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ORNITHOLOGIE/104: Vogelzug - Der Wüstenvulkan Wau an Namus (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2009

Der Wüstenvulkan Wau an Namus - ein unbekanntes Überwinterungsgebiet in der Zentralsahara

Von Jens und Heidi Hering


Eines der größten Naturphänomene der Sahara, der Wüstenvulkan Wau an Namus, ist bei Vogelbeobachtern weitgehend unbekannt. Bisher forschte nur einmal ein Biologe für längere Zeit an diesem abgelegenen Ort: Vor über einem halben Jahrhundert, im Frühjahr 1955, machte Eberhard Jany hier faunistische Untersuchungen. Heidi und Jens Hering konnten nun im Winter 2007/08 erstmals die Vogelwelt der Krateroase kennenlernen und bisher in dieser Region unbekannte Winterbestände paläarktischer Zugvögel feststellen. Weitere Forschungsarbeiten sollen bald klären, ob Wau an Namus auch für durchziehende Vögel von Bedeutung ist.


Die Vogelwelt Libyens ist noch heute weitgehend unerforscht. Neben einer 1976 veröffentlichten, kommentierten Checkliste sind bisher nur wenige ornithologische Arbeiten erschienen. Das spärliche Wissen über die Avifauna des Maghrebstaates wird vor allem beim Blick auf die Verbreitungskarten der einschlägigen Hand- und Bestimmungsbücher deutlich. In der Regel sind Artvorkommen nur für die Küstenregionen Tripolitaniens und der Cyrenaika sowie für einige Sahara-Oasen vermerkt. Der Rest des viertgrößten Landes Afrikas leuchtet als weißer Fleck, so auch der Wüstenvulkan Wau an Namus.

Im 19. Jahrhundert versuchten mehrere Expeditionen den aus verschiedenen Erzählungen bekannten Wüstenvulkan zu erreichen. Die Suche nach dem mystischen Ort scheiterte jedoch immer wieder an unsicheren Angaben zur Lage und Abweichungen von über 100 km in dem damals spärlich vorhandenen Kartenmaterial.


Auf der Suche nach der geheimnisvollen Krateroase

Erst 1876 fand eine Gruppe von Arabern unter Leitung von Mohammed el Tarrhoni den Wau an Namus. Der spätere Begleiter des deutschen Afrikareisenden und Schriftstellers Gerhard Rohlfs berichtete von einer unbewohnten Oase mit Salzsee. Die Forschungstätigkeit begann 1931 mit dem italienischen Geologen Desio, der den Krater geographisch und geologisch untersuchte. Unter deutscher Leitung fand elf Jahre später ein Kartographie-Unternehmen statt, an dem zum ersten Mal der Astrophysiker und Astronom Nikolaus Benjamin Richter teilnahm. Dieser begleitete schließlich auch die Sahara-Forschungsfahrt der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, u. a. in Begleitung des Biologen Eberhard Jany, dem damaligen Kustoden am Museum Zoologicum Bogoriense im indonesischen Bogor. Nach mehreren vergeblichen Versuchen erreichten sie am 19.3.1955 das ersehnte Ziel. Bis zum 5. April arbeitete die Expedition im Bereich der Krateroase, wobei Jany mindestens 50 Vogelarten erfasste. Er berichtete u. a. von rastenden Grau- und Nachtreihern, Spießenten, Rohr- und Steppenweihen, Stelzenläufern, großen Schafstelzen-Schwärmen und einer geringen Zahl Weidensperlinge. Die komplette Artenliste wurde jedoch nie publiziert. Lediglich zwei Veröffentlichungen Janys und Angaben in Richters Buch (1958) geben Hinweise zu einigen der damals festgestellten Arten.


Ein unbekannter Überwinterungsplatz

Im Winter 2007/08 gelang es, eine Reihe von Vogelarten in und um die drei großen und sechzehn kleinen Kraterseen des Wüstenvulkans festzustellen, deren Vorkommen in dieser Region bisher nicht oder nur unzureichend bekannt waren. So konnten auf den spiegelglatten Salzseen, die insgesamt eine Wasserfläche von 30 Hektar einnehmen, auch gleichzeitig über 60 Schwarzhalstaucher gezählt werden. Bereits Eberhard Jany beobachtete hier im Frühjahr 1955 diese Vogelart. Besonders interessant an der aktuellen Beobachtung ist aber, dass zahlenstarke Winteransammlungen in diesen Breitengraden in der Westpaläarktis bislang nur in Ägypten im Niltal festgestellt wurden. Zudem gab es bisher keine Hinweise auf ein Winterquartier in der Sahara. Der häufigste Wasservogel im Krater war allerdings das Blässhuhn, dessen Bestand wir auf 80 bis 100 Vögel schätzten. Weiterhin schwammen auf den stellenweise von schneeweißen Salzstränden gesäumten Gewässern Schnatter-, Krick-, Spieß- und Löffelenten, Zwergtaucher und Teichhühner.

In den bis zu 4 m hohen, oft undurchdringlichen Schilfbeständen, die als Ufer- und Landröhricht ausgebildet sind, wimmelte es stellenweise von Zilpzalpen, die wie Federbälle aus dem Schilf schnippten, um Mücken zu fangen. Wir schätzten mehrere Hundert Laubsänger, möglicherweise waren es noch mehr. Daneben konnten viele Samtkopfgrasmücken und gelegentlich Blaukehlchen beobachtet werden.

Einzelne Teichrohrsänger, die wir auch in Schilfgebieten anderer Oasen bemerkten, wurden bisher im Winter nur einmal in Libyen nachgewiesen. Auch in Tunesien und Algerien ist der Rohrsänger zu dieser Zeit eine Ausnahme. Inwieweit hier in der Sahara ein Überwinterungsgebiet existiert oder es sich sogar um Standvögel handelt, sollten weitere Untersuchungen ergeben. Ebenso ist die Unterartenzuordnung, ob scirpaceus oder fuscus, ungeklärt. Selbst ein Vorkommen des nahe verwandten Gartenrohrsängers sollte auf Grund eines wahrscheinlichen Fundes zur Brutzeit 2008 in Benghasi nicht ausgeschlossen werden. Die Artenliste der Singvögel am Wau an Namus komplettierten schließlich Schwarzkehlchen, Hausrotschwanz, Wüstensteinschmätzer, Wüstensperling, Wiesen- und Rotkehlpieper sowie Bachstelze. Eine weitere Überraschung waren mehrere, im Schilf grunzende Wasserrallen.


Der Wüstenvulkan ist gefährdet - weitere Forschungen sind notwendig

Die Winterbeobachtungen am Wüstenvulkan lassen nur erahnen, was sich in diesem Gebiet zu den Zugzeiten im Frühjahr und Herbst abspielt. Die Wasserflächen und der ungeheure Mückenreichtum (Wau an Namus = Krater der Mücken) werden Transsaharazieher, die diesen Teil der Wüste überfliegen, magische angezogen. Unsere Beobachtungen legen nun den Grundstein für weitere Untersuchungen - mit dem Ziel, dass der Krateroase bald der Status eines IBA-Gebietes zugesprochen wird.

Obwohl der Wau an Namus zu den abgelegendsten und menschenfeindlichsten Orten auf unserer Erde zählt, ist diese einmalige Naturlandschaft heute gefährdet. Man könnte vermuten, dass die Gewässer im Krater das gleiche Schicksal ereilt wie den ebenfalls in der libyschen Wüste liegenden Mandara-See, der heute auf Grund von sinkendem Grunwasser fast trocken liegt. Die Bedeutung als Rast- und Überwinterungsplatz wäre somit Geschichte. Im Vergleich zur Ausdehnung der Wasserflächen zu Richters Zeiten sind jedoch keine wesentlichen Änderungen zu verzeichnen. Die Gefährdung ist anderer Art: Nachdem amerikanische Militärs in den 1960er Jahren versucht haben, die Mückenplage durch das Abwerfen von Napalm-Bomben zu bekämpfen, sind es heute touristische Aktivitäten, die der einzigartigen Oase nachhaltig schaden. Gerhard Göttler, Autor und Herausgeber mehrerer Bücher über die Sahara, schreibt in einem aktuellen Reiseführer: "Heute gleicht schon der Kraterand einer Bob-Bahn. Zu viele Reisende - den Spuren nach zu schließen vor allem Motorradfahrer - scheinen gerade an dieser Stelle endgültig vom Sonnenstich getroffen und meinen, den Kraterrand als Rennbahn und sein Inneres als Kesselwand missbrauchen zu müssen - als gäbe es in der Sahara sonst nicht genug Raum, sich auszutoben...". Wir erlebten zum Glück vollkommen ruhige Tage in dieser Traumlandschaft, hörten allerdings später von der Vision, dass hier irgendwann Hubschrauberrundflüge stattfinden sollen. Bleibt nur zu hoffen, dass derartige Pläne vom heißen Wüstensturm, dem Ghibli, begraben werden.


Literatur zum Thema:

Bundy, G. (1976): The birds of Libya. An annotated check-list.
B.O.U. Check-List No. 1. London.

Göttler, G. (2004): Libyen. Reise Know-How.
Verlag Peter Rump GmbH, Bielefeld.

Jany, E. (1955): Die Sahara-Forschungsfahrt 1954/55 der Gesellschaft
für Erdkunde zu Berlin, C. Botanik und Zoologie. Erde 7: 318-319.

Jany, E. (1960): An Brutplätzen des Lannerfalken.
Proc. 12th Int. orn. Congr., Helsinki 1958: 343-352.

Richter, N. B. (1958): Auf dem Wege zur Schwarzen Oase. Brockhaus, Leipzig.

Für die Bereitstellung des historischen Fotomaterials danken wir Michael Rolke. Für anderweitige Hilfe gilt unser Dank Dr. Stefan Brehme und Jens Edelmann.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2009
56. Jahrgang, Januar 2009, S. 27-29
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2009