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KOMMENTAR/113: Fukushima - Vexierspiele ... (SB)


Ein Abraum-Mineral aus dem Braunkohlebergbau soll Fukushimas Äcker dekontaminieren


Nichts ist "normal" in Fukushima und noch weniger läuft glatt. Dem Betreiber Tepco gehen zwar die optimistisch gestimmten Neuigkeiten über den steten Fortschritt der Aufräumarbeiten im havarierten Kernkraftwerk nicht aus. Dagegen spricht die endlose Liste an Pannen, Mißgeschicken und menschlichem Versagen Bände: Schaut man allein auf die vergangenen Wochen, führte laut Spread News [1] ein Elektrizitätszwischenfall zu technischen Schwierigkeiten (28. Juni 2015), kam es zu Verzögerungen beim Einsatz von Skorpionrobotern, weil man bei der Konstruktion dieser Menschenkraft schonenden, reinen Aufklärungsinstrumente (sie sollen die Situation in Reaktor 2 dokumentieren) nicht an ihre Fortbewegung über Trümmerteile hinweg gedacht hatte (31. Juli 2015), stieg am Samstag, den 1. August, morgens um 10:56 Uhr und noch einmal abends um 18:54 Uhr, von einem Meßposten registriert, die Konzentration von radioaktivem Material in der Luft dramatisch an, kam ein AKW-Arbeiter möglicherweise durch bei seiner Arbeit beigebrachte gesundheitliche Schäden ums Leben (2. August 2015), wurden Schäden und Verformungen an einigen Brennelementen im Abklingbecken von Reaktor 3 entdeckt, die eine weitere Bergung fraglich werden lassen (4. August 2015), schlug am 7. August 2015 noch ein Meßposten wegen zunehmender Radioaktivität Alarm und werden die Aufräumarbeiten dadurch verzögert, daß zwei neue Myonenscanner, die den Zustand der geschmolzenen Brennelemente in den Reaktorgebäuden untersuchen sollten und mehrere Millionen Yen gekostet hatten, nicht eingesetzt werden können, weil sie in ihren Abmessungen dafür zu groß sind. Schließlich machte vor kurzem ein Leck an der Entsalzungsanlage des ALPS [2] durch einen austretenden Sprühnebel auf sich aufmerksam, radioaktive Kontamination inklusive. Abgesehen von solchen "Mißgeschicken", die überall stattfinden, hier aber stets mit einer unkontrollierten Freisetzung von Radionukliden einhergehen können, wachsen die Berge an Dekontaminationsmüll, die in keineswegs unzerreißbaren Plastiksäcken gelagert werden, wie sich kürzlich (26. Juni 2015) zeigte. Sie geben - beschleunigt durch die strahlenden Abfälle in ihrem Inneren - ihre radioaktive Fracht frei, noch ehe die Entsorgungsprobleme in Fukushima gelöst werden können. Denn ein sicheres Endlager für den strahlenden Müll gibt es in Japan bisher nicht. Darüber hinaus wird - mit einer nach langen Auseinandersetzungen erreichten Billigung durch den Präfekturdachverband der Fischereikooperativen - radioaktiv kontaminiertes Grundwasser offiziell im Pazifik verklappt.

Schon ein flüchtiger Blick auf diese den Eindruck erweckenden Bemühungen, die verseuchte Todeszone um das Kernkraftwerk Daiichi könne überhaupt wieder bewohnbar gemacht werden, zeigt, daß die an den radioaktiven Zerfall von Teilchen gebundene Gefahr auf diese Weise nicht abgebaut werden kann. Radioaktivität wird mit den Isotopen durch Staub, Asche, Müll, Boden und Wasser nur zunehmend auf immer größere Flächen und Haufen verteilt. Sollte irgendwann die Möglichkeit bestehen, eine wirklich konsequente Dekontamination durchzuführen, müßte so immer mehr Materie gereinigt werden, die dann noch im günstigen Fall in den Müllsäcken, Spezialcontainern und Wasserbehältern konzentriert zu finden ist.

Vor diesem Hintergrund sollte eine offensichtlich ernst gemeinte, aber angesichts der Realität im Sperrgebiet von Fukushima sehr fragwürdige Nachricht im Online-Magazin Spread News [3] über eine neue Dekontaminationsmethode für die Landwirtschaft in Fukushima nicht unkommentiert stehen bleiben: Das Mineral Schwertmannit, ein bestimmtes Eisensulfat (Fe8O8OH6SO4), soll danach die Kontamination von Getreide mit radionuklidem Cäsium um die Hälfte reduzieren, wenn es dem Boden zugesetzt wird. [3] Der Vorschlag stammt von einem wissenschaftlichen Team in Okayama. Tatsächlich wurde die Anwendung des Materials im Rahmen der vom BMBF geförderten Forschungsprojekte SURFTRAP und SURFTRAP II entdeckt, die nach Verfahren suchen, um die beim großflächigen Abbau von mineralischen Rohstoffen und Bodenschätzen wie Braunkohle, Uran oder Kupfer anfallenden giftigen Schwermetalle, u.a. Arsen, aus dem Grund- und Oberflächenwasser zu eliminieren. Eine vermeintlich zuverlässige Methode, Schwermetalle aus Wasser zu entfernen, verwendet Eisen(III)chlorid, welches sich bei Kontakt mit Wasser in Eisenhydroxide umwandelt. Diese binden dank ihrer großen Oberfläche Schadstoffe, die sich in einer wässrigen Lösung befinden, verursachen dabei aber auch ihrerseits Problemstoffe wie Salze und Säuren, die im Anschluß dann ebenfalls aus dem Wasser entfernt werden müssen. Als eine inzwischen umweltfreundlichere Entdeckung und brauchbares "Adsorbens" gilt dagegen besagtes Schwertmannit für diesen Zweck, das auf die gleiche Weise Schwermetalle an seiner Oberfläche bindet, und außerdem in einem neuen Verfahren bei der Aufbereitung von Braunkohlebergbau-Abwässern in großen Mengen als Abfall- oder Reststoff anfällt. Man braucht davon allerdings für das gleiche Resultat eine sehr viel größere Menge an eingesetzter Chemie, genaugenommen doppelt so viel. Das wäre, selbst wenn Eisenionen durchaus in wässrigen Systemen zuhause sind, eine zumindest bedenkliche Störung für funktionierende Ökosysteme.

Die Vorstellung, solche Chemikalien in großen Mengen für die Dekontamination von Ackerflächen einzusetzen, stimmt nachdenklich, denn hier wäre zumindest die "wässrige Phase" in der sich die gewünschte Adsorbtion abspielen sollte, nur in einer sehr unübersichtlichen Form als Regenwasser in den Gängen und Poren des Erdreichs vorhanden und somit auf wenig Volumen begrenzt. Wieviel mehr Eisensulfat für die Abtrennung von Cäsium-134 nötig wäre und inwiefern es eine Rolle für ein Dekontaminationsverfahren für Schwermetalle spielt, wenn der abzutrennende Stoff Cäsium gar kein Schwermetall ist, sei dahingestellt, denn letztlich wäre auch eine schädliche oder saure Bodenchemie willkommen, wenn dadurch Radioaktivität entfernt und Ackerboden wieder nutzbar würde.

Da aber bei dieser Methode, ganz gleich wie effektiv sie Isotope bindet, nur von einer Reduktion des radioaktiven Materials um die Hälfte gesprochen werden kann, also mindestens die andere Hälfte aus dem Boden ins Getreide und damit in die Nahrung gelangt, während die Spaltung eines einzigen Isotops im Organismus ausreicht, um an einer neuralgischen Stelle Krebs zu erzeugen, fragt man sich, warum solche Methoden überhaupt öffentlich diskutiert werden. Zudem würde mit der Bindung von Cäsium-134 nur eines der 62 radioaktiven Isotope in der Nahrung reduziert, die bei den noch ständig stattfindenden Kernprozessen in den havarierten Reaktoren erzeugt und häufig (s.o.) freigesetzt werden.

Auch die Frage, wo denn die an Eisensulfat oder Schwertmannit gebundene Hälfte des radioaktiven Materials abbleiben wird, werden durch solche Optimismus verbreitenden Ansätze nicht wirklich gelöst. Es wird somit ein neuer, radioaktiv angereicherter Schadstoff erzeugt, der aus den wässrigen Phasen des Erdreichs, den Spalten und Gängen, ohne weitere Dekontaminationsbemühungen letztlich im Grund- oder Fließwasser landet und somit wieder in der Nahrung oder in den Trinkwasserreserven und Brunnen der noch unbewohnbaren Region.

Nichtsdestotrotz wird derzeit in immer mehr Gemeinden dieser Region Fukushima die Evakuierung aufgehoben. Die Menschen sollen gegen ihren Widerstand, der in den letzten Jahren gewachsen ist, in ihre alten Wohnbereiche zurück. Als Grund dafür wurden paradoxerweise die steigenden Kosten für den Wiederaufbau der Region genannt: Laut Spread News [4] plant die japanische Regierung, die Mietzuschüsse für die so genannten "freiwillig Evakuierten" auslaufen zu lassen. Allerdings sei die Summe von 8.09 Milliarden Yen nur ein Bruchteil der zur Verfügung stehenden Hilfsgelder und steht auch in keinem Verhältnis zu den anfallenden Dekontaminationskosten. Ob die widersprüchlichen politischen "Anreize" die Menschen zur Rückkehr in ihre Heimat bewegen, ist allerdings ebenso fraglich, wie die wissenschaftlichen "Erkenntnisse", mit denen ihnen vorgemacht werden soll, daß ihre Heimat schon bald wieder bewohnbar sein wird.


Anmerkungen:

[1] Das Online-Magazin Spread News ist eines der wenigen deutschsprachigen Medien, die die Entwicklungen in Fukushima auf einer eigenen Seite kontinuierlich verfolgen und kommentieren:
http://www.spreadnews.de/category/fukushima/

[2] Der Schattenblick berichtete darüber in:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/brenn/ubge0005.html
und
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/brenn/ubge0006.html

[3] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-seltenes-mineral-soll-felder-dekontaminieren/1147051/

[4] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-evakuierte-durch-neues-finanzkonzept-benachteiligt/1146361/

13. August 2015


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