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GENETIK/160: Wie Fliegen fliegen (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 16. November 2011

GENETIK
Wie Fliegen fliegen

Max-Planck-Forscher entdecken Genschalter für die Bildung von Flugmuskeln


Wie viele andere Insekten sind auch Fliegen wahre Flugkünstler - obwohl sie im Verhältnis zu ihrer Körpergröße relativ kleine Flügel besitzen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie in Martinsried bei München haben kürzlich den entscheidenden genetischen Schalter identifiziert, der die Bildung von Flugmuskeln steuert. "Das Gen 'spalt' ist essentiell, damit die ultraschnellen Supermuskeln überhaupt entstehen können", betont Frank Schnorrer, Leiter der Forschungsgruppe "Muskeldynamik". "Wenn es fehlt, dann bilden sich anstelle von Flugmuskeln lediglich normale Beinmuskeln aus." Die Ergebnisse der Wissenschaftler wurden jetzt in 'Nature' veröffentlicht.

Foto einer Fliege, deren Flügel durch das schnelle Schlagen kaum zu sehen sind. Aber ohne das Gen 'spalt' bleiben die sonst so exzellenten Flieger auf der Erde und laufen. - Foto: © MPI für Biochemie / Frank Schnorrer

Fliegen sind exzellente Flieger. Aber ohne das Gen 'spalt' bleiben sie auf der Erde und laufen.
Foto: © MPI für Biochemie / Frank Schnorrer

Um mit ihren kleinen Flügeln effizient fliegen zu können, müssen Fliegen sehr schnell damit schlagen. Das verursacht das bekannte und allgegenwärtige Summen und Brummen der kleinen Flieger. Die Taufliege 'Drosophila melanogaster', im Volksmund auch Fruchtfliege genannt, bewegt ihre Flügel mit einer Frequenz von 200 Hertz - ihre Flugmuskeln kontrahieren und entspannen also 200-mal pro Sekunde. "Demgegenüber wirkt ein Hundertmetersprinter, der seine Beine nur wenige Male pro Sekunde bewegt, wie eine richtige Schnecke", beschreibt Frank Schnorrer. Wie aber erreicht die Taufliege diese hohe Schlagfrequenz?

Muskeln steuern sämtliche Bewegungen, auch die der Flügel. Doch Flugmuskeln sind einzigartig. Ihre Kontraktionen werden nicht nur wie sonst durch Nervenimpulse gesteuert, sondern zusätzlich durch Spannung. Das ist möglich, weil jede Fliege zwei Kategorien von Flugmuskeln besitzt: Die einen bewegen die Flügel nach unten und dehnen dabei die anderen, die dann kontrahieren. So werden die Flügel wieder nach oben gezogen und ein stabiler Kreislauf beginnt.

Mithilfe gezielter Veränderungen von Genen der Taufliege haben Wissenschaftler der Forschungsgruppe Muskeldynamik am Max-Planck-Institut für Biochemie jetzt den entscheidenden Schalter für die Bildung von Flugmuskeln identifiziert: 'Spalt'. Transkriptionsfaktoren wie 'Spalt' spielen eine wichtige Rolle bei der richtigen Übersetzung des genetischen Materials in die Proteine, die von der jeweiligen Zelle benötigt werden. Spalt existiert nur in den Flugmuskeln und ist für den besonderen Aufbau ihrer Myofibrillen verantwortlich. Diese Bestandteile der Muskelfasern ermöglichen erst die Kontraktion des Muskels als Antwort auf die angelegte Spannung beim Flügelschlag. Wenn Spalt fehlt, sind die Fliegen zwar lebensfähig, können aber nicht fliegen. Die Flugmuskeln reagieren nicht mehr auf Spannung und verhalten sich wie normale Beinmuskeln. Umgekehrt gelang es den Wissenschaftlern allein durch das Einfügen von Spalt in Fliegenbeine, dort flugmuskelähnliche Muskeln zu erzeugen.

Die Ergebnisse könnten für die Humanmedizin ebenfalls relevant sein. "Die Körpermuskeln des Menschen besitzen zwar kein Spalt und werden auch kaum durch Spannung reguliert", erklärt Frank Schnorrer. "Aber der menschliche Herzmuskel bildet 'Spalt' und die Spannung in der Herzkammer beeinflusst die Stärke des Herzschlags. Ob Spalt eine Rolle bei der Regulation des Herzschlags spielt, ist bisher allerdings nicht bekannt und muss erst noch erforscht werden."
UD/BA


Publikationsreferenz
Cornelia Schönbauer, Jutta Distler, Nina Jährling, Martin Radolf, Hans-Ulrich Dodt, Manfred Frasch & Frank Schnorrer (2011)
Spalt mediates an evolutionarily conserved switch to fibrillar muscle fate in insects
Nature, 17 November 2011

Ansprechpartner

Dr. Frank Schnorrer
Forschungsgruppe Muskeldynamik
Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried
E-Mail: schnorrer@biochem.mpg.de

Anja Konschak
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried
E-Mail: konschak@biochem.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 16. November 2011
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2011