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GALAXIS/208: Wodurch wird die Entwicklung von Zwerggalaxien bestimmt? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 10/13 - Oktober 2013
Zeitschrift für Astronomie

Wodurch wird die Entwicklung von Zwerggalaxien bestimmt?

Von Thorsten Lisker, Simone M. Weinmann und Richard Preis



Zwerggalaxien können durch äußere Einwirkungen stark verändert werden, lassen sich jedoch mit heutigen Teleskopen nur im nahen Universum beobachten. Kosmologische Simulationen zeigen, dass wesentliche Umgebungseinflüsse bereits vor Milliarden Jahren begannen und zu den heute beobachteten Galaxienklassen führten.

Durch die filamentartige Materieverteilung im Universum bestehen Verbindungen zwischen unterschiedlichen Raumregionen: Massereiche Galaxienhaufen sind meist an den Knotenpunkten solcher Filamente anzutreffen, und werden kontinuierlich durch einfallende Galaxien und ganze Galaxiengruppen gespeist. Insbesondere für das nahe Universum mit Galaxien geringer Rotverschiebung, das wir in seinem gegenwärtigen Zustand sehen, liegen detaillierte Beobachtungen vor, welche die Charakteristika großer und kleiner Galaxien in Haufen, Gruppen, sowie in scheinbaren Leerräumen genau beschreiben.

Allerdings sind für Galaxien mit geringer Leuchtkraft und Flächenhelligkeit, den so genannten Zwerggalaxien, mit derzeitigen Teleskopen noch keine umfassenden, statistisch vollständigen Studien im frühen Universum möglich. Um dennoch einen Blick in ihre Geschichte und damit auch in ihre Entwicklung zu werfen, verwenden wir zum einen die kosmologische Simulation Millennium-II, welche die Verteilung der Dunklen Materie im Universum und ihre zeitliche Veränderung verfolgt. Zum anderen nutzen wir ein Modell für die Entwicklung der Gas- und Sternkomponenten der Galaxien.

Masse und Gravitation bestimmen die Strukturbildung
Unter dem Einfluss der Gravitation bilden sich im Laufe der Zeit immer größere Strukturen im Kosmos: Galaxiengruppen, Galaxienhaufen und sogar Superhaufen. Galaxien und ihre Halos aus Dunkler Materie sind dabei ständigen Gezeitenkräften ausgesetzt, die umso stärker sind, je näher sie sich an solch einer Massenansammlung befinden. Galaxien, die sich heute innerhalb eines Haufens aufhalten, müssen sich aber bereits einige Milliarden Jahre in der Nähe seines Vorläufers befunden haben, und standen somit kontinuierlich unter dem Einfluss von Gezeitenkräften. Dementsprechend zeigt die Simulation, dass die Dunkle-Materie-Halos solcher Galaxien bereits einen Großteil ihrer Masse verloren haben. In unserer Studie finden wir einen klaren Zusammenhang: Je näher zum Haufenzentrum eine Galaxie heute liegt, umso größer ist der bereits verlorene Anteil an Dunkler Materie, und umso mehr Zeit hat die Galaxie insgesamt in Gruppen und Haufen verbracht.

Wie das Diagramm im Kasten oben zeigt, geht dies einher mit der bekannten Relation zwischen der beobachteten Galaxienstruktur und dem Abstand zum Haufenzentrum. Elliptische Zwerggalaxien dominieren den Innenbereich des Haufens (oben, rote Treppenlinie), während Spiral- und irreguläre Zwerggalaxien in den Außenbereichen überwiegen (oben, blaue Treppenlinie). Das erscheint verständlich, da sich auch die Stern- und die Gaskomponenten der Galaxien nicht den Gezeitenkräften entziehen können. Sie sitzen lediglich tiefer im lokalen Gravitationspotenzial und sind somit weniger leicht beeinflussbar - aber immer noch leicht genug, dass starke äußere Kräfte eine strukturelle Umwandlung bewirken können.

KASTEN
 
Verteilung von Zwerggalaxien in Haufen

Die nebenstehende Grafik vergleicht die Galaxienverteilung im Virgo-Galaxienhaufen mit Eigenschaften der Millennium-II-Simulation, welche die Entwicklung des Kosmos mit zehn Milliarden Massenpunkten unter Berücksichtigung der Dunklen Materie untersucht.
Oben: Die anteilige radiale Verteilung von Galaxien geringer Leuchtkraft im Virgo-Haufen unterscheidet sich in Abhängigkeit vom Galaxientyp: Ellipsen sind nahe des Haufenzentrums viel häufiger anzutreffen als Spiralgalaxien. Die gestrichelte Linie markiert, bis zu welcher Distanz die Daten vollständig sind.
Mitte: Die kosmologische Simulation Millennium-II liefert eine zur Galaxienverteilung in Haufen analoge Verteilung von Dunkle-Materie-Halos in heutigen Galaxienhaufen. Je nach erlittenem Massenverlust seit dem ersten Einfall in eine Galaxiengruppe ähnlich der heutigen Lokalen Gruppe wird nach hohem, mittlerem, sowie geringem Massenverlust unterschieden.
Unten: Die Verteilung von Dunkle-Materie-Halos zeigt erneut ein zum Virgo-Haufen analoges Verhalten, wenn zur Unterteilung anstelle des Massenverlusts die verbrachte Zeit innerhalb von Galaxiengruppen beziehungsweise -haufen verwendet wird.
Man erkennt, dass Galaxien einen zunehmend hohen Teil ihrer Dunklen Materie an den Haufen verloren haben, je dichter sie am Haufenzentrum liegen, und dabei auch eine größere Zeit in den Gruppen beziehungsweise Haufen zugebracht haben.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Projizierte Entfernung zum Haufenzentrum in Megaparsec
 
KASTEN ENDE


Simulationen veranschaulichen, wie solch ein Prozess vonstattengeht (siehe Grafik im Kasten): Rotierende Scheibengalaxien werden dabei ganz oder teilweise in Ellipsoide umgewandelt, die nicht mehr nur durch Rotation, sondern vielmehr durch die ungeordnete Bewegung ihrer Sterne geformt werden. Dass der Zusammenhang zwischen dem Abstand zum Zentrum und dem Massenverlust der Halos stärker ist als derjenige mit der strukturellen Einteilung der Galaxien (mittlere Grafik im Kasten), lässt darauf schließen, dass auch innerhalb einer Galaxienklasse noch eine Abstandsrelation existiert.

Galaxienhaufen beeinflussten die Vorläufer heutiger Zwerggalaxien
Die wesentliche Erkenntnis ist, dass heutige elliptische Zwerggalaxien in Galaxienhaufen bereits seit zehn Milliarden Jahren einen signifikanten Einfluss ihrer Umgebung erfahren. Schon damals befanden sie sich in Galaxiengruppen mit einer Masse, wie sie heute unsere Lokale Gruppe besitzt. Viele der damaligen Vorläufergalaxien besaßen aber vermutlich andere Eigenschaften als die heutigen sternbildenden Galaxien. So ist beispielsweise aus Aufnahmen mit dem Weltraumteleskop Hubble bekannt, dass es im damaligen Universum viel mehr klumpige Strukturen mit stark konzentrierter Sternentstehungsaktivität gab.

Hingegen haben Welteninseln, die sich derzeit in Gruppen befinden und denen noch nicht soviel Umgebungseinfluss widerfahren ist, einen anderen Entwicklungsweg genommen als die heutigen Haufengalaxien. Sternbildende Galaxien, wie wir sie jetzt beobachten, dürfen also nicht pauschal gleichgesetzt werden mit den Vorläufern der heutigen elliptischen Zwerggalaxien.

In der Grafik oben ist der Galaxieninhalt einer Galaxiengruppe des nahen Universums (blau) demjenigen des Virgo-Galaxienhaufens (rot) gegenübergestellt. Dies ist das Resultat eines Schulprojekts, in dem die Schülerinnen und Schüler selbstständig Galaxienklassen definiert und deren Vorkommen und Verteilung ausgewertet haben (siehe Literaturhinweis mit QR-Code). Der Vergleich zeigt, dass sternbildende Spiralgalaxien und irreguläre Galaxien deutlich häufiger in der Galaxiengruppe vorkommen, wohingegen im Haufen Galaxien ohne junge Sterne überwiegen. Letztere umfassen interessanterweise neben elliptischen auch Spiralgalaxien. Offenbar ging das Gasreservoir dieser Galaxien also auch ohne strukturelle Umwandlung verloren. Das kann unter anderem der Staudruck des heißen Plasmas bewirken, das massereiche Galaxienhaufen ausfüllt und von den Haufengalaxien auf ihrer Bahn durchflogen wird.

Weitere Forschungsergebnisse lassen darüber hinaus auch auf Korrelationen mit der großskaligen Umgebungsdichte schließen - also der Umgebung, in die eine Gruppe oder ein Haufen eingebettet ist. Galaxien besitzen umso ältere Sternpopulationen und scheinen umso weiter entwickelt zu sein, je größer diese Umgebungsdichte ist. Dies geht zurück auf die eingangs beschriebene Materieverteilung im Universum: Dort, wo schon früh die Massendichte hoch war, setzten merkliche Umgebungseinflüsse auch früher ein. Die heutigen Zwerggalaxien sind gewissermaßen ein Gesamtprodukt verschiedener Einflüsse im Lauf der Jahrmilliarden. Somit weist die heute beobachtete Verteilung unterschiedlicher Galaxientypen zwar auf eine Evolution von Scheiben- zu elliptischen Galaxien hin, aber beide sind ein Resultat von parallel stattfindenden Entwicklungen in unterschiedlichen Umgebungen.


Thorsten Lisker leitete von 2007 bis 2013 die Nachwuchs-Forschungsgruppe »Extragalaktische Astronomie« der Heidelberger Graduiertenschule für Fundamentale Physik. Am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg forscht er über Zwerggalaxien.

Simone M. Weinmann forscht seit acht Jahren im Bereich Galaxienentstehung und -entwicklung. Derzeit ist sie Postdoc an der Sternwarte Leiden in Holland.

Richard Preis leitet seit 2008 das Astronomische Lehrzentrum am Helmholtz-Gymnasium Heidelberg.



Literaturhinweise

Lisker, Th. et al.: Dwarf Galaxy Populations in Present-day Galaxy Clusters - II. The History of Early-type and Latetype Dwarfs. In: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 432, S. 1162-1177, 2013

Lisker, Th., Preis, R.: Die Welt der Galaxien selbst erforschen: Klassifizierung und Interpretation unterschiedlicher Galaxientypen und ihrer Verteilung.

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Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

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WiS in Sterne und Weltraum

»Die Welt der Galaxien selbst erforschen« bezieht sich auf die Meldung »Zwei Gaswolken in der Großen Magellanschen Wolke« und auf den Kurzbericht »Wodurch wird die Entwicklung von Zwerggalaxien bestimmt?«: Schüler können selbst die eindrucksvolle Vielfalt der Erscheinungsformen von Galaxien kennenlernen, indem sie vorliegende Galaxienbilder in eigene Klassen einteilen und dann deren Verteilung analysieren.
(ID-Nummer: 1156170)

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 26:
Die Simulation Millennium-II entstand auf einem Supercomputer in Garching. Sie visualisiert die Entwicklung des Kosmos mit zehn Milliarden Massenpunkten unter Berücksichtigung der Dunklen Materie. An den Knotenstellen der filamentartigen Struktur bilden sich Galaxienhaufen. Der gezeigte Ausschnitt hat eine Kantenlänge von rund 500 Millionen Lichtjahren und zeigt die Verhältnisse im lokalen Universum bei der Rotverschiebung z = 0.

Abb. S. 27:
Die Simulation zeigt eine Galaxie geringer Masse in einem Virgo-ähnlichen Galaxienhaufen auf einem Orbit (siehe Inset) nahe des Haufenzentrums. Die Galaxie wird sowohl vom Gezeitenfeld des Haufens beeinflusst als auch durch gelegentliche nahe Vorbeiflüge an massereichen Haufenmitgliedern, hier repräsentiert durch den schwarzen Punkt. Der Zentralbereich der simulierten Galaxie ist blau dargestellt, die Scheibe grün, der gebundene H alo rot, der ungebundene Halo violett und die ungebundene stellare Materie schwarz.

Abb. S. 28:
Die Grafik zeigt die anteilige Gegenüberstellung der Galaxientypen im Virgo-Haufen (rot) und in der Galaxiengruppe um NGC 5353 (blau). Die hier verwendete Einteilung der Galaxien ist mit Beispielbildern des Sloan Digital Sky Survey illustriert und wurde von den Schülerinnen und Schülern der Astronomie-Arbeitsgemeinschaft des Helmholtz-Gymnasiums Heidelberg im Jahr 2009 selbstständig definiert.


© 2013 Thorsten Lisker, Simone M. Weinmann, Richard Preis, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 10/13 - Oktober 2013, Seite 26 - 28
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2014