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STERN/175: Leuchtende Dunkelwolken (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 9/11 - September 2011
Zeitschrift für Astronomie

Leuchtende Dunkelwolken
Wie Staubteilchen in Sternentstehungsgebieten schon früh zu wachsen beginnen

Von Jürgen Steinacker


So wie schwebende Wassertröpfchen unseren Blick auf die Umwelt trüben, vernebeln auch winzige Festkörper unsere Sicht auf entstehende Sterne und Planeten. Jedoch geben diese Staubteilchen - im infraroten Licht betrachtet - überraschende Einblicke in die faszinierenden ersten Schritte zu neuen Sonnensystemen.


In Kürze
Sterne entstehen in den dichtesten Kernen riesiger Wolken aus molekularem Gas, das mit einer geringen, aber optisch sehr wirksamen Menge an Staubkörnern durchsetzt ist.
Staubkörner behindern die Erforschung der Sternentstehung erheblich, aber sie spielen auch eine Schlüsselrolle bei der Bildung neuer Himmelskörper.
Ein neu entdeckter Effekt, das Leuchten der Wolkenkerne im nahen Infrarot, zeigt: Schon lange vor Einsetzen der Sternbildung beginnen die Staubkörner in den Wolkenkernen zu wachsen.

So widersprüchlich wie der Titel dieses Artikels ist auch die Rolle jener eher unscheinbaren Verunreinigung des interstellaren Raums, die auch auf der Erde mitunter Unbill erzeugt: die kleinsten Teilchen fester Materie, der interstellare Staub. Während das Gas in den Sternentstehungsgebieten von den leichten Elementen Wasserstoff und Helium dominiert wird, bestehen die überall dem interstellaren Gas beigemischten, typischerweise nur 1/10.000 Millimeter oder 0,1 Mikrometer großen Staubkörner vornehmlich aus Silikaten und Kohlenstoff. Das macht sie zu hochwirksamen Absorbern für sichtbares Licht und damit zum Feind aller Astrophysiker, die einen ungetrübten Blick auf ihre »Sternenkinder« bevorzugen.

Der Grund für die Anhäufung von Staub in den Sternentstehungsgebieten ist einfach: Das zur Bildung von Sternen erforderliche Reservoir an Gas muss in der Umgebung der Protosterne in großen Mengen bereit liegen, um in endlicher Zeit zum Aufbau der neuen Sterne beitragen zu können. Dies führt unvermeidlich auch zu einer großen Ansammlung der überall im Gas vorhandenen Staubkörner - und schon verschwindet im sichtbaren Licht das Innere der Sternentstehungsgebiete vollständig aus den Teleskopaufnahmen der Astronomen, wie auch das Licht der Sterne dahinter.

Solche Dunkelwolken kommen in der Milchstraße in großer Zahl vor und machen beachtliche 50 Prozent der in Form von Protonen und Neutronen vorliegenden Gesamtmasse unserer Galaxis aus. Die größten dieser Dunkelwolken enthalten mehr als 100.000 Sonnenmassen an Gas, der Anteil des Staubs liegt bei einem Prozent. Weil das Gas in den Wolken aufgrund der in ihrem Innern herrschenden hohen Dichte und tiefen Temperatur (etwa zehn Kelvin oder -263°C) in molekularer Form vorliegt, werden sie Riesenmolekülwolken genannt.


Durchblick im Linienwald

Ganz so dunkel sind die Dunkelwolken allerdings nicht, selbst wenn in ihren dichtesten Gebieten noch keine Sternentstehung begonnen hat. Einige der Moleküle ändern ihren Energiezustand, zum Beispiel ihre Rotation, und senden dabei in eng begrenzten Wellenlängenbereichen Strahlung aus. Einige dieser Emissionslinien liegen in einem Spektralbereich, in dem die Strahlung ungehindert nach außen dringen und so von den Astronomen mit weltraum- oder bodengestützten Teleskopen gemessen werden kann. Da die Strahlung empfindlich von der lokalen Umgebung abhängt, trägt sie uns viele Informationen über diese Umgebung zu - nur leider können wir sie noch nicht vollständig entschlüsseln.

Je nach Position der Moleküle in der Wolke, ihrer lokalen Häufigkeit, ihrer Geschwindigkeit und ihrem chemischen und physikalischen Zustand variiert die Form und Wellenlänge der Emissionslinien. Computerprogramme, die aus der Linienstrahlung auf die physikalischen Größen wie Temperatur, Dichte und Bewegungszustand innerhalb der Wolke schließen können, befinden sich derzeit allenfalls in der Entwicklung, sie haben aber mit der erheblichen Komplexität der beobachteten Dichtestrukturen zu kämpfen: Die Wolken besitzen zumeist die Form von Filamenten mit zahlreichen Verästelungen und Knoten, und in ihrem Innern führt das Gas turbulente Bewegungen aus. Da man im Licht vieler Linien durch die gesamte Wolke hindurchsehen kann, sieht man die Emission zudem nur in der Projektion auf die Himmelsebene, man erhält also keine Information über die räumliche Struktur der Wolke.


Staub als «Messsonde»

Wenn eine Analyse der Emission der Gasmoleküle in den dichten sternbildenden Wolken so schwierig ist, welche anderen Möglichkeiten bieten sich dem Astrophysiker heute, um herauszufinden, wie die allerersten Phasen der Sternentstehung verlaufen? Es ist ausgerechnet der bei optischen Wellenlängen so ungeliebte Staub, der hier weiterhilft.

Der Staub in der Dunkelwolke wird durch die Strahlung nahe gelegener Sterne aufgeheizt, die absorbierte Energie gibt er entsprechend seiner erreichten Temperatur in Form von Wärmestrahlung wieder ab. Wenn der Staub einem ultravioletten Strahlungsfeld ausgesetzt ist, kann er auf viele hundert Kelvin aufgeheizt werden und strahlt dann sogar im sichtbaren Licht. Dieser Fall tritt in späteren Phasen der Sternentstehung auf, zum Beispiel am Innenrand der Gas- und Staubscheibe, die einen jungen Stern umgibt. Bei den von außen beleuchteten Dunkelwolken hingegen liegen die Temperaturen der Staubkörner auch in den Randbereichen meist unter 20 Kelvin, sodass die thermische Emission der festen Teilchen erst im fernen Infrarot messbar wird.

Glücklicherweise absorbieren (und reflektieren) die Staubteilchen, solange sie deutlich kleiner als die Wellenlänge des Lichts sind, weniger effizient. Bei einer typischen Staubkorngröße von einem Zehntel Mikrometer ist damit im fernen Infrarot, also bei Wellenlängen der Größenordnung 100 Mikrometer, ein ungehinderter Blick auf die gesamte Wolke - und nicht bloß auf ihre Oberfläche - garantiert. Die Nachteile der »Messsonde Staub« liegen hier in der störenden Emission der Erdatmosphäre im fernen Infrarot, die manchmal den Einsatz teurer Weltraumteleskope erfordert, sowie in der schlechteren räumlichen Auflösung im Vergleich zu Aufnahmen bei kürzeren Wellenlängen (die Auflösung der Teleskope nimmt mit zunehmender Wellenlänge des verwendeten Lichts ab). Schließlich sind unsere Kenntnisse von den physikalischen Eigenschaften des interstellaren Staubs noch ungenügend.


Pränatales Rätselraten

Unser Bild von den allerersten Anfängen der Entstehung von Sternen und Planeten gleicht noch immer demjenigen eines 5000-Teile-Puzzles, bei dem wir gerade einmal die einfacher zu identifizierenden Randteile zusammensetzen konnten - und das obwohl dieses Forschungsfeld seit Jahrzehnten ein Hauptarbeitsgebiet der Astrophysik ist, mit zahlreichen Beobachtungskampagnen an allen verfügbaren Teleskopen.

Bei den späteren Phasen der Sternentstehung und der daraufhin einsetzenden Planetenbildung zeichnet sich schon eher ein allgemein akzeptiertes Lehrbild ab, da sich diese Phasen besser beobachten lassen. Nachdem sich ein erster Protostern gebildet hat, strömt Gas auf ihn ein und bildet dabei auf Grund der Erhaltung des eingebrachten Drehimpulses eine abgeflachte Verteilung um den Protostern, die man Akkretionsscheibe nennt. Die im Gas dieser Scheibe eingebetteten Staubteilchen sinken infolge der lokalen Schwerkraft zu deren Äquatorebene herab und bilden dort eine dichte Schicht, in der sie wachsen und zu Keimzellen von Planeten werden. Allerdings ist das Wachstum submillimetergroßer Staubkörner zu größeren Körpern noch weitgehend unverstanden.

Im Dunklen liegen die noch früheren Phasen, in denen die dichten Molekülwolkenkerne kollabieren und zunächst Protosterne bilden. Mittlerweile hat man Gravitation, thermischen Gasdruck, Magnetfelder, turbulente Gasbewegungen und Strahlungstransport als die wesentlichen physikalischen Effekte identifiziert, die den Kollaps steuern. Doch wodurch wird dieser Kollaps eingeleitet, und was steht einem Kollaps zunächst entgegen - sind es äußere Einflüsse wie die großräumigen Gasturbulenzen und Sternwinde, oder sind es eher interne Prozesse, wie etwa die langsam zerfallenden Magnetfelder im Innern der Wolken?

Diese Unsicherheiten spiegeln sich in unserer Unkenntnis der Zeiträume wider, in denen die Kerne der Molekülwolken stabil existieren können, bevor sie beginnen, Sterne zu bilden. Beispielsweise zeigen im nahegelegenen Pfeifennebel etwa 95 Prozent aller dichten Wolkenkerne keinerlei Anzeichen von Sternbildung (siehe das Bild auf S. 44-45 in der Printausgabe). Insgesamt wird die Dauer dieser prästellaren Phase für Wolkenkerne, die sonnenähnliche Sterne bilden, auf eine bis mehrere Millionen Jahre geschätzt. Ganz anders verhalten sich die dichten Wolkenkerne, die ausreichend Materie angesammelt haben, um die massereicheren Sterne mit mehr als zehn Sonnenmassen zu bilden. Die bisherigen Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass für diese Wolkenkerne keine prästellare Phase existiert - sie bilden Sterne, sobald sie selbst entstanden sind, und vielleicht schon während ihrer eigenen Entstehung durch Akkretion von Gas und Staub aus der Umgebung.


KASTEN

Der Kampf mit der Projektion: Dreidimensionale Modellierung des Strahlungstransports

Ausgerechnet die räumliche Verteilung der Strahlung, welche die Information über die astronomischen Objekte zu uns trägt, ist die mit Abstand am schwierigsten zu bestimmende Grundgröße in der Astrophysik, wenn das Strahlungsfeld noch im untersuchten Objekt modifiziert wird. Das ist zum Beispiel in einer ausgedehnten Staubwolke der Fall. Andere Größen wie etwa die Gasdichte werden an jedem betrachteten Raumpunkt durch einen einzigen Wert, oder wie etwa das Magnetfeld durch einen Vektor beschrieben. Aber das Strahlungsfeld muss an jedem betrachteten Raumpunkt in jeder betrachteten Richtung und bei jeder betrachteten Wellenlänge berechnet werden. Dies kann schnell zu mehreren 10.000 Werten führen, die pro Raumpunkt zu bestimmen sind.

Als wäre dies nicht schwierig genug, sind in transparenten Medien alle Informationen entlang der Sichtlinie zu einem einzigen Signal aufsummiert. Diese Projektion zerstört einen Teil der dreidimensionalen Information über die wahre Struktur der Objekte, die wir aber für die Beantwortung vieler Fragen kennen müssen.

Mit dreidimensionalen Strahlungstransportprogrammen versucht man nun das schier Unmögliche: Ausgehend von dem Bild eines ausgedehnten Objekts (in unserem Fall also von der Flächenhelligkeit einer Molekülwolke) bei verschiedenen Wellenlängen, will man daraus Informationen über die räumliche Verteilung der Gas- und Staubdichte im Innern der Wolke ableiten. Besonders anspruchsvoll sind Rechnungen, in denen auch die Streuung der Strahlung an Staubteilchen innerhalb der Wolke betrachtet wird. In solchen Rechnungen sind alle Richtungen miteinander gekoppelt, und das macht sie sehr aufwändig. Die optischen Eigenschaften der angenommenen Staubteilchen - bestimmt durch ihre Größe und ihren Brechungsindex - werden dabei als freie Parameter behandelt.

Das Bild links unten (in der Printausgabe) demonstriert einen Teilaspekt dieser schwierigen Modellierung. Das verwendete dreidimensionale Dichtemodell soll die Verteilung der aus der beobachteten Flächenhelligkeit gewonnenen projizierten Dichte oder Säulendichte wiedergeben. Das Programm betrachtet eine ganze Reihe von Klumpen, deren Dichteprofil schnell nach allen Seiten abfällt (»Gauss-Verteilung«). Es bewegt die Klumpen im Raum, verändert ihre Größe und Dichte, und berechnet die projizierte Dichteverteilung beziehungsweise die daraus resultierende Flächenhelligkeit so lange, bis diese mit der beobachteten übereinstimmt.

Allerdings muss dieses Ergebnis nicht eindeutig sein - es könnte mehrere solcher dreidimensionalen Dichteverteilungen geben, die zum beobachteten Bild führen. Dann lässt sich die Menge der möglichen Lösungen nur unter Berücksichtigung weiterer Beobachtungsdaten aus anderen Wellenlängenbereichen weiter eingrenzen.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Im Bild links wird die Ableitung eines dreidimensionalen Dichtemodells der inneren 13 Lichtmonate der Molekülwolke L 183 erläutert. Die linke Karte zeigt die Verteilung der aus den Beobachtungsdaten ermittelten, an den Himmel projizierten Dichte (also der Säulendichte der Wolke). Das mittlere Bild gibt die aufgrund des angenommenen Dichtemodells berechnete Flächenhelligkeit wieder. Im rechten Bild sind die einzelnen Dichteklumpen angedeutet, die im Modell zur gesamten Säulendichte beitragen. Die Ellipsen zeigen in der Himmelsebene, wo in jedem Klumpen die Gasdichte etwa auf die Hälfte des zentralen Maximalwerts abgefallen ist, sie geben also einen Eindruck von der Position und Größe der einzelnen Klumpen.


Überraschende Spitzer-Bilder

Beim Betrachten von Bildern der Dunkelwolke L 183, die das Weltraumteleskop Spitzer bei unterschiedlichen Wellenlängen im Infraroten aufgenommen hatte, fiel Laurent Pagani vom Observatoire de Paris auf, dass der Kern dieser Dunkelwolke auf dem bei 3,6 Mikrometer Wellenlänge aufgenommenen Bild nicht wie erwartet dunkel erscheint, sondern hell leuchtet. Eine genaue Überprüfung durch Sylvain Guieu vom Spitzer Science Center in Pasadena (Kalifornien) bestätigte die Korrektheit dieser Daten. Auf S. 46 ist das Bild im Vergleich zu einer Aufnahme bei acht Mikrometer Wellenlänge zu sehen, auf der sich die dichten Kerngebiete dunkel gegen den hellen Hintergrund abheben. Das dritte Bild ist eine Überlagerung der ersten beiden.

Was ist die Ursache für dieses Leuchten? Die thermische Emission der kalten Staubteilchen setzt erst bei etwa 100 Mikrometer Wellenlänge ein, sie kommt hier also nicht in Frage. Zur Erklärung der diffusen Emission aus den dichtesten Bereichen der Wolke zog Pagani zunächst sehr kleine Staubteilchen und Molekülketten in Erwägung, die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAH), die durch ultraviolette Strahlung zur eigenen Emission angeregt werden. Er bat Aurore Bacmann vom Institut für Planetologie und Astrophysik in Grenoble und mich, den Wolkenkern im Strahlungsfeld seiner Umgebung mit einem Strahlungstransportprogramm zu modellieren.

Basierend auf früheren Karten erzeugten wir dreidimensionale numerische Modelle der Wolke und der Strahlung, die von außen auf sie einfällt. Diese Rechnungen zeigen, dass das äußere ultraviolette und optische Strahlungsfeld nicht weit genug in den Wolkenkern eindringen kann, um die dortigen Teilchen wie beobachtet zum Leuchten anzuregen (siehe auch den Kasten oben). In diesem Fall sollte zudem auch eine Emission aus den Randbereichen zu sehen sein, die ungehindert bestrahlt werden - aber diese Emission ist in den Daten nicht vorhanden. Weiterhin war bekannt, dass Molekülketten, die typischerweise in solchen Wolken vorkommen, in der Regel bei Wellenlängen um 4,5 Mikrometer keine Strahlung emittieren. Jedoch zeigten die vom Weltraumteleskop Spitzer aufgenommenen Bilder in diesem Bereich ebenfalls ein überhöhtes Leuchten.

Daraufhin schlug Pagani vor, auch die Möglichkeit zu untersuchen, dass das beobachtete Leuchten durch Streuung des interstellaren Strahlungsfelds an den Staubteilchen im Wolkenkern entsteht. Bei kürzeren Wellenlängen war ein solches Streulicht schon früher beobachtet worden. Jonathan Foster und Alyssa Goodman vom Harvard-Smithsonian Institute in den USA hatten bei einer ganzen Reihe von Molekülwolkenkernen eine Randaufhellung entdeckt und diesen Effekt Cloudshine (»Wolkenschein«) genannt. Allerdings wiesen sie nach, dass der Effekt bei größeren Wellenlängen verschwindet. Auf S. 47 zeigt sich dieser Cloudshine beim Doppelkern CB im oberen Bild. Die dichtesten Gebiete um die beiden Kerne heben sich dunkel gegen den Cloudshine ab, da sie Teile von ihm verdecken. Aber solange wir in den Rechnungen die üblichen Staubteilchen aus den Modellen für interstellaren Staub verwenden, zeigen unsere aufwändigen dreidimensionalen Modellierungen des Kerns keinerlei mit dem Weltraumteleskop Spitzer nachweisbare Streustrahlung bei größeren Wellenlängen.


Der Kernschein und seine Bedeutung

Schon 1993 hatten Volker Ossenkopf und Thomas Henning, damals beide am Astrophysikalischen Institut der Universität Jena, vorgerechnet, dass die Staubkörner bei Zusammenstößen in dem kalten dichten Wolkengas aneinander kleben bleiben und auf diese Weise zu größeren Teilchen anwachsen können. Auch zur Deutung von Beobachtungen im fernen Infrarot und im Millimeterwellenbereich war die Existenz größerer Staubteilchen diskutiert worden, allerdings war eine Interpretation der Daten durch den gekoppelten Einfluss von Temperatur und Dichte auf die beobachtete Strahlungsintensität nicht einfach. Auch zeigten Modelle der Streustrahlung in optisch transparenten Wolken, dass es dort einen geringen Anteil größerer Staubteilchen geben könnte.

Dementsprechend haben wir in unseren Modellrechnungen zur Deutung des neu entdeckten Leuchtens des Wolkenkerns auch größere Staubteilchen zugelassen. Aber erst als wir annahmen, dass fast alle streuenden Staubteilchen im Innern der Wolke um bis zu einem Faktor 10 gewachsen waren, konnten wir die mit dem Weltraumteleskop Spitzer erhaltenen Beobachtungsdaten vollständig durch Streustrahlung reproduzieren. Damit hatten wir das Wachstum von Staubteilchen in Molekülwolkenkernen erstmals direkt nachgewiesen. Aurore Bacmann schlug vor, diese Streustrahlung Coreshine (»Kernschein«) zu nennen, um sie von dem äußeren Cloudshine zu unterscheiden.

Da sich die physikalischen Bedingungen in den Wolkenkernen, in denen sonnenähnliche Sterne entstehen, nicht wesentlich voneinander unterscheiden, war zu erwarten, dass der Coreshine nicht nur in L 183 auftritt. In der Tat zeigte eine Suche in der Literatur, dass Amy Stutz, damals am Steward Observatory der University of Arizona in Tucson, und sein Team weitere Wolkenkerne mit dem Weltraumteleskop Spitzer beobachtet und dabei ebenfalls ungeklärtes Leuchten bei 3,6 Mikrometer Wellenlänge entdeckt hatten. Also untersuchten wir die archivierten Spitzer-Daten von weiteren 110 Wolkenkernen und konnten in einer im angesehenen Fachmagazin Science erschienenen Publikation nachweisen, dass rund die Hälfte aller Kerne den Effekt zeigt.

Frappierend war das Auftreten des Coreshine in allen Entwicklungsstufen, von den ruhigen Wolkenkernen ohne Anzeichen von Kollaps bis hin zu den späten Phasen der Sternentstehung mit ausgebildeter Akkretionsscheibe um den fertigen jungen Stern und den typischerweise damit verbundenen, in Richtung beider Pole ausströmenden kollimierten Jets. Auch die Struktur der Gebiete mit Coreshine variiert von einzelnen Kernen und Mehrfachkernen bis hin zu Kernen in filamentartigen Wolken. Eine Auswahl solcher Wolkenkerne in unterschiedlichsten Entwicklungsstufen und Formen ist in der oben gezeigten Bildergalerie zu sehen.

Schon bald wurde der Effekt auf der bekannten Webseite »Astronomy Picture of the Day« vorgestellt. Mittlerweile führt eine Internetsuche bei Google mit dem Stichwort »Coreshine clouds« zu etwa 11.000 Links.


Ein neues Fenster zur frühen Sternentstehung

Was zunächst nur wie ein interessantes Detail wirkte, entpuppte sich schnell als ein neues Werkzeug, um eine ganze Reihe von Fragen zu untersuchen - unter anderem auch grundlegende Fragen der Planeten- und Sternentstehung.

Da das Wachstum der Staubteilchen in den Dunkelwolken bestimmte Mindestdichten voraussetzt und ein kontinuierlicher Prozess ist, lässt sich mit Hilfe des Coreshine möglicherweise das Alter der Wolkenkerne bestimmen. So könnte man mit der Untersuchung einer genügend großen Anzahl von Wolkenkernen die mittlere Dauer ihrer prästellaren Phase neu eingrenzen und damit die Zahl der derzeitig diskutierten Theorien zu dieser Phase einschränken.

Weiterhin werden die Staubteilchen in späteren Entwicklungsphasen in die Akkretionsscheiben eingefüttert, in denen sie schließlich zu Planeten heranwachsen können. Eine Population größerer Teilchen, die vom Beginn des Akkretionsprozesses bis zum Versiegen der Akkretion zur Verfügung steht, könnte den Prozess der Planetenbildung langfristig beeinflussen.

Der Coreshine könnte auch ein neues Werkzeug zur Bestimmung der räumlichen Verteilung des Gases beitragen. Da der Effekt die dichtesten Gebiete des Wolkenkerns genau abbildet, stellt er eine unabhängige Methode zur Bestimmung der Säulendichten dar. Wir erwarten, dass der Coreshine zu einem Routinewerkzeug für die Analyse der mit den neuen Weltraumteleskopen wie dem James-Webb-Teleskop gewonnenen Daten wird.

Im fernen Infrarot und im Millimeterbereich kann uns die Kenntnis der Größe der Staubteilchen helfen, zum Beispiel um die mit dem Weltraumteleskop Herschel gewonnen Daten über Sternentstehungsgebiete besser zu verstehen.

Auch für die Chemiker unter den Astronomen ist der Effekt interessant. Im Innern der Wolkenkerne frieren viele der Moleküle bei den dort herrschenden tiefen Temperaturen auf den Staubteilchen fest. Eine Veränderung der bereitstehenden Oberflächen durch Staubwachstum könnte auch die in den Wolkenkernen ablaufende Chemie empfindlich beeinflussen.

Schließlich erlaubt der Effekt auch, die Vorgeschichte ganzer Gebiete der Milchstraße zu untersuchen. Beispielsweise haben wir im Gum-Nebel einen Bereich entdeckt, in dem wir bisher keinen Wolkenkern mit Coreshine gefunden haben. Dies könnte mit einem weit zurückliegenden Supernova-Ereignis zu tun haben, das vor mehr als einer Million Jahren das Staubwachstum in den Wolkenkernen, aber sicherlich auch eine Reihe anderer physikalischer Eigenschaften der Region verändert hat. Zum Beispiel könnte die sich ausbreitende Stoßfront der Supernova einen Teil der bereits herangewachsenen Staubkörner wieder in kleinere Teilchen zerlegt haben.

Da auch für die Entstehung unseres Sonnensystems erwogen wird, dass eine nahe Supernova einst die Entwicklung der Sonnenumgebung beeinflusst hat, ist die Untersuchung solcher großräumigen Effekte auch wichtig, um das Verständnis der Entstehung unseres Heimatplaneten voranzutreiben.


Jürgen Steinacker promovierte in Bonn und war am Raumflugzentrum der NASA in Maryland tätig. Seit 2003 forscht er am MPI für Astronomie in Heidelberg. Ab 2012 wird er in Grenoble als Chaire d'Excellence für zwei Jahre eine Forschergruppe zum Coreshine leiten.


Literaturhinweise

Güttler, C., Blum, J.: Planetenbildung im Labor. In: Sterne und Weltraum 6/2011, S. 26-35

Klahr, H., Henning, T.: Aufregende neue Planetenwelten. In: Sterne und Weltraum 6/2009, S. 32-43

Wolf, S., Klahr, H.: Planetenentstehung: Am Himmel beobachtet, im Computer verstanden. In: Sterne und Weltraum 2/2006, S. 22-30

Weitere Literatur im Internet: www.astronomie-heute.de/artikel/1117293


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 44-45:
Im Sternbild Schlangenträger schwebt diese Dunkelwolke, genannt Pipe nebula (englisch für »Pfeifennebel«) mit mehr als 10 Sonnenmassen an Gas und Staub vor dem hell leuchtenden Band der Milchstraße. Ihre Entfernung beträgt nur 450 Lichtjahre, an einigen wenigen Stellen hat sie bereits mit der Bildung sonnenähnlicher Sterne begonnen.

Abb. S. 46:
Der Kernbereich der Molekülwolke L183 leuchtet bei 3,6 Mikrometer Wellenlänge hell (linkes Bild), während dieselbe Struktur bei acht Mikrometern alle Strahlung verschluckt und tief dunkel erscheint (mittleres Bild). Rechts ist eine Überlagerung dieser beiden Bilder zu sehen. Offenbar korreliert das bei 3,6 Mikrometern beobachtete Leuchten mit der noch bei acht Mikrometern deutlich erkennbaren Absorption. Somit entstammt dieser »Kernschein« den dichteren Regionen der Wolke, in deren Zentrum in ferner Zukunft einmal Sterne entstehen werden.

Abb. S. 47:
Die Molekülwolke CB 244 im Sternbild Kepheus streut das Licht der Milchstraße je nach Wellenlänge in unterschiedlicher Weise. Wie das obere Bild zeigt, wird sichtbares Licht vor allem von kleinen Staubteilchen in den Außenbereichen der Wolke gestreut (Cloudshine). Bei größeren Wellenlängen, im mittleren Infrarot, wird das Licht an den größeren Staubteilchen im Wolkeninnern gestreut. Dies ist der im Falschfarbenbild links dargestellte, neu entdeckte Coreshine oder »Kernschein«.

Abb. S. 50:
Der Coreshine-Effekt tritt in ganz unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Sternentstehung auf. Für 15 Wolkenkerne zeigt hier jeweils das linke Bild den bei 3,6 Mikrometer Wellenlänge sichtbaren Coreshine, und das rechte Bild die bei acht Mikrometer Wellenlänge auftretende Absorption der Strahlung aus dem Hintergrund durch die dichtesten Gebiete der Wolke. Rechts unten ist in L 1157 eine Akkretionsscheibe um einen jungen Stern in der Kantenstellung zu sehen (schwarzer horizontaler Balken im rechten Bild) - von der Scheibe geht senkrecht in Richtung beider Pole eine Ausströmung aus. Die gesamte Scheibe wie auch das außen angebundene Gas zeigen Coreshine. In allen Bildern entspricht der angegebene Maßstab einer Strecke von 4000 Astronomischen Einheiten.


© 2011 Jürgen Steinacker, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 9/11 - September 2011, Seite 44 - 51
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2011