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ORNITHOLOGIE/323: Heringsmöwe und Fischmöwe - Bewährte Namen trotz schlechter Übersetzung (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2015

Heringsmöwe und Fischmöwe:
Bewährte Vogelnamen trotz schlechter Übersetzung

von Viktor Wember



Während einige Möwenarten wegen großer Ähnlichkeiten nicht leicht zu unterscheiden sind, haben Heringsmöwe und Fischmöwe eine sehr markante Färbung: die Heringsmöwe mit schwarzer Flügeloberseite und gelben Beinen sowie die am Schwarzen Meer und weiter östlich vorkommende Fischmöwe als einzige Großmöwe mit schwarzem Kopf, weißem Augenring und roter Spitze des gelben Schnabels. Aber sind auch die Namen dieser Möwen aussagekräftig? Ernährt sich die Heringsmöwe nur von Heringen? Und soll "Fischmöwe" bedeuten, dass alle anderen Möwen keine Fische fressen?

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An Vogelnamen darf man nicht den Anspruch stellen, dass sie ein Merkmal mit Ausschließlichkeit beinhalten. Meistens benennt der Name ein Merkmal, das für die Art zwar charakteristisch ist, aber keineswegs ausschließlich zutrifft. Die Tannenmeise lebt nicht nur in Tannenwäldern, sondern "Tanne" steht hier für Nadelwälder allgemein, der Mäusebussard frisst gerne Mäuse, aber begnügt sich oft mit Regenwürmern, und der Schlangenadler ist darauf spezialisiert, Schlangen zu erbeuten, verschmäht aber auch Eidechsen nicht.

Der Hering ist sicherlich für die Heringsmöwe ein typischer Beutefisch, wenngleich er für die ähnlich große Silbermöwe ebenso typisch ist, zumal diese im Englischen "Herring Gull" heißt. Gewiss ist die Benennung nach dem Hering ein Unterscheidungsmerkmal zu den kleineren Möwen, die einen so großen Fisch nicht verschlingen können. Aber "Fischmöwe" wirkt doch zu allgemein. Warum soll ausgerechnet diese Art nach einer Nahrung benannt sein, die für alle anderen Möwen auch zutrifft?

Wenn man freilich ihren wissenschaftlichen Namen übersetzt, erschließt sich einem sofort, wie der deutsche Name zustande kam. Der lateinische Gattungsname Larus heißt "Möwe", und der aus dem Griechischen stammende Artname ichtyaetus bedeutet "Fischadler". Damit ist gemeint, dass man diese Möwe im übertragenen Sinn als Fisch fressenden Adler bezeichnen kann, denn mit ihrer Spannweite von bis zu 170cm ist sie deutlich größer als viele andere Vertreter der Gattung Larus und hinsichtlich ihrer Größe durchaus vergleichbar mit dem Habichtsadler, dem Schreiadler oder dem Fischadler. Sie ist gewissermaßen ein Adler unter den Möwen, ähnlich wie man den größten Bussard Adlerbussard genannt hat.

Die deutsche Übersetzung des wissenschaftlichen Namens erklärt sich ganz einfach als unvollständige Übersetzung. Das Wort "Fisch" wurde übersetzt, der "Adler" fiel unter den Tisch beziehungsweise erwies sich als weiterer Namensbestandteil zu lang oder zu umständlich. Man könnte sagen: Wennschon eine nur halbe Übersetzung, dann wäre "Adlermöwe" besser gewesen. Aber so ist das mit der Eigentümlichkeit der Sprache; Namensgebungen folgen nicht immer der Logik.

Was bedeutet "Eisvogel"?

Auch schlechte Übersetzungen führen später ihr Eigenleben. Den Namen des Eisvogels empfinden wir als sehr gut passend für diesen in der Form schnittigen, kräftig blauen und orangefarbenen Vogel mit dem rasanten Flug und seinem Stoßtauchen ins Wasser. Das Bild dieses Vogels und sein Name sind für uns zu einer selbstverständlichen Einheit geworden, obwohl doch der Name eigentlich unsinnig ist. Der Vogel kann nur auf eisfreien Gewässern jagen. Wenn sie zufrieren, weicht er wenn möglich zu anderen Gewässern aus. Wirklich kalte Winter können zu einem Bestandsverlust von über 90ühren. Sein Name hat ursprünglich auch gar nichts mit dem Eis zu tun. Im Althochdeutschen hieß er "isaro" oder "isar". Weil dieser Name jedoch ähnlich klingt wie das Eis (althochdeutsch "is"), hat die Sprache es mit dem bekannten Wort verschmolzen. Ähnlich wie die Sprache aus dem althochdeutschen "murmunto" ein Murmeltier gemacht hat, obwohl dieses schrill pfeift und niemals murmelt. "murmunto" leitete sich vom lateinischen "musmontis" ab, was "Bergmaus" bedeutet.

Ob der eigenständige Vogelname des "isaro" auch eine beschreibende Bedeutung hatte, wissen wir nicht, so wenig wie bei anderen sehr alten Vogelnamen, zum Beispiel Schwalbe oder Lerche. Der Ursprung dieser Namen liegt so weit zurück, dass man ihre Herkunft nicht exakt erklären kann. Sehr wohl gibt es Deutungsversuche, und mit einiger Wahrscheinlichkeit hängt der Name des isaro mit einem Begriff für das Wasser zusammen, denn es besteht eine Ähnlichkeit zu den Flussnamen Isar, Iser, Isére und Yser.

Wenn eben davon die Rede war, der Name des Eisvogels sei von der Wortbedeutung her unsinnig, soll damit nicht gemeint sein, dass man ihn ändern solle. Im Gegenteil. Es gibt etliche vergleichbare Tiernamen, zum Beispiel Maultier, Vielfraß und Meerkatze. Sie alle sind vom Wortsinn her unlogisch, aber man kann sie erklären. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Sprache, solche Wörter zu bilden. Man muss sie nur richtig verstehen und darf sie nicht allzu wörtlich nehmen.

Ein weiteres Beispiel für einen Vogelnamen, der ursprünglich auf einem Missverständnis und einer schlechten Übersetzung beruht, ist der Habichtskauz. Dennoch ergibt der Name einen Sinn. Diese Eule ist ähnlich groß wie ein Habicht, und Theodor Mebs verweist in seinem Werk über die Eulen Europas darauf, dass das Flugbild des Habichtskauzes aufgrund der breit gebänderten, langen Schwanzfedern dem des Habichts ähnelt. Es ist durchaus hilfreich, dem Namen eines Vogels einen Sinn zu geben, indem man auf zutreffende Bezüge zum Namen hinweist. Man darf jedoch nicht aufgrund dieser Argumente annehmen: "Der Habichtskauz heißt so, weil es diese Ähnlichkeiten zum Habicht gibt." Die Benennung kann ganz andere Gründe haben.

Namensgebung mit Umwegen

Der Habichtskauz wurde erst 1771 von dem deutschen Russlandforscher Pallas entdeckt. Er gab ihm den Namen Strix uralensis, das heißt "Ural-Eule". An keiner Stelle in seinem Werk vergleicht er diese Eule mit dem Habicht, und in etlichen anderen Sprachen heißt diese Art so, wie sie Pallas benannt hatte, zum Beispiel im Englischen "Ural Owl". Nicht so im Deutschen, aber keiner der damaligen deutschen Ornithologen, bei denen diese Art Habichtskauz oder Habichtseule heißt, begründet den Namen mit einer Ähnlichkeit oder sonst einer Beziehung zum Habicht. Im Gegenteil: Es wird auf eine Ähnlichkeit zum Schwanz der Falken und zu den Verhaltensweisen des Bussards hingewiesen. Woher dann dieser Name?

Ende des 18. Jahrhunderts waren mehrere Ornithologen - wohl aufgrund fehlender präziser Angaben - der Meinung, dass die ihnen nur aus der Literatur bekannte "Ural-Eule" und die in der Taiga Eurasiens und Amerikas lebende Sperbereule dieselbe Art seien. Als gemeinsamer Name für die vermeintliche Art diente der englische Name der Sperbereule "Hawk Owl", wortwörtlich ins Deutsche übersetzt "Habichtseule". Aber ornithologisch ist die Übersetzung nicht korrekt, denn "Hawk" ist im Englischen sowohl der Habicht als auch der Sperber ("Goshawk" und "Sparrow Hawk"). Später wurde dann - etwas verkürzt dargestellt - doch wieder differenziert in die "Kleine Habichtseule" und die "Große Habichtseule". Während sich für die Erstere, die "Kleine Habichtseule", in der folgenden Zeit die Bezeichnung "Sperbereule" durchsetzte, blieb bei der Letzteren der Name "Habicht" hängen.

So führten ein Irrtum und eine schlechte Übersetzung letztendlich doch zu einem Vogelnamen, den wir für durchaus passend halten dürfen. Der geschilderte Umweg, auf dem der Habichtskauz zu seinem Namen kam, zeigt uns Feldornithologen sogar noch etwas Interessantes. Tatsächlich gibt es zwei Gemeinsamkeiten der nach Habicht und Sperber benannten Eulen: Beide haben - im Unterschied zu den meisten anderen Eulen - einen sehr langen Schwanz, und beide jagen am Tag. Das wiederum sind zwei Eigenschaften, die der Habichtskauz auch mit dem Habicht gemeinsam hat und die Sperbereule mit dem Sperber - zusätzlich zu der quer gestreiften Unterseite, die letzterer den Namen gab.


Dr. Viktor Wember, seit Kindesbeinen Vogelbeobachter, studierte in München Ornithologie. Er ist promovierter Sozialwissenschaftler, blieb aber stets der Ornithologie eng verbunden und schrieb das Buch "Die Namen der Vögel Europas".


Literatur zum Thema:

Suolahti H 2000: Die deutschen Vogelnamen. Eine wortgeschichtliche Untersuchung. Re-print von 1909. De Gruyter, Berlin.

Wember V 2007: Die Namen der Vögel Europas. Bedeutung der deutschen u. wissenschaftlichen Namen. AULA-Verlag, Wiebelsheim.

www.vogelnamen.net

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2015
62. Jahrgang, Januar 2015, S. 22-23
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
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Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
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Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2015


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