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INTERVIEW/062: HipHop Open Air - Freunde und Gegner ...    Celoviz im Gespräch (SB)


Gespräch am 5. Mai 2018 in Hamburg-St. Pauli


Auf dem Klassenfest - HipHop Open Air gegen Staat und Kapital 2018 wurde dem Protest gegen den türkischen Überfall auf die nordsyrische Enklave Afrin von diversen KünstlerInnen eine Stimme verliehen. Dem kurdischen Rapper Celoviz war es ein besonderes Anliegen, diese Aggression des Erdogan-Regimes zu verurteilen. Nach seinem Auftritt beantwortete Celoviz dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Person und dem Verhältnis der kurdischen Community zum HipHop.


Im Interview - Foto: © 2018 by Schattenblick

Celoviz
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Celoviz, wie lange machst du schon HipHop?

Celoviz: Ich mache schon ein paar Jährchen HipHop, intensiv aber erst ein bis zwei Jahre. Davor gab es einige Versuche, aber inzwischen komme ich richtig rum in der Musik.

SB: Gibt es in der kurdischen Community viele HipHopper oder ist es eher eine Randerscheinung unter Jugendlichen?

Celoviz: Viele machen erste Gehversuche im HipHop, aber auf der professionellen Ebene fehlt es manchen an Qualität und gelegentlich auch an Talent. Ich und ein paar Freunde sind schon etwas professioneller dabei.

SB: Rappst du auch in kurdischer Sprache wie heute im Stück "Serhildan"?

Celoviz: Bei "Serhildan" ist alles in kurdischer Sprache, aber eigentlich rappe ich gar nicht auf kurdisch. Nun war es jedoch so, daß ich viele Nachrichten von Kämpfern in Rojava an der Nordsyrienfront bekommen habe, die meine Musik hören, obwohl ich nur auf deutsch singe. Weil sich viele Schwestern und Brüder gewünscht hatten, daß ich einen Song in meiner Muttersprache veröffentliche, habe ich es eben gemacht. Mag sein, daß mein Kurdisch nicht ganz fehlerfrei ist, aber ich habe das Beste gegeben und den kurdischen Song "Serhildan" komponiert.

SB: Was heißt "Serhildan"?

Celoviz: Es bedeutet in etwa "Erhebe deinen Kopf" oder "Halt den Kopf aufrecht", lauf also nicht geduckt herum.

SB: Wie ist dein Verhältnis zur kurdischen Volksmusik, spielt sie für dich eine wichtige Rolle oder bist du ihr ein bißchen entwachsen?

Celoviz: Nein, überhaupt nicht. Ich kenne viele kurdische Songs aus den 1990ern. Meine Familie ist sehr patriotisch und war immer schon, seit ich denken kann, in der Bewegung aktiv. Das gilt insbesondere für meinen Vater, aber auch für meine Mutter. So gesehen bin ich mit Koma Berxwedan aufgewachsen. Vor Tupac habe ich Koma Berxwedan gehört, weil das dauernd zu Hause lief. Diese Musik höre ich immer noch gerne.

SB: Ist Musik für den Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung auch als Message oder zur Vermittlung wichtig?

Celovicz: Ja natürlich. Bevor die Kämpfer in den Krieg ziehen oder wenn sie heil zurückkommen, tanzen und singen sie. Musik, Tanz, Singen oder das Aufsagen von Gedichten sind ein fester Bestandteil unserer Kultur, das gehört mit zum Kampf. Die Kurden an sich sind ein sehr harmonisches Volk. Ich kenne keinen aus der Bewegung, der nicht jeden Tag tanzt oder singt. Das gehört richtig zu uns.

SB: Das Klassenfest ist eine Veranstaltung der revolutionären Linken. Hast du den Eindruck, daß die mit dem Kampf in Afrin und Rojava gezeigte Solidarität ausreicht oder würdest du dir ein größeres Engagement wünschen?

Celoviz: Ich liebe die linke Bewegung in Deutschland. Alle Linken, die ich kennengelernt habe, sind in bezug auf Kurdistan sehr aktiv, egal wo. Auf linken Demos hört man immer "Biji Berxwedana YPG" bzw. sieht die leider verbotenen YPG-Flaggen. Das war auch im letzten Jahr hier in Hamburg auf dem G20-Gipfel so. Auf der Demo gegen den Gipfel waren auch sehr viele Kurden, weil sie um die Solidarität der Linken mit Kurdistan wissen und das auf diese Weise zurückgeben. Deswegen finde ich es schon cool, daß sich die Aktivisten aus der linken Szene, egal, ob deutsch, arabisch oder türkisch, mit dem kurdischen Volk solidarisieren. Es sind halt Leute, die an die Freiheit glauben und denken, daß kein Volk unterdrückt werden darf. Wenn ich so etwas sehe, macht mich das stolz und auch stark.

SB: Du hast vorhin Tupac Shakur erwähnt. Welche anderen Rapper auch aus dem deutschsprachigen HipHop haben dich inspiriert?

Celoviz: Der erste HipHop-Song, den ich gehört habe, war "Changes" von Tupac. Er kommt ja aus einer revolutionären Familie. Seine Mutter Afeni Shakur war, wie wir wissen, bei den Black Panther und sein Stiefvater auch. Beide haben ihren Beitrag zum Kampf der afroamerikanischen Bewegung geleistet. Hier in Deutschland gibt es viele Rapper, die als Sprachrohr fungieren und eine sehr große Fan-Base haben, aber ich finde, daß sie zu wenig für die Befreiung der Menschen an sich machen. Deswegen könnte ich nur wenige empfehlen. Mit einem, der dazugehört, S. Castro [1], arbeite ich auch zusammen. Er ist, was die Musik angeht, sehr talentiert. Ich glaube, wenn er andere Inhalte wählen würde, hätte er mehr Erfolg und schon längst einen Plattenvertrag, aber er ist seiner Linie treu geblieben. Das respektiere ich an ihm, und das ist neben der Musik im Endeffekt das Wichtigste.

SB: Deutscher HipHop war zuletzt wegen Farid Bang und Kollegah in die Schlagzeilen geraten. In den Medien wurde auch behauptet, daß deutscher HipHop meist rechts und gefährlich sei. Ist das aus deiner Sicht zu dick aufgetragen?

Celoviz: Ich habe das Ganze in den Medien verfolgt, was gar nicht anders ging, denn sie waren ja voll davon. Es ist auf jeden Fall eine üble Line, ganz klar, weil die beiden wissen, wie sehr die Menschen in Auschwitz gelitten haben. Andererseits ist Farid Bang auch nur ein Mensch und jeder Mensch macht Fehler. Gut, er ist ein HipHopper und geht nach dem Geld, aber er hat sich ja öffentlich dafür entschuldigt. Ich finde, das hätte man annehmen können. Also, ich bin kein Fan von ihm, habe nie so richtig Musik von ihm gehört und würde so etwas auch nie sagen oder machen. Aber daß er jetzt mit einem jüdischen Mitbürger einen gemeinsamen Song produziert und alle Einnahmen an eine jüdische Gemeinde spendet - und er verkauft sich, was man nicht abstreiten kann, gut -, finde ich schon cool. Es gibt auch erfolgreiche Musiker, denen es völlig egal gewesen wäre, die sich gesagt hätten, ich habe den Song gut verkauft, mich juckt es nicht. Aber es ist dennoch schlimm, überhaupt eine solche Line zu bringen. Ich verurteile es, aber vielleicht ist den beiden nicht so bewußt, was so etwas bedeutet, wie uns. Die jüdische Gemeinde mußte in der Geschichte Deutschlands sehr große Opfer beklagen. Es geht einfach nicht, eine solche Line zu performen bzw. zu veröffentlichen.

SB: Celoviz, vielen Dank für das Gespräch.


Celoviz mit Mikro - Foto: © 2018 by Schattenblick

Auf der Bühne des Klassenfestes 2018
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnote:


[1] INTERVIEW/053: Hip-Hop Straßenklassenfest - Rap und Revolution ...    S. Castro im Gespräch (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0053.html


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