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INTERVIEW/054: Hip-Hop Straßenklassenfest - Rap sozial ...    Cemo62 im Gespräch (SB)


Reime von den Straßen Harburgs

Klassenfest gegen Staat und Kapital am 30. April 2016 in Hamburg


Cemo62 ist in Hamburg-Harburg aufgewachsen, einem der härteren Pflaster der so reichen wie armen Hafenstadt. Der aus einer kurdischen Migrantenfamilie stammende Musiker rappt über das, was er erlebt, was ihn antreibt und was vielleicht einmal werden wird. Auf dem Klassenfest am S-Bahnhof Sternschanze beeindruckte er mit lyrischen Zeilen, die das soziale Klima in diesem Vorort auf angemessen düstere Weise wiedergeben und dem Straßen-Hip-Hop einige ungewöhnliche Farben hinzufügen.


Auf der Bühne des Klassenfestes - Foto: © 2016 by Schattenblick

Cemo62
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Cemo, könntest du etwas über deinen Lebenshintergrund erzählen und wie lange du schon rappst?

Cemo62 (C): Ich bin in Hamburg geboren, also ein waschechter Hamburger, aber meine Eltern sind Migranten. Rap-Musik auf semiprofessioneller Basis mache ich seit etwa sechs Jahren, obwohl ich eigentlich mein ganzes Leben lang gerappt habe.

SB: Hast du immer mit deutschen Texten gearbeitet?

C: Ja, ich mache nur Deutsch-Rap und habe bis jetzt zwei Mixtapes veröffentlicht: Cemotherapie und 24/7. Das sind Free-Mixtapes, die man sich im Internet über meine Seite auf Facebook herunterladen kann.

SB: In deinen Liedern legst du den Finger in alltägliche Wunden. Reflektiert das dein persönliches Erleben?

C: Ich rappe über das, was ich Tag für Tag erlebe. Ich bin eben in Harburg großgeworden, das sollte jedem ein Begriff sein, weil dieser Stadtteil oft in die Schlagzeilen kommt. Ich bin auch in Harburg zur Schule gegangen und dort mit Sachen konfrontiert worden, die auch in meine Texte eingehen. Was sich in meinen Liedern widerspiegelt, habe ich selber oder haben enge Freunde von mir erlebt.

SB: In einer Liedstelle heißt es sinngemäß, daß es ums Geld schon lange nicht mehr geht, Hauptsache, man hat etwas zum Kiffen. Könntest du das kommentieren?

C: Es geht schon lange nicht mehr ums Geld, und die Gürteltasche mit Problemen platzt, bezieht sich auf Leute, die Mist bauen und denen es nur noch um den Kick und Rausch geht, den sie dabei erleben. In diese Richtung war das gemeint.

SB: Du hast auch über kaputte Leute gesungen. Spiegelt sich darin das vorherrschende Bild deiner Umwelt wider?

C: Ja, bei uns gibt es viel Armut, die auch das Bild auf den Straßen prägt. In bestimmten Vierteln kann man schon morgens viele kaputte Gestalten sehen, die durch die Gegend schlurfen. Wenn man damit jeden Tag konfrontiert wird, wirkt sich das auf einen aus.

SB: Wenn du singst, Millionen Tränen, die umsonst vergossen wurden, ist das in der doch ziemlich machomäßigen Hip-Hop-Szene alles andere als typisch, weil du damit eine mitfühlende Ader zeigst. Was hat dich dazu bewogen, auch emotional zu rappen?

C: Bei mir ist das immer abhängig davon, was ich erlebe. Es gibt Zeiten, in denen ich mich viel mit meiner Herkunft und meinen Landsleuten beschäftige. Dann kommt zum Beispiel so etwas heraus wie Millionen Tränen. Zu anderen Zeiten, wenn ich den ganzen Tag im Fitneßstudio verbringe, kommen andere Texte zustande. Das Erlebte steht in meinen Texten immer im Vordergrund.

SB: Pflegst du mit deinen Landsleuten und Verwandten einen besonderen Kontakt oder spielt die Herkunft für dich keine große Rolle?

C: Ich habe viele Familienangehörige drüben in der Türkei. Ich könnte jetzt nicht sagen, ob mein Freundeskreis zum größten Teil aus Deutschen oder Ausländern besteht. Das ist durchwachsen und für mich ohnehin nur zweitrangig. Es interessiert mich nicht, wo jemand herkommt, wenn er korrekt und aufrecht ist, reicht das für mich.

SB: Du rappst hier auf einer Demo gegen Staat und Kapital. Einige Rapper nehmen die Polizei dabei ziemlich aufs Korn. Wie stehst du dazu?

C: Ich würde niemals von rassistischen Polizisten sprechen, sondern von Polizisten hier bei uns, die ihre Macht mißbrauchen. Nur in diesem Punkt habe ich mich in meinem Texten auf die Polizei eingeschossen. Nun denke ich nicht, daß Polizisten meine Freunde werden, aber es ist auch nicht so, daß ich komplett etwas gegen sie habe. Schließlich machen sie auch nur ihren Job.

SB: Meinst du damit, daß man im Polizisten auch den Menschen erkennen kann oder ist er immer der Feind?

C: Nein, niemals. Man darf nicht alle Menschen über einen Kamm scheren, das ist der größte Fehler, den man machen kann. Damit fängt doch das Rassistische an. Ich würde daher auch nicht sagen, daß jeder Polizist etwas gegen Ausländer hat oder mir an den Kragen will. Vielleicht ist es die Erfahrung der Polizisten an bestimmten Orten, daß sie besonders hart gegen uns vorgehen. Es ist mal so und mal so. Mir hat auch einmal ein Polizist geholfen. Alle Polizisten herunterzuputzen ist Quatsch.

SB: Hast du spezielle Vorbilder im deutschen Hip-Hop, Leute, denen du auf deine Art nacheiferst?

C: Eigentlich feiere ich so ziemlich alles, jedes Lied hat etwas, aber wenn ich welche nennen müßte, dann auf jeden Fall Haftbefehl, SSIU und Xarta. Vor allem mit der Musik von Xarta bin ich großgeworden. Aber ich würde jetzt nicht sagen wollen, dieser Rapper gefällt mir und jener nicht. Keinen Haß, kein Dissen.

SB: Cemo, vielen Dank für das Gespräch.


Cemo62 in Aktion - Fotos: © 2016 by Schattenblick Cemo62 in Aktion - Fotos: © 2016 by Schattenblick Cemo62 in Aktion - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Auf der Bühne des Klassenfestes
Fotos: © 2016 by Schattenblick


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