Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → BOTANIK

FORSCHUNG/319: Neue Erkenntnisse zur einheimischen Schwalbenwurz (idw)


Universität Bayreuth - 14.05.2013

Neue Erkenntnisse zur einheimischen Schwalbenwurz


Foto: © PD Dr. Ulrich Meve, Universität Bayreuth

Schwalbenwurz (Vincetoxicum hirundinaria) an der Neubürg. Foto: © PD Dr. Ulrich Meve, Universität Bayreuth

Die Schwalbenwurz ist das einzige in Deutschland einheimische Seidenpflanzengewächs. Ihr lateinischer Name "Vincetoxicum hirundinaria" enthält die lateinischen Wörter "vincere" (besiegen) und "toxicum" (Gift) und erinnert damit an die früher weit verbreitete Auffassung, die Schwalbenwurz sei ein medizinisches Gegengift, zum Beispiel bei Schlangenbissen. Lange Zeit waren ihre Stammesgeschichte und verwandtschaftliche Stellung in der botanischen Forschung ungeklärt. Ein Forscherteam um Prof. Dr. Sigrid Liede-Schumann an der Universität Bayreuth hat jetzt in einer umfangreichen Studie Licht in dieses Dunkel bringen können.


Molekulare Analyse von 71 Pflanzenarten

Bedeutende Erkenntnisse erbrachte eine neue molekulare Analyse mit ingesamt 71 Pflanzenarten. Die Gattungen, denen diese Arten angehören, sind näher miteinander verwandt; sie wurden deshalb in einer Gattungsgruppe mit dem Namen "Tylophorinae" zusammengefasst. Die Analyse der 71 Pflanzenarten ermöglichte es nun, die Stammes- und Verbreitungsgeschichte dieser Verwandtschaftsgruppe sehr weitgehend zu rekonstruieren. Dabei stellte sich heraus, dass die Tylophorinae vor rund 18 Millionen Jahren in Afrika entstanden sind; ungefähr zu der Zeit, als sich der Tethysozean - das "Urmeer" zwischen den damaligen Kontinenten - zu schließen begann. Bereits vor 15 bis 12 Millionen Jahren, in einer Periode mit zunehmender Trockenheit und einem daraus resultierenden niedrigen Meeresspiegel, dürften sich die Tylophorinae fast über ihr gesamtes heutiges Verbreitungsgebiet in Afrika, Australien, Asien und Europa ausgedehnt haben.


An gemäßigte Klimate angepasst: Zwei Gruppen des aufrechten Vincetoxicum-Typs

Bislang wurden Vincetoxicum und Tylophora als zwei separate Gattungen innerhalb der Tylophorinae aufgefasst. Doch die molekulare Analyse hat die traditionelle Sichtweise widerlegt. Viel sinnvoller erscheint es jetzt, zwei Wuchsformen-Typen voneinander zu unterscheiden: einerseits Pflanzen des Vincetoxicum-Typs mit nicht oder nur schwach windenden Stauden, die die ungünstige Jahreszeit mit Hilfe unterirdischer Rhizome überdauern; andererseits windende, ganzjährig wachsende Kletterpflanzen des Tylophora-Typs. "Aus einer Gruppe des Kletterpflanzen-Typs haben sich im Verlauf der Geschichte zweimal Pflanzen des aufrechten Vincetoxicum-Typs herausentwickelt, die an gemäßigte Klimate angepasst sind", erklärt Prof. Dr. Liede-Schumann. "Daraus folgt, dass Vincetoxicum und Tylophora als eigenständige Gattungen nicht mehr aufrecht erhalten werden können und alle Arten unter dem älteren Namen, Vincetoxicum Wolf, zusammengefasst werden müssen."

Die erste der beiden Gruppen des aufrechten Vincetoxicum-Typs ist bereits vor 9,3 Millionen Jahren entstanden. Diese Gruppe, zu der auch unsere einheimische Schwalbenwurz gehört, hat sich vor ca. 5 Millionen Jahren, also nach der letzten Anhebung des Tibetischen Plateaus und damit einhergehender zunehmender Trockenheit, über das ganze temperate Asien sowie Teile Europas und später bis nach Südschweden und Finnland ausgebreitet. Da einige Arten dieser Gruppe zur Selbstbefruchtung befähigt sind, haben sie sich nach ihrer Einschleppung in die Vereinigten Staaten und Kanada vor etwa 100 Jahren dort sehr stark ausgebreitet und werden dort als aggressive Neubürger (Neophyten) bekämpft. Die andere Gruppe des aufrechten Vincetoxicum-Typs ist vor etwa 7,2 Millionen Jahren, zeitgleich mit dem Beginn des asiatischen Sommermonsuns, entstanden. Sie blieb bis heute auf China und Japan beschränkt.

Foto: © PD Dr. Ulrich Meve, Universität Bayreuth

Tylophora anomala: linke Pflanze aus Malawi, hexaploid; rechte Pflanze aus Kamerun, dodecaploid.
Foto: © PD Dr. Ulrich Meve, Universität Bayreuth


Rückkehr nach Afrika: Neue Erkenntnisse zur Entwicklung der Arten

Auch hinsichtlich der Entwicklung der Arten haben die molekularen Analysen zu neuen Ergebnissen geführt: In Afrika, Australien und Eurasien kam es vor 9 bis 10 Millionen Jahren zu einer intensivierten Artbildung, zeitgleich mit der Intensivierung des Indischen Sommermonsuns und dem damit einhergehenden jahreszeitlichen Wechsel des Klimas. Aus der Gruppe der in Australien und Eurasien entstandenen Arten heraus ist vor etwa 6,8 Millionen Jahren ein Vertreter der Tylophorinae wieder zurück nach Afrika gekommen und hat dort eine kleine Artengruppe begründet. Bei dieser Artengruppe kam es zu einer Vervielfachung der Chromosomenzahl. In Afrika leben also heute Nachfahren der ursprünglichen Tylophorinae und die Arten asiatischer Herkunft nebeneinander. Beide Gruppen gleichen sich hinsichtlich ihrer äußeren Gestalt, erst durch die genetischen Untersuchungen wurden die Unterschiede in ihrer Stammesgeschichte erkennbar.


Veröffentlichung:
Sigrid Liede-Schumann, Hanghui Kong, Ulrich Meve, and Mike Thiv,
Vincetoxicum and Tylophora (Apocynaceae-Asclepiadoideae: Asclepiadeae) - two sides of the same medal: Independent shifts from tropical to temperate habitats.
Taxon (2012), 61: 803-825.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/de/institution4

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 14.05.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2013