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KOMMENTAR/083: CO2-Elimination - zu fein, um wahr zu sein (SB)


Mit Werbesprüchen an der Grundlagenforschung vorbei

Filigrane Millimeterarbeit mit ungewissem Ausgang


Die Überschrift einer Pressemitteilung des Informationsdienstes Wissenschaft im Juli 2007 "Aus trägen Stäbchen werden reaktive Häkchen: Zinkoxid reißt CO2 aus seiner Trägheit heraus" klingt genau genommen viel zu schön, um wahr zu sein, zumal sich - gefördert vom eigenen Wunschdenken - der Eindruck beim Lesen des Textes geradezu aufdrängt, die Ruhr-Universität Bochum habe tatsächlich eine Lösung für das Weltklimaproblem gefunden, mit dem sich auch noch im nebenherein Wertstoffe produzieren lassen.

Damit eröffnet sich eine neue Möglichkeit, aus aktiviertem CO2 durch Reaktion mit anderen Molekülen auf chemischem Wege Produkte zu erzeugen, die entweder anderweitig verwendet oder kostengünstig gelagert werden können.
(idw, 9. Juli 2007)

Die Ruhr-Universität rechtfertigt gewissermaßen die Arbeiten ihres Sonderforschungsbereichs 558 (www.sfb.558.de) mit diesem vielversprechenden Ziel, dem man, den Behauptungen auf der entsprechenden Website folgend, schon sehr nahe gekommen ist. Denn so ziemlich alle Projekte des SFB 558 drehen sich um das gleiche Traumziel "Entfernung von Unerwünschtem" (z.B. Kohlenstoffmonoxid) bei gleichzeitiger Produktion von Wertstoffen (z.B. Methanol).

Nun ist gerade die Entfernung des unerwünschten Kohlenstoffdioxids aus der Atmosphäre ein derzeit vieldiskutiertes Problem im Klimageschehen, weshalb uns der kurze Bericht des idw - wie vermutlich andere umweltinteressierte Leser auch - neugierig machte.

Nun gibt es schon einige Beispiele für gröbere chemische Ansätze, um Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft zu fangen und lagerfähig zu machen, die bestenfalls auf so etwas wie die Produktion von Kalkstein hinauslaufen. So wurde schon Luft durch eine kalkhaltige Lauge geleitet, wobei das reaktionsträge CO2 als Kalkstein ausfällt, was anschließend in Briketts gepreßt, getrocknet und gebrannt werden kann. Bei diesem energieaufwendigen Vorgehen wird, wie man sich denken kann, eine große Menge CO2 erneut in die Atmosphäre abgegeben (spätestens durch die Befeuerung des Brennofens). Die Befürworter dieses Verfahrens bauen allerdings auf solare Alternativen, bei denen dann doch in der Endbilanz mehr CO2 dingfest gemacht wird als erzeugt.

Den aufwendig produzierten Kalkstein, der sich zwar sicherlich auf irgendeine Weise verbauen oder verwenden läßt, kann man nicht unbedingt als "Wert"stoff bezeichnen. Angesichts großer natürlicher Vorkommen steht er als Baustoff in der ganzen Welt reichlich zur Verfügung.

Ganz anders wäre das, wenn sich aus dem Unerwünschten tatsächlich etwas machen ließe, was einen realen Bedarf abdeckt und das auch noch bei niedrigen Temperaturen und ohne weitere Energiezufuhr. Solche Möglichkeiten eröffnen zumindest theoretisch die neuen oberflächenkatalytischen Verfahren auf Zinkoxid-Basis, ohne daß diese im einzelnen benannt werden. Die vom idw genährten Hoffnungen erweisen sich spätestens dann als hohle Blase, wenn man erfährt, daß an der Ruhr-Universität Bochum bisher nichts dergleichen produziert werden konnte. Die Forschungsarbeiten haben sich bislang bestenfalls der Ahnung angenähert, daß so etwas vielleicht unter bestimmten Bedingungen in ferner Zukunft einmal möglich ist. Warum, mag sich der kritische Leser wohl fragen, ist das nicht genug, um auch kleine Erfolge zu würdigen? Statt dessen werden Sensationen impliziert, die vielleicht oberflächlich die beruhigende Gewißheit schaffen, die Forschung habe sich des Klimageschehens schon angenommen, bei genauerem Nachfassen aber enttäuschen.

Die systematische Untersuchung der Wechselwirkung von Zinkoxid mit verschiedenen kleinen Molekülen, so heißt es im idw-Bericht, habe die Forscher des Sonderforschungsbereiches 558 ("Metall-Substrat- Wechselwirkungen in der heterogenen Katalyse") unter Prof. Dr. Christof Wöll selbst überrascht:

Sie zeigte, dass Zinkoxid schon bei relativ niedrigen Temperaturen CO2 aktivieren kann. Auf der Oberfläche entsteht aus dem stäbchenförmigen, reaktionsträgen Kohlendioxid das stark gewinkelte Carbonat-Ion, das chemisch viel aktiver ist. Über ihr Ergebnis berichten die Forscher in der Zeitschrift Angewandte Chemie.
(idw, 9. Juli 2007)

Der erwähnte Artikel in der Zeitschrift Angewandte Chemie "CO2- Aktivierung durch ZnO unter Bildung eines ungewöhnlichen dreizähnigen Oberflächencarbonats" (von Yuemin Wang, Roman Kovácik, Bernd Meyer, Konstantinos Kotsis, Dorothee Stodt, Volker Staemmler, Hengshan Qiu, Franziska Traeger, Deler Langenberg, Martin Muhler und Christof Wöll) wirkt dagegen ernüchternd.

Zwar wird auch hier gleich im ersten Satz die große Bedeutung einer CO2-Aktivierung für die Katalyse und mögliche Wertstoffgewinnung betont, und auch auf das große Interesse an der ...

... Entwicklung neuer Prozesse für eine Einlagerung dieses Treibhausgases bis zur Methanolsynthese aus Synthesegas (CO/CO2/H2) über Cu/ZnO-Katalysatoren
(Angew. Chem. 2007, 119, 5722-5725)

hingewiesen.

Ansonsten sind dieser Artikel wie auch seine im September erschienene Fortsetzung über die "heterogene Katalyse" Dokumente einer filigranen Sisysphusarbeit, mit der die Forscher, mit Hilfe von zahllosen Experimenten die Voraussetzungen für eine solche Möglichkeit Millimeter für Millimeter abzuklopfen suchen. Schon eine winzige, aber signifikant wiederholbare Änderung in der Bindungsenergie zwischen Kohlenstoff- und Sauerstoffatom des Kohlenmonoxids gelten hier dann schon als sehr wahrscheinlicher Hinweis darauf, daß wieder ein Millimeter auf dem Weg, Theorie in Praxis umzusetzen, geschafft wurde.

Damit sind aber real weder chemisch verwendbare Wertstoffe (wie Methanol oder Dimethylcarbonat, zwei typische, in der chemischen Industrie häufig gebrauchte Wertstoffe) geschaffen, noch wurde damit tatsächlich schon CO2 in irgend etwas anderes umgesetzt.

Man könnte sogar kritisieren, daß im Verlauf der Forschung bis zu diesem Zeitpunkt ungeheure Mengen an Strom und Energie verbraucht wurden, um elektronische Rechner zu betreiben, teure Laborinstrumente und Spezialspektrometer herzustellen usw. und damit (wenn man denn alles nach Art eines CO2-Fußabdruckes aufsummiert, wie es heute gerne gemacht wird) CO2-Quantitäten produziert wurden, die mit den gefundenen Ergebnissen bisher in keinem Verhältnis stehen.

Die Ergebnisse selbst sind so ernüchternd klein, daß man als Außenstehender vielleicht ahnt, warum die Forscher sich und ihre Geldgeber mit "flotten Sprüchen" und attraktiven Perspektiven bei Laune halten müssen.

So waren die durch eine Kombination verschiedener Techniken erzielten Ergebnisse zur Wechselwirkung von CO2 mit ZnO laut idw-Bericht zunächst unverständlich und erst durch eine enge Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern der Theoretischen Chemie zu deuten, die Reaktionen im Computer ablaufen lassen und detailliert untersuchen können. Das ist eine an dieser Stelle schon vielfach kritisierte Vorgehensweise, um nicht einsehbare Prozesse des Mikrokosmos sichtbar zu machen. Genau genommen laufen Rechenprogramme nur unter den von Forschern eingegebenen Vorgaben, d.h. ungewollt gehen die Vorstellungen und Theorien der Forscher in diese Rechenprogramme ein, was letztlich immer zu den gewünschten Darstellungen führt.

Laut Prof. Wöll offenbarte sich hierbei für die Aktivierung des Kohlendioxids, daß sie nicht an Lücken im Kristallgitter, sogenannten Defekten, sondern an einer perfekten Zinkoxidoberfläche stattfindet, die bis dahin von Fachleuten für reaktionsträge gehalten wurde:

Mit Hilfe von Computersimulationen, in die die einzelnen spektroskopischen Meßergebnisse der Gruppe eingingen, wurde dann gezeigt, daß an den Oberflächen aus dem linearen CO2-Molekül durch die Aktivierung, wie gewünscht, ein gewinkeltes Häkchen entsteht.

Dr. Wang legte besonderen Wert auf die Tatsache, daß die CO2-Moleküle nicht einfach gebogen werden, sondern die Biegung (als symbolische Darstellung für die Aktivierung bzw. Veränderung der Spannungsverhältnisse der Verbindung) durch eine kurzfristige Bindung an das Zinkoxid (ZnO) zustande kommt, wobei ein sogenanntes dreizähniges Oberflächencarbonat (CO3(2-)) entsteht. Da die Oberfläche auf diese Weise nicht dicht belegt würde, seien zwischen den einzelnen angehafteten Molekülen automatisch Plätze oder Lücken entstanden, was den Forschern die theoretische Möglichkeit eröffnete, noch weitere andersartige Moleküle, zum Beispiel Kohlenstoffmonoxid (CO), von der Zinkoxidoberfläche absorbieren zu lassen.

Das reichte dann schon, um den Leiter des Projekts, Prof. Wöll, zu der von ihm gegenüber dem idw geäußerten Hoffnung zu veranlassen:

Damit eröffnet sich eine neue Möglichkeit, aus aktiviertem CO2 durch Reaktion mit anderen Molekülen auf chemischem Wege Produkte zu erzeugen, die entweder anderweitig verwendet oder kostengünstig gelagert werden können.
(idw, 9. Juli 2007)

Zu dem Zeitpunkt, als der idw-Artikel erschien, war die Forschungsgruppe jedoch tatsächlich auch schon wieder einen ebenfalls winzigen Schritt weiter, dessen schriftliche Dokumentation auch schon als Folgeartikel bei der Fachzeitschrift Angewandte Chemie eingereicht war.

Die Wissenschaftler um Prof. Wöll und Dr. Wang hatten inzwischen einen signifikanten Hinweis gefunden, daß sich z.B. Kohlenstoffmonoxid sehr viel besser und effektiver an eine ZnO-Oberfläche anlagert, wenn auf dieser zuvor eine Modifizierung mit CO2-Häkchen stattgefunden hat. Diesen Vorgang nennen sie "Coadaption". Die unerwartete, aber signifikante Erhöhung der CO-Bindungsenergien nach vorheriger CO2- Adsorption ist letztlich der nächste Schritt auf das hochgesteckte Ziel zu, einen Wertstoff aus einem unerwünschten Treibhausgas zu machen. Und das ist auch schon alles.

Wie man in dem Artikel aus Angewandte Chemie "Die Steuerung der Reaktivität von Oxidoberflächen durch ladungsakzeptierende Adsorbate" (von Yuemin Wang, Xinyu Xia, Alexander Urban, Hengshan Qiu, Jennifer Strunk, Bernd Meyer, Martin Muhler und Christof Wöll) nachlesen kann, führte auch hier erst die akribische Einhaltung spezieller Bedingungen zu dem gewünschten Nachweis. So müssen spezielle Modellkatalysatoren (üblicherweise Einkristalloberflächen), deren räumliche Struktur ausreichend gut definiert sein muß, daß sie zweifelsfreie elektronische Meßergebnisse erlauben, sehr mühsam herangezüchtet werden, was meist unter erschütterungsfreien Bedingungen in speziellen Klimaräumen, teilweise sogar im relativen Vakuum geschieht. Die aufwendige Produktion, bei der schon geringe Erschütterungen oder Änderungen in der Luftfeuchtigkeit den Aufbau des Einkristalls stören, Meßergebnisse beeinflussen und somit die Forscher zwingen können, noch einmal ganz von vorne anzufangen, dient hier im wesentlichen nur dazu, auszuschließen, daß der gefundene Effekt durch zufällige Defekte der Pulverstruktur (z.B. Sauerstoff-Fehlstellen) verursacht wird. Anders gesagt, auch damit wird für den oben beschriebenen Hinweis nur ein winziger Puzzlestein nachweislich bestätigt.

Auf diese Weise läßt sich vielleicht das Ausmaß der um ein Vielfaches größeren Arbeit abschätzen, die wohl noch vor den Forschern liegt, wenn sie sich von ihrem Ziel, aus CO2 einen Wertstoff zu entwickeln, nicht abbringen lassen.

Um beispielsweise aus den Komponenten CO2, CO und H2 auf diesem Wege eine Verknüpfung zu erwirken, die irgendwann zu Methanol oder Dimethylcarbonat führen wird, müssen noch sehr viele zusätzliche Bedingungen abgeklärt werden, und selbst ein völliges Scheitern läßt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausschließen. Daß die Forschungsarbeiten zu diesem Thema das voranschreitende globale Klimageschehen noch rechtzeitig überholen werden, um einen entscheidenden Einfluß am Schicksal der Welt zu haben, ist äußerst unwahrscheinlich.

Zudem gibt es weitere Folgeprobleme zu lösen, die nicht zu diesem Forschungsbereich gehören. So müssen die Klimagase zunächst überhaupt erst einmal aus der Atmosphäre entfernt werden, um sie in Wertstoffe umwandeln zu können.

Des weiteren ist aber auch fraglich, was mit den auf diese Weise angestrebten Wertstoffen dann in der weiteren Verarbeitung geschieht.

Sowohl Methanol als auch Dimethylcarbonat (C3H6O3) oder Kohlensäuredimethylester sind zumindest leicht brennbare, leicht entzündliche Flüssigkeiten, die sich wesentlich schneller als gedacht und wesentlich unaufwendiger als ihre Darstellung in CO2 und Wasserstoff verbrennen lassen.

Doch selbst wenn sie ihrem potentiellen industriellen Zweck zugeführt werden können, ist die Umweltrelevanz der daraus resultierenden Produkte und Emissionen ebenfalls nicht unbedenklich.

So wird Dimethylcarbonat (CH3-O-CO-O-CH3) in der chemischen Industrie sehr gerne zur Methylierung eingesetzt, d.h. um Methylgruppen (-CH3) an andere Verbindungen anzudocken. Was dabei rein rechnerisch übrigbleibt, kann sogar ein Nichtchemiker aus der Formal ablesen, von möglichen oder neuen chemischen Schadstoffen, die dabei produziert werden, einmal abgesehen.

Darüber hinaus werden sämtliche Wertstoffe am Ende wieder energieaufwendigen, d.h. CO2-bildenden chemischen Prozessen zugeführt. Angenommen es ließen sich tatsächlich aus Luft-CO2 ohne weitere CO2- Produktion entsprechende Wertstoffe herstellen, so würde dabei nur dieser eine Schritt, nämlich die chemische Synthese des gleichen Stoffes, und damit die dafür nötige Energie eingespart.

Ansonsten beißt sich die Katze in den Schwanz - CO2 und Treibhausgas wird produziert und muß erneut zu Wertstoff verarbeitet oder auf einem anderen Weg aus der Atmosphäre entfernt werden. Um tatsächlich noch rechtzeitig und wirksam auf positive Weise in das Weltklimageschehen einzugreifen, brauchen die Forscher des SFB 558 noch ein bißchen mehr als eine zündende Idee.

30. November 2007