jeder Musik - ob ich sie mag oder nicht - einen Spirit, eine Form von Idealismus, eine Haltung, und deswegen kann ich sie nicht einfach als 'Schrott' abtun.

Portrait Rapper Spax - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: In der Staatsoper Hannover arbeitest du mit Jugendlichen und schreibst in dem Zusammenhang Klassiker um. Ist das ein Versuch, scheinbar Altbackenes auf eine moderne Schiene zu bringen? Kann Klassik nicht einfach Klassik bleiben?

Spax: Zum einen sind es Projekte, die nicht ich initiiere. Deshalb ist meine Motivation eine andere als die der Verantwortlichen. Die Staatsoper ist natürlich daran interessiert, junges Publikum zu gewinnen. Das funktioniert am besten, indem man die Jugendlichen, die eigentlich nicht in eine Oper gehen würden, mit der Oper konfrontiert. Ein Beispiel: Wir hatten ein Treffen zu einem Projekt. Ich habe gerappt und alle haben mitgemacht - ist halt jugendliche Musik. Dann kam die Opernsängerin. Das war eine junge Frau, wunderschön, und sie hat plötzlich mitten in diesem großen Probenraum unterm Dach der Staatsoper losgeschmettert. Alle saßen da und keiner hat es geglaubt. Egal wer von diesen Jugendlichen normalerweise sagen würde: "Ey, Oper ist voll scheiße!", jetzt haben alle gesagt: "Oh mein Gott, was ist das denn bitte? Wie krass kann die denn singen?" Ihre Leistung war so beeindruckend, daß alle Vorurteile der Jugendlichen in sich zusammenfielen. In dem Moment, wo mich etwas beeindruckt, bin ich neugierig. Das war ein schöner Augenblick.

Nun funktioniert unser Staat so, daß man Subventionen oder Gelder nur bekommt, wenn man irgendwas im Bereich Hochkultur macht. Ich will den Bereich Oper oder Theater gar nicht in Frage stellen, der ist wichtig. Aber ich frage mich, der Staat gibt Milliarden aus, um diese Häuser zu halten und die Leute zu finanzieren, warum sehe ich immer die gleichen Stücke, egal wo ich hingehe? Allein in meiner Laufbahn habe ich dreimal 'Frühlings Erwachen' in verschiedenen Versionen auf die Bühne gebracht.

Andererseits gibt es Stoffe, beispielsweise Mozarts 'Die Entführung aus dem Serail', die man ganz klar benutzen kann, weil sie etwas Interessantes in sich tragen. Es ist doch spannend, entweder mal die alte Sprache zu nehmen oder eine Interpretation mit Jugendlichen zu erarbeiten. Sie glauben oft: "Das Neue ist das Gute, das Alte ist das Alte, das will keiner mehr." Aber dann mache ich sie darauf aufmerksam, daß der Kampf zwischen Morgen- und Abendland schon in diesem Stück Thema war, das ist doch nichts anderes als 'Bin Laden gegen Bush' - jetzt mal übertrieben ausgedrückt.

In 'Frühlings Erwachen' [1] wird das Erwachsenwerden, das Erkennen 'Wo fängt Sexualität an?', 'Wo fängt Homosexualität an?' und das Entdecken der Gefühle thematisiert, wie auch der Druck, der durch das Elternhaus entsteht. Sich diesen Stoff anzueignen, zu modernisieren und in Kombination zu bringen - das ist etwas! Deswegen muß Klassik nicht Klassik bleiben.

Um Kinder und Jugendliche für die Oper zu interessieren, bedarf es vielleicht eines Umwegs: Einer meiner Rap-Schüler, damals 15/16 Jahre alt, hatte keinen Bock auf andere Leute, wollte aber bei meinen Projekten mitmachen. Da habe ich gesagt: "Ok. Du willst mit mir arbeiten, dann mußt du verstehen, was ich mache und wofür ich stehe. Deshalb will ich, daß du mal in ein Theaterstück reingehst." Er ist reingegangen, kam raus und sagte: "Ja, war 'n Theaterstück." Aber als es dann um mein 'Serail-Projekt' [2] ging, stand er mit einem seiner besten Freunde da und wollte mitmachen. Seit diesem Tag ist er in ganz vielen Opernprojekten dabei. Das ist nicht seine Musik, aber er hat gelernt, diese Musik zu schätzen und mit Bühne umzugehen, mit dem Kulturgut. Er sieht plötzlich Dinge, die ihn inspirieren. Vorher hat er über Kiffen gerappt und Rumhängen mit Freunden. Dann hat er angefangen griechische Mythologie zu verrappen und kennt sich jetzt total aus mit 'Hades' und 'Hephaistos'. Das sind die Umwege, die Musik nehmen kann.

SB: Aus deiner Biographie wird deutlich, wieviel Konkurrenz und Abgrenzung auch innerhalb der Musikszene existiert. Gerät die Idee von Musik als Verbindung oder Brücke zwischen Menschen da nicht in den Hintergrund?

Spax: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Konkurrenz belebt das Geschäft. Es geht immer darum, etwas anders oder besser zu können als der andere. Eigentlich ist es ein reines Leistungsprinzip. Das bringt uns mit dem, was wir machen wollen und können, nach oben. Wir wachsen daran. Ich kann mit Leuten auf der Bühne stehen. Einer steht neben mir, hat das Mike und sagt: "Ich bin der beste Rapper, den es gibt." Und ich denke: "Ja, Mann, du bist echt gut." Dann bin ich dran und er steht neben mir. Ich sage: "Ich bin der beste Rapper." Und er sagt: "Ja, du bist echt gut." Das ist das Spiel, das zum Hip Hop dazugehört. Da geht es eher darum, daß man lernt - und das finde ich wichtig.

'You have to prove' heißt es bei uns - man muß es beweisen. Das bedeutet: "Wenn du sagst, du bist gut, dann zeig es mir." Natürlich ist niemand der Beste. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Für mich ging es immer um Individualität. Das Wichtigste ist, daß man sich seinen Weg formt.

Spax und SB-Redakteurin sitzen am Tisch, dahinter ein Casablanca-Filmplakat - Foto: © 2014 by Schattenblick

Spax und SB-Redakteurin im Gespräch
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Warum interessieren sich mehr und mehr Jugendliche für Rap und Hip Hop? Warum ist Hip Hop weltweit so erfolgreich?

Spax: Als Hip Hop entstanden ist, haben alle gesagt: "Das ist gerade so ein Modetrend. Das ist bald vorbei. Das ist tot." Warum ist es das nicht? Weil Hip Hop als Kultur etwas Spezielles hat, was auch mich erwischt hat. Ich habe nie ein Instrument gespielt und hatte keinen Bezug zur Musik, außer sie zu hören. Ich konnte nicht singen, kann es bis heute nicht. Aber ich konnte sprechen und hatte Bock darauf, etwas zu machen. Es gab diese Beats und meinen Stift und einen Zettel. So konnte ich etwas kreieren, konnte plötzlich Kunst erschaffen.

Das Schöne bei diesem Konkurrenzding ist, man braucht beim Battlen nicht unbedingt einen tiefergehenden Gedanken. Ich muß nicht einmal etwas zu sagen haben. Das ist so, als wenn ich mit Lego spiele. Ich muß keinen Bauplan haben, kann einfach drauflos bauen. So ist Rapmusik. Ich baue einfach etwas. Die Leute fangen an, und dann wachsen sie mit dem Rap. Man probiert aus, was man gut findet. Ich habe Texte geschrieben, die auf der einen Seite ein bißchen politisch und sozialkritisch waren, aber gleichzeitig habe ich Spaß gemacht.

SB: Du kritisierst schon mal sexistische oder gewaltverherrlichende Inhalte in den Texten anderer Rapper. Bekommst du deswegen Schwierigkeiten?

Spax: Ich war immer derjenige, der Streß bekommen hat, weil ich gesagt habe: "Ich finde das Blödsinn, wenn ihr so homophobe Scheiße erzählt, ich mag das nicht. Ich mag es nicht, frauenfeindlich zu sein." Aber Frauenfeindlichkeit und Brüste toll zu finden, ist nicht ein und dasselbe. Ich kann doch eine nackte Frau toll finden, ohne sexistisch zu sein. Ich kann auch eine nackte Frau auf meinem Cover abbilden - vor allen Dingen, wenn es ein Spaß ist - und nicht sexistisch sein. Es geht darum, wie man damit umgeht. In meinen Texten kommt es nicht vor, daß ich Frauen oder Schwule als etwas Minderwertiges betrachte.

Jeder, der längere Zeit Musik macht, wird plötzlich feststellen, daß er noch mehr zu sagen hat. Erst ist es das eigene Ich, über das ich spreche, dann ist es das Auseinandersetzen mit dem, wie andere mich sehen. Man stellt irgendwann fest, entweder bleibe ich auf diesem Level oder ich gehe weiter. Ich wollte mehr aus dem machen, was ich kann. Deswegen kann ich jetzt nicht mehr gut Battlen und irgendwelchen Leuten erzählen, wie schlecht ich sie finde, weil ich denke: "Das ist doch auch gut, was der da macht." Für mich ist es keine Herausforderung mehr, jemanden zu beleidigen, mich langweilt das.

SB: Was ist für dich eine Herausforderung?

Spax: 'Frühlings Erwachen' [1] umzuschreiben oder auf eine Bühne zu gehen, plötzlich als Schauspieler etwas komplett anderes zu machen. Es ist für mich eine Herausforderung, die Ratte zu sprechen oder ein Kinderbuch zu schreiben, zu gucken, was ich mit Sprache ausrichten kann.

SB: Wo liegt der Ursprung von Rap und Hip Hop? Es heißt ja, Rap sei der Sprechgesang, der auf die sozialen Ungerechtigkeiten und das Elend in New Yorker Ghettos aufmerksam machte und etwas verändern wollte.

Spax: Das glauben viele. Das ist nicht so. Erst mal ist wichtig zu wissen, Hip Hop ist der Name der Subkultur und die steht als Dach oben drüber. Im Hip Hop gibt es Rap, Digging, B-boying (also Breakdance) und Graffiti. Das sind die vier Elemente und die nennen sich Hip Hop. Es gibt nicht Rap und Hip Hop. Deswegen sage ich: "Rap ist die Musik der Hip Hop-Kultur." Ursprünglich ist Rap nicht als Ausdruck der sozialen Ungerechtigkeit entstanden, sondern weil die Menschen durch die sozialen Verhältnisse dazu gezwungen waren, in bestimmten Bezirken zu leben. Dort haben sie sich gegenseitig Dinge gezeigt, so ist das entstanden.

Und Graffiti: Es gab keine Leinwände, aber viel Platz, es gab eklige Bruchbuden und viele Wände, außerdem den Gedanken: "Es ist irgendwie nicht schön hier, also geh' ich malen." Da war nicht die Idee dahinter: "So, jetzt zeigen wir es denen mal." Sondern: "Ey geil, guck mal, ich kann 'nen Zug bemalen, das ist ein Thrill." - "PFFT" - "Ey Digger, bist du krank? Das ist ein Zug, den du bemalt hast." Sagt der erste: "Ey, guck mal, der fährt." Und alle anderen: "Wow, krass!" Ich glaube, die Motivation war eine andere. Es geht nicht einfach irgendjemand los und sagt: "So, ich erfinde jetzt mal eine Jugendkultur." Oder: "Das machen wir mal, denn die Schwarzen sind unterdrückt." Hip Hop ist aus einem Schmelztiegel entstanden. Italiener, Mexikaner, Spanier - alle sind dabei gewesen und natürlich ein Großteil der Black Community.

Für mich persönlich gab es den ersten wirklich politischen Rap, der das soziale Ungleichgewicht in Amerika aufgezeigt hat, 1982. Fragt man aber, wann Hip Hop entstanden ist, wird jeder sagen, 1973, so um den Dreh. Da ging es mit Graffiti und den ersten Tags [3] los. Die soziale Ungerechtigkeit und die Lebensverhältnisse waren sozusagen das Klima, in dem der Keim für den Wunsch, sich auszudrücken, gedieh. Daraus ist etwas entstanden. Ein Großteil der Raps, die wir damals gehört haben, hatten nichts Politisches.

Der bekannteste Song ist 'Rapper's delight' von 'Sugarhill Gang'. Wovon erzählt der? "Ja, ich habe auch einen Fernseher, und da sehe ich demnächst ein Basketballspiel. Ich möchte gerne reich werden, und ich finde auch Frauen ganz geil ..." Das ist nichts Politisches. Klar, man könnte sagen, der Ausspruch 'ich möchte auch so erfolgreich sein', ist eine politische Aussage.

Aber als Melle Mel gerappt hat, da sehe ich Leute auf der Straße, die schlagen auf Pappkartons und denen geht es nicht gut. Das ist richtige Politik oder richtige Sozialkritik.

SB: Mit dem Bau der Umgehungsstraße wurde die Bronx weiter von New York abgegrenzt. Bautechnische Veränderungen drängten die Bewohner mehr und mehr zurück. Die ersten Block Partys wurden organisiert, einfach, um sich zu treffen und zu feiern ...

Spax: ... ja, die wollten das verbieten. Aber die Leute haben sich in Parks, in Fabrikgebäuden und auf der Straße getroffen. Das hat sich entwickelt, weil es massenkompatibel wurde, und plötzlich interessant war. Die Bronx sah aus wie ein Kriegsgebiet, weil das Gelände unbedingt für die Leute, die in Manhatten gearbeitet haben, genutzt werden sollte. Manhatten lag nah dran, war aber zu teuer. Da mußte man in die Bronx ausweichen. Sie haben die Leute dort aber nicht rausbekommen. Deswegen haben sie die Buden abgefackelt und das Versicherungsgeld kassiert. Wenn man die Bilder aus den 70ern sieht, das ist richtig übel.

Einerseits Ausgrenzung und andererseits dieser Rhythmus. In den 70er Jahren gab es die Sendung 'Soul Train', die sich ausschließlich mit schwarzer Musik beschäftigt hat. Da sind Leute wie Stevie Wonder aufgetreten, einmal sogar auch David Bowie, aber eigentlich eher so Musiker wie James Brown, Marvin Gaye, Kool and the Gang. Das war die Mucke, die da gelaufen ist. Dann standen die 80er Jahre vor der Tür, und Bambaataa, der Afrikaner und Begründer der Zulu Nation, der laut Überlieferung den Begriff Hip Hop überhaupt geprägt und in Zusammenhang mit dieser Kultur gebracht hat, trat auf. Er hat damals an seinem DJ-Set z.B. Marvin Gaye und die Rolling Stones gemixt oder Kraftwerk und James Brown. Bambaataa hat diese Musik genommen und gesagt: "Hier, das ist unser Patchwork, das Zusammenbringen verschiedener Musik."

SB: Im Laufe der Zeit scheint der Rap mehr sexistische und gewaltverherrlichende Inhalte aufzuweisen. Wie siehst du das?

Spax: Wir dürfen nicht vergessen, daß die Amerikaner und gerade auch die Afroamerikaner eine andere Kultur haben. Das Wort 'Bitch' beispielsweise wird in Deutschland sexistisch empfunden, in Amerika nicht. Was ist eine Bitch? Das ist eine Schlampe. Was ist eine Schlampe? Wenn wir das Wort in Deutschland definieren würden, ist es eine Frau, die im Prinzip mit verschiedenen Männern schläft. Oder 'Nigger'. Nigger war eine Beleidigung für die Schwarzen. Irgendwann haben sie angefangen, sich selber Nigger zu nennen. Im amerikanischen Slang - hört man sich die Rap-Platten an - sagen sie einfach: "I'm a nigger, you are my bitch." - "Ich bin dein Nigger, du bist meine Bitch." Das sind zwei Beleidigungen in einem Satz, die aber eigentlich nichts weiter heißen als: "Ey, ich bin dein Mann und du bist meine Frau." Jeder in Deutschland sagt jetzt: "Das kann man doch nicht sagen." Jeder sagt mir: "Du hast das Wort Nigger gesagt und wenn man Nigger sagt, dann ist das etwas Politisches, und das Wort Bitch ist frauenfeindlich." Aber die Frauen selber sagen: "I'm a bitch." Weil sie nämlich auch keinen Bock haben, diese Beleidigung als Beleidigung hinzunehmen, also verbinden sie mit Bitch: "Ich bin halt eine Schlampe." Was nichts weiter bedeutet als: "Ich stehe den Männern, in dem was sie tun, in nichts nach." Wieso kann ein Mann fremd gehen und bei einer Frau ist es gleich total schlimm? Bei einem Mann heißt es: "Ja, Männer!" Aber bei einer Frau, die fremdgeht, heißt es gleich: "Schlampe!" Das ist total bescheuert. Der Sexismus liegt genau da begründet. "I'm a bitch!" bedeutet: "Ich mache das, was die Kerle tun. So what? Fuck, I'm a bitch."

Was ist noch frauenfeindlich? Männer erzählen, daß sie Bock haben, mit der Frau Geschlechtsverkehr zu haben. Ok, was ist daran sexistisch? Es gibt natürlich viele sexistische Dinge, das will ich gar nicht ausklammern, in dem Moment, wo ich die Frau auf den Körper, auf Fleischeslust reduziere. Aber das fand eigentlich sehr wenig statt. Eher: "Ey, die ist geil, auf die hab' ich Bock!" Mehr war das nicht. Es hieß nie: "Frauen sind eh doof und Frauen können nicht Auto fahren." Das ist Stammtischzeugs. Trotzdem mag ich solche Sachen nicht, höre sie natürlich nach wie vor in Rap-Platten und verstehe sie als Zeitzeugnis. Sie beschreiben ein Lebensgefühl.

Man kann sich über eine Kultur nicht herablassend äußern, man muß verstehen, wo sie herkommt. Der Wunsch amerikanischer Rapper nach Statussymbolen und Geld würde bei uns als profan und billig abgetan werden. Im Gegensatz zu uns neiden die Amerikaner sich gegenseitig ihren Erfolg aber nicht. Das ist der Unterschied der Kulturen. Die Gefahr ist, daß wir das Fremde durch die Brille unseres Wertesystems sehen und die Hintergründe nicht verstehen. So wurde Rapmusik und Hip Hop in meinen Augen ganz lange falsch betrachtet.

Rapper Spax beim Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Was ist für dich an Rapmusik das Besondere?

Spax: Mit Rockmusik kann man Millionen Lieder über Liebe oder sogar über Selbstmord singen. Niemand würde sagen: "Oh, will der Sänger wirklich Selbstmord begehen?" Wenn einer aber rappt, dann glaubt jeder, der Rapper hat das selbst erlebt. Interessant ist, daß Rap mit einem Realismus in Verbindung gebracht wird, was ich gut finde, es sei denn, ich erfinde eine Kunstfigur. Ich habe einmal über einen Typen geschrieben, der eine Psychose hat. Danach war ich erschrocken darüber, daß ich für mein Psycholied Zuschriften erhalten habe, in denen stand: "Ey, mir ging es mal genauso. Wie bist du denn da rausgekommen? Mit Tabletten?" Und ich so: "Nein!!! Ich habe mich nur in die Person reinversetzt."

SB: Was hältst du davon, Hip Hop an Schulen zu unterrichten?

Spax: Ich fände es super.

SB: Du hast an der 'HipHop Academy' in Hamburg gearbeitet. Kann man dort einen Abschluß machen?

Spax: Es gibt keinen wirklichen Abschluß. Leider sind wir in Deutschland nicht so weit, denn Hip Hop ist keine Hochkultur. Man kann irgendwelche Trainerscheine machen, aber nicht, wie beim Ballett, eine klassische Ausbildung.

Ich rappe seit 26 Jahren, angefangen habe ich 1988. Breakdance gibt es seit Mitte der 70er. Richtig profimäßig war es schon 1984. Im Gegensatz zu Musiklehrern kann ich keinen Rap unterrichten. Als Rapper bin ich sozusagen nur eine Aushilfskraft, ein Speziallehrer.

SB: Ist es nicht die Frage, ob für Rap und Hip Hop ein Zertifikat wirklich erstrebenswert ist?

Spax: Mir ist das egal. Ich würde mir aber wünschen, daß es eine Art Zertifikat gibt, um die Ernsthaftigkeit von dem, was wir machen, und um zu zeigen, daß Rap eine Kunst ist, zu unterstreichen.

SB: Gibt es Ansätze, daß sich in dieser Richtung etwas ändert?

Spax: Mittlerweile werden an Schulen Wahlpflichtkurse mit Rappern oder Breakdance-Leuten angeboten. Aber Fakt bleibt, im Schulunterricht wird nur klassische Musik gelehrt. Musiklehrer zeigen einem höchstens Gitarrenpop. Rap ist für sie eine nichtexistente Musikform, die sie ablehnen, weil sie sagen: "Rap ist sexistisch, aggresiv, gewaltverherrlichend und was machen die schon: 'Jo Jo Rap.'"

SB: Die Situation vieler Kinder in Deutschland hat sich verschlechtert. Ungefähr jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen, und die Familienstrukturen bieten immer öfter nicht den Halt, den Kinder brauchen. Was glaubst oder hoffst du, mit deiner Musik in diesem Zusammenhang zu bewirken?

Spax: Rapmusik bildet. Wenn man sie richtig einsetzt, wenn man verstanden hat, worum es geht, ist es ein Anker, eine Motivation. Es ist ganz einfach: Was gehört zum Rappen? Das Sprechen. Was braucht man zum Sprechen? Worte. Wenn man Worte hat, kann man sagen, was man will. Wenn man sagt, was man will, kann man auch sagen, was man nicht will. So lerne ich, mich zu artikulieren. Je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto mehr erlerne ich Empathie.

Die Kids, die jetzt mit ihrer Ghetto-Sprache aufwachsen und sich immer beleidigen müssen, werden irgendwann feststellen, alle haben die gleichen Beleidigungen. Wenn ich auf dem Schulhof stehe und der eine sagt, "Hurensohn", der andere sagt, "Hurensohn", der eine sagt, "Arschloch", der andere sagt, "Arschloch", dann ist das Thema irgendwann durch. Wenn ich aber lerne, daß ich den anderen cool beleidigen kann, indem ich etwas Witziges über ihn sage, selbst wenn es gemein ist, dann kann ich etwas bewirken. Ansonsten steigt die Aggression. Wenn die Leute über meine Aussage lachen, begreife ich, daß ich nicht nur gut boxen, sondern auch intelligent, pfiffig und smart sein kann. Darüber hinaus werde ich empathischer, weil ich beobachte. Beobachtung ist der erste Schritt für Empathie. Das ist, was Rap bei Kindern und Jugendlichen bewirken kann.

Natürlich kann das nicht die Verarmung stoppen. Aber es kann dazu beitragen, daß Kinder und Jugendliche selbstsicherer werden. Sie sehen sich dann vielleicht nicht mehr als Opfer. Das ist das Schöne an dieser Subkultur. Darum fände ich es gut, wenn solche Sachen professionalisiert würden.

SB: Kannst du uns von deiner Arbeit am Goethe-Institut erzählen?

Spax: Als ich engagiert wurde, hatten sie gerade entdeckt, daß Sprechgesang ein wunderbares Mittel ist, um die deutsche Sprache zu promoten. Rapmusik ist modern, knackig und mit viel Text. Die Inhalte können profan sein, bis hin zu tiefgreifenden Gedanken. Das Wichtigste war mein Aufenthalt in Afrika, als ich in drei verschiedenen Ländern und Einrichtungen mehr oder weniger Deutschunterricht gegeben habe. Eine Woche war ich in Abidjan und habe dort mit Kindern unterschiedlichen Alters, verschiedener Religionszugehörigkeit sowie verschiedenem finanziellen Background gearbeitet. Einmal habe ich mit Professoren über meine Arbeit gesprochen. Sie zogen Vergleiche zwischen meinen Texten und Kafka. Ich würde niemals behaupten, meine Texte hätten diese Anleihen, aber ich habe mich gefreut, gleichzeitig war das für mich ein Ansporn, weiter zu lernen.

SB: Ist Rapper Spax auf der Bühne wie privat immer Rapper Spax?

Spax: Ja, meine Frau nennt mich Spax, mein Sohn weiß, wie ich heiße, sagt aber Papa und im Zweifelsfall Spax zu mir. Alle anderen Kinder im Kinderladen und meine Freunde sagen Spax. Meine Eltern nennen mich meistens noch Raffael. Ich bin Spax seit 26 Jahren. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen mir privat und auf der Bühne.

SB: Was bedeutet der Name Spax?

Spax: Da gibt es keine Bedeutung. Das war einfach ein Name, den ich mir damals ausgesucht habe. Ich brauchte einen, den man gut schreiben konnte, so 'tag'-mäßig wie bei Graffiti, der individuell war, der eindeutig wie ein Kunstname klingt wie Sting. Ich wollte einen Namen haben, mit dem man nichts in Verbindung bringt.

SB: Spax, wir bedanken uns für das Gespräch.

Rapper Spax auf der Bühne in Aktion - Foto: © 2014 by Schattenblick

Rapper Spax beim Premieren-Auftritt zum Musik-Hörspiel 'Eule findet den Beat'
Foto: © 2014 by Schattenblick

Fußnoten:

[1] Seit 2003 hat Rapper Spax als musikalischer Leiter den Klassiker 'Frühlings Erwachen' von Frank Wedekind an der Staatsoper Hannover dreimal mit inszeniert.
http://www.schwaebische.de/home_artikel,-_arid,925965.html

[2] 2008 brachten 70 Jugendliche, 30 Profi-Musiker und zwei Regisseure unter dem Motto 'Rap trifft Klassik' Mozarts Singspiel 'Die Entführung aus dem Serail' in einer völlig neuen Interpretation auf die Bühne der Staatsoper Hannover.
http://www.musikzentrum-hannover.de/index.php?id=121

[3] Beim Graffiti das unterschriftenartige Kürzel des Malers


Bisherige Beiträge zur Hörspiel-Premiere 'Eule findet den Beat' am 1. Juni 2014 unter:
Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT:

BERICHT/021: Musikstil- und Kindertrip - phänospektral und miterlebt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0021.html

INTERVIEW/030: Musikstil- und Kindertrip - mutig, arglos, fortbeginnen ... Rolf Zuckowski im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0030.html

22. Juni 2014