Sterne und Weltraum 7/16 - Juli 2016
Zeitschrift für Astronomie
Kurzbericht
Ein 12-Jahres-Zyklus der Sternaktivität
Von Jan Hattenbach
Wie die Sonne zeigt auch der Stern HD 219134 einen langjährigen Aktivitätszyklus. Das hat Konsequenzen für einige seiner bekannten Planeten - und einer von ihnen existiert möglicherweise gar nicht.
Die Aktivität der Sonne schwankt in einem elfjährigen Zyklus: In
den Maxima zeigen sich mehr und größere Sonnenflecken, mehr
Röntgenstrahlungsausbrüche und mehr Protuberanzen. Für andere Sterne
fehlen meist Beobachtungsdaten über ausreichend lange Zeiträume, doch
es ist anzunehmen, dass Aktivitätszyklen auch bei ihnen vorkommen.
Beim Stern HD 219134 vom Spektraltyp K3V, 21 Lichtjahre entfernt in
Richtung des Sternbilds Kassiopeia gelegen, haben Forscher nun
erstmals einen solchen Zyklus entdeckt. Mit rund zwölf Jahren liegt
seine Periodendauer erstaunlich nah bei derjenigen unseres
Heimatsterns.
HD 219134 ist einer der nächstgelegenen und damit hellsten K-Zwergsterne. Mit seiner Spektralklasse K3 ist er etwas kühler als die Sonne. Er wurde aus diesem Grund schon lange in Hinblick auf mögliche planetare Begleiter untersucht. Erfolglose Versuche, Planeten bei HD 219134 mit der Radialgeschwindigkeitsmethode zu finden, unternahmen Astronomen schon in den 1980er Jahren.
Erfolgreich verlief die Suche allerdings erst mit der Inbetriebnahme hochstabiler und präziser Spektrografen: Im Jahr 2015 veröffentlichten zwei Gruppen - die eine um Fatemeh Motalebi von der Sternwarte Genf, die andere um Steven S. Vogt vom Lick Observatory in Kalifornien - unabhängig voneinander ihre Ergebnisse. Mit dem Spektrografen HARPS-N am Telescopio Nazionale Galileo auf La Palma und dem Spektrografen HIRES am Keck Observatory auf Hawaii fanden die Forschergruppen drei »Supererden«, denen die Bezeichnungen HD 219134b, c und d zugeordnet wurden. Sie umkreisen den Stern in 3,1, 6,8 beziehungsweise 8,7 Tagen. Die Gruppe um Vogt fand noch zwei weitere Supererden, HD 219134f und g, mit Umlaufperioden von 22,8 und 94,2 Tagen.
Uneinigkeit besteht über die Existenz eines etwa saturngroßen, äußeren Planeten: Motalebis Team fand hier einen Kandidaten mit 1842 Tagen (HD 219134e), die Gruppe um Vogt einen mit 2247 Tagen Umlaufzeit (HD 219134h). Motalebis Beobachtungsdaten erstreckten sich aber nur auf etwa 1100 Tage - weniger als die abgeleitete Umlaufdauer ihres Planeten. Das lässt die Genauigkeit des Werts für HD 219134e fragwürdig erscheinen, und man kann wohl davon ausgehen, dass HD 219134e dem von Vogts Team entdeckten Planeten h entspricht. Bestens etabliert ist hingegen die Existenz des innersten Planeten, HD 219134b: Wie Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Spitzer zeigten, zieht er genau vor der Scheibe seines Sterns vorbei - und lässt sich daher mit einem unabhängigen Verfahren, der Transitmethode, nachweisen. Mit seiner Helligkeit von 5,6 mag ist HD 219134 der hellste bekannte Stern mit Planetentransit.
Tabelle: Die Planeten von HD219134
Hinweis: Die Massen sind Untergrenzen.
Die Planeten von HD 219134 | |||
---|---|---|---|
Planet |
Umlaufzeit in Tagen |
Masse in Erdmassen |
Bemerkung |
HD 219134b HD 219134c HD 219134f HD 219134d HD 219134g HD 219134e HD 219134h |
3,09
6,8
22,8
46,8
94,2
1842
2247
|
4,4
2,7
9
8,7
11
71
108
|
Transit Signal nur vorgetäuscht? vermutlich identisch mit h |
Die von beiden Forschergruppen verwendete
Radialgeschwindigkeitsmethode ist eine erfolgreiche, aber auch
problematische Methode zur Entdeckung von Exoplaneten: Sie nutzt die
periodischen Rot- und Blauverschiebungen der Spektrallinien eines
Sterns, Resultat einer ebenfalls periodischen Taumelbewegung. Die
Ursache dieses Sterntaumels sind Planeten, die den Stern durch ihre
Gravitation im Lauf eines Umlaufs beeinflussen. Die resultierende
Verschiebung der Spektrallinien ist so klein, dass sie sich nur mit
äußerst präzisen und zeitlich hochstabilen Spektrografen messen lässt.
Doch auch andere Effekte können ähnliche spektrale Verschiebungen auslösen, allen voran eine variable Aktivität des Sterns selbst. So stellen sich ausschließlich per Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckte Planeten leicht als falscher Alarm heraus: Kurzfristige Periodizitäten der Spektrallinien können etwa durch die (meist nicht genau bekannte) Rotation des Sterns, langfristige durch mehrjährige Aktivitätszyklen ähnlich dem Sonnenzyklus hervorgerufen werden - Parameter, die oft nicht oder nur mit großen Unsicherheiten bekannt sind.
Dank der langen Beobachtungsreihe liegen allerdings für HD 219134 Radialgeschwindigkeitsmessungen aus einem 27 Jahre langen Zeitraum vor. Aktivitätsmessungen anhand der im Sternspektrum sichtbaren Absorptionslinien H und K des einfach ionisierten Kalziums, Kalzium II, gibt es immerhin aus mittlerweile 19 Jahren. Diese gute Datenlage erlaubt einzigartige Studien zur langfristigen Veränderung des Sterns - eine Aufgabe, der sich ein Team um Marshall Johnson vom McDonald Observatory der University of Texas annahm. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Astronomen in der Zeitschrift »Astrophysical Journal« (siehe Grafik in der Druckausgabe).
Dabei lag die große Schwierigkeit in der Zusammenführung verschiedener, von mehreren Astronomengenerationen mit unterschiedlichen Instrumenten gesammelter Daten zu einem konsistenten Gesamtbild. Die Forscher verwendeten mehrere hundert mit dem Keck-Teleskop auf Hawaii sowie mit dem Harlan J. Smith-Teleskop in Texas gewonnene Spektren. Zusätzlich werteten sie Messungen der stellaren Aktivität aus. Mit Erfolg: Aus den Radialgeschwindigkeitsmessungen konnten Johnson und seine Kollegen nicht nur den sicheren innersten Planeten HD 219134b und, mit geringerer statistischer Signifikanz, die Signale der Planeten mit 22,8 und 46,7 Tagen Umlaufdauer nachweisen. Sie fanden auch den äußeren, wegen seiner Masse auch »Saturn-Planet« betitelten Exoplaneten HD 219134h. Die ist ein bemerkenswertes Ergebnis, schließlich wurden die verwendeten Daten mit Instrumenten gewonnen, die denen der Entdeckergruppen um Motalebi und Vogt im Hinblick auf die Präzision deutlich unterlegen waren.
Eine neue Erkenntnis aber lieferten die langfristigen Messdaten der stellaren Aktivität: HD 219134 zeigt offenbar einen Aktivitätszyklus von 4300 Tagen. Das entspricht etwa zwölf Jahren und ist vergleichbar mit dem Aktivitätszyklus der Sonne. Die Periodendauer übertrifft jedenfalls deutlich das 2200-Tage-Signal des saturngroßen Planeten HD 219134 h (siehe Grafik oben). Man könne also davon ausgehen, dass der Planet HD 219134h real sei, meinen Johnson und seine Kollegen. Das gelte auch für die übrigen Planeten - mit Ausnahme von HD 219134f. Dessen Periodendauer von 22,8 Tagen fällt mit einer aus den Aktivitätsmessungen abgeleiteten möglichen Rotationsdauer des Sterns zusammen. Somit ließe sich das vermeintliche Planetensignal auch durch ein großes, beständiges Aktivitätsgebiet erklären, das während der Beobachtung mehrfach in den Sichtbereich der Beobachter rotiert. Da der Stern, genau wie die Sonne, höchstwahrscheinlich eine differenzielle Rotation ausführt, ist die Analyse solcher Beobachtungen allerdings nicht einfach. Ob die Existenz des Planeten »f« daher völlig auszuschließen ist, lässt sich auf Grund der Langzeitstudie nicht mit Bestimmtheit sagen.
Die Entdeckung immer neuer Systeme mit mehreren Planeten erzwingt die Frage, wie gewöhnlich unser eigenes Sonnensystem ist. Ist sein Aufbau - kleine Planeten innen, große Planeten außen - typisch, oder ein Einzelfall? Um äußere Planeten mit entsprechend langen Umlaufzeiten aufzuspüren, muss die langfristige Aktivität der zugehörigen Sterne unbedingt mit berücksichtigt werden. Bei kurzperiodischen Planeten mit Umlaufzeiten von wenigen Tagen kann man sie vernachlässigen, bei Planeten mit Umlaufzeiten von Jahren aber nicht. Die Entdeckung eines zwölfjährigen Zyklus bei HD 219134 zeigt, dass langfristige Aktivitätsschwankungen bei anderen Sternen als der Sonne - wenig überraschend - tatsächlich vorkommen.
Jan Hattenbach ist Physiker und Amateurastronom. In
seinem Blog »Himmelslichter«, zu finden unter
www.scilogs.de/kosmologs, schreibt er über alles, was am Himmel
passiert.
Johnson, M. C. et al.: A 12-Year Activity Cycle for the Nearby Planet Host Star HD 219134. In: The Astrophysical Journal, 821:74, 2016
Didaktische Materialien:
www.wissenschaft-schulen.de/artikel/1051477
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Didaktische Materialien zu diesem Beitrag
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WiS in Sterne und Weltraum
Für den Kurzbericht »Ein 12-Jahres-Zyklus der Sternaktivität« empfiehlt sich »Sonnenflecken und der Lebensrhythmus der Sonne«: Das wohl bekannteste und offensichtlichste Phänomen beim Anblick der Sonnenscheibe sind die Flecke. Diese können mit einfachen schulischen Mitteln beobachtet, gezählt, ausgewertet und erklärt werden. Ein Modellexperiment macht klar, dass es sich bei den Sonnenflecken durchaus um hell leuchtende Gebiete in einer noch heller leuchtenden Umgebung handelt. Die Entstehung und Entwicklung der Flecke im Zusammenhang mit dem Magnetfeld der Sonne wird durch verschiedene Medien veranschaulicht. (ID-Nummer: 1051477)
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
Abb. S. 21:
Unweit des bekannten »Himmels-W« im Sternbild Kassiopeia steht in 21,4
Lichtjahren Entfernung der Stern HD 219134. Er hat, ganz ähnlich wie
unsere Sonne, einen zwölfjährigen Aktivitätszyklus.
Abb. S. 22:
Kalzium-S-Index
Der Zwölf-Jahres-Zyklus der Aktivität von HD 219134 zeichnet sich
deutlich in den kombinierten Messungen des Keck-Teleskops (rot und
orange) und des Harlan-J.-Smith-Teleskops (blau) ab. Die Messgröße für
die stellare Aktivität ist der so genannte Kalzium-S-Index, der aus
der Stärke der Spektrallinien des ionisierten Kalziums bei den
Wellenlängen 396,8 und 393,3 Nanometer abgeleitet wird. Man erkennt
deutliche Diskrepanzen zwischen den unterschiedlichen Messreihen.
Diese sind auf instrumentelle Effekte zurückzuführen.
Abb. S. 23:
Relativgeschwindigkeit
Über mehr als 15 Jahre hinweg mit dem Harlan-J.-Smith-Teleskop
aufgenommene Radialgeschwindigkeitsmessungen von HD 219134 enthüllen
die Bewegung des äußeren, von der Masse her Saturn ähnelnden Planeten
HD 219134 h (beziehungsweise e in der Nomenklatur von Motalebi et al.)
und seine rund sechsjährige Umlaufdauer.
Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-07-s021-pdf/1412224
© 2016 Jan Hattenbach, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg
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Quelle:
Sterne und Weltraum 7/16 - Juli 2016, Seite 21 - 23
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-07-s021-pdf/1412224
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
Haus der Astronomie, MPIA-Campus
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
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E-Mail: suw@spektrum.de
Internet: http://www.astronomie-heute.de
Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 8,20 Euro, das Abonnement 89,00 Euro pro Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2016
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