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GALAXIS/173: Beobachtungen zeigen die Galaxienverteilung als das Universum halb so alt war wie heute (MPE)


Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik - 30. März 2012

Beobachtungen zeigen die Galaxienverteilung als das Universum halb so alt war wie heute



Manchester, 30. April 2012 - Während der deutsch-britischen Astronomietagung NAM2012 gaben die Wissenschaftler des BOSS-Teams (Baryon Oscillation Spectroscopic Survey) heute bekannt, dass sie die Verteilung der Galaxien vor etwa fünf bis sechs Milliarden Jahren so genau vermessen haben wie nie zuvor. Dies war ein Schlüsselmoment, als die Ausdehnung des Universums nicht mehr langsamer wurde sondern anfing, sich aufgrund einer geheimnisvollen Kraft namens "dunkler Energie" zu beschleunigen. Was hinter dieser dunklen Energie steckt ist eines der großen Rätsel in der Kosmologie und die Wissenschaftler brauchen genaue Messungen der Ausdehnungsgeschichte des Universums - und BOSS liefert genau solche Messungen. In sechs Artikeln, die heute veröffentlicht wurden, verwendeten Wissenschaftler des BOSS-Teams, dem auch Forscher des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik angehören, diese und frühere Messdaten, um unterschiedliche kosmologische Modelle stark einzugrenzen

BOSS ist Teil des Sloan Digital Sky Survey (SDSS-III) und begann im Jahr 2009 mit seinem Blick zurück zu einer Zeit, als die dunkle Energie im Universum anfing eine wichtige Rolle zu spielen. Bis 2014 wird das Projekt mit einem speziell entwickelten neuen Spektrographen am 2,5-Meter-Sloan-Teleskop am Apache Point Observatorium in New Mexico, USA, Daten von 1,35 Millionen Galaxien sammeln. In den ersten eineinhalb Jahren hat BOSS bereits ein Zehntel des Himmels abgetastet und für mehr als eine viertel Million Galaxien deren dreidimensionale Positionen bestimmt, woraus sich eine genaue und vollständige Verteilung der Galaxien bis zu einer Entfernung von etwa sechs Milliarden Lichtjahren ergibt.

Die Galaxien bilden ein "kosmisches Netz" mit vielen unterschiedlichen Strukturen, die wertvolle Informationen über unser Universum enthalten. Insbesondere sind die sogenannten "baryonischen akustischen Oszillationen (BAO)" für die Wissenschaftler von Interesse, da diese ihnen eine "Standard-Messlatte" an die Hand geben. BAO sind Überreste aus der Frühphase des Universums, als es eine heiße und dichte "Teilchensuppe" war. Kleine Dichteschwankungen durchliefen diese "Suppe" als Druck- bzw. Schallwellen. Als sich das Universum ausdehnte und abkühlte, sank der Druck ab und so wurden die weitere Ausbreitung dieser Wellen nach etwa 500 Millionen Lichtjahren gestoppt. Diese "eingefrorenen Wellen" bildeten sich in der Materieverteilung ab und können heute in der Galaxienkarte abgelesen werden: so ist die Wahrscheinlichkeit dafür, zwei Galaxien in diesem Abstand zu finden, etwas höher als für größere oder kleinere Entfernungen.

CREDIT: Francesco Montesano/Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Sloan Digital Sky Survey III

Eine Karte der Galaxienverteilung in einem dünnen Schnitt durch den BOSS-Katalog. Wir sind im Zentrum des Bogens, außerhalb des unteres Randes der Abbildung, jeder schwarze Punkt entspricht einer Galaxie. Der rote Kreis zeigt die ungefähre Größe der BAO-Skala.
CREDIT: Francesco Montesano/Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Sloan Digital Sky Survey III

Misst man nun die scheinbare Größe dieser BAO-Skala in der Verteilung der Galaxien so erhält man Information zu kosmischen Entfernungen. Kombiniert mit einer Messung der Galaxien-"Rotverschiebung" - einem Maß dafür, wie schnell sich die Galaxien als Folge der kosmischen Expansion von uns entfernen - können die Wissenschaftler somit die Ausdehnungsgeschichte des Universums rekonstruieren.

Damit liefern die BOSS-Daten zusammen mit früheren Analysen jetzt Informationen, um die Parameter des kosmologischen Standardmodells auf eine Genauigkeit von besser als fünf Prozent zu bestimmen. "Alle unterschiedlichen Messungen deuten auf die gleiche Erklärung", sagt Dr. Ariel Sanchez, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und Erstautor bei einem der Artikel, die heute veröffentlicht wurden. "Die dunkle Energie ist konsistent mit Einsteins kosmologischer Konstante: einer kleinen aber nicht vernachlässigbaren Energie, die den Raum kontinuierlich dehnt und damit die beschleunigte Expansion des Universums antreibt."

Neben der dunklen Energie können die Informationen aus der großräumigen Galaxienverteilung aber auch verwendet werden, um andere wichtige physikalische Parameter wie die Krümmung des Universums, die Neutrino-Masse oder die Phase der Inflation im frühen Universum einzugrenzen. "Aktuelle Beobachtungen zeigen, dass das Universum flach sein muss, mit einer Genauigkeit von besser als 0,5 Prozent", erklärt Ariel Sanchez. "Und während wir auf der einen Seite einen derart globalen Parameter auf kosmischen Maßstäben messen, können wir gleichzeitig Informationen über Neutrinos auf den kleinsten Skalen erhalten."

Neutrinos sind winzige Elementarteilchen. Obwohl eine Reihe von Experimenten gezeigt hat, dass diese eine Masse haben müssen, können die Wissenschaftler nicht sagen, wie viel sie wiegen, da man das nur schwer in einem Labor messen kann. Doch als zusätzliche Komponente in der heißen, frühen Phase des Universums haben die Neutrinos Einfluss auf das Wachstum von Strukturen. Damit enthält die Verteilung der Galaxien, wie sie von BOSS sondiert wird, Informationen über die maximale Masse, die diese Neutrinos haben dürfen. "Wir haben hier wirklich die Verbindung zweier extremer Welten, der sehr, sehr großen und der sehr, sehr kleinen", fügt Ariel Sanchez an.

Aufgrund der hohen Qualität der neuen Daten konnte das BOSS-Team sogar neue Hinweise auf die kosmische Inflation erhalten, einer Zeit kurz nach dem Urknall, als sich das Universum unglaublich schnell ausdehnte. Während der kosmischen Inflation wurden kleine Bereiche des Alls so stark aufgeblasen, dass sie heute das gesamte, für uns beobachtbare Universum bilden. Gleichzeitig wurden auch die winzigen Quantenfluktuationen aufgebläht und bildeten so die Keime der Strukturen, die uns die BOSS-Daten noch heute zeigen. "Es gibt einen regelrechten Zoo aus alternativen Inflationsmodellen. Mit BOSS bekommen wir neue wichtige Hinweise auf die inflationäre Phase des Universums, und können so den Markt der verfügbaren Modelle etwas ausdünnen", erklärt Ariel Sanchez.

Bisher stimmen alle Messungen sehr gut mit dem kosmologischen Standardmodell überein, das aus ein paar Prozent gewöhnlicher Materie, etwa einem Viertel Dunkler Materie und dem Rest aus Dunkler Energie besteht. Aber Ariel Sanchez ist vorsichtig: "Das ist nur der Anfang. Wenn wir die kompletten fünf Jahre an BOSS-Daten haben, können wir viel engere Grenzen erwarten, und es gibt auch eine Reihe zukünftiger Projekte, wie EUCLID, die uns noch bessere Messungen liefern werden. Damit werden wir den Antworten auf die großen offenen Fragen der Kosmologie einen Schritt näher kommen."

 

Credit: E. M. Huff, the SDSS-III team, and the South Pole Telescope team. Graphic by Zosia Rostomian.

Die Signatur der baryonischen akustischen Oszillationen (weiße Kreise) in Galaxienkarte hilft den Astronomen dabei, die Geschichte des sich ausdehnenden Universums nachzuvollziehen.
Diese schematischen Bilder zeigen das Universum zu drei verschiedenen Zeiten: Das Falschfarbenbild rechts zeigt den "kosmischen Mikrowellenhintergrund", ein Bild des sehr jungen Universums vor 13,7 Milliarden Jahren. Aus den damals kleinen Dichteschwankungen entwickelten sich in die Galaxienhaufen und -filamente, die wir heute sehen. Diese Schwankungen enthalten auch die Signatur der ursprünglichen baryonischen akustischen Oszillationen (weißer Ring, rechts).
Als sich das Universum ausdehnte (Mitte und links), blieb die Information über die BAO erhalten und kann aus dem mittleren Abstand der Galaxien abgelesen werden (größere weiße Kreise).
Die Ergebnisse von SDSS-III, die heute bekannt gegeben wurden, sind für Galaxien in einer Entfernung von etwa 5,5 Lichtjahren, zu einer Zeit als die dunkle Energie anfing eine Rolle zu spielen. Vergleicht man diese Ergebnisse mit früheren Messungen von Galaxien in einer Entfernung von 3,8 Milliarden Lichtjahren (links), so kann man messen, wie stark sich das Universum im Laufe der Zeit ausgedehnt hat.
Credit: E. M. Huff, the SDSS-III team, and the South Pole Telescope team. Graphic by Zosia Rostomian.


Anmerkungen:

1. Der Sloan Digital Sky Survey (SDSS) liefert seit 2000 tiefe Mehrfarbenaufnahmen über ein Viertel des gesamten Nachthimmels. Bei SDSS-III ist das Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik ein Vollmitglied.
SDSS-III Webseite: http://www.sdss3.org/

2. EUCLID ist eine geplante ESA-Weltraummission zur Erforschung der dunklen Energie, an der das Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik maßgeblich beteiligt ist.
EUCLID Webseite: http://sci.esa.int/science-e/www/area/index.cfm?fareaid=102

Originalveröffentlichungen:

The BOSS team:
The clustering of galaxies in the SDSS-III Baryon Oscillation Spectroscopic Survey: baryon acoustic oscillations in the data release 9 spectroscopic galaxy sample
http://arxiv.org/abs/1203.6594

Ariel G. Sánchez et al.:
The clustering of galaxies in the SDSS-III Baryon Oscillation Spectroscopic Survey: cosmological implications of the large-scale two-point correlation function
http://arxiv.org/abs/1203.6616

Beth Reid et al.:
The clustering of galaxies in the SDSS-III Baryon Oscillation Spectroscopic Survey: measurements of the growth of structure and expansion rate at z=0.57 from anisotropic clustering
http://arxiv.org/abs/1203.6641

Ashley J. Ross el al.:
The clustering of galaxies in the SDSS-III Baryon Oscillation Spectroscopic Survey: analysis of potential systematics
http://arxiv.org/abs/1203.6499

Rita Tojeiro et al.:
The clustering of galaxies in the SDSS-III Baryon Oscillation Spectroscopic Survey: measuring structure growth using passive galaxies
http://arxiv.org/abs/1203.6565

Marc Manera et al.:
The clustering of galaxies in the SDSS-III Baryon Oscillation Spectroscopic Survey: a large sample of mock galaxy catalogues
http://arxiv.org/abs/1203.6609

Website: http://www.mpe.mpg.de/News/PR20120330/text-d.html

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Quelle:
Pressemitteilung vom 30.03.2012
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Giessenbachstraße 1, 85748 Garching
Telefon: +49 89 30000-0, Fax: +49 89 30000-3569
E-Mail: mpe@mpe.mpg.de
Internet: www.mpe.mpg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2012