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ZOOLOGIE/828: Liebe in der Tierwelt? (Uni Bielefeld)


BI.research 36.2010
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Liebe in der Tierwelt?
Partnerwahl ohne Empathie

Von Sabine Schulze


Das bedauernde Schmunzeln ändert nichts an der harten Wahrheit, die Prof. Dr. Fritz Trillmich verkündet: "Evolutionär betrachtet ist auch die menschliche Familie vor allem eine Zweckgemeinschaft." Liebe? Für Trillmich der Kitt, der die Bindungen stabilisiert. Streng genommen aber nützliches Beiwerk. Zwar ist der Mensch ein spezieller Primat, der in die Brutpflege womöglich das sprichwörtliche "halbe Dorf" einbindet. Tatsächlich aber dient der Verbund aus der Sicht eines Verhaltensforschers primär dazu, den Nachwuchs groß zu ziehen. "Eigentlich liegt allen Verpaarungsstrategien die eine Frage zugrunde: Schafft man es, den Nachwuchs alleine aufzuziehen, oder braucht man einen Partner", sagt Trillmich. Da letztlich bei den Säugetieren - zu denen der Mensch nun einmal gehört - das Weibchen alleine für die Ernährung der Kleinen zuständig ist, wären Säuger mithin prädestiniert für Polygamie. "Und dennoch gibt es langdauernde Bindungen - zum Beispiel bei den Schakalen." Schließlich hat das Männchen hier auch weiter eine Funktion: "Es bewacht den Nachwuchs und hilft bei der Ernährung durch das Hochwürgen von Fleisch."


Monogamie in den Genen?

Tatsächlich aber scheint Monogamie durchaus auch in den Genen zu liegen: Bei monogamen wild lebenden Mäusen haben Wissenschaftler ein Gen entdeckt, das unsere Hausmäuse nicht haben und das für bestimmte Rezeptoren im Gehirn kodiert. Als man nun den Hausmäusen dieses Gen implantierte, wurden plötzlich auch sie, die es mit der Treue nicht so hatten, häuslich und monogam. Funktional und damit leichter zu erklären ist die Einehe hingegen bei den Gänsen, die "Graser" sind: Eine große Familie tritt dominant auf, sie kann ihre Jungtiere besser "durchbringen". Romantisierende, menschliche und vermenschlichende Vorstellungen, raubt Trillmich jede Illusion, seien auch hier völlig fehl am Platze. Auch dafür, dass die "Nachlaufprägung" der Brut von Enten und Gänsen um so ausgeprägter ist, je schlechter sie behandelt werden, gibt der Biologe eine funktionelle Erklärung: Bei einer schlechten Mutter muss das Jungtier selbst den Anschluss halten, um zu überleben. Eine gute Mutter hingegen passt auf, wenn die Küken auf Abwegen sind.


Jemanden riechen können oder auch nicht

Was nun bei der Partnerwahl eine Rolle spielt, haben Biologen wie der Bielefelder Verhaltensforscher Prof. Dr. Hans-Joachim Bischof längst erklärt: Zum Zuge kommt bei den Weibchen - egal ob Hirsch oder Zebrafink - das männliche Tier, das Stärke und Durchsetzungsvermögen verspricht. Von ihm ist gesunder, starker Nachwuchs zu erwarten, der zu überleben verspricht. Empathie ist auch hier kein Kriterium. Das Männchen hat eine Funktion zu erfüllen, die Brutpflege und den Schutz des Reviers (und der Nahrungsreserven) umfassen kann. Ganz offenkundig aber spielt bei der Wahl dessen, dem man die Annäherung erlaubt, zuweilen auch der Duft eine Rolle. Dass Hunde sich ausgiebig beschnüffeln, ist auf jeder Hundewiese zu beobachten. Aber auch der Mensch lässt sich von seiner Nase leiten: Er kann einen anderen riechen - oder eben auch nicht. Ohne Hintersinn ist das ebenfalls nicht. Denn dafür, dass einem das Gegenüber nicht stinkt, erklärt Trillmich, sind Gewebsantigene verantwortlich. Sie sind ungeheuer variabel und prägen Proteine aus, die an der Oberfläche der Zellen liegen. Eine Rolle spielen sie bei jeder Organtransplantation: "Der Körper unterscheidet hier zwischen 'selbst' und 'fremd', weil er fremde Oberflächen-Antigene sofort erkennt und darauf reagiert." Aber sie haben auch noch eine andere Funktion: "Bruchstücke dieser Gene scheiden wir aus. Sie binden offenbar Geruchsstoffe, die für den individuellen Geruch verantwortlich sind." Immer der Nase nach gehen nicht nur die Menschen: "Mäuse und Stichlinge suchen zum Beispiel Sexualpartner, die wenig mit ihrem Geruch übereinstimmen. Denn das bedeutet andere 'Histokompatibilitätsgene', also neue Gene und damit womöglich eine größere Resistenz des Nachwuchses gegen Krankheiten und Parasiten, die bei der Fortpflanzung mit Beinahe-Klonen freie Bahn haben könnten, weil sie sich längst angepasst haben", erklärt Trillmich. Für den Menschen könnte es allerdings problematisch werden, wenn er seinem Geruchssinn gefolgt ist, sagt der Verhaltensforscher: Denn wenn die Frau in der Phase des Kennenlernens die 'Pille' nahm, ist ihre Präferenz für Gerüche womöglich verändert. "Da die Pille eine Pseudo-Schwangerschaft vorgaukelt, werden Geruchsverwandte bevorzugt." Das könnte nach dem Absetzen der Pille zu Überraschungen führen.


Vertrauenshormon Oxytocin

Hormonell zu erklären ist immerhin auch, warum selbst Säuger nach dem Akt der Begattung - mit dem die Fortpflanzung ja gesichert wäre - zusammen bleiben: Oxytocin heißt der Stoff, der für die Bindung sorgt und den Trillmich "Vertrauenshormon" nennt. Er wird während der Kopulation durch die Dehnung der Vagina und bei der Ejakulation ausgeschüttet und wirkt auf Rezeptoren im Gehirn. "Gut untersucht ist die Rolle des Oxytocin auch in der Mutter-Kind-Bindung bei Schafen. Weil es während der Geburt massiv ausgeschüttet wird, nimmt die Mutter ihr Kind an." Das Hormon sorgt für eine Veränderung der emotionalen Lage bis ins Stammhirn. Warum aber Bindungen bestehen bleiben, wenn der Nachwuchs längst herangewachsen ist, erklärt nicht allein das Oxytocin. Trillmich stellt die Frage allgemeiner: "Warum leben wir noch deutlich länger, wenn wir ohnehin nicht mehr fortpflanzungsfähig sind?" Der Grund könnte der "soziale Uterus" sein: Großeltern haben eine Funktion. Dank Großvater und vor allem Großmutter ist der Fortpflanzungserfolg deutlich größer und sind die Überlebenschancen der Kinder größer. "Alle zwei Jahre ein Kind zu gebären kann sich der Mensch nur leisten, weil er soziale Hilfen hat", sagt Trillmich. Eine (von mehreren) Hypothesen, mit denen Biologen und Anthropologen die Größe unseres Gehirns erklären, fußt auf diesem sozialen Umfeld: "Der Mensch muss in einer komplexen Umgebung die richtigen Signale senden, empfangen und situationsgerecht interpretieren können, er muss quasi die richtigen Knöpfe drücken können."

Dabei dient dem Überleben nicht allein die regelmäßige Fütterung, wie schon Stauferkaiser Friedrich II. im 13. Jahrhundert in einem grausamen Experiment mit Waisenkindern nachgewiesen haben soll: Auf der Suche nach der Ursprache, habe er die Pflegerinnen von Säuglingen angewiesen, diese Kinder zwar gut zu versorgen, aber nicht mit ihnen zu sprechen und abzuwarten, wie sie selbst sprechen würden. Die Kinder sprachen aber nie, sondern starben schnell. Auch andere Bedürfnisse wollen also befriedigt sein, weil sie dem Erlernen sozialen Verhaltens dienen. "Vor Jahrzehnten sind dazu mit Rhesusäffchen Versuche gemacht worden, die heute so nicht mehr durchgeführt würden", erzählt Trillmich. Man hat sie den Muttertieren weggenommen und als Ersatz zwei Drahtpuppen angeboten. Die eine war mit einer Milchflasche bestückt, die andere mit Fell überzogen. Zum Trinken gingen die kleinen Äffchen zum Mutterersatz mit Fläschchen. Wenn sie aber Angst hatten, klammerten sie sich an die Attrappe mit Fell. "Die Sozialisation dieser verwirrten Äffchen gelang später nur noch teilweise und dann auch nur durch den Kontakt mit Jungtieren; mit ihnen haben die Versuchstiere gelernt." Eine zufriedenstellende, sichere Bindung in der Kindheit, in der frühen Phase des Heranwachsens, sagt Trillmich, sei mithin entscheidend für das spätere Sozialverhalten.


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Quelle:
BI.research 36.2010, Seite 10-13
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010