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RATGEBER/272: Schluß mit dem Gerücht - Enteisentes Wasser sei schädlich (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

daß enteisentes Wasser dem Körper Eisen entzieht


Die seltsame Angewohnheit der deutschen Getränkeindustrie, Mineralwässer als "enteisent" zu bezeichnen - ein Begriff, mit dem viele Menschen heutzutage nichts mehr anfangen können -, hat zahllose Interpretationen und Gerüchte nach sich gezogen. Aufgrund der daraus resultierenden irrigen Annahme, daß das Mineralwasser dem Körper des Trinkenden Eisen entziehe (obwohl dafür eigentlich das Partizip Präsens auf den Flaschenetiketten verwendet worden sein müßte: enteisend) sah sich inzwischen die Informationszentrale Deutsches Mineralwasser bewogen, im Internet eine Klärung anzubieten. Unter der Rubrik "Häufig gestellte Fragen" kann man dort lesen, daß "enteisent" nichts anderes heißt, als daß dem Mineralwasser vor der Abfüllung Eisen entzogen wurde.

Mineralwasserfreunden, für die dieser Hinweis bei ausreichender grammatikalischer Sicherheit nie mißverständlich war, gibt gerade dieser Eisenentzug - vor allem aber sein Vermerk auf dem Etikett - weitere Rätsel auf. Warum wird das Eisen, das doch gemeinhin als lebenswichtiger Mineralstoff gilt, entzogen? Ist das Wasser ohne Eisen von besserer Qualität? Ist enteisentes Wasser gesünder als eisenhaltiges?

Laut Auskunft der Informationszentrale, macht der Entzug von Eisen qualitätsmäßig überhaupt keinen Unterschied. Angeblich sind alle angebotenen Mineralwasser gleich gut!

Da für fast alle lebenden Organismen, von der Mikrobe bis zum Menschen, Eisen unentbehrlich ist, mag der eine oder andere in dieser Aussage nur eine Beschwichtigung sehen. Tatsächlich verlieren wir täglich ein wenig Eisen durch die Wände von Magen und Eingeweiden, das regelmäßig durch die Nahrung wieder ergänzt werden muß. Unter normalen Bedingungen leiden Menschen allerdings selten an Eisenmangel, selbst wenn sie größere Mengen an Blut verlieren. In den Industrieländern nimmt man höchstens zuviel Eisen auf: Wir reichern unsere Speisen sogar künstlich damit an. Immer noch herrscht der populäre, aber falsche Glauben vor, man könne damit die Blutbildung anregen und würde sich anschließend wacher und energiegeladener fühlen.

Ein durchschnittlicher Mann sollte etwa zehn Milligramm täglich, eine Frau 18 Milligramm Eisen zu sich nehmen, um den Verlust auszugleichen. Und diese Menge wird bei normaler Ernährung schnell erreicht. Es schadet also nicht, das Eisen im Trinkwasser zu reduzieren, wenn man gleichzeitig so besonders eisenhaltige Lebensmittel wie Corned Beef, eisenangereicherte Frühstücksflocken, weiße Bohnen in Tomatensoße (Baked Beans), Erdnußbutter, Rosinen, Brot, Eier, Currygerichte und braunen Rübensirup zu sich nimmt. Auch Kaviar, Wildbret und Rotwein enthalten sehr viel Eisen.

Doch ein zuviel an Eisen ist ebenfalls unerwünscht. Manche Menschen neigen dazu, Eisen in schädlichen Mengen zu speichern. Zu hohe Eisenspiegel im Gehirn wurden im Zusammenhang mit degenerativen Erkrankungen wie der Parkinsonschen Krankheit beobachtet. Auch andere vererbbare Stoffwechselkrankheiten ziehen eine Eisenakkumulation nach sich, die zu einer Schädigung der Organe führt. Ist also der Eisenentzug des Mineralwassers eine gesundheitliche Maßnahme?

Bei dem auf den Flaschen ausgewiesenen Eisenentzug handelt es sich letztlich um ein Verfahren, bei welchem dem Mineralwasser das zweiwertige Eisen entzogen wird, das schon in der Quelle auf natürliche Weise vorhanden ist. Bei Berührung mit Luft würde dieses Eisen oxidieren und braune Flocken bilden. Mit der Enteisenung, die also aus rein optischen und ästhetischen, nicht aber aus gesundheitlichen Gründen erfolgt, zieht man diesen "natürlichen" Prozeß künstlich vor.

Technisch geht das so, daß das Wasser belüftet wird, woraufhin sich das Eisen mit dem Sauerstoff verbindet, ausflockt und ausfiltriert werden kann. Nach der Mineral- und Tafelwasser-Verordnung vom 1. August 1984 (BGBl. I S. 1036) ist das erlaubt, mit der Maßgabe, daß darauf "deutlich sichtbar, leicht lesbar und unverwischbar" hingewiesen wird, wie der Gesetzgeber anmerkt. Seither springt der Eisenentzug des Mineralwassers dem Verbraucher so ins Auge, daß er es für ein Qualitätsmerkmal hält. Schließlich findet man auf anderen Verpackungen in derart disponierten Stellungen nur so bedeutende Hinweise wie "mit Vitamin C", "entkoffeiniert" usw.

Allerdings sprechen manche Zahlen auch eine andere Sprache, wonach der Eisenentzug des Wassers überhaupt nicht wünschenswert wäre. Schließlich leiden schätzungsweise insgesamt 500 Millionen Menschen an Anämien (einer durch Eisenmangel hervorgerufenen Blutarmut), die in Gebieten leben, in denen der Boden so ausgelaugt ist, daß er für Obst und Gemüse kaum noch Eisen hergibt. Die dort angebauten Agrarfrüchte sind rar an Eisen.

Es ist wohl zu erwarten, daß dieses Problem in Zukunft noch ernster wird, denn neben den an Mineralstoffen verarmten Böden bieten auch die ertragreichen Feldfruchtsorten, die gezüchtet oder gentechnisch verändert wurden, um die Welternährung zu stabilisieren, schon lange nicht mehr genügend verwertbares Eisen prozentual zum Trockengewicht.

Zumindest in den vom Wohlstand nicht so gesegneten Gebieten sollte man in Zukunft auf das Eisen im Tafelwasser nicht mehr verzichten...

9. Januar 2009