Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE

FORSCHUNG/616: "Ohne die Evolutionstheorie stünden wir ganz dumm da!" (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 2/April 2009

"Ohne die Evolutionstheorie stünden wir ganz dumm da!"

Interview zum Darwin-Jahr 2009 mit Prof. Dr. Karl-Friedrich Fischbach


2009 ist das Jahr des Naturforschers Charles Darwin: In diesem Jahr wäre er 200 Jahre alt geworden und die von ihm aufgestellte Evolutionstheorie 150. Benjamin Klaußner sprach mit Prof. Dr. Karl-Friedrich Fischbach, Molekularbiologe und Biophysiker an der Universität Freiburg, über die Bedeutung Darwins für die heutige Forschung, Giraffen, Darwin-Gegner und "springende Gene".


FRAGE: Was war das eigentlich Neue und Revolutionäre an Darwins Evolutionstheorie?

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Charles Darwin sagte, dass alle Lebewesen miteinander verwandt seien und sie sich durch die Auslese der angepasstesten Nachkommen auseinander entwickelt hätten. Im Unterschied zu seinen Vorgängern legte er zudem viele, sehr gut beobachtete Fakten zur Unterstützung seiner Evolutionstheorie vor. Darwin hat der Evolutionstheorie durch eine enorme Fülle von Beispielen zum Durchbruch verholfen - er sammelte praktisch ein Leben lang Indizien dafür. Die moderne Genetik hat Darwins Theorie inzwischen bestätigt. Wir sind nicht nur mit Schimpansen genetisch zu fast 99 Prozent identisch, sondern auch viele Fliegen- oder Fadenwurmgene sind den unseren sehr ähnlich.

FRAGE: Wie wichtig ist die Evolutionstheorie für die moderne Forschung?

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Wenn es die Evolutionstheorie nicht gäbe, dann würden wir vor großen Rätseln stehen. Wir könnten dann überhaupt nicht erklären, wieso menschliche und tierische Gene sich so ähnlich sind. Ohne die Evolutionstheorie stünden wir ganz dumm da! Sie erklärt einfach so Vieles.

FRAGE: Wie sähe die heutige Biologie aus, wenn es Darwins Evolutionstheorie nicht gegeben hätte?

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Ich bin davon überzeugt, dass die Evolutionstheorie nicht zu verhindern gewesen wäre. Die Erkenntnis, dass alles Leben miteinander verwandt ist, wäre mit dem wissenschaftlichen Fortschritt irgendwann an die Oberfläche gekommen. Die gegenwärtige Biologie hat den Evolutionsgedanken so weit verinnerlicht, dass ich es überhaupt nicht erlebe, dass unter Biologen die Evolution als solche in Frage gestellt wird. Spannend sind Fragen, wie die Evolution im Detail abgelaufen ist. Es ist ja nicht so, als ob alles erklärt wäre, aber an der Evolution als Solcher zweifelt kein ernstzunehmender Biologe.

FRAGE: Die Evolution fußt auf Mutationen in Organismen. Welchen Sinn haben Mutationen?

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Ohne Mutationen gäbe es keine zufällige Variabilität in der Nachkommenschaft von Organismen. An dieser Variabilität greift die Selektion, die Auslese, an. Das heißt es gibt Mutationen, die ihren Trägern einen Fortpflanzungsvorteil verschaffen, so dass die Häufigkeit der so mutierten Gene mit jeder Generation zunimmt. Darwin wusste nichts von der chemischen Natur von Mutationen, aber mit seiner Annahme der Auslese von erblichen Varianten hat er den Weg zu einem Verständnis des Evolutionsprozesses bereitet.

FRAGE: Ein oft zitiertes Beispiel für Mutationen sind die langen Hälse von Giraffen. Haben sie sich zielgerichtet entwickelt?

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Nein. Leider werden erworbene Eigenschaften in der Regel nicht weiter vererbt. Jede Generation muss zum Beispiel ihre Sprachkenntnisse neu erlernen. Die Hälse der Giraffen wurden nicht durch das Strecken länger. Aber die Giraffen-Varianten mit längeren Hälsen waren im Vorteil, weil sie sich weniger strecken mussten. Es ist interessant, dass Darwin selbst keine Gründe für die Variabilität in der Nachkommenschaft kannte. Er war dem Gedanken der Vererbung erworbener Eigenschaften nicht abgeneigt. Heute werden unter dem Schlagwort "Epigenetik" Mechanismen diskutiert, die die Weitergabe von "erworbenen" Genzuständen ermöglichen. Aber das ändert nichts an dem grundlegenden Bild: Evolution basiert auf zufälliger Mutation und daran anschließender, nicht zufälliger Selektion.

FRAGE: Es gibt ja heute noch Darwin-Gegner, die behaupten, dass Mutationen zielgerichtet seien, und nicht zufällig geschehen würden.

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Mutationen haben chemisch-physikalische Ursachen. Wir wissen zum Beispiel, dass die Mutationshäufigkeit durch Strahlung erhöht wird. Andere Mutationen treten auf, weil die chemische Stabilität der DNA nicht unendlich groß ist. Es gibt auch DNA-Sequenzen, die ihre Position im Genom verändern können, sie werden "springende Gene" genannt. Wenn ein solches Gen springt, kann es ein anderes zerstören, indem es sich dort einnistet. Mutationen können also verschiedene Ursachen haben, aber diese stehen in keinerlei Beziehung zu der phänotypischen Veränderung auf der organismischen Ebene. Das heißt, das springende Gen weiß nicht, was es anrichtet. Alles andere ist Esoterik und hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Organismen können in schlechten Zeiten höchstens die Anzahl der Mutationen erhöhen und dadurch die Basis für die Selektion verbreitern.

FRAGE: Wie zum Beispiel die so genannten Darwin-Finken?

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Die "Darwin-Finken" sind ein Beispiel dafür, dass sich Lebewesen auch im gleichen Territorium zu verschiedenen Arten entwickeln können - und nicht nur dann, wenn sie räumlich getrennt werden. Wenn zum Beispiel die Kontinente auseinander driften, kann man gut verstehen, warum sich unterschiedliche Arten entwickeln. Sie entstehen in völlig voneinander isolierten Welten. Die "Darwin-Finken" entstanden aber in einem Territorium und nahmen dort verschiedene Lebensnischen ein, zum Beispiel in Baumkronen oder am Boden. Dieses Phänomen gibt es auch bei anderen Tierarten. Im Viktoriasee zum Beispiel haben Buntbarsche verschiedene Lebensweisen adaptiert und hunderte von neuen Arten gebildet. Die Darwin-Finken und die Buntbarsche sind beliebte Beispiele für die Demonstration des Wirkens von Mutation und Selektion.

FRAGE: Wie wird die Evolution des Menschen weiter verlaufen?

KARL-FRIEDRICH FISCHBACH: Die biologische Evolution wird wahrscheinlich in Zukunft eine untergeordnete Rolle spielen, die kulturelle Evolution ist sehr viel schneller und entscheidender. Das heißt, dass wir unsere Körper durch Technik verbessern werden. Irgendwann wird es Pumpen geben, die zuverlässiger sind als unser Herz. Heute gibt es Brillenträger wie mich, die durch ihre schwächeren Augen nicht mehr benachteiligt sind und es werden Frühchen gerettet, die früher gestorben wären. Die Handicaps werden heute durch Technik kompensiert. Aber dadurch wird nicht die biologische Evolution gestoppt, die Mechanismen wirken weiter. Eigentlich ist der Mechanismus der Evolution relativ simpel: Diejenigen Gene, die sich stärker vermehren, werden stärker verbreitet. Und diesem grundlegenden Selektionsprinzip kann man überhaupt nicht entkommen - das ist als ob man annehmen würde, dass Gegenstände demnächst nicht mehr von oben nach unten fallen.


*


INFO

Zwischen April und Juli 2009 veranstalten die Fakultät für Biologie und der Sonderforschungsbereich 592 der Universität Freiburg die Ringvorlesung "200 Jahre Charles Darwin: Moderne biologische Erkenntnisse zur Evolution". Renommierte deutsche und schweizerische Wissenschaftler halten unter anderem Vorträge zur Evolution vom Fisch zum Menschen, zu genetischen Unterschieden zwischen Menschen und Schimpansen oder zur Evolution von Mikroorganismen. Die Vorlesungen finden jeweils montags um 20.15 Uhr im Großen Hörsaal (Schänzlestr. 1) statt. Den Eröffnungsvortrag hält am 20.4.2009 der Göttinger Zoologe Prof. Dr. Rainer Willmann zum Thema "Geschichte des Evolutionsgedankens". Der Eintritt zur Ringvorlesung ist frei.
Weitere Informationen unter www.biologie.uni-freiburg.de.


*


Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 2/April 2009, Seite 8-9
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (verantwortlich)
Kommunikation und Presse
Fahnenbergplatz, 79098 Freiburg,
Tel.: 0761/203-4301, Fax: 0761/203-4278
E-Mail: eva.opitz@pr.uni-freiburg.de

Freiburger Uni-Magazin erscheint sechsmal jährlich.
Jahresabonnement 13,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2009