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RATGEBER/242: Chemie zum Haarerweichen - Enthaarungsmittel (SB)


Von Apfelessig bis Zitrone - Bewährte und neue Hausmittel, einfach erklärt

Chemie zum Haarerweichen - Enthaarungsmittel


Es ist Frühling, und mit der neuen Mode ziehen uns in allen Medien makellos glatte, lange, bronzene Barbiepuppenbeine in den Bann, die den Neid wohl jeder Frau - und ihr Interesse an den im nachfolgenden Werbeblock angebotenen Enthaarungscremes wecken sollen. Abgesehen davon, daß angesichts der heutigen Supermodelhysterie kaum noch jemand hinterfragt, warum man sich an ein androides Schönheitsideal, das mehr an glänzendes Plastik und Zelluloid erinnert als an menschliche Haut, anpassen und dafür auch noch Schmerzen in Kauf nehmen sollte oder warum denn Haare auf den Beinen generell als eklig gelten, müßte jede kritische Frau den angepriesenen "sanften" Haarentfernern mit großer Skepsis gegenüberstehen.

Was passiert eigentlich auf und mit der Haut, wenn sich Haare, die sich sonst nur mit großen Schmerzen von ihrem Stammplatz reißen lassen, plötzlich von selbst erweichen und einfach abwischen lassen? Was enthalten diese Cremes, Lotionen, Pulver, Pasten und Sprays, die uns nachhaltig haarlose Zeiten versprechen, ohne große Opfer zu verlangen?

Chemie zum Haarerweichen

Bei Enthaarungsmitteln, sogenannten chemischen Depilatorien, handelt es sich keinesfalls um kosmetische Pflegemaßnahmen, sondern um aggressive Chemikalien oder brachiale, rauhe Eingriffe, die nicht nur den Haaren an den Kragen gehen, sondern auch Haut und Gewebe reizen.

Daß es schon immer so gewesen ist und auch schon antike Schönheiten für die Ästhetik zutiefst leiden mußten, zeigt die martialisch klingende Aufstellung von Werkzeugen und Hilfsmitteln zum Zwecke der Haarentfernung (chemische wie mechanische Depilatorien) wie Ätzkalk, Schabemesser, Gummiharz, heiße Asche, Pechpflaster, Haarzangen usw., mit denen in jener Zeit den Haaren zu Leibe gerückt wurde.

Bis heute betreibt die sogenannte schonende Kosmetik nichts anderes als Schadensbegrenzung, um die Aggressivität und Toxizität dieser Mittel für Haut und Körper durch umsichtige Anwendung so weit wie möglich abzumildern.

Haarentferner kommen heutzutage im allgemeinen als Pulver, Lotionen, fettfreie und fetthaltige Pasten und Sprays in den Handel, wobei die pulverförmigen Mittel vor der Benutzung mit Wasser angeteigt werden müssen, während die anderen Präparate direkt auf die Haut gebracht werden können. Bei allen sind die Haare nach einer festgelegten Einwirkzeit durch den Wirkstoff so zerstört, daß sie sich leicht abwischen oder abschaben lassen. Doch da Haarkeratin und Hautkeratin in ihrem chemischen Aufbau verwandt sind, wird auch die Haut angegriffen.

Deshalb sollte man bei schon vorgeschädigter, wunder Haut (Pickel, Abschürfungen, Sonnenbrand, Ekzeme usw.) Vorsicht walten lassen und möglichst auf eine chemische Haarentfernung verzichten. Auf keinen Fall dürfen diese Mittel mit Schleimhäuten in Berührung kommen oder im Augenbereich angewendet werden. Auch für die wesentlich empfindlichere Gesichtshaut sind Enthaarungsmittel nicht gedacht. Hier kommt es schnell zu Hautreizungen und somit zu häßlichen roten Flecken, Schwellungen und Entzündungen.

Zur Sache oder "Was passiert mit Haut und Haar?"

Der wirksame Bestandteil eines chemischen Haarentferners muß in jedem Fall die Hornstoffe von Haar und Haut aufweichen können bzw. die Haare an ihren Anwachsstellen so weit zersetzten, daß man sie anschließend mühelos entfernen kann. Hierfür unterscheidet man zwischen oxidierenden Depilationsmitteln und reduzierenden Depilationsmitteln, die an unterschiedlichen Stellen die Haarstruktur angreifen, wobei die letzteren schneller und definierter zum Ziel gelangen. Beide Wirkstoffgruppen werden jedoch in stark basische (alkalische) Grundlagen eingebettet, die das Haar aufquellen lassen und auslaugen, damit also seine Empfindlichkeit gegenüber den Wirkstoffen erhöhen.

Wir erinnern uns vielleicht, daß man stets von einem natürlichen Säureschutzmantel der Haut spricht, das natürliche Hautmilieu also eher im sauren pH-Bereich zwischen 4,5 und 5,5 anzusiedeln ist. Jede Base, selbst normale Seife, zerstört diesen Säureschutzmantel, so daß Haut und Haare aufweichen, und für alle weiteren schädlichen Einflüsse wesentlich angreifbarer werden.

Disulfidbrückenbrecher oder reduzierende Depilatorien

Gelegentlich enthalten Enthaarungscremes noch anorganische Sulfide wie Calciumsulfhydrat (Ca(SH)2), das beispielsweise beim Gerben von eingeweichten Rinderhäuten in der Lederverarbeitung verwendet wird, oder auch Strontiumsulfid. Am häufigsten kommt jedoch Thioglykolsäure (2-4%) als Wirkstubstanz in Enthaarungsmitteln vor. In allen Fällen handelt es sich bei den "haarerweichenden" Wirksubstanzen um Schwefelwasserstoffe bzw. Sulfhydrate (wobei man die organischen Thiosäuren als Mercaptane bezeichnet), die eine freie -SH-Gruppe besitzen.

Thioglykolsäure und ihre Salze kennen wir auch als wirksamen Bestandteil von Kaltdauerwellflüssigkeiten, wo sie in einem pH Wert von 9-9,5 zum Haarwellen verwendet werden. In Enthaarungsmitteln ist das alkalische Milieu noch auf einen pH-Wert von 12-12,5 erhöht, wodurch die haarauflösende Wirkung von Thioglycolsäure um ein Vielfaches verstärkt wird.

Auch andere organische Schwefelverbindungen, andere Mercaptane also, können in Haarentfernungsmitteln eingearbeitet werden, beispielsweise ß-Mercaptopropionsäure, O-Mercaptopropionsäure (Thiomilchsäure), sowie ihre Salze wie Strontiumthiolactat.

Das stark alkalische Milieu wird durch eine Grundlage aus Calciumhydroxid und Calciumcarbonat, beides starke Basen, hergestellt.

Aus diesen Basisstoffen setzen sich Präparate wie Veet (Parfüm Royale, Berlin), Pilca (Olivin, Wiesbaden), Vichy und Depilan zusammen. Die Rezeptur für 100 g Enthaarungscreme auf Thioglykolsäurebasis HS·CH2-COOH setzt sich wie folgt zusammen:

5 Teile 80prozentiger Thioglycolsäure
8-12 Teile Lanette N
4-8 Teile Cetiol
8-15 Teile Glycerin
7-10 Teile Calciumhydroxid
5-20 Teile Calciumcarbonat
Der Rest besteht aus Wasser und Parfüm.

- Bei Lanette N und Cetiol handelt es sich um Tenside bzw. Emulgatoren, die die bessere Benetzung der Haare erlauben, aber auch gleichzeitig eine Salbengrundlage bilden.

- Glycerin dient als Feuchthaltemittel, um ein zu schnelles Austrocknen auf der Haut zu verhindern. Es ist hygroskopisch, d.h. es zieht Wasser an und speichert es.

- Manche Präparate enthalten außerdem Schleim- und Quellstoffe wie Celluloseether, Polyvinylpyrrolidon als Verdickungs- oder Bindemittel.

- Und Harnstoff kann beispielsweise wegen seiner haarquellungsverstärkenden Wirkung als sogenannter Beschleuniger zugesetzt werden.

Die Vorgänge, mit denen das Haar nun angeweicht oder aufgelöst wird, lassen sich chemisch-biologisch folgendermaßen erklären: Bekanntlich besteht das Haar hauptsächlich aus Keratin, einem langkettigen, komplizierten Eiweißstoff aus langgestreckten Polypeptid-Molekülketten bzw. Aminosäureketten, der seine Struktur durch zahlreiche Quervernetzungen der Kettenmitglieder untereinander erhält. Unter anderem enthält Keratin viel Cystin, eine schwefelhaltige Aminosäure (mit einer -SH- bzw. Sulfhydryl-Gruppe), die über zahlreiche Disulfidgruppen (-S-S-) feste Quervernetzungen des Polypeptidmoleküls herstellen kann. Durch diese und andere lockere Quervernetzungen (Wasserstoffbrücken, Salzbrücken u.ä.) erhält das Haareiweiß seine typische Festigkeit und manchmal auch seine natürlich gelockte Struktur.

Durch die Behandlung mit Thioglykolsäure werden nun genau diese Disulfidbrücken aufgebrochen. Sie bewirkt die Reduktion der (-S-S-)Quervernetzungen zurück zu den ursprünglich isolierten Sulfhydryl-(SH)-Gruppen des Cystins, wobei die Thioglycolsäure selbst oxydiert und sich vermutlich mit einer weiteren oxydierten Thioglycolsäure in einer Disulfidstruktur stabilisiert. Infolgedessen verliert das Haar seine Elastizität und seine Struktur. Es bricht an diesen Verbindungen regelrecht auf und nach längerer Einwirkzeit löst es sich derart, daß man es von seinen in der Haut versenkten und daher chemisch noch unbehelligten Wurzeln ohne weiteres abreißen kann.

In handelsüblichen Enthaarungscremes wirken Schwefelwasserstoffe immer gemeinsam mit einem basischen Teil, wie man ihn an der obigen Rezeptur erkennen kann. Sowohl Calciumhydroxid als auch Calciumcarbonat wirken als Basen, setzen Hydroxylionen, d.h. OH- Ionen frei und greifen die Haarstruktur über weitere wesentlich unspezifischere Angriffspunkte an.

Bei dieser Art der Enthaarung werden die Haare insgesamt aufgeweicht und zerstört, so daß man letztlich kaum mehr definierte Haare, sondern eine graue polymere Masse mit dem Schaber abstreifen kann. Da hierbei nun auch der Teil des Haarschaftes entfernt wird, der sich im Haarfollikel, d.h. in der trichterartigen Einstülpung der Oberhaut befindet, wirkt diese Methode nachhaltig. Das unterste Ende der Haarwurzel, die Haarzwiebel (oder Bulbus), wird von den Wirkstoffen allerdings nicht erreicht, ebenfalls bleiben die darunter liegenden Keimzellen von der chemischen Keule verschont. Daher wachsen die Haare nach einigen Wochen wieder. Eine Nachbehandlung wird im Schnitt alle 2 Wochen nötig.

Chemische Enthaarungsmittel bewirken also keine dauerhafte Enthaarung. Man wird jedoch feststellen, daß der Haarwuchs nach häufiger Anwendung allmählich geringer wird. Ganz im Gegensatz zur Rasur!

Dies ist jedoch keine positive Eigenschaft, zeigt es doch, daß anders als der oben beschriebene Wirkmechanismus behauptet, Haarwurzeln und Keimzellen bei häufiger Anwendung chemischer Mittel doch auf irgendeinem Wege geschädigt werden.

Darüber hinaus ist die Thioglycolsäure ein gefürchtetes Allergen. Wer also zu allergischen Reaktionen neigt, sollte lieber einen Haarentferner auf anorganischer Sulfidbasis verwenden, also Strontiumsulfid oder Calciumsulfhydrat (oder ein oxidierendes Depilierungsmittel s.u.), wenn es denn unbedingt sein muß.

Diese Substanzen wurden anfangs vorzugsweise in allen Enthaarungsmitteln verwendet, fielen dann jedoch wegen ihres unangenehm starken Geruchs nach Schwefelwasserstoff (demzufolge nach faulen Eiern) bei der Kosmetikindustrie in Ungnade.

Auf jeden Fall sollte jeder ein solches Mittel vor dem Gebrauch auf seine Verträglichkeit testen: Sie tragen etwas von der Substanz am Unterarm oder am Bein auf und wenn sich nach 2-3 Minuten ein leichtes Brennen oder eine Rötung der Haut einstellt, steigen Sie lieber gleich auf ein anderes Mittel um.

Eine kleine Identitätsprobe

Alle Enthaarungsmittel, die Sulfhydryl- bzw. SH-Gruppen enthalten, weisen einen typischen Schwefelgeruch (nach faulen Eiern) auf, der nur mühsam mit starken Parfüms überdeckt werden kann. Frei werdender Schwefelwasserstoff kann die Haut zusätzlich reizen und ist außerdem giftig. Calciumsulfhydrat erkennt man außerdem am grünlichen Farbton der Zubereitung.

Hobbychemiker können natürlich auch die klassische Probe aufs Exempel machen: Ein wenig Salbe mit einigen Tropfen einer starken Säure (z.B. Salzsäure) ansäuern. Und schon wird die schwächere Säure "Schwefelwasserstoff" freigesetzt, die man dann an dem typisch- umwerfenden Gestank erkennt. Vorsicht: Solche Versuche sollten im Freien oder unter einem Abzug gemacht werden, da es sich bei Schwefelwasserstoff nicht nur um ein infernalisch stinkendes, sondern auch giftiges Gas handelt!

Sie kommen allerdings auch ohne diese aufwendige Identitätsprobe aus, denn nicht nur geruchssensible Menschen können in den entsprechenden Präparaten ohne weiteres freien Schwefelwasserstoff wahrnehmen, der auch daraus ständig in ganz geringen Mengen freigesetzt wird. Angeblich soll der Geruch in den Präparaten auf Merkaptanbasis nicht so belästigend wirken, doch meiner Ansicht nach kommt er überall ausreichend stark durch.

Noch ein paar allgemeine Tips zur Anwendung und Nachbehandlung

Chemische Depilatorien sollten nicht allzu häufig angewandt werden. Zur Hautschonung halten Sie unbedingt die vorgeschriebene Einwirkzeit genau ein. Wenn sich die Haare sichtbar kräuseln, kann man sie mit einem Spatel oder einem Wattebausch abnehmen. Danach nur mit kaltem oder besser: lauwarmem Wasser (ohne Seife!) gut abwaschen. Dem Spülwasser kann eventuell ein Schuß Essig oder Zitronensaft zugegeben werden. Achten Sie bei der Anwendung vor allem auch darauf, daß keine Rückstände des Enthaarungsmittels auf der Haut oder auf Kleidungsstücken bleiben.

Der Essig im Waschwasser dient dazu, die durch Lauge aufgequollene Hornschicht der Haut wieder zu festigen und wieder ein saures Milieu herzustellen, in dem sich der zerstörte Säuremantel der Haut schneller regenerieren kann.

Feine Flaumhaare lassen sich aber auch nach guter alter Art, d.h. mit Großmutters Geheimrezept wie Bimsstein oder einem der vielen anderen schmirgelnden Erzeugnisse beseitigen, die in Drogerien und Parfümerien überall angeboten werden. Dieses Abschleifen mit Schmirgelpräparaten oder auch die einfache Rasur (die allerdings alle 2-3 Tage wiederholt werden muß) sind verständlicherweise die schonendsten Verfahren für Haut und Gewebe. Allerdings auch die zeitraubendsten, da sie häufig wiederholt werden müssen.

Bei allen chemischen Enthaarungsmitteln empfiehlt es sich, die Behandlung abends durchzuführen, damit sich die danach aufgequollene und gereizte Haut während der Nachtruhe erholen kann. Zusätzlich wird meist eine milde, wenig parfümierte Creme zur Hautberuhigung empfohlen oder sogar ein Wund- oder Kinderpuder.

Nach der Enthaarung sollten Sie mindestens 12 Stunden lang auf alles verzichten, was die Haut zusätzlich reizen könnte: also kein intensives Sonnenlicht, aber auch keine Deodorantien, Körpersprays, Parfüms u.ä. oder zumindest solange, bis die Rötung der Haut an den betreffenden Stellen abgeklungen ist.

Angesichts dieser haarsträubenden Aussichten, bei denen sich wieder einmal das alte Sprichwort bewahrheitet, daß "wer schön sein w-i-l-l, wohl auch leiden m-u-ß", bleibt nur noch zu wünschen, daß der geschätzten Leserin nichts und niemand auch nur "e-i-n" Härchen krümmen möge.

Erstveröffentlichung 1995
Aktualisierte und gekürzte Fassung

2. April 2008