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FORSCHUNG/184: Nicht alle Nadelbäume waren immergrün (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 09.07.2009

Nicht alle Nadelbäume waren immergrün

- Camillo-Schneider-Preis für RUB-Biologen
- Neue Erkenntnisse zur Evolution von Gehölzen


Entscheidende neue Erkenntnisse zur Evolution von Nadelbäumen hat der Bochumer Biologe Dr. Veit Martin Dörken in seiner Dissertation gewonnen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen die meisten der heutigen immergrünen Nadelhölzer von laubwerfenden Vorfahren ab, die vor Millionen von Jahren im Winter kahl waren. Die Ergebnisse seiner Arbeit widersprechen der allgemeinen Lehrmeinung, dass der immergrüne Zustand bei Laub- und Nadelbäumen immer der ursprüngliche Zustand sein muss. Die Lehrbücher der Botanik müssen damit in Zukunft vielleicht umgeschrieben werden. Für seine herausragende Doktorarbeit erhält Dr. Dörken am 1. August den mit 2.500 Euro dotierten Camillo-Schneider-Preis der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (DDG).


900 Gehölze untersucht

Dörken erforscht den Zusammenhang von Triebdifferenzierung und Saisonalität sowohl bei Laub- aus auch bei Nadelgehölzen (Koniferen). Dazu hat er rund 900 Gehölze morphologisch, anatomisch und physiologisch untersucht, wobei er im Wesentlichen auf den reichen und gut strukturierten Bestand des Botanischen Gartens der Ruhr-Universität und kooperierender Botanischer Gärten zurückgreifen konnte. "Ohne unseren Garten wären solche Arbeiten nicht denkbar", sagt Prof. Dr. Thomas Stützel, Betreuer der Dissertation und Direktor des Botanischen Gartens. Die Erkenntnisse von Veit Dörken lassen sich nicht nur nutzen, um die Evolution der Koniferen zu rekonstruieren - sie erlauben auch, zusammen mit paläobotanischen und -geographischen Daten, die Vegetationsgeschichte von Großräumen zu ergründen. "Die globalen Veränderungen der Vergangenheit können unter anderem helfen, die Folgen künftiger Veränderungen zu prognostizieren", so Dr. Dörken.


Lang- und Kurztrieb-Differenzierung

Bei Gehölzen treten Blätter entweder gleichmäßig am Zweig auf (Langtrieb) oder sie stehen dicht gehäuft an gestauchten Trieben, den so genannten Kurztrieben, wie man sie zum Beispiel vom Kirschbaum oder von der Lärche kennt. Unter den Laubbäumen ist jedoch der "Kuchenbaum" eine Kuriosität, weil er an seinen Kurztrieben jährlich nur ein einziges Laubblatt bildet, das dieselbe Größe und Form aufweist wie ein Langtriebblatt. Diese Beobachtung gab Anlass zur Vermutung, dass eine Langtrieb-/Kurztrieb-Differenzierung - wie sie auch bei Nadelbäumen vorkommt - eine Anpassung an saisonalen Laubfall darstellt (winter- oder trockenkahl). Das würde bedeuten, dass triebdifferenzierte immergrüne Koniferen von saisonal kahlen Vorfahren abstammen - und dass saisonal kahle Nadelbäume vor Jahrmillionen wesentlich häufiger waren als heute. So wäre zum Beispiel die Lärche schon ursprünglich winterkahl gewesen, die heute immergrüne, triebdifferenzierte Zeder oder Kiefer hingegen wäre erst sekundär in der Evolution in diesen Zustand übergegangen.


"Reminiszenz" an den ursprünglichen Zustand

Die Ergebnisse der Arbeit bestätigen einen engen Zusammenhang zwischen Saisonalität und Triebdifferenzierung: Zeitweise kahle Laubgehölze sind bis auf wenige Ausnahmen triebdifferenziert, immergrüne nur in Ausnahmefällen. Auch bei den untersuchten Nadelbäumen sind zwar alle saisonal kahlen triebdifferenziert, aber auch eine Vielzahl immergrüner Arten (wie alle Arten aus den Gattungen Cedrus, Pinus und Sequoia). "Zieht man die heutige geographische Verbreitung der Arten, ihre Verbreitungsgeschichte sowie die Standortbedingungen in die Überlegungen mit ein, so ist es höchst wahrscheinlich, dass heute winterkahle Nadelbäume wie Lärche (Larix), Urweltmammutbaum (Metasequoia) und Sumpfzypresse (Taxodium) schon immer saisonal kahl waren", so Dörken. "Für triebdifferenzierte, immergrüne Nadelbäume wie Zedern- oder Kiefer-Arten liefern die Untersuchungsergebnisse zahlreiche Indizien, die für ein phylogenetisches Zwischenstadium sprechen." Ihre heutige Triebdifferenzierung wäre somit als "Reminiszenz" an eine sehr lange zurückliegende Saisonalität zu verstehen.


Laubabwurf an der Sollbruchstelle

So ist es zum Beispiel erstaunlich, dass einige immergrüne Gruppen wie die Kiefern aus der Familie der Kieferngewächse einen geordneten, saisonalen Laubwechsel aufweisen - sie werfen am Ende der Wachstumsperiode im Herbst massenhaft nur die ältesten Nadelblätter ab, allerdings ohne dass der Baum kahl wird, weil die jüngeren Nadelblätter am Baum verbleiben. Bei den Zypressengewächsen zeigen ebenfalls alle immergrünen Vertreter zu dem Zeitpunkt, wenn auch alle saisonal kahlen Vertreter ihr Laub abwerfen, einen geordneten Laubwechsel. Dabei werden die Nadelblätter an Kurztrieben im Gegensatz zu denen der Langtriebe nicht einzeln, sondern samt Trieb abgeworfen. Der Abwurf dieser beblätterten Triebe erfolgt sowohl bei den saisonal kahlen als auch immergrünen Arten über eine "Sollbruchstelle", die im unmittelbaren Übergang von Abstammungsachse zu Seitentrieb ausgebildet ist.


Forschungslücke Nadelbäume

"Solche Strukturen sind wohl eher das Relikt einer ehemaligen Saisonalität und nicht die Vorbedingung für eine möglicherweise in der Evolution später erst auftretende Saisonalität", so Dörken. Sowohl die Kiefern als auch die Zypressengewächse stehen demzufolge im Gegensatz zu typischen immergrünen Arten, die das ganze Jahr über ohne erkennbaren Zyklus Blätter abwerfen. "Die Evolution der Langtrieb -/Kurztrieb-Differenzierung ist daher bei Nadelbäumen offensichtlich eine grundsätzlich andere als bei Laubbäumen und bisher noch nicht ganz geklärt", lautet Dörkens Fazit.


Camillo-Schneider-Preis

Dr. Dörkens Arbeit "Saisonalität und Langtrieb-/Kurztrieb-Differenzierung bei Gymnospermen: ursprünglich oder abgeleitet?" überzeugte die Jury beim diesjährigen Camillo-Schneider-Preis. Die DDG vergibt den mit 2.500 Euro dotierten Preis als Nachwuchsförderung für hervorragende Arbeiten zur Gehölzkunde (Dendrologie). Der Preis soll einen Anreiz geben, gehölzkundliche Themen wissenschaftlich zu bearbeiten und damit auch einen Beitrag zu leisten zur Erhaltung, Nutzung und zum Schutz von Gehölzen. Der diesjährige Preisträger, Dr. Veit Dörken, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Evolution und Biodiversität der Pflanzen (Inhaber: Prof. Dr. Thomas Stützel) an der Fakultät für Biologie und Biotechnologie der RUB sowie Autor des ersten dendrologischen Führers durch den Botanischen Garten der RUB.

Weitere Informationen unter:
http://www.pm.ruhr-uni-bochum.de/pm2009/msg00215.htm
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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution2


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 09.07.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2009