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RATGEBER/277: Neue Gerüchte über Kaffee und Coffein... (SB)


Darf's denn noch ein Täßchen sein?


Was den Konsum von aufmunternden, coffeinhaltigen Getränken betrifft, wird häufig auf das berühmte "Haar in der Suppe" verwiesen, das den Genuß gesundheitlich in Frage stellt. So hieß es vor einigen Jahren in den Medien: Wer Energy-Drinks wie "Red Bull", "Piranha" oder andere Marken konsumiert, sollte auf ausreichende zusätzliche Flüssigkeitszufuhr achten. Denn die 160 bis 180 Milligramm Coffein (etwa soviel wie zwei bis drei Tassen Kaffee), die in den Aufputsch- Getränken enthalten sind, sollen paradoxerweise so stark entwässernd (harntreibend) wirken, daß es im Extremfall und vor allem bei gleichzeitiger körperlicher Anstrengung und in Verbindung mit Alkohol zu einem bedrohlichen Flüssigkeitsverlust kommen könne. Es dauerte nicht lange, da mußte diese Erkenntnis revidiert werden.

Darüber hinaus wird Kaffee oft direkt mit seinem Inhaltsstoff Coffein gleichgesetzt. Coffein steckt nicht nur in den Samen von Kaffeepflanzen, sondern auch in denen des Guaranástrauchs, in den Blättern von Tee und Mate, in den Früchten von Kakao- und Kolabaum. Chemisch betrachtet handelt es sich um 1,3,7-Trimethylxanthin - ein Alkaloid, das auch synthetisch hergestellt wird. Reines Coffein bildet weiße, bitter schmeckende Kristallnadeln, die sich in Wasser und Alkohol nur schwer auflösen.

Viele Energy-Drinks werben damit, ihr Coffein stamme aus natürlichen Guaraná-Samen, der angeblich besonders bekömmlich sein soll. Die nußähnliche Frucht enthält zwischen drei und acht Prozent Guaranin, das, chemisch betrachtet, eine Vorstufe des Coffeins darstellt. Die Konzentration ist wesentlich höher als bei Kaffeebohnen, die nur ein bis zwei Prozent Coffein enthalten. Trotzdem reichen die Ernten nicht, um die durch die Energy-Drink-Mode hochgepuschte Nachfrage zu decken, weshalb den Getränken gewöhnlich auch noch chemisch synthetisiertes Coffein zugesetzt wird.

Guaranin soll, wenn es nicht durch hohe Temperaturen zerstört wurde, erst durch den körpereigenen Metabolismus in Coffein umgewandelt werden. Außerdem ist es, vergleichbar dem Tein im Tee, an Gerbstoffe wie Tannin gebunden und wird daher im Körper erst allmählich freigesetzt. Dies und weitere chemische Zusätze verzögern den Abbau des Coffeins im Körper um Stunden und sorgen für den erwünschten Depot- Effekt der Energy-Drinks. Coffein hat mit einer Halbwertszeit von 5 Stunden (das ist die Zeit, in der die Hälfte des Stoffes ausgeschieden wurde) ohnehin eine relativ hohe Verweildauer im menschlichen Metabolismus (zum Vergleich: Das Kopfschmerzmittel Aspirin (Acetylsalicylsäure) hat eine von nur 15 Minuten).

In Maßen genossen soll Coffein unser Müdigkeitsgefühl unterdrücken, das Konzentrationsvermögen steigern und uns zu einem klareren Gedankenfluß sowie schnellerem Assoziationsvermögen verhelfen. Außerdem beeinflußt es das Atemzentrum, erweitert die Herzkranzgefäße, erhöht die Herzfrequenz und wirkt harntreibend. Von Energydrinks wird außerdem behauptet, daß sie - wie man es auch von einer guten Tasse Kaffee kennt - die Stimmung positiv aufhellen, und all das ohne Nebenwirkungen.

Doch zuviel des bitteren Stoffes führt in der Tat zu Schweißausbrüchen, einem steigenden Blutdruck, schnellerem Puls, Reizbarkeit, Nervosität Schlafstörungen, Schwindel und Kopfschmerzen sowie Herzrhythmusstörungen. Das ist bei den besagten Energy-Drinks allerdings viel häufiger die Regel als bei Kaffee. Bei einer Neigung zu Panikattacken können diese durch hohe Dosen Coffein verschlimmert oder sogar ausgelöst werden. Wer täglich mehr als vier bis sechs Dosen Coffein-Limonade leert, kann außerdem Symptome von körperlicher Abhängigkeit entwickeln.

Das deutsche Arzneimitteltelegramm empfiehlt deshalb auch, bei Bluthochdruck Energydrinks zu meiden und sie von Kindern fern zu halten.

In Schweden hat die zuständige Behörde bereits im vergangenen Sommer davor gewarnt, die Drinks als alleinigen Durstlöscher und in Verbindung mit Alkohol zu trinken. Dort war eine junge Frau an übermäßigem Konsum solcher Getränke gestorben.


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Leider führen solche Meldungen über suchterzeugende Wirkungen von Coffein und dergleichen sehr schnell zu einer parallelen Stigmatisierung des Kaffees.

So wurde erst im Januar dieses Jahres von der Internetzeitung Telepolis berichtet, daß große Mengen Coffeins zu Halluzinationen führen könnten. Dabei wurde ein Zusammenhang zwischen der Ausschüttung des Streßhormons Cortisol gesehen, die möglicherweise durch Coffein angeregt werden kann. Darüber hinaus wurde das bisher nur als Genußmittel klassifizierte Getränk hier erstmals als "Droge" bezeichnet, womit sich der derzeitige Trend der Gesundheitspolitik zeigt, generell eine Einschränkung des Genußmittelkonsums (wie Kaffee, Rauchwaren, Schokolade, und Alkohol) mit unterschiedlichsten Begründungen zu erwirken.

Kaffee ist eine legale Droge und ein Mittel zur kognitiven Leistungssteigerung (cognitive enhancer). Große Mengen an Kaffee oder koffeinierten Getränken sollen aber nicht nur Nervosität, Angst, Kopfweh oder erhöhten Herzschlag, sondern auch Halluzinationen auslösen können. Nach einer Studie von britischen Wissenschaftlern der University of Durham haben Menschen, die mehr Koffein als das Äquivalent zu sieben Tassen täglich zu sich nehmen, dreimal so häufig Halluzinationen, manche haben selbst den Eindruck, als würden sie Geister sprechen hören oder als wären Tote in ihrer Nähe.
(Telepolis, 19. Januar 2009)

Grundlage des Artikels bildet eine Studie, die in der Zeitschrift Personality and Individual Differences erschienen ist und tatsächlich die Wirkung von Kaffee, Tee, Schokolade und Energiegetränken untersucht. Allerdings wurden nur 200 Versuchspersonen nach ihrem normalen Konsum befragt und ihre Neigung zu halluzinatorischen Wahrnehmungen und ihre Streßanfälligkeit dokumentiert.

Die nie zuvor registrierte Häufung von Streß und leichten Halluzinationen, die vermutlich allein auf die Art der Befragung zurückgeführt werden kann, wird in dem Artikel keineswegs in Frage gestellt. Obgleich selbst beteiligte Wissenschaftler zugeben mußten, daß die registrierten "Halluzinationen" zu den psychologischen Erscheinungen gehören, die praktisch schon jeder einmal an sich selbst in Ausnahmesituationen feststellen konnte. Ob man davor Kaffee getrunken hatte oder nicht, hängt vermutlich allein davon ab, ob man ihn überhaupt zu sich nimmt. Denn für den Kaffeegenießer fängt der Tag bekanntlich mit einer Tasse Kaffee an, alles andere - auch mögliche Halluzinationen - folgen dann automatisch nach, selbst wenn sie nichts mit dem Kaffeegenuß zu tun haben.

Der Psychologe Charles Fernyhough betont freilich, dass die festgestellte Verbindung von Koffein mit Halluzinationen keine kausale ist, und dass Halluzinationen kein Zeichen einer Geisteskrankheit sein müssen: "Die meisten Menschen haben schon einmal kurz den Eindruck gehabt, Stimmen zu hören, wenn niemand da ist. Drei Prozent hören regelmäßig solche Stimmen. Viele dieser Menschen kommen damit gut zurecht und leben ganz normal."
(Telepolis, 19. Januar 2009)

So soll die Schlußfolgerung "verbesserte Lebensqualität durch eingeschränkten Genußmittelkonsum (in diesem Falle Kaffee)" also nicht von ungefähr gezogen werden.

Dabei hatten Mediziner der amerikanischen Mayo-Klinik schon vor einigen Jahren den Genuß von "Kaffee" in einer wissenschaftlichen Studie rehabilitiert. Danach ist das meiste Coffein überhaupt nur in Kaffee enthalten, der nach der Brüh-und-Tropf-Methode zubereitet (d.h. gefiltert) wurde: 103 Milligramm Coffein stecken dann in jeder Tasse. Ein Espresso bringt es gerade auf 100 Milligramm, Instantkaffee nur noch auf 57 Milligramm. Schwarzer Tee liegt mit 36 Milligramm pro Tasse zwischen Kaffee und sogenannten coffeinhaltigen Erfrischungsgetränken wie Cola (Pepsi 37 Milligramm, Coca Cola 31 Milligramm). Schlußlicht ist der Zitronentee mit gerade einmal 25 Milligramm Muntermacher.

Kaffee sollte allerdings immer in aller Gemütlichkeit und zur Enspannung getrunken werden. Wer seinen Kreislauf damit in die Höhe treiben und die Müdigkeit verscheuchen will, hat nicht nur möglicherweise mit unangenehmen Begleiterscheinungen (Harndrang - Halluzinationen wurden hier nicht bestätigt, allerdings wurde auch nicht danach gefragt), sondern auch noch mit Nebenwirkungen im Verdauungssystem zu kämpfen. Hier kann der Bohnenextrakt Sodbrennen hervorrufen, vorhandene Magengeschwüre reizen und Magen-Darm- Verstimmungen, Durchfall oder auch Verstopfung auslösen. Selbst eine gereizte Blase und ungewohnt häufiges Urinieren kann die Folge von übermäßigem Kaffeekonsum sein. Dies ist allerdings nicht unbedingt neu und Kaffeegenießern, die diese Unannehmlichkeiten gerne in Kauf nehmen, hinlänglich bekannt.

Weniger bekannt sind allerdings die positiven Schlagzeilen, die Kaffee schon vor sieben Jahren in Padua machte. Angeblich wollen Wissenschaftler dort in einer Studie, die im Journal of Agricultural and Food Chemistry (2002; 50:1225-1229) erschienen ist, nachgewiesen haben, daß ein Aufguß aus authentischem gerösteten Kaffee gegen Karies wirkt.

Streptococcus mutans, der Erreger der Karies, haftet normalerweise sehr gut an in Speichel getränkten Hydroxyapatitperlen (ein Modell für den menschlichen Zahnschmelz). Die Adhäsion am Zahnschmelz wird als Voraussetzung für die kariöse Zerstörung des Zahns angesehen. Doch wenn die Perlen vorher in schwarzen Kaffee der Sorten Coffea arabica und Coffea robusta getränkt wurden, war die Adhäsion laut der Studienleiterin Gabriella Gazzani um 40,5 Prozent bis 98,1 Prozent gesenkt. Es funktionierte mit allen Kaffeegetränken gleichermaßen, soweit sie aus dem Mehl gerösteter Kaffeebohnen hergestellt sind.

Instant-Kaffee hatte sogar eine noch stärkere Wirkung, und selbst entkoffeinierter Kaffee hielt die Bakterien von den Kunstzähnen fort. Der Wirkstoff der für diese Antihaftwirkung verantwortlich gemacht wird, ist Trigonellin, ein wasserlöslicher Bestandteil, der bisher unter einer Vielzahl anderer für Aroma und guten Geschmack des Kaffees zuständig war.

Allerdings wurden diese Erkenntnisse nicht weiter verfolgt, auch Beobachtungen am lebenden Objekt oder Tierversuchen, die die Vermutung bestätigen könnten, blieb man schuldig, was ebenfalls den Schluß zuläßt, daß eine positive Einstellung gegenüber dem Kaffeegenuß oder ein durch wissenschafltiche Funde geförderter Konsum von maßgeblichen Interessengruppen schlicht nicht gewünscht wird. Man muß sich also fragen, mit welchem Agrarprodukt der Anbau von Kaffee in Konkurrenz steht, so daß bei der durch Klima- und Umweltveränderungen zunehmend eingeschränkten Landwirtschaft künftige Engpässe durch gesellschaftlich verordnete freiwillige Selbstbeschränkung ausgeglichen werden müssen...

In diesem Sinne
Prost Kaffee!

6. Februar 2009