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PLANET/541: Neptunmond Naiad - wiederentdeckt nach 20 Jahren (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 1/14 - 2014
Zeitschrift für Astronomie

Kurzberichte
Neptunmond Naiad - wiederentdeckt nach 20 Jahren

Von Jan Hattenbach



Auf Archivaufnahmen des Weltraumteleskops Hubble fanden Astronomen einen neuen und einen alten Mond - letzteren am falschen Ort.


Astrofotografen ist die Methode wohlvertraut: durch Überlagern mehrerer Einzelbilder des selben Himmelsareals steigt das Signal-zu-Rauschverhältnis der Aufnahme. Lichtschwache Objekte werden sichtbar, die auf den Einzelbildern nicht zu erkennen sind. Mark Showalter vom SETI-Institut in Mountain View, Kalifornien, und sein Team nutzten das Verfahren mit alten Hubble-Bildern des Neptunsystems aus dem Jahr 2004. Sie entdeckten auf diese Weise einen neuen Neptunmond und fanden einen verschollenen Mond wieder. Die Forscher mussten allerdings tief in die Trickkiste greifen, um aus den acht zur Verfügung stehenden, jeweils fünf Minuten lang belichteten Einzelbildern eine »tiefe« (also zu dunkleren Objekten reichende) 40-Minuten-Aufnahme zu gewinnen. Die inneren Neptunmonde bewegen sich schließlich in nur wenigen Stunden um ihren Mutterplaneten und erscheinen auf der kombinierten Aufnahme als lang gezogene Striche. Erst als die Forscher die bekannte Bewegung des Neptunmondsystems durch eine rechnerische Deformation der Kamera-Pixelmatrix korrigierten, erschien ein neuer Punkt mit einer Helligkeit von gerade einmal 26,5 mag.

Dieser Lichtfleck war bis dahin unbekannt. Das Forscherteam stellte ihn im Juli 2013 offiziell als 14. Neptunmond der Öffentlichkeit vor. Seine vorläufige Bezeichnung ist S/2004 N1, einen Namen hat er noch nicht. Im Oktober schließlich verkündete Showalter auf der Jahrestagung der Planetary Sciences Division (PSD) der American Astronomical Society in Denver, dass bei der genaueren Untersuchung des Datensatzes auch der im Jahr 1989 beim Vorbeiflug der Raumsonde Voyager 2 entdeckte Mond Naiad zu erkennen ist. Naiad war seither nicht mehr gesichtet worden. Im Vergleich zum neu entdeckten S/2004 N 1 (Durchmesser rund 18 Kilometer) ist die irregulär geformte Naiad mit bis zu 96 Kilometer Seitenlänge zwar deutlich größer, aber schwieriger zu beobachten. Er kreist als innerster bekannter Mond in einem Abstand von gerade einmal 23.600 Kilometern über Neptuns Wolkenoberfläche und wird von dessen Glanz auf erdgebundenen Aufnahmen hoffnungslos überstrahlt. Beide Monde - Naiad und S/2004 N1 - gehören zu den so genannten regulären inneren Monden des Neptunsystems. Sie umkreisen den Planeten im Gegensatz zu den äußeren irregulären Monden in prograder Umlaufrichtung, also rechtläufig, mit gleichen Rotationssinn wie Neptun, innerhalb der Äquatorebene.

Zur großen Überraschung fanden die Forscher Naiad nicht an ihrer aus den Voyager-Daten extrapolierten Position. Die Raumsonde hatte im Jahr 1989 nur eine Woche lang Daten sammeln können, aus denen die Umlaufbahn des Mondes berechnet wurde. Diese recht kurze Zeitspanne bedingt eine bedeutende Unsicherheit für die berechnete Position 24 Jahre später: Selbst ein kleiner Fehler kann sich über den langen Zeitraum zu einer großen Abweichung aufgebaut haben. Die Abweichung auf den Hubble-Bildern war jedoch deutlich größer als erwartet - um 80 Grad eilte Naiad ihrer berechneten Position voraus. »Es werden weitere Untersuchungen nötig sein, um herauszufinden, was mit Naiads Umlaufbahn los ist«, meint Showalter. Die Hubble-Bilder erlauben es nun, die alten Daten der Raumsonde neu zu analysieren.

Möglich ist aber auch, dass Naiads Orbitalgeschwindigkeit durch gravitative Wechselwirkungen mit den übrigen Monden vergrößert wurde. Solche Wechselwirkungen sorgen auch dafür, dass die Umlaufzeiten der Jupitermonde Io, Europa und Ganymed in einem festen Zahlenverhältnis von 1 : 2 : 4 zueinander stehen, also eine Resonanz aufweisen. »Im Neptunmondsystem haben wir noch keine vergleichbaren Resonanzen gefunden. Solche Wechselwirkungen sind aber schwierig zu entdecken, solange wir die Monde nicht über eine längere Zeit verfolgen können«, so Showalter. »Leider ist Naiad extrem schwierig zu beobachten, selbst mit Hubble.«

Neptuns Ringe verändern sich

Zur Wiederentdeckung eines verschollenen Monds am falschen Ort gesellt sich noch eine weitere interessante Beobachtung: Auch Neptuns dünne Ringe zeigen deutliche Zeichen der Veränderung. Entdeckt wurde das Ringsystem im Jahr 1984 von einem europäischen Astronomenteam am La-Silla-Observatorium der Europäischen Südsternwarte in Chile. Bei ihrem Vorbeiflug lichtete Voyager 2 mehrere Ringbögen (so genannte arcs) im äußeren Adams-Ring ab, die offenbar nicht stabil sind.

Bereits 2004 hatte man mit dem Keck-Teleskop auf Hawaii einen Helligkeitsverlust der Bögen festgestellt. Diese erdgebundenen Beobachtungen fanden allerdings im Methan-Band statt und erlaubten keinen direkten Vergleich mit den optischen Voyager-Bildern. Das ist dank der ebenfalls im optischen Spektralbereich entstandenen Aufnahmen von Hubble nun möglich. Es zeigt sich, dass einer der Knoten praktisch verschwunden ist, und die Helligkeit zweier weiterer erheblich abgenommen hat.

Wie sich die Knoten bildeten und warum sie über mehrere Jahrzehnte existierten, ist immer noch unklar. Die Gesetze der Himmelsmechanik lassen erwarten, dass sich derartige Störungen in planetaren Ringsystemen in kurzer Zeit auflösen und sich die Staubteilchen gleichmäßig entlang des Rings verteilen. In Anbetracht dieser offenen Fragen wird deutlich, dass über zwei Jahrzehnte nach der ersten und bisher einzigen Stippvisite einer Raumsonde bei Neptun eine neue Mission zu dem fernen Gasriesen mehr als wünschenswert ist.


Jan Hattenbach ist Physiker und an der Sternwarte der Volkshochschule Aachen tätig. In seinem Blog »Himmelslichter«, zu finden unter www.scilogs.de/kosmologs, schreibt er über alles, was am Himmel passiert.

Literaturhinweis

Showalter, M. R. et al.: SETI Institute Press Release 8.10.2013


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»Die Planetenatmosphären - Ordnung und Chaos« bezieht sich auf den Artikel »Neptunmond Naiad - wiederentdeckt nach 20 Jahren«: Stürme, Winde, Tief- und Hochdruckgebiete - aus Sicht eines lokalen Beobachters scheinen diese Phänomene rein zufällig aufzutreten. Aus astronomischer Perspektive erkennt man jedoch typische Verteilungsmuster für Drücke und Gasströmungen in den Atmosphären der Planeten, die man auch mit den Mitteln der Schulphysik analysieren und verstehen kann.
(ID-Nummer: 1156159)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 20:
Das innere Neptunsystem, abgelichtet mit der Wide Field Camera 3 des Weltraumteleskops Hubble, zeigt sich hier mitsamt des neu entdeckten Monds S/2004 N1 und der wiederentdeckten Naiad. Der siebte der bekannten regulären Monde, Despina, befand sich zum Zeitpunkt der Aufnahme zu nah an Neptun und wurde von diesem überstrahlt. Das Neptunbild ist nachträglich einkopiert - denn der Planet ist in Wahrheit millionenfach heller als die schwachen Monde und wurde durch eine Maske ausgeblendet.

Abb. S. 21:
Die Hubblebilder enthüllen auch die beiden hellsten Ringe des Neptun: den Adams-Ring mit seinen markanten Lichtknoten (Bögen) und den Leverrier-Ring. Naiad kreist innerhalb des Leverrier-Rings und knapp außerhalb des (hier nicht sichtbaren) Galle-Rings.


© 2014 Jan Hattenbach, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 1/14 - Januar 2014, Seite 20 - 21
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2014