Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → ASTRONOMIE

INSTRUMENTE/326: Kosmische Strahlung - Neue Augen sehen besser (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 4/12 - April 2012
Zeitschrift für Astronomie

Kosmische Strahlung: Neue Augen sehen besser

Von Helmut Hetznecker



Woher kommt die kosmische Strahlung? Diese Frage ist fast ein Jahrhundert nach ihrer Entdeckung noch immer weitgehend offen. An Spekulationen mangelt es nicht, doch mit Hilfe einer neuen Kamera erhoffen sich Forscher nun handfeste Antworten.

Davon träumt man am CERN: Protonen und schwere Ionen, die mit dem Hundertmillionenfachen der am Large Hadron Collider (LHC) möglichen Energie gegen Stickstoff- und Kohlenstoffatome prallen. Für die Natur sind solch gigantische Beschleunigerexperimente ein Leichtes. Permanent stehen die Atome der oberen Schicht unserer Atmosphäre unter dem Beschuss von Teilchenstrahlung aus galaktischen und extragalaktischen Quellen mit hohen und höchsten Energien.

Wenige Rätsel der Wissenschaft harren ihrer Entschlüsselung derart lange wie die kosmische Strahlung. Der österreichische Astronom Victor Franz Hess wies die Existenz der »Höhenstrahlung«, wie er sie nannte, erstmals 1912 in einer Reihe von Messungen an Bord eines Ballons nach. Im letzten und entscheidenden seiner sieben Aufstiege erreichte er am 7. August mehr als 5300 Höhenmeter. Weil ihn die Höhenkrankheit überfiel, musste er den Flug zwar früher als geplant beenden, doch seine Strahlungsmessgeräte hielten die entscheidenden Daten fest.

Wie die Messungen schließlich zeigten, steigt die elektrische Leitfähigkeit der Luft in den Höhen der Atmosphäre deutlich an. Dies konnte nur bedeuten, dass eine wie auch immer beschaffene ionisierende Strahlung von außerhalb auf die Lufthülle der Erde treffen muss, die ihre Wirkung in tieferen Lagen mehr und mehr einbüßt.

Heutzutage weiß man mehr über die Natur dieser Strahlung. Zum größten Teil besteht sie aus Protonen und Elektronen, dazu aus Helium- und noch schwereren Atomkernen. Treffen die extrem energiereichen Teilchen der Strahlung auf die Atome der irdischen Lufthülle, passiert das, was Forscher im CERN jeden Tag mit großem Aufwand künstlich nachahmen: Die Energie der Stoßpartner wandelt sich in ganze Schauer Tausender oder Millionen von Sekundärteilchen, die vom Ort der Kollision fortrasen. Meist extrem kurzlebig, erreichen nur wenige dieser Teilchen die Erdoberfläche.

Magnetfelder lenken ab
Gerade die Tatsache, dass die Höhenstrahlung aus elektrisch geladenen Partikeln besteht, macht den Forschern das Leben schwer. Denn auf ihrer Reise durch den Kosmos begegnen die Teilchen Magnetfeldern und werden so auf komplizierte Bahnen gelenkt. Die Richtung, aus der die Teilchen letztlich auf die Erde treffen, verrät daher nichts über ihren tatsächlichen Ursprung. Gesichert ist immerhin, dass sowohl innerhalb unseres Milchstraßensystems als auch in anderen Galaxien mächtige Beschleuniger existieren müssen, die es schaffen, die beobachteten Teilchen auf ihre enormen Energien zu bringen. Mehr als 100 solcher kosmischer Beschleuniger innerhalb und jenseits der Milchstraße wurden in den vergangenen Jahren mit Hilfe von Tscherenkow-Teleskopen bereits gefunden. Weit mehr liegen noch im Verborgenen.

Noch heute findet die Erforschung der kosmischen Strahlung hoch über der Erdoberfläche entweder mit Ballon- oder mit Satellitenbeobachtungen statt. Lediglich solche Teilchen mit besonders hoher Energie, die entsprechend ausgeprägte Teilchenschauer auslösen, ermöglichen eine Beobachtung auch vom Erdboden aus. Was von den Bodendetektoren gemessen wird, sind allerdings weder die ursprünglich eintreffenden Teilchen der kosmischen Strahlung, noch deren Sekundärschauer.

Stattdessen nutzen spezielle Tscherenkow-Teleskope einen besonderen physikalischen Effekt: Rasen hochenergetische Teilchen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch ein Medium wie die Atmosphäre, kommt es zu einer kurzzeitigen Polarisation der Luftmoleküle. Kehren diese in ihren energetischen Grundzustand zurück, so geben sie Energie in Form eines blauen Lichtblitzes ab. Das blaue Licht aus dem Kühlwasser von Kernreaktoren rührt von genau diesem Effekt (siehe Bild S. 24 oben in der Druckausgabe). Weil in einem Reaktor kontinuierlich schnelle Elektronen in hoher Zahl freigesetzt werden, ist das Leuchten des Kühlwassers beständig. Anders das Tscherenkowlicht der Atmosphäre: Hier treten die Lichtblitze wegen der weit geringeren Anzahldichte der einfallenden kosmischen Teilchen eher vereinzelt auf. Lediglich wenige Milliardstel Sekunden dauern die entsprechenden Lichtsignale, die empfindliche Detektoren aufspüren müssen.

Erblindungsgefahr
Bisher litten Tscherenkow-Teleskope unter einem schwerwiegendem Mangel: Ihre extrem empfindlichen Detektoren ließen sich von hellem Umgebungs- oder Mondlicht nicht nur blenden, sondern wurden sogar dauerhaft unbrauchbar. Ein Handycap, dass nun dank einer technologischen Glanzleistung von schweizer und deutschen Wissenschaftlern überwunden ist. Bei ihrem neuen Detektor setzen die Forscher der ETH Zürich auf Halbleiterelemente, so genannte G-APDs (Geigermode Avalanche Photo Diodes), welche die früheren Photonenverstärker-Röhren ersetzen.

Der neue Detektor bietet einige Vorteile: Er reagiert weniger empfindsam auf helles Licht, besitzt eine variable Pixelgröße und er benötigt zum Betrieb keine Hochspannung. Die wichtigste Neuerung aber ist: Mit dem neuen Sensor lässt sich auch dann noch beobachten, wenn andere Geräte längst versagen, nämlich bei mondhellen Nächten. Dadurch steigt die nutzbare Zeit radikal an und mit ihr die künftig verfügbare Datenmenge.

Prototyp auf La Palma
Verwendung findet die neue Technologie nun in dem Tscherenkow-Teleskop FACT (First A-GPD Cherenkov Telescope), das in 2200 Metern Höhe auf der Insel La Palma errichtet wurde (siehe Bild Seite 22 der Druckausgabe). Dazu wurde ein bereits existierendes Teleskop mit dem neuen Detektor der schweizer Forscher ausgestattet. Die Universitäten Dortmund und Würzburg sowie EPF Lausanne steuerten neue Spiegel sowie eine verbesserte Steuerung bei. Pro Sekunde schafft das neue Schlachtschiff der Höhenstrahlungsforscher 100 Millionen bis 1 Milliarde Aufnahmen, mit denen sich die Tscherenkowblitze der Teilchenkaskaden in bestmöglicher Zeitauflösung erfassen lassen.

Bereits in der ersten Beobachtungsnacht, nur wenige Stunden nach Installation der Kamera und trotz Vollmond, zeichneten die beteiligten Forscher erste Lichtblitze auf (siehe Bild Seite 23 der Druckausgabe). In den kommenden Wochen soll der Betrieb von Kamera und Teleskop noch weiter optimiert werden, bevor es dann an den wissenschaftlichen Alltag geht. Die neue Technologie soll außerdem bald in weiteren Standorten rund um den Globus zum Einsatz kommen. Ziel der Forscher ist es, dem großen verbliebenen Geheimnis der kosmischen Strahlung beizukommen, der Frage nach ihrem Ursprung.

Helmut Hetznecker ist promovierter Astronom und Autor mehrerer Bücher. Er arbeitet heute als Wissenschaftsjournalist vor allem im TV-Bereich.

*

w i s - wissenschaft in die schulen

Was ist WiS?
Das Projekt Wissenschaft in die Schulen! wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die ihren naturwissenschaftlichen Unterricht mit aktuellen und praktischen Bezügen anschaulich und abwechslungsreich gestalten wollen - und an Schülerinnen und Schüler, die sich für Vorgänge in der Natur begeistern und ein tieferes Verständnis des Universums gewinnen möchten.
Um diese Brücke von der Wissenschaft in die Schulen zu schlagen, stellt WIS didaktische Materialien als PDF-Dokumente zur Verfügung (kostenloser Download von der Internetseite www.wissenschaft-schulen.de).

WiS in Sterne und Weltraum
Zu obigem Beitrag »Kosmische Strahlung - Neue Augen sehen besser« stehen zwei WiS-Materialien zur Verfügung:

  • »Kosmische Strahlung auch im Klassenraum und im Wohnzimmer« übt den Umgang mit der in der Teilchenphysik gängigen Einheit Elektronvolt. Einige Zahlenwerte werden mit Mitteln der Schulphysik und -mathematik nachgerechnet. Schließlich wird der Erfahrungsbericht eines Schülers über seinen selbst aufgebauten Detektor für kosmische Strahlung vorgestellt.
    Mit Hilfe der ID-Nummer 1051414 ist das Material auf der Seite www.wissenschaft-schulen.de/artikel/ID-Nummer als Download unter dem Link »Zentrales WiS!-Dokument« zugänglich.
  • »Kosmische Strahlung - mehr als nur eine Randerscheinung« behandelt die Partikel-Zusammensetzung der kosmischen Strahlung, die zu 85 Prozent aus Protonen, 12 Prozent aus Heliumkernen, 2 Prozent aus Elektronen und zu rund einem Prozent aus schweren Atomkernen besteht. Außerdem betrachten die Materialien, dass sich die Quellen der kosmischen Strahlung nicht aus den bisherigen Beobachtungen lokalisieren lassen. Eine quantitative Behandlung führt zu einer interessanten Anwendung der Lorentzkraft, die auf die geladenen Teilchen einwirkt.
    Dieses Material ist unter der ID-Nummer 1051517 zugänglich.

*


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Abb. S. 22:
    FACT, das »First G-APD Cherenkov Telescope« zeichnete erste Daten während der Vollmondnacht vom 11. Oktober 2011 auf. Sein Spiegel hat eine Fläche von 9,5 Quadratmetern. Im Hintergrund links sieht man den segmentierten Spiegel eines der riesigen MAGIC Tscherenkow-Teleskope mit 235 Quadratmetern Sammelfläche.
  • Abb. S. 23:
    Das Falschfarbenbild zeigt einen der ersten aufgenommenen Lichtblitze mit der neuartigen Kamera am Tscherenkow-Teleskope FACT. Es gelang trotz Vollmond. Einem Fliegenauge gleich bildet die Kamera 1440 Bildelemente ab.
  • Abb. S. 24 oben:
    Die Tscherenkowstrahlung lässt das Kühlwasser eines Reaktors blau aufleuchten. Auslöser sind extrem schnelle Elektronen, die aus den Brennstäben freigesetzt werden und Moleküle des Kühlwassers kurzzeitig polarisieren. Der Übergang der Moleküle in den Grundzustand geht mit der Aussendung eines Photons im blauen Licht einher.
  • Abb. S. 24 unten:
    Die fertiggestellte Kamera für die Fokalebene des FACT-Teleskops ist bereit zum Einbau. Die 1440 Detektorelemente weisen auf diesem Bild nach unten.


© 2012 Helmut Hetznecker, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

*

Quelle:
Sterne und Weltraum 4/12 - April 2012, Seite 22 - 24
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie), Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528 150, Fax: 06221/528 377
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de
 
Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012