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RATGEBER/276: Pflanzeninhaltstoffe - Ratatouille oder Aspirin ... (SB)


Ist Ratatouille besser als Aspirin?


Kopfschmerzmittel, beispielsweise Aspirin(R), finden sich in jeder Hausapotheke, abgesehen von bestimmten Indikationen (z.B. die Gerinnungsfähigkeit des Blutes herabzusetzen), würden wohl nur wenige Menschen auf die Idee kommen, regelmäßig Acetylsalicylsäure, so der chemische Name, einzunehmen.

Die unangenehmen Nebenwirkungen sind hinlänglich bekannt. So kann Acetylsalicylsäure die Magenwände reizen und zu Blutungen oder gar Geschwüren der Mund- und Magenschleimhäute führen. Dies trifft vor allem für den chemisch unveränderten Naturstoff Salicylsäure zu.

Acetylsalicylsäure (oder ASS), das seit über hundert Jahren die Beschwerden von Menschen auf der ganzen Welt lindern hilft, ist schon eine abgewandelte, harmlosere Form der Salicylsäure, die aber bei Dauergebrauch ebenfalls zu den unangenehmen Risiken und Begleiterscheinungen wie Magenschleimhautentzündungen führen kann. In den USA werden im Durchschnitt jährlich 20 Milliarden Aspirintabletten eingenommen. In Deutschland wurden schon im Jahr 1996/1997 über 30 Millionen Packungen "Aspirin" und "Aspirin plus C" verkauft, und das betrifft nur die von Bayer veröffentlichten Zahlen. Zahlreiche Acetylsalicylsäure enthaltende Medikamente oder Generika wurden bei dieser Zählung nicht berücksichtigt, beispielsweise Alka Seltzer, das außer Acetylsalicylsäure Zitronensäure und Natriumbicarbonat enthält.

Durch die Reaktion mit Bicarbonat (Soda) entsteht das Natriumsalz der Acetylsalicylsäure, das sich besser in Wasser lösen läßt und deshalb vermutlich schneller wirkt. Die aufsteigende Kohlensäure regt zusätzlich Atmung und Sauerstoffaufnahme an, was sich für den von Schmerzen oder Katererscheinungen Betroffenen meist angenehm auswirkt. Darüber hinaus hat Salicylsäure auch eine blutverflüssigende Wirkung, weshalb es häufig Herzpatienten zur Vorbeugung oder Nachbehandlung eines Herzinfarktes verschrieben wird. Dabei werden sehr kleine Dosen von Aspirin regelmäßig verabreicht.

Weniger bekannt ist, daß Acetylsalicylsäure anscheinend auch die Entwicklung von Darmkrebs verhindern kann, wenn es regelmäßig eingenommen wird, eine eindeutige Disposition vorliegt (beispielsweise schon Polypen, d.h. gutartige Zellwucherungen in der Darmschleimhaut, operiert worden sind) und man auf die Statistiken vertraut. Allerdings läßt sich bei einem Ausbleiben von Krebs nicht wirklich behaupten, daß die Erkrankung durch die Salicylsäuregabe verhindert worden wäre...

Relativ gesichert ist, daß die schmerzlindernde Wirkung von Aspirin und Salicylaten auf die Blockade eines Enzyms zurückgeführt werden kann, das für die Herstellung von Prostaglandinen verantwortlich ist. Das sind jene Stoffe, die dem Körper eine Verletzung oder einen Angriff von Mikroorganismen anzeigen sollen, indem sie Schmerzen verursachen. Jedenfalls schließt man dies aus der Tatsache, daß Prostaglandine in besonders großen Mengen bei Entzündungen, Schmerzen und Fieber zu finden sind.

Man darf aber nicht vergessen, daß es sich bei Acetylsalicylsäure nicht um ein Vitamin handelt. Eine Einzeldosis von zehn Gramm (etwa 20 Tabletten) kann für einen Erwachsenen durch Übersäuerung des Blutes sogar tödlich wirken: Der Körper reagiert darauf mit rascher Atmung, um durch Abgabe von CO2 den Säuregehalt des Blutes zu senken, und mit verstärkter Nierentätigkeit, was zur Austrocknung führt. Kann der Säuregehalt auf diese Weise nicht reguliert werden, kommt es zur Gewebeschädigung und schließlich zum Tod. Eine normale Aspirintablette enthält in der Regel 500 Milligramm Acetylsalicylsäure. Davon kann man gemeinhin (falls keine Probleme mit der Magenschleimhaut auftreten) zwei Stück (1.000 Milligramm) alle zwei Stunden einnehmen. Damit wäre die vertretbare Maximaldosis von 12 Tabletten täglich (4 Gramm Aspirin) erreicht. Mehr sollte sich kein Mensch zumuten, auch wenn er unter sehr starken Schmerzen leidet.

Zur Vorbeugung von Herzkrankheiten reicht aber schon ein Zehntel oder ein Fünftel einer solchen Einzeldosis, also 50 bis 100 mg pro Tag. Diese Menge ist nach den heutigen Erkenntnissen für den Magen auch bei regelmäßiger Einnahme nicht schädlich. Sie ist jedoch auch nicht unbedingt nötig, weil der Mensch auch schon über die Ernährung reichlich mit Salicylaten versorgt wird, ohne es vielleicht zu ahnen.

Dabei muß man sich nur daran erinnern, daß der Ausgangsstoff für das erste Kopfschmerzmittel, das 1763 Reverend Edmund Stone (ein Pfarrer aus Südwestengland) den Bewohnern seines Heimatortes einflößte, wenn sie an Fieber litten, ein Teeaufguß aus der Rinde der örtlichen Silberweide war. Ein solcher "sekundärer Pflanzeninhaltstoff" ist jedoch gewöhnlich nicht nur in einer einzigen Pflanze zu finden.

Tatsächlich kann man Salicylat in vielen Gemüsesorten, Früchten und Kräutern finden, die gerne und viel gegessen werden. Die meisten stammen allerdings aus südlichen Ländern: Ratatouille, ein Gemüsegericht aus Auberginen, Zucchini, roten Paprika und Tomaten, quillt geradezu von Salicylaten über; Gazpacho, eine kalt servierte Suppe aus Tomaten, Gurken, Zwiebeln und Paprika, enthält ebenfalls eine gesunde und verträgliche Dosis; und schließlich (wer hätte das gedacht) sind Ananas, Melonen und Mango besonders reich an diesem schmerzlindernden Stoff.

Eine chemische Analyse ergab, daß Currypulver, eine Würzmischung aus bis zu 20 verschiedenen Gewürzen, auf 100 Gramm mindestens 200 Milligramm Salicylat enthält. Eine Schüssel Himbeeren enthält dagegen nur vier Milligramm des Wirkstoffs. Chicoréesalat mit sauren Gürkchen hilft gegen Katerbeschwerden mindestens so gut wie Alka Seltzer. Selbst der kleine Klacks Ketchup auf Würstchen und Pommes trägt zur natürlichen Salicylatzufuhr bei und auch im Studentenfutter sorgen Rosinen, Korinthen, Mandeln, Erd- und Kokusnüsse für einen klaren Kopf.

Der beste Weg, Kopfschmerzen auf natürliche Weise zu begegnen, und gleichzeitig etwas für die Herz- und Darmkrebsprophylaxe zu tun, ist jedoch der Genuß von schwarzem Tee.

Nur eine Tasse dieses edlen Gebräus versorgt uns mit drei Milligramm Salicylat. Fünf Tassen täglich reichen schon für die lebensverlängernde Dosis von 15 Milligramm. Dabei ist es gleich, ob der Tee aus Teeblättern hochwertiger Qualität oder aus dem Teebeutel stammt. Für die gleiche Menge müssen Kaffeetrinker mindestens 20 Tassen des Muselmanentranks schlürfen.

Das ist jedoch noch nicht alles: Honig, Worchestersauce, Lakritze, Pfefferminz, Brokkoli, Oliven und Maiskörner enthalten alle den Stoff aus der Weidenrinde. Kartoffeln enthalten Salicylsäure nur in ihrer Schale, Pellkartoffeln sind daher salicylatfrei. Das gleiche gilt für Birnen. Auch in Fruchtsäften, Bier und Wein ist der Wirkstoff vertreten.

Das erklärt aber vielleicht auch, warum manche magenempfindliche Menschen gerade nach dem Genuß der oben genannten Lebensmittel mit Verdauungsbeschwerden bis hin zu Magenblutungen oder gar -geschwüren reagieren können (nicht jede Magenverstimmung ist auf Tablettenmißbrauch zurückzuführen).

Auf diese Lebensmittel zu verzichten, ist wohl das einzige was man dann noch tun kann. Auf keinen Fall wäre aber bei Magenschmerzen eine Schmerztablette angebracht. Allerdings erscheint es nach der obigen Aufzählung auf den ersten Blick nahezu unmöglich, die Einnahme von Salicylsäure mit der Nahrung zu vermeiden.

Und doch enthalten viele wichtige Grundnahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Milch, Käse, Eier, Weizen, Hafer, Reis, Kraut, Rosenkohl, Sellerie, Lauch, Kopfsalat, Bohnen und Bananen garantiert überhaupt kein Salicyl.

Bei Getränken muß man aufpassen: Pfefferminz- und Früchtetee, Muckefuck oder Caro-Kaffee werden aus salicylhaltigen Pflanzen hergestellt. Wer sich also nicht allein mit Mineralwasser oder Milch den Durst vertreiben will, hat es schwer. Alkohol enthält kein Salicyl aber schon Cocktails können wieder auf gemüsehaltigen Grundbestandteilen zusammengesetzt sein: Gin mit Tonic (allerdings ohne Olive!) oder Cola mit Rum sind noch vertretbar, aber schon eine Bloody Mary (Wodka mit Tomatensaft) sollte absolut tabu sein!

Erstveröffentlichung 2001
Aktualisierte Fassung

30. Januar 2009