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PLANET/525: Exoplaneten - Anzahl anhand von Keplers Kandidaten (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 8/13 - August 2013
Zeitschrift für Astronomie

Exoplaneten: Anzahl anhand von Keplers Kandidaten

Von Elena Sellentin



Die Zahl nachgewiesener Exoplaneten liegt mittlerweile bei knapp 900, in den Messwerten des Satellitenobservatoriums Kepler wurden jedoch schon weitere 3216 Kandidaten ausgemacht. Wie verlässlich sind Aussagen zur Häufigkeit und zu Eigenschaften solcher fernen Welten, die nur anhand der Planetenkandidaten getroffen werden? Und wie funktioniert diese Methode?


Das Weltraumteleskop Kepler überwacht seit Mai 2009 die Helligkeit von rund 150.000 Sternen im Sternbild Schwan. Seine Messwerte veröffentlicht die NASA quartalsweise im Internet. Seit Oktober 2012 sind diese Daten nun ohne Einschränkung für Forscher aus aller Welt zugänglich. Der letzte Schwung neuer Messungen wurde im Juni 2013 herausgegeben und erhöhte die Zahl der Planetenkandidaten auf 3216. Das Teleskop hatte damit bis dato überaus erfolgreich gearbeitet.

Die Hiobsbotschaft kam dann bei einer routinemäßigen Datenabfrage am 14. Mai 2013: Es zeigte sich, dass Kepler in einen Sicherheitsmodus eingetreten war. Dies ist eine vorprogrammierte Verhaltensweise des Satelliten, wenn der Bordcomputer feststellt, dass das Teleskop nicht mehr exakt auf sein Beobachtungsziel im Sternbild Schwan zeigt. In diesem Modus stellt Kepler alle Beobachtungen ein und orientiert seine Solarzellen in Richtung Sonne, um die Energieversorgung sicherzustellen. Gleichzeitig wartet der Bordcomputer auf Instruktionen der Bodenstation.

Die Auswertung der Telemetriedaten ergab, dass Drallrad Nr. 4 nicht mehr arbeitet. Drallräder sind schnell rotierende Kreisel, die dazu dienen, einen Satelliten oder eine Raumsonde in den drei Raumachsen exakt zu positionieren. Dafür sind mindestens drei Kreisel erforderlich. Bei Kepler war allerdings schon im Vorjahr Drallrad Nr. 2 ausgefallen, so dass nun nur noch zwei funktionstüchtige Steuerkreisel zur Verfügung stehen. Sie reichen aber nicht aus, um Kepler mit der erforderlichen Genauigkeit im All auszurichten. Der Weiterbetrieb ist so nicht mehr möglich und das Ende der Mission scheint gekommen.

Derzeit befindet sich Kepler im so genannten Point Rest Mode, bei dem der Satellit mit gelegentlichen Feuerstößen der Bordtriebwerke grob ausgerichtet wird. Dies gewährleistet, dass Sonnenlicht auf die Solarzellen fällt und die Kommunikationsantenne Kontakt mit der Erde hält. Auf diese Weise könnte Kepler noch mehrere Jahre überdauern. Dadurch erhalten die Missionskontrolleure die Möglichkeit, neue Strategien zum Betrieb des Weltraumobservatoriums auszuarbeiten.

Bereits im Mai 2013 wurde eine Arbeitsgruppe mit der Bezeichnung »Anomaly Response Team« gebildet. Sie ist nun dabei, eine Reihe von Tests auszuarbeiten, mit denen sich die Probleme der beiden abgeschalteten Drallräder eingrenzen lassen. Mitte Juni waren bereits einige Tests vorbereitet und es bestand immer noch die Hoffnung, wenigstens eines der Drallräder zu reaktivieren.


Kuiper Objects of Interest
Die Anzahl aller bisher mit Kepler entdeckten potenziellen Planeten - den Kuiper Objects of Interest (KOI) - ist nun 3216. Ein noch bescheidener Anteil von 105 dieser Kandidaten ließ sich bislang durch weitere Beobachtungen als Planet bestätigen. In 801 Fällen enttarnte eine tiefergehende Analyse andere Kandidaten hingegen als Täuschung. Mit welcher Zuverlässigkeit lässt sich also aus der Bekanntgabe neuer Planetenkandidaten auf die Existenz ferner Welten schließen?

Im Blickfeld von Kepler befinden sich nicht nur die überwachten 150.000, sondern auch eine halbe Million weiterer Sterne, die das Überwachungssystem aus Teleskop und Software zu ignorieren versucht. Dies gelingt nicht immer mit Erfolg, denn diese anderen Sterne können durch eine Vielzahl von Effekten Planeten dort vorgaukeln, wo in Wahrheit gar keine sind.

Zieht ein Planet vor seinem Zentralgestirn vorbei, so dunkelt er dieses ein wenig ab. Diese Helligkeitsschwankungen registriert Kepler. Eine periodische Leuchtkraftverminderung wird bei der Auswertung der Beobachtungen per Computer als Planetenkandidat interpretiert. Weil ein Planet umso mehr Licht blockiert, je größer er ist, lassen sich aus Keplers Lichtkurven auch die Größen der Planeten bestimmen.

Leider werden solche periodischen Helligkeitsveränderungen im Keplerfeld nicht nur von Planeten hervorgerufen, sondern beispielsweise auch von weiter entfernten und deswegen nicht aufgelösten Bedeckungsveränderlichen: Verdecken sich in einem solchen Doppelsternsystem die beiden Sterne bei ihrer gegenseitigen Umrundung, so erreicht Kepler weniger Licht als zu jenen Phasen, da die beiden Sterne nebeneinander stehen. Ein Weißer Zwerg, der einen anderen Stern umrundet und dessen Licht abschirmt, könnte sogar als Kandidat für einen erdgroßen Planeten klassifiziert werden. Weiße Zwerge haben nämlich ungefähr die Größe der Erde und decken deswegen auch einen vergleichbar großen Teil der Oberfläche ihres Partnersterns ab - eben wie eine vermeintliche zweite Erde.

Doch die häufigste Fehlerquelle bei der Auswertung von Keplers Daten sind Riesenplaneten, die einen unaufgelösten Nachbarstern statt den von Kepler überwachten Stern umkreisen. Das Transitsignal dieser Planeten wird dann dem falschen Stern zugeordnet und auch die Größe des Planeten wird unterschätzt. Da der Riesenplanet einen leuchtschwachen und deswegen übersehenen Stern umkreist, produziert er ein schwaches Transitsignal. Er gaukelt damit die Passage eines sehr viel kleineren Planeten vor dem leuchtkräftigen Stern vor.


Kandidaten verifizieren
Auf dem Weg zur Bestätigung eines Planetenkandidaten müssen Exoplanetenjäger ergänzende astronomische Beobachtungen durchführen, um die Ursache der Helligkeitsschwankungen zu identifizieren. Dazu benutzen sie beispielsweise Teleskope, die Spektren der helligkeitsveränderlichen Sterne aufnehmen. Ein Weißer Zwerg würde sich in solch einem Spektrum durch seine eigene Strahlung sofort verraten. Erst wenn es gelingt, alle an deren physikalischen Mechanismen, die zur periodischen Helligkeitsveränderung eines Sterns führen können, auszuschließen, gilt ein Planetenkandidat als verifiziert. Diese zusätzlichen Beobachtungen sind jedoch sehr zeitaufwändig. Sie ließen sich bisher nur für wenige der mehr als 3200 Sterne durchführen, bei denen Kepler Helligkeitsschwankungen feststellte.

Astronomen nutzen deswegen bereits die Daten der Planetenkandidaten zu statistischen Aussagen über die Eigenschaften und zu Extrapolationen bezüglich der Existenz weiterer Exoplaneten. Wird dieses Verfahren präzise durchgeführt, so lassen sich durchaus verlässliche Aussagen treffen.

François Fressin vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, Massachusetts, und sein Team haben sich nun dieses Verfahrens erneut angenommen. Sie errechneten, wie viele der von Kepler gefundenen Planetenkandidaten sich bei näherem Hinsehen wohl als Täuschung erweisen werden. Dazu simulierten sie die verschiedenen Szenarien, die einen Planeten vorgaukeln können, und testeten, ob diese durch die Auswerteprogramme als Planetenkandidat interpretiert würden. Sie fanden dabei, dass sich im Mittel hinter ungefähr neun Prozent aller von Kepler registrierten Planetenkandidaten keine echten Planeten verbergen (siehe linke Grafik auf S. 21). Bei erdgroßen Planetenkandidaten würden sich sogar zwölf Prozent als Fehlalarm entpuppen.

Doch wer Statistik über die Häufigkeit von Exoplaneten betreiben will, muss nicht nur fälschliche Planetenkandidaten enttarnen, sondern auch beachten, dass Kepler die meisten Exoplaneten prinzipiell gar nicht nachweisen kann. Denn nur in den wenigsten Fällen liegt die Umlaufbahn eines Planeten so günstig, dass er von der Erde aus gesehen vor seinem Stern vorbei zieht. Diese Effekte lassen sich jedoch berechnen. So lässt sich aus der Zahl der Sterne, die einen Transit aufweisen, auch ableiten, wie viele weitere Sterne Planeten mit ungünstig liegenden Umlaufbahnen besitzen. Zieht man von Keplers Planetenkandidaten also alle fälschlichen ab und rechnet die nicht nachweisbaren Planeten hinzu, so folgt daraus eine Abschätzung für die tatsächlich vorhandene Zahl von Planeten in Keplers Blickfeld.


Planeten um jeden zweiten Stern
Das Ergebnis der Forschergruppe um Fressin zeigt einmal mehr, dass unser Sonnensystem keine Sonderrolle im Universum spielt: Ihrer Untersuchung zufolge, die sich auf Planeten mit einer Umlaufdauer von maximal 85 Tagen erstreckt, hat jeder zweite Stern einen Planeten (siehe Kasten). Gut 16 Prozent aller Sterne im Sichtfeld von Kepler werden von einem erdgroßen Planeten mit dieser kurzen Umlaufdauer umrundet. Für Planeten mit längeren Umlaufzeiten ließen sich bisher noch nicht genügend Transits beobachten, so dass sich zu diesen keine statistisch signifikanten Aussagen treffen lassen. Dies ist jedoch ein Problem, das sich durch fortgesetzte Beobachtungen teilweise von alleine lösen würde.

Kepler: Falsche Kandidaten und Vorkommen
Vorausrechnungen zur Glaubwürdigkeit der Planetenkandidaten in den Keplerdaten zeigen auf, wie viele der Kandidaten sich durch Nachfolgebeobachtungen als Täuschung erweisen würden (linke Grafik). Hinter zwölf Prozent aller erdgroßen Planetenkandidaten sollten sich keine echten Planeten verbergen. Bei vermeintlichen Super-Erden und kleinen Neptunen sollten sich nur rund neun beziehungsweise rund sieben Prozent als Fehlalarm entpuppen. Bei großen Neptunen und Riesenplaneten ist die Fehlerrate jedoch am höchsten: Hier werden wohl bis zu 18 Prozent aller transitähnlichen Signale fälschlicherweise auf Planeten zurückgeführt.
Der neuesten Statistik zufolge haben 16 Prozent der Sterne in Keplers Blickfeld einen erdgroßen Planeten (rechte Grafik). 20 Prozent haben eine Supererde oder einen kleinen Neptun. Große Neptune und Gasriesen sind viel seltener: Nur zwei von hundert Sternen werden von solch einem Riesenplaneten umrundet. Dies gilt für Exoplaneten mit Umlaufzeiten von maximal 85 Tagen.
Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.


Die Missionsdauer des 2009 gestarteten Weltraumteleskops war auf dreieinhalb Jahre ausgelegt, im November 2012 hatte die NASA die Mission um bis zu vier Jahre bis 2016 verlängert. Dies geschah allerdings unter der Voraussetzung, das keine gravierenden technischen Probleme auftreten. Nun bleibt abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt.


Elena Sellentin schrieb ihre Masterarbeit auf dem Gebiet der Planetenentstehung. Inzwischen promoviert sie am Institut für Theoretische Physik in Heidelberg über Kosmologie und ist am Haus der Astronomie aktiv.


Literaturhinweis
Fressin, F. et al.: The False Positive Rate of Kepler and the Occurence of Planets. In: The Astrophysical Journal 766, 81, 2013


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Mit seinen 42 CCD-Detektoren überwachte das Satellitenobservatorium Kepler von Mai 2009 bis Mai 2013 permanent rund 150.000 Sterne in einem Feld im Sternbild Schwan nahe der Ebene der Milchstraße.

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Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

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WiS in Sterne und Weltraum

Zu dem Artikel sind zwei WIS-Beiträge empfehlenswert:

»Wie man Exoplaneten entdecken kann« Die Vorstellung, dass Planeten bei anderen Sternen existieren, ist faszinierend. Das Aufspüren der extrasolaren Planeten basiert auf Begriffen und Zusammenhängen, beispielsweise Schwerpunkt, Dopplereffekt, oder 3. keplersches Gesetz, die sich im Rahmen der Schulphysik gut vermitteln lassen. Das Material stellt die indirekten Methoden des Planetennachweises mit Hilfe von kleinen Experimenten und Modellen vor.
(ID-Nummer: 1051519)

»Einblicke ins Familienalbum der Exoplaneten« Mit den wenigen Daten, die bisher über Exoplaneten bekannt sind, lassen sich physikalische Betrachtungen anstellen, die mit Mitteln der Schulphysik durchgeführt werden können. Bei diesem Projekt geht es darum, die fernen Welten etwas begreifbarer zu machen.
(ID-Nummer: 1051518)


© 2013 Elena Sellentin, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 8/13 - August 2013, Seite 20 - 22
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2014