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MELDUNG/045: Schwarzes Loch zerreißt Gaswolke (MPE)


Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik - 14.12.2011

Schwarzes Loch zerreißt Gaswolke


In den nächsten Jahren können Astronomen direkt beobachten, wie das supermassereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße gefüttert wird: Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik haben eine Gaswolke entdeckt, die in Richtung des Schwarzen Lochs im galaktischen Zentrum fällt. Die Forscher sehen bereits wie die Gaswolke durch die extreme Anziehungskraft des Schwarzen Lochs in die Länge gezogen wird; in den nächsten zwei Jahren wird die Gaswolke komplett zerrissen und schließlich vom Schwarzen Loch geschluckt werden, wodurch sich die Röntgenstrahlung stark erhöhen dürfte. Dies wird in einem Artikel in Nature beschrieben, der am 14. Dezember 2011 online veröffentlicht wird.

© MPE

In diesem zusammengesetzten Bild sind die Positionen der Gaswolke
2002, 2007 und 2011 farbig hervorgehoben. Das Kreuz bezeichnet die
Position des Schwarzen Lochs im galaktischen Zentrum.
© MPE

Langfristige Beobachtungen haben gezeigt, dass sich im Zentrum unserer Milchstraße ein Schwarzes Loch mit etwa 4,3 Millionen Sonnenmassen befindet. Als einziges supermassereiches Schwarzes Loch ist es nahe genug, um im Detail beobachtet zu werden, und die Sternbahnen rund um dieses Gravitationsmonster sind inzwischen sehr gut vermessen. Allerdings verhält sich dieses sehr extreme und interessante Objekt meist still und zeigt nur gelegentliche, kleine Strahlungsausbrüche. Schwarze Löcher an sich können keine Strahlung aussenden; die Emission entsteht aber, wenn Materie auf den Ereignishorizont zu fällt, sich aufheizt und potentielle Energie freisetzt.

Die sehr scharfen Bilder und detaillierten Beobachtungen des galaktischen Zentrums zeigten nun zum ersten Mal eine Gaswolke, die in die unmittelbare Nähe des Schwarzen Lochs gerät. Die MPE-Astronomen stellten fest, dass die Umlaufbahn der Wolke sehr exzentrisch ist; 2013 wird sie dem Schwarzen Loch mit einem Abstand von 40 Milliarden Kilometern am nächsten sein - astronomisch gesehen ein Katzensprung (1).

"Nur zwei Sterne sind dem Schwarzen Loch seit dem Beginn unserer Beobachtungen 1992 so nahe gekommen", erklärt Stefan Gillessen, Erstautor der Veröffentlichung über die Entdeckung und Analyse der Gaswolke. "Aber im Unterschied zu diesen Sternen - die bei den Vorbeiflügen keinen Schaden genommen haben - wird die Gaswolke komplett zerrissen werden, wenn die Gezeitenkräfte rund um das Schwarze Loch an ihr zerren. Dadurch sollte sich der Zustrom an Gas auf das Schwarze Loch deutlich erhöhen und damit auch die Strahlung, die von ihm ausgeht."

Die Gaswolke ist in allen langwelligen Infrarot-Bildern seit 2002 sichtbar und zeigt in den letzten drei Jahren bereits erste Auflösungserscheinungen. Je näher die Wolke dem Schwarzen Loch kommt - aktuell bewegt sie sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 2350 Kilometern pro Sekunde darauf zu - um so mehr wird sie mit dem heißen Gas in der Umgebung des Schwarzen Lochs wechselwirken und schließlich durch Turbulenzen zerstört werden.

"Da die Masse der Gaswolke um einiges größer ist als die Masse des heißen Gases in der Nähe des Schwarzen Lochs, wird die Akkretion nahe dem Ereignishorizont eine Zeit lang von der Wolke dominiert werden", erklärt Reinhard Genzel, Direktor am MPE und Leiter der Forschungsgruppe, die das galaktische Zentrum untersucht. "Wir werden sehr genaue Informationen über die physikalischen Bedingungen erhalten, die bei der Akkretion auf ein Schwarzes Loch eine Rolle spielen, da wir für die jetzt entdeckte Gaswolke die zur Verfügung stehende Masse vorher bestimmen konnten."

Aufgrund der langjährigen Beobachtungen bei vielen verschiedenen Wellenlängen können die Astronomen die Eigenschaften der Wolke genau messen. Ihre Temperatur beträgt etwa 550 Kelvin ( ∼ 280 °C) und ihre Dichte ist 300 Mal höher als die des umgebenden heißes Gases. Sie hat eine Gesamtmasse von etwa drei Erdmassen (1,7 · 1025 kg). Diese Informationen erlauben es den Wissenschaftlern die zeitliche Entwicklung der Form und der Geschwindigkeit der Wolke in einem Modell zu simulieren, wobei die Anziehungskraft des supermassereichen Schwarzen Lochs und die Wechselwirkung mit dem umgebenden heißen Gas die Hauptaspekte darstellen (siehe Animation unter: http://www.mpe.mpg.de/News/PR20111214/gcm_with_title.mpg).

Mithilfe dieser Simulation und hydrodynamischen Berechnungen können die Astronomen vorhersagen, dass die Temperatur der Gaswolke in der Nähe des Schwarzen Lochs sich rasch auf mehrere Millionen Kelvin (2) erhöhen sollte. Damit steigt auch die Röntgenemission an. In den Folgejahren könnte sich die Strahlung möglicherweise noch um ein Vielfaches und auch in anderen Wellenlängenbereichen erhöhen, wenn das Material der Wolke schließlich in das Schwarze Loch fällt.

"Detaillierte Beobachtungen der Strahlung aus dem galaktischen Zentrum geben uns in den nächsten Jahren die einmalige Gelegenheit, die Eigenschaften des Akkretionsflusses genau zu untersuchen und in Echtzeit zu verfolgen, wie das supermassereiche Schwarze Loch Materie schluckt", sagt Stefan Gillessen.



Anmerkungen:

1. Im Jahr 2013 wird der Abstand der Gaswolke zum Schwarzen Loch 36 Lichtstunden betragen (das ist 3100-mal die Größe des Ereignishorizonts). Dies entspricht etwa 250 Mal der Entfernung Erde-Sonne, wobei der Ereignishorizont des Schwarzen Lochs etwa 20 Mal so groß ist wie die Sonne.

2. Während die Gaswolke in Richtung des Schwarzen Lochs fällt, wird das heiße Gas um das Schwarze Loch eine Schockwelle auslösen, die die Wolke langsam verdichtet. Dies führt zu einer langsam wachsenden, dichten Hülle um das Innere der Gaswolke. Aufgrund der Gezeitenkräfte des Schwarzen Lochs wird die Wolke entlang ihrer Bewegungsrichtung auseinander gezogen, bis sie vollständig durch Instabilitäten an der Kontaktfläche aufgebrochen wird. Die Stoßwelle wird immer stärker, bis die Wolke den Punkt der Bahn erreicht, die dem Schwarzen Loch am nächsten liegt. Dadurch wird die Temperatur schnell auf vermutlich mehrere Millionen Kelvin ansteigen. Dies sollte zu erhöhter Emission führen, insbesondere im hochenergetischen Röntgenbereich.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 14.12.2011
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Giessenbachstraße 1, 85748 Garching
Telefon: +49 89 30000-0, Fax: +49 89 30000-3569
E-Mail: mpe@mpe.mpg.de
Internet: www.mpe.mpg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2011