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RATGEBER/286: Was macht Methylalkohol so giftig? (SB)


Methylalkohol oder Methanol -

Wie gepanschter Alkohol zum tödlichen Gift werden kann.


Der Gefahr, die von Methylalkohol ausgeht, ist man sich in unserer von Qualitätskontrollen und Lebensmittelgesetzen gelenkten Konsumgesellschaft kaum noch bewußt. Zu Zeiten der Prohibition in Amerika und in Kriegszeiten, als viele ihre Sorgen in selbstgebrannten oder auf dem Schwarzmarkt erworbenen Alkoholika zu ertränken suchten, sah man im täglichen Straßenbild häufiger Blinde, die den Verlust ihres Augenlichts dem Genuß gepanschter sogenannter Fuselalkohole zuschreiben mußten. Angesichts zunehmender Verarmung auch hierzulande könnte dieses vermeintlich bewältigte Problem aber auch eines der nahen Zukunft sein.

Nun sind mit Methanol bzw. Methylalkohol gepanschte Alkoholika unlängst wieder in den Mittelpunkt des Interesses geraten, weil mehrere junge Leute aus Lübeck nach dem Genuß von toxischen Spirituosen in der Türkei inzwischen gestorben sind. Dazu schrieb Spiegel Online heute:

Das Drama um gepanschten Alkohol in der Türkei hat zwei weitere Opfer gefordert: Bei den beiden am Donnerstag nach Deutschland geflogenen Schülern sind schwerste Hirnschädigungen festgestellt worden. Dieser Ausfall aller Hirnfunktionen ist laut der verantwortlichen Klinik unumkehrbar.

Lübeck - Die zwei Schüler, die nach einer Vergiftung mit gepanschtem Alkohol in der Türkei im Koma lagen, sind tot. Bei den beiden 17 und 19 Jahre alten jungen Männern sei am Samstag der Hirntod diagnostiziert worden, teilte das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck am Sonntagabend mit. Im Fall des bereits in der Türkei gestorbenen 21-jährigen Schülers soll geklärt werden, ob dieser bei rechtzeitiger Hilfe hätte gerettet werden können.
(Spiegel Online, Montag, 6. April 2009)

Neben den Fragen nach den Verantwortlichen und möglicher unterbliebener Hilfsmaßnahmen fragen sich nun viele, inwiefern sich Methylalkohol (Methanol) derart von gewöhnlichem genießbaren Alkohol unterscheidet, daß er einen Menschen in nur so kurzer Zeit zu Tode bringen kann?

Methanol (auch Methylalkohol, chemisch: CH3OH) wird heutzutage vorwiegend synthetisch aus Kohlendioxid und Wasserstoff bzw. aus Erdgas gewonnen. Diese technische Herstellung aus kostengünstigen Ausgangsstoffen macht ihn sehr viel preiswerter als den aus vergärtem Getreide oder Zucker durch Destillation gewonnenen Ethylalkohol, den man in allen hochprozentigen Alkoholika und Likören findet.

Früher und gelegentlich auch noch heute wurde Methanol durch trockene Destillation von Holz (Holzgeist) oder Melasseschlempe gewonnen. Dieser Holzgeist war es u.a., mit dem in früheren Zeiten Schnäpse gestreckt wurden. Aber auch die zur Destillation angesetzte Maische oder das zu diesem Zwecke gegärte Obst reicherte man manchmal wegen eines Mangels an gärbaren Ausgangsstoffen (Getreide, Kartoffeln oder Obst) mit Cellulose oder Holzspäne an, woraus sich während des Gärprozesses immer ein größerer Anteil an Methylalkohol entwickelte.

Methanol entsteht aber auch ganz regelmäßig bei der alkoholischen Gärung als Nebenprodukt und reichert sich in den Destillaten bei der Herstellung von Spirituosen an. Der wesentlich flüchtigere Methanolanteil muß daher ohnehin bei der Destillation gründlich abgetrennt werden, wozu Sorgfalt und Erfahrung sowie das strenge Einhalten bestimmter Temperaturbereiche nötig ist.

Bei den primitiven Destillationsapparaten Marke Eigenbau war es oft nicht so leicht möglich, den gesamten Methylalkoholanteil sauber abzutrennen. Und der anschließend verzehrte "Hausgebrannte" hatte wesentlich mehr des Gifts in sich, als man es zunächst vermutete. Auch heute enthalten noch manche minderwertige Spirituosen (z.B. Absinth) beträchtliche Mengen Methanol, die bei übermäßigem Genuß bedenklich sind.

In reinem Zustand ist Methanol äußerlich und geschmacklich als farblose, alkoholisch und leicht stechend riechende Flüssigkeit nur äußerst schwer von Ethylalkohol zu unterscheiden.

Da fast alle Früchte und Getreide auch in natürlicher Form Cellulose enthalten, findet man auch in einem Glas Bier, sogar in Fruchtsaft oder Wein immer etwas Methanol, den der menschliche Organismus jedoch noch gut verkraftet.

Erst ab Dosen von 0,1 g Methanol pro kg Körpergewicht wird es gefährlich, über 1 g pro kg Körpergewicht sogar lebensbedrohlich.

Die giftige Wirkung des Methanols beruht auf seiner in der Leber durch das Enzym Alkoholdehydrogenase erfolgenden Oxidation zu Formaldehyd und der daraus durch weitere Oxidation entstehenden Ameisensäure, zwei Stoffe, die eine Acidose (Übersäuerung) des Blutes verursachen und die Oxidationsprozesse des Stoffwechsels blockieren. Vor allem die Ameisensäure führt nach einer relativ symptomlosen Latenzzeit von von 6 bis 30 Stunden nach Aufnahme des Methanols zur Ausbildung dieser "metabolischen Acidose". Ameisensäure wird vom menschlichen Stoffwechsel nur sehr langsam abgebaut und sammelt sich so während der vergleichsweise zügigen Umwandlung des Methanols in seine Metabolite im Körper an.

Die akute Giftwirkung wird vor allem auf das sich auch in den Körperzellen bildende Formaldehyd zurückgeführt, das eiweißfällend und fermenthemmend ist und u.a. das Nervensystem (die Nervenzellen) angreift. Methanol kann aber auch schon direkt z.B. als Methanoldampf über seine entfettende und austrocknende sowie lipoidlösliche Eigenschaft Reizerscheinungen auf der Haut und den Schleimhäuten an Augen und Atemwegen verursachen. Die direkte Toxizität des Methanols ist jedoch wesentlich geringer als die seiner beiden Oxidationsprodukte.

Geringe Methanolmengen werden im Organismus vergleichsweise langsam metabolisiert und entsorgt. Durch Kumulation können daher auch kleine Mengen auf Dauer giftig wirken. Die direkte Aufnahme von Methylalkohol hat allerdings sehr viel gravierendere Folgeerscheinungen, die sich sehr schnell äußern und in verschiedene Stadien eingestuft werden. Direkt nach Aufnahme von Methanol zeigt sich wie beim Ethanol ein narkotisches Stadium, die berauschende Wirkung ist jedoch geringer als bei Ethanol. Anschließend treten als Folge der metabolischen Acidose weitere Symptome auf, wobei die beschleunigte Atmung, vor allem aber die Schädigung von Nerven, vor allem am Auge, besonders charakteristisch sind. Netzhautödeme führen zunächst zu verschwommenem Sehen, später zur Erblindung. Das Merkblatt des Instituts für Arbeitsmedizin der Universität Rostock faßt dies folgendermaßen zusammen:

Wird Methanol getrunken, dann kann es nach einer Latenzzeit von wenigen Stunden bis zu zwei Tagen neben Rauschzuständen, Schwindel, Benommenheit und Kopfschmerzen zu Brennen in der Speiseröhre, kolikartigen Leibschmerzen, Brechreiz und evtl. Erbrechen kommen. Darüber hinaus kann die Aufnahme größerer Mengen Zyanose, Krämpfe, Verwirrtheitszustände, Kreislaufstörungen (meist Bradycardie), Sehstörungen (Nebelsehen, gestörtes Farbensehen) bis zur Erblindung bewirken. Schon wenige Stunden nach der Giftaufnahme kann der Tod durch Atemlähmung, häufiger jedoch erst nach einigen Tagen (nur ausnahmsweise länger als drei Tage) durch Kreislaufinsuffizienz infolge allgemeiner Vasomotorenschwäche bzw. -lähmung eintreten.
(Merkblatt zu BK Nr. 13)

Überlebt der Vergiftete das akute Stadium, heißt es weiter, hat er dennoch weiterhin mit schweren Vergiftungserscheinungen, Einschränkungen und Spätschäden zu rechnen, die auf der nephro-, hepato- und neurotoxischen Wirkung (Vergiftungswirkung auf Nieren, Leber und Nervensystem) des Methanols beruhen. Es tritt Oligurie (verminderte Harnausscheidung), in schweren Fällen vorübergehende Anurie (noch stärker verminderte Harnausscheidung 100ml in 24 h) und Urämie (Niereninsuffizienz, Harnvergiftung) auf. Der Urin hat ein niedriges spezifisches Gewicht und ist stark sauer. Er kann Eiweiß, Calciumoxalatkristalle und Zylinder enthalten.

Die hepatotoxische Wirkung kann sich in einer Leberschwellung zeigen.

Die neurotoxische Wirkung äußert sich in einer sogenannten toxischen Encephalose mit Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Benommenheit, Krämpfen, Bewußtlosigkeit usw. Schwere Sehstörungen bis völlige Erblindung sind beobachtet worden. Auch Schädigungen anderer Gehirnerven (z. B. des N. facialis, N. akustikus, N. cochlearis) und periphere Polyneuritis kommen vor.

Und damit werden die Symptome des dritten Stadiums der
Methanolvergiftung gekennzeichet.


Welche Gegenmaßnahmen gibt es?

Bei einer akuten Methanolvergiftung, läßt sich der Intoxikationsmechanismus des Methanolmetabolismus nur über Verdrängung des Giftes mit dem weniger gefährlichem Ethylalkohol unterbinden, wobei Ethanolgaben in einer Konzentration von 0,7 g Ethanol pro kg Körpergewicht nötig werden. Hier muß man sehr aufpassen, da auch schon bei einem Alkoholspiegel von 5 Promille und mehr die Ausschaltung der lebenserhaltenden Systeme wie das Atemzentrum erfolgen können. Es kann dann ebenfalls zu einer Verringerung der Atemfrequenz und schließlich zum Tod durch Atemstillstand oder Kreislaufzusammenbruch kommen.

Bei der heiklen Ethanol-Therapie soll der Methanolabbau gehemmt werden, indem sich Ethanol bevorzugt der Alkoholdehydrogenase bedient. Durch zusätzliche Gaben des ADH-Inhibitors 4-Methylpyrazol (Fomepizol) wird dies weiter unterstützt. Wobei aber der Rauschzustand und die Dämpfung der lebenserhaltenden Systeme durch den Alkohol verlängert und verstärkt werden.

Mit Folsäuregaben wird der Ameisensäureabbau gefördert. Die Acidose kann außerdem durch eine Gabe von Natriumhydrogencarbonat neutralisiert werden. In besonders schlimmen Fällen wird eine Hämodialyse (Blutwäsche) notwendig. Diese Behandlung führt man solange durch, bis der Blutmethanolgehalt unter einen bestimmten, nicht mehr kritischen Grenzwert abgesunken ist.


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Quellen:
1. Merkblatt zu BK Nr. 13. der Anl.1 zur 7.BKVO Erkrankungen durch Methylalkohol (Bek. des BMA v. 14. 6. 1962, BArbB1 Fachteil Arbeitsschutz 1962, 133)

2. Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Methanol

3. Gefahrstoff-Datenbank 2008, LCI-Publisher, Springer-Verlag, V. Vill, 17. März 2008
Internet Resource: http://www.umweltbundesamt.de/wgs/30. Juli 2005

4. Spiegel Online, Montag, 6. April 2009

6. April 2009