Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 09.12.2016
Auf Video: Bärtierchen-Sex
Görlitz, den 09.12.2016. Senckenberg-Wissenschaftler haben erstmals die Fortpflanzung von Bärtierchen dokumentiert. Im Rahmen einer Studie zum Lebenszyklus der Bärtierchen-Art Isohypsibius dastychi gelang es dem Görlitzer Wissenschaftlerteam in Kooperation mit der Universität Stuttgart das Sexualverhalten der winzigen Tiere auf Video festzuhalten. Sie zeigen, dass sich die achtbeinigen Tiere bis zu einer Stunde lang paaren und dabei ein sehr komplexes Vorspiel vollziehen. Die Studie ist kürzlich im Fachjournal Zoological Journal of the Linnean Society erschienen.
Bärtierchen sind faszinierende Lebewesen: die winzigen Tiere mit ihrer
namensgebenden, langsam tapsigen Fortbewegungsweise haben sich an
vielfältige Lebensräume angepasst. Weltweit sind sie im Meer, Süßwasser
oder in feuchten Lebensräumen an Land zu finden - dort können sie, unter
anderem wegen ihrer Fähigkeit zur Kryptobiose - einem todesähnlichen
Zustand -, Trockenperioden, Kälteeinbrüche, starke Schwankungen im
Salzgehalt oder Sauerstoffmangel überstehen.
"Obwohl dieser Tierstamm aufgrund seiner Besonderheiten schon seit 245 Jahren im Fokus der Wissenschaft steht, ist über den Lebenszyklus und das Sexualverhalten getrennt-geschlechtlicher Bärtierchen-Arten bisher erstaunlich wenig bekannt", erklärt Bodenzoologin Dr. Karin Hohberg vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz und fährt fort: "Wir haben uns diesem Aspekt nun am Beispiel der Bärtierchen-Art Isohypsibius dastychi angenommen."
Das Wissenschaftlerteam zeigt in der aktuell veröffentlichten Studie, dass das Paarungsverhalten der achtbeinigen Tiere komplexer ist als es bisher vermutet wurde. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit gelang es Jana Bingemer, Studentin an der Universität Stuttgart, über 30 Bärtierchen-Paare bei der Fortpflanzung zu beobachten und den Geschlechtsakt auf Video festzuhalten. "Für uns überraschend war das Vorspiel, das zwischen den Bärtierchenpaaren stattfand", erklärt Bingemer und fährt fort: "Die Partner stimulieren sich wechselseitig: das Männchen legt sich um den Kopf des Weibchens und hält sich dort mit seinem ersten Beinpaar fest und das Weibchen stupst ihren Partner so lange leicht mit ihren stilettartigen Mundwerkzeugen an, bis dieser seinen Samen ejakuliert." Dieser Vorgang wiederholt sich mehrfach während der bis zu einer Stunde andauernden Paarung. Währenddessen legt das Weibchen ihre Eier in ihr Häutungshemd ab und steigt zuletzt aus ihrer alten Haut. Die Befruchtung findet daraufhin außerhalb der Bärtierchenkörper im Häutungshemd statt. Taucht zum passenden Zeitpunkt kein Männchen auf, häutet sich das Weibchen ohne die Eier abzulegen. Die Eier verbleiben dann im Körper und werden binnen weniger Tage resorbiert. Nichtpaarungsbereite Weibchen werden von den männlichen Bärtierchen ignoriert.
"Die aktuelle Studie zeigt uns, dass sich die Bärtierchen auch in ihrem Fortpflanzungsverhalten extrem effektiv verhalten - Energie wird nur aufgewandt, wenn es sich auch lohnt", schlussfolgert Hohberg.
Um das Sexualverhalten zu beobachten haben die Wissenschaftler weibliche von männlichen Bärtierchen getrennt und diese dann gezielt und unter Beobachtung wieder zusammengeführt - "nur so konnten wir die Paarung studieren und uns auch sicher sein, wie lange die Entwicklung nach der Eiablage andauert", erzählt die Görlitzer Biologin Eine Gruppe wurde so bei einer Temperatur von 20 Grad, eine andere unter 12 Grad Celsius aufgezogen. Unter kälteren Bedingungen verlängerte sich die Generationszeit der Tiere von etwa 28 auf 44 Tage: die Bärtierchen waren sowohl später geschlechtsreif, als auch deutlich größer, als ihre unter wärmeren Bedingungen lebenden Artgenossen.
Link zum Video
www.youtube.com/user/SenckenbergFrankfurt
Publikation
Bingemer, J., Hohberg, K. and Schill, R. O. (2016),
First detailed observations on tardigrade mating behaviour and some aspects
of the life history of Isohypsibius dastychi Pilato,
Bertolani & Binda 1982 (Tardigrada, Isohypsibiidae).
Zool J Linn Soc, 178: 856-862.
doi:10.1111/zoj.12435
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http://idw-online.de/de/institution639
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Judith Jördens, 09.12.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2016
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