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KOMMENTAR/085: Die Geschichte vom Schokoladentod ... (SB)


Auf tödliche Schokolade kann man leichter verzichten

Für Hunde, Katzen und Papageien sind manche Inhaltsstoffe der Kakaobohne Gift


Das britische Wissenschaftsmagazin "The New Scientist" brachte es am 22. Dezember dieses Jahres ans Licht: "Tod durch Schokolade" oder "Das häßliche Ende eines Schokoladenräubers". Angesichts der verflossenen Feiertage und längst genossener, wohl überlebter Schokoladenexzesse mag dem einen oder anderen bei dieser Meldung ein wenig mulmig geworden sein. Doch die tödliche Wirkung des anbetungswürdigen zarten, braunen Schmelzes betrifft nur einige Tiergattungen. Der Mensch kann ausgesprochen viel des darin enthaltenen Giftstoffes vertragen, ohne daß er auch nur das geringste spürt. Es bekommt ihm sogar in den meisten Fällen ausgezeichnet.

Der Fall, der in der aktuellen Ausgabe des NewScientist beschrieben wird, betrifft einen "Kea". Das ist eine vom Aussterben bedrohte Papageienart, die in Neuseeland heimisch ist. Wie viele andere Tiere sind Keas gegenüber bestimmten Chemikalien, die Menschen in normaler Dosierung gut vertragen, sehr empfindlich. Mehr als 20 Gramm dunkle Schokolade im Vogelmagen kann schon seinen sicheren Tod herbeiführen.

Natürlich vorkommende Stoffe, die derart spezifisch auf Tiere, nicht aber auf Menschen wirken, werden derzeit von "sogenannten" Umweltchemikern händeringend gesucht, um möglicherweise neue Leitsubstanzen für Pestizide zu gewinnen, die der Mensch ohne Nebenwirkung verstoffwechseln und somit einfach "mitessen" kann. Bereits für Lebensmittel zugelassene, möglichst "natürliche" Stoffe aus dem Lebensmittelsektor wären dafür bestens geeignet, denn die Akzeptanz des Verbrauchers gegenüber Pflanzenschutzmitteln, Pestiziden oder - schlimmer noch - genmanipulierten Pflanzen, die in Kombination mit speziellen Pestiziden (und in erwiesenermaßen immer höheren Konzentrationen) eingesetzt werden müssen, ist, äußerst gering.

Schokolade bzw. Kakao, eine natürlich angebaute, weiter nicht umweltschädliche Substanz, die aber tödlich auf bestimmte Tierarten wirken kann, wäre somit ideal. Und daß es möglich ist, aus Kakao gewissermaßen unschädliche Pestizide zu gewinnen, ist letztlich das, was einem interessierten Leser des NewScientist Artikels weisgemacht wird. Um im weiteren Verlauf des Artikels abzuwägen, in wieweit das überhaupt praktikabel oder für die nahe Zukunft relevant ist, muß man schon ein halber Chemiker sein. Denn ein Laie kann die wissenschaftliche Bedeutungslosigkeit einer Aufzählung von Inhaltsstoffen und ihrer möglichen tödlichen Wirkung auf einzelne Tierarten wohl nicht erkennen, er folgt dem Leitgedanken des Artikels und folgert letztlich das, was er glauben soll.

So geht aus dem Artikel nicht hervor, ob Theobromin, Coffein oder Theophyllin, also die Vertreter der Gruppe der Methylxanthine, die man in Kaffee, Tee oder Kakao in unterschiedlicher Zusammensetzung finden kann und die den Menschen eher psychostimulierend als negativ beeinflussen, auch für die fraglichen Ernte-Schädlinge und Bakterien oder nur für bestimmte Vogelarten oder sogar Haustiere tödlich sind. Für die besten Freunde des Menschen, die Hunde, sind sie das nämlich schon. Man konnte nachweisen, daß 240 Gramm ungesüßten dunklen Kakaos genügend Methylxanthine enthalten, um einem ausgewachsenen 40 Kilogramm schweren Deutschen Schäferhund das Lebenslicht auszublasen.

Doch was ist nun davon zu halten, daß viele Hundehalter ihre Lieblinge gerade mit dieser Art von Leckerli trainieren? Hunde können - ebenso wie der Mensch - ganz versessen auf Schokolade sein, so daß schon geringe Spuren davon ihren Appetit anregen. Viele Trockenfutterhersteller machen sich das zunutze, indem sie Abfälle der Schokoladenindustrie in Hundefutter verarbeiten. Doch offenbar bleibt man hier unter der für Hunde tödlichen Dosis, die beim Hund zunächst keine sichtbar einschränkenden Wirkungen auslöst, abgesehen von einer gewissen suchtähnlichen Abhängigkeit gegenüber ganz bestimmten Hundefuttersorten, denen der an diese Leckerei gewöhnte Hund dann den Vorzug gibt.

Die Lust auf Schokolade, die auch bei wildlebenden Keas in Neuseeland geweckt wird, sobald einer der überaus intelligenten Vögel ein Stück davon erhascht, führt aber dazu, daß sich die Tiere praktisch selbst ums Leben bringen. Mit ihrem Geschick und den nötigen Werkzeugen ausgerüstet, um Rucksäcke oder Zelte aufzuschlitzen und an die Versorgungspakete der Touristen zu gelangen, stopfen sich die Tiere vorzugsweise mit Schokoriegeln voll und müssen daran elendig zugrunde gehen. Auch Mülleimer und sogar Autos wissen die findigen Schokoladensüchtlinge zu knacken, wenn sie auf Beutezug sind. Da sie generell alles Eßbare probieren, sind die Touristen nicht einmal direkt Schuld daran, daß die Tiere z.B. durch illegale Fütterungen "auf den Geschmack" gekommen sind. Allein die Berührung mit der menschlichen Zivilisation reicht schon aus, um die Tiere zu Experimenten anzuregen...

Abgesehen von Papageien und Hunden kann Schokolade aber auch für andere Haustiere wie Katzen oder Wildtiere wie Füchse, Dachse u.dgl. tödlich sein.

Der Grund, warum Menschen Schokolade ohne Reue essen können, liegt laut Aussage des NewScientist an unserem Metabolismus. Abgesehen davon, daß sich selbst Wissenschaftler nicht einig darüber sind, wie die Methylxanthine unseren Organismus stimulieren - gegenwärtig wird die Erklärung über eine Wirkung auf das Zentralnervensystem favorisiert -, soll der Mensch in der Lage sein, Methylxanthine wie das Theobromin aus der Schokolade sehr viel schneller in harmlose, ausscheidbare Metaboliten umzuwandeln. Selbst Ratten, die bekannt dafür sind, sogar für Menschen schädliche Gifte zu vertragen, können Theobromin nicht so schnell abbauen wie der Mensch. Der Hundestoffwechsel arbeitet hierbei sogar noch viel langsamer. Ob es für den Menschen überhaupt eine vergleichbar tödliche Dosis für Theobromin gibt, ist nicht dokumentiert. Es gibt dagegen viele Zahlen über Coffein, das ebenfalls ein Methylxanthin ist und auf die gleiche Weise abgebaut wird wie Theobromin.

Um auch nur in die Nähe einer tödlichen Dosis Coffein zu gelangen müßte ein menschlicher Erwachsener laut NewScientist in kürzester Zeit hintereinander etwa 50 Kilogramm Milchschokolade in sich hineinstopfen, und das ist technisch nicht zu schaffen. Entsprechend unmöglich wäre es, 240 Tassen Kaffee oder 750 Dosen Cola innerhalb nur weniger Minuten zu trinken. Braucht man aber länger dafür, dann ist schon ein großer Teil der tödlichen Dosis abgebaut, ehe man sie sich einverleibt hat. Auf diese Weise kann der Mensch eine tödliche Coffeindosis nicht in seinem Blut aufbauen. Er müßte sich die entsprechende Menge (etwa 30 Gramm) intravenös spritzen, und auch das ist sehr schwierig.

Die Schlußfolgerung, die der NewScientist Artikel zieht, man könne Schokolade zur Bekämpfung von Schädlings- oder Fraßbefall verwenden, ist allerdings mehr als grausam, zumal sich die tödliche Wirkung überhaupt nicht unbedingt auf die Schädlinge übertragen läßt, für die man nach alternativen Bekämpfungsmöglichkeiten sucht.

Auch ein Hinweis auf die bekannte Tatsache, daß man agrartechnisch weltweit überhaupt nicht so viel Kakao anbauen und produzieren kann, um sie auch noch als Pestizid zu verwenden, fehlt in dem fraglichen Bericht.

Um die Schokoladeninhaltsstoffe für diese Zwecke zu verwenden, müßten sie in großen Mengen künstlich oder, wahrscheinlicher, gentechnisch produziert werden, was in beiden Fällen brisante Industriezweige mit nicht unerheblichen Risiken nach sich ziehen würde.

Bisher wurde denn auch nur eine Mischung aus Theobromin und Coffein in Tier-Ködern verwendet, die gegen Coyoten ausgelegt wurden. D.h. die wenigen Tierexperimente wurden bisher überwiegend mit den isolierten Reinsubstanzen und nicht mit "Schokoladenextrakten" durchgeführt. Ob diese aus natürlichem Anbau gewonnen oder großtechnisch hergestellt wurden, läßt sich daraus nicht erkennen.

In einem anderen Feldversuch wurde ein Coffeinspray (wieder ein Reinstoff, der nur in geringer Menge in Schokolade vorkommt) gegen Karibische Baumfrösche auf Hawaii eingesetzt, die dort nicht heimisch waren, sich aber stark fortpflanzten und mit ihrer Lautstärke die Touristen belästigten. Das Coffeinspray tötete jedoch nicht nur die Frösche, sondern gleichzeitig auch Nacktschnecken und auch einige Schlangen, weshalb nun Coffein (und nicht Schokolade) als Ersatz für Schneckenkorn diskutiert wird.

Man sieht daran, daß auch die vermeintlich natürlichen, "umweltfreundlichen" Gifte oder Pestizide, die bei den Verbrauchern generell auf eine größere Akzeptanz stoßen, nicht weniger unspezifisch und vernichtend wirksam sein können, wie konventionelle "chemische Keulen" und daß sich auch damit weder mögliche Nebenwirkungen noch negative, ökologische Auswirkungen abschätzen oder ausschließen lassen.

Die Versprechungen der Forscher oder auch Schokoladenhersteller, die in Kakao eine unglaubliche Fundgrube sehen wollen, sind, da es nicht dabei bleibt, Inhaltsstoffe zu isolieren und gezielt anzuwenden, reine Augenwischerei. Auch bei mehr als 700 verschiedenen Inhaltsstoffen, die alle noch nicht auf ihre potentiell chemische oder physiologische Wirksamkeit hin überprüft worden sind, haben wir es doch mit chemischen Substanzen zu tun, die entsprechend wirksam, giftig, reaktiv oder auch bestenfalls neutral sein können.

Immer wieder werden einige einzelne Substanzen herausgepickt, um Schokolade beispielsweise einen positiven gesundheitlichen Einfluß zuzusprechen.

Vielleicht erinnern wir uns an Presseberichte mit Schlagzeilen wie Schokolade gegen Husten, Neue Krebsprophylaxe - "drei mal täglich Schokolade" usw., in denen Methylxanthine oder auch die in dunkler Schokolade enthaltenen Flavonoide aufgrund ihrer guten Wirkung gegen Husten, Artheriosklerose oder Krebs hoch gelobt wurden. Vielfach gehen die dort aufgestellten Behauptungen von falschen Voraussetzungen oder sogar frei erfundenen Wirkmechanismen aus (z.B. jener der vermeintlichen "Radikalenfänger" siehe auch: NEWS/719: Alle Jahre wieder ... neue Gerüchte um die Schokolade (SB)).

Das ist aber noch nicht alles. Wie der NewScientist berichtete, werden Wirkstoffen in der Schokolade auch antibakterielle bzw. antibiotische Wirkung nachgesagt:

Some studies suggest cocoa extracts can prevent Helicobacter pylori, the bacterium that causes stomach ulcers, from setting up shop in the lining of the gut. Others suggest that the extracts block the growth of disease-causing strains of the gut bacterium E. coli. (NewScientist magazine Nr. 2635, 22. Dezember 2007, Seite 40-41)

[Einige Studien behaupten, Kakaoextrakte könnten Helicobacter pylori, die Bakterienart, die für Magengeschwüre verantwortlich sind, daran hindern, sich in den Schleimhäuten des Verdauungstrakts einzunisten. Andere meinen, die Extrakte könnten das Wachstum von krankheitserregenden Linien des Darmbakteriums E. coli hemmen. Übersetzung Schattenblick-Red.]

Ein derartiger Einfluß könnte aber immer auch die natürliche Darmflora hemmen oder negativ verändern.

Einigen Komponenten der Kakaobohne, sogenannten Polyphenolen, wird sogar die Verhinderung des Zahnverfalls zugesprochen. Danach können sich Bakterien nicht mehr an die Zähne anheften und ihr zerstörerisches Werk beginnen, weil die Zähne zu glatt sind. Außerdem werden die kariesmachenden Streptococcus mutans Arten daran gehindert, ihre beißende Säure zu bilden. Nur hat jeder, der daraus schlußfolgert, er könne seine Zähne in Zukunft mit Nutella putzen, die Rechnung ohne den Zucker gemacht. Oder anders gesagt, wer sich mit Kakao die Zähne putzen will, kann auch gleich konventionelle Zahncreme nehmen, umgekehrt müssen Polyphenole als Reinsubstanz und Zahnpflegemittel eingesetzt, auch nicht unbedingt aus Kakao gewonnen werden.

Auf diese Weise relativieren sich die positiven Effekte der Schokolade auf die menschliche Gesundheit, und von ihrer alternativen Anwendung für Menschen als "unschädliches" Pestizid (auch ein Antibiotikum ist nur im weitesten Sinne ein Schädlingsbekämpfungsmittel) bleibt weiter nichts übrig als warmgerührte Luft bzw. viel Lärm um nichts:

Jeder noch so schlechte Aufhänger scheint recht, um dem potentiellen Verbraucher zu den Festtagen das Thema Schokolade noch einmal in Erinnerung zu bringen.

Brisante Fragen, die sich dem Tierfreund geradezu aufdrängen - wie die nach möglichen chronischen Erkrankungen seines Vierbeiners oder nach kaum merkbaren Befindlichkeitsstörungen -, die mit schokoladenverbrämtem Tierfutter einhergehen, bleiben ungestellt und daher offen.

Das Fazit am Ende des Artikels sagt lapidar: Alles wird gut. Selbst die neuentdeckten tödlichen Nebenwirkungen von Schokolade sollen in Zukunft hilfreich eingesetzt werden. Wie Schokolade eigentlich tödlich wirkt, wird an keiner Stelle gesagt. Das könnte doch unerwünschten Einfluß auf den menschlichen Konsum haben.

Der NewScientist läßt uns völlig unbefriedigt mit den Worten zurück: Man möge nur, angesichts dieser guten Neuigkeiten, wortwörtlich darauf achten, daß unsere fellchen- oder federnbewährten Freunde sie (die Schokolade) nicht in ihre klebrigen Krallen oder Tatzen bekommen:

As manufacturers fall over themselves to advertise chocolate's health-boosting potential, there's a wry satisfaction to be had in knowing that its sinister side is being put to good use too. While this may be good news for us, just make sure your furry or feathered friends can't get their sticky paws or claws on it.
(NewScientist magazine Nr. 2635, 22. Dezember 2007, Seite 40-41)

Vor dem Hintergrund einer ernährungsphysiologisch immer enger werdenden Zukunft, in der sowohl die aufwendige Schokoladenproduktion wie auch die Haustierhaltung nur noch einer kleinen Elite vorbehalten sein wird, weil die vorschreitenden Veränderungen in der Umwelt die gewohnte Ernährungsqualität für die breite Masse unmöglich werden lassen, machen solche leicht dahingeworfenen Gedanken allerdings einen anderen Sinn. Auf tödliche Schokolade (für wen auch immer) kann man leichter verzichten.

Zudem scheint uns, wenn es wirklich darum ginge, neue Pestizide zu entwerfen, der Umweg über Kakao, der noch dazu ein hochwertiges und somit begehrtes Lebensmittel für den Menschen ist und sowohl in Anbau, Bearbeitung und schließlich im Ernte- und Aufarbeitungsprozeß ausgesprochen intensiv, viel zu umständlich und angesichts der Welternährungslage ignorant.

28. Dezember 2007