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NACHLESE/038: 50 Jahre später ... Gil Scott-Heron - Whitey On the Moon (SB)


Hmm! Whitey's on the moon
Y'know I just 'bout had my fill
Of whitey on the moon
I think I'll send these doctor bills
Airmail special
To whitey on the moon

Gil Scott-Heron - Whitey On the Moon


Als Auslöser des von US-Präsident John F. Kennedy 1961 angekündigten Vorhabens, bis Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond zu bringen, um die Führungsrolle der USA im Weltraum sicherzustellen, erscheint das "Space Race" zwischen den USA und der Sowjetunion heute in einem milderen Licht. Da die brandgefährliche Blockkonfrontation wie ein Katalysator technologischen und industriellen Fortschritts wirkte, hätte man sie erfinden müssen, um die WissenschaftlerInnen auf beiden Seiten zu Höchstleistungen anzutreiben. Von der Teflonpfanne bis zum Computerchip, vom Satelliten bis zum Scanner, vom Wasserfilter bis zur drahtlosen Steuerung von Alltagsgeräten gilt die bemannte Weltraumfahrt als zentraler Impuls zur Entwicklung zahlreicher Spin Offs, die die Produktivkraft der fordistischen Industrien in neue Höhen katapultierte. Technologische Innovation und kapitalistisches Wachstum waren eins, und die schlußendliche Kapitulation der Sowjetunion nicht nur im Rennen zum Mond, sondern beim Griff nach geostrategischer Überlegenheit werden nach der Herstellung kapitalistischer Globalhegemonie zum fast natürlichen Resultat des Wettstreits der Ideologien verklärt.

"Space" und "Race" brachten in den USA und der aggressiven Kriegführung gegen den Kommunismus aber auch weniger illustre Seiten hervor. Mit "Race", aus Sicht weißer Suprematie verstanden als in Biologie und Anthropologie fest verankerte Kategorie ethnischer Zugehörigkeit, auf ihren benachteiligten Status festgelegt wurden die nichtweißen Minderheiten in den USA, die indigene Bevölkerung, der die weißen Kolonisatoren alles geraubt hatten, die Nachfahren der aus Afrika verschleppten SklavInnen und die zum Verrichten billigster Lohnarbeit in den USA geduldeten MigrantInnen aus Mittelamerika.

1969 war der Vietnamkrieg, geführt gegen ein südostasiatisches Land, dessen nichtweiße Bevölkerung es gewagt hatte, das koloniale Joch Frankreichs abzuschütteln, um von den US-Streitkräften gegen den Kommunismus verteidigt zu werden, in vollem Gange. Er wurde mit massenvernichtender Konsequenz gegen Mensch und Natur geführt, wie die mit dioxinhaltigem Agent Orange geführte Kampagne zur Entlaubung der Wälder Vietnams zeigt, die bereits den Keim der finalen Vernichtung der grünen Lunge des Planeten in sich trug.

1969 wurde ein weiterer Kolonialkrieg innerhalb der Vereinigten Staaten geführt. Der Widerstand der Black Panther wurde mit allen legalen und illegalen Mitteln niedergeschlagen, und die FBI-Kampagne zur Ermordung seiner führenden AktivistInnen hat als staatliche Maßnahme zur Aufstandsbekämpfung bis heute Vorbildcharakter überall dort, wo die soziale Revolution droht, die Privilegien weißer Herrschaft zu beseitigen. Die Mondlandung vor 50 Jahren wurde von großen Teilen der schwarzen Minderheit in den USA nicht nur als symbolischer Ausdruck eigener Erniedrigung, sondern aufgrund der Kosten von rund 25 Millionen Dollar auch als materieller Beleg für rücksichtslose Ausbeutung nichtweißer, heute mit "race, class, gender" in drei Unterdrückungsformen umschriebener Menschen verstanden.

In den Ghettos der Großstädte wie den Siedlungen der FeldarbeiterInnen des Südens herrschten soziale Bedingungen elendster Art. In Kilometern ausgedrückt lagen sie vielleicht in direkter Nachbarschaft weißer Wohngebiete, doch das in Los Angeles liegende Schwarzenghetto "Watts ist ein Land, das, psychologisch betrachtet, ungezählte Meilen weiter entfernt ist, als die meisten Weißen heute bereit zu reisen sind", schrieb Thomas Pynchon 1966. Bis heute ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung im reichsten Gliedstaat New York doppelt so hoch wie in Mississippi, dem Gliedstaat mit dem höchsten Anteil an schwarzen BürgerInnen, um nur ein Beispiel für den niemals überwundenen und zur Zeit besonders heiß aufkochenden Rassismus in den USA zu nennen.

Der legendäre, zu den politisch radikalsten MusikerInnen und DichterInnen des Landes zählende Gil Scott-Heron nahm die Mondlandung in seinem 1970 veröffentlichten Debütalbum Small Talk at 125th and Lenox zum Anlaß, die Schilderung der elenden sozialen Lage der schwarzen Bevölkerung mit dem immergleichen Refrain "but Whitey's on the moon" zu konterkarieren. Das ungesunde und harte Leben in überteuerten, unbeheizten, von Ratten behelligten Wohnungen ohne fließend Wasser und mit Außentoilette, die Obdachlosigkeit, wenn die nächste Mieterhöhung nicht mehr geleistet werden konnte, physische Schmerzen und ein früher Tod, weil die Arztrechnungen nicht zu stemmen waren - all das findet seine Pointe in dem finalen Vorhaben, diese Rechnungen doch per Luftpost an "Whitey on the moon" zu schicken.

Die notwendige Abrechnung mit der Verächtlichkeit, sich über die Nöte von Millionen hinwegzusetzen, um ein anderes Land in der stets an Krieg grenzenden Staatenkonkurrenz im technologischen Leistungswettbewerb niederzuringen, wurde in Whitey On the Moon unverblümter betrieben als in dem 1969 wenige Wochen nach der Mondlandung von Otis Spann eingespielten Moon Blues. Daher wird es hier trotz seiner zeitlich späteren Veröffentlichung als Grundsatzkritik an der nicht zuletzt von militärischer Logik bestimmen Raumfahrt angeführt. Auch der große Bluespianist Spann beklagte sich über die soziale Ungerechtigkeit des US-Raumfahrtprogramms, war aber doch dafür zu haben, den Stolz über diese nationale Leistung zu teilen. Als Kommentator aus weißer Suprematie resultierender Gewaltverhältnisse war Gil Scott-Heron unversöhnlicher, daher war ihm jeglicher Nationalpathos fremd. Bis heute von großer Aktualität ist auch seine in Reimform gebrachte Kritik an der Ausbeutung illegal eingewanderter Menschen oder einer kapitalistischen Kulturindustrie, die es verstand, selbst revolutionäre Anliegen in ihr Gegenteil zu verkehren. In seiner politisch explosiven Mischung aus halb gesprochenen, halb gesungenen Reimen, vorgetragen zu perkussiver, soul- und blueslastiger Musik, hat Gil Scott-Heron so stark beeindruckt, daß er bis heute ein wichtiges Vorbild für sozialkritisch inspirierte RapperInnen ist.

Vom Ergebnis her betrachtet bleibt der kleine Schritt Neil Armstrongs Ausdruck eines Zerstörungsprozesses, dessen Bekämpfung durch die Verklärung der "Menschheit" nicht gelingen kann. Die Abstraktheit dieses Anspruches an verbindliche Werte und gemeinsames Handeln täuscht über virulente soziale Widersprüche und Klassenverhältnisse hinweg, ohne deren Bearbeitung sich auch keine ökologischen Verbesserungen erzielen lassen werden. Der dieser Tage häufig ins Gedächtnis gerufene blaue Planet idealisiert gesellschaftliche Naturverhältnisse höchst destruktiver Art, indem er sie in denkbar ferne Distanz rückt und so verhindert, daß die Konfrontation mit der jeweils eine ganze Welt betreffenden Vernichtung eines Bioorganismus die überfällige Aufhebung der kapitalistischen Wachstumsorientierung beflügelt.

21. Juli 2019


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