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RATGEBER/294: Margarine - Chemie ist, was hart macht (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

Margarine sei ein Löffel Gesundheit auf Brot


Wer erinnert sich nicht an die Fernsehwerbung der verschiedenen Margarinehersteller, die uns in dem Glauben aufwachsen ließen, Margarine sei ein gesundes Naturprodukt, aus goldenen Sonnenblumen und ebensolchem Öl und viel besser und gesünder als die fette, gesundheitsschädliche, cholesterinhaltige und vor allem herzschädigende Butter. Daß Butter und tierische Fette viel besser sind als dieser von der Margarinelobby initiierte Ruf, kann man an Statistiken erkennen, aus denen z.B. hervorgeht, daß in den USA um die Wende zum 20. Jahrhundert Herz-Kreislaufkrankheiten äußerst selten waren, obwohl damals sehr viel Butter, Schweineschmalz und Talg verzehrt wurde.

Inzwischen sollte wohl jedem klar sein, daß Margarine ein rein synthetisches Produkt ist, das in lebensmittelchemischen Fabriken hergestellt wird, und bestenfalls bei den hochqualitativen Erzeugnissen die Ausgangsstoffe natürlichen Ursprungs, d.h. aus Pflanzensamen (Raps, Sonnenblumenkerne, Distelsamen usw.) gepreßte Öle, sind.

Von dem Moment an, da sie in den Prozeß der Ölgewinnung eingebracht werden, haben sie jedoch eine lange Reihe von chemischen Mißhandlungen und Manipulationen vor sich, in der sie, bis sie schließlich im Magen des Verbrauchers landen, ihren Charakter als Naturprodukt vollkommen verlieren.

Dennoch hält sich auch heute noch hartnäckig das Gerücht, daß Margarine (ganz gleich um welches Marken- oder Nonameprodukt es sich handelt) in jedem Falle "gesund", d.h. leichter und bekömmlicher ist als tierisches Fett. Der Verbraucher wurde schon vor 100 Jahren einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen, die seit Generationen weitergegeben wird, so daß die wahren Zusammenhänge bis heute verschleiert bleiben - ein wirksames Konzept, das auch in anderen Bereichen der Ernährung schon längst Schule gemacht hat.


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Dabei standen die Hersteller der Margarine anfangs vor einem ganz anderen Problem. Mit der Industrialisierung und der Konzentration von Arbeitskräften in den Städten hatte man gleichzeitig auch einen Mangel an Nahrungsmitteln geschaffen. Vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten konnten sich keine teure Butter leisten, die erst vom Land in die Städte transportiert werden mußte. Statt jedoch bessere Transportmöglichkeiten oder einfach Abstriche in der Gewinnspanne zu machen, suchte man nach einem billigen Butter-Imitat, um die Fettversorgung der Bevölkerung zu verbessern und sich auf möglichst kostensparendem Wege deren Arbeitskraft zu erhalten.

Der Begriff Margarine tauchte erstmals 1871 auf, wobei es sich jedoch um ein Streichfett-Ersatz handelte, der in großen Mengen aus Rindertalg und Magermilch zusammengepantscht wurde. Trotz aller Versuche der Landwirtschaftslobby, die neue Kunstbutter als gesundheitsschädlich zu diskreditieren, stieg der Absatz von Margarine in Deutschland schon deshalb, weil sich die meisten Menschen diese wenigstens leisten konnten. Parallel dazu wurden 1887 übrigens auch andere Lebensmittelkunstprodukte wie Maggis Würze und Libbys Fleischextrakt erfunden.

Noch preiswerter als Rindertalg und Magermilch waren die zahlreichen Pflanzenöle, die vorzugsweise aus Samen (bei Oliven auch aus den Früchten) preiswert gewonnen werden konnten. Auch hier hatte die Industrialisierung die traditionellen hydraulischen Pressen, in denen das gewonnene Öl weitgehend unbehandelt geblieben war und noch große Anteile an natürlichen Begleitstoffen enthielt, technisch so "verbessert" und rationalisiert, daß auch der letzten Tropfen des flüssigen Pflanzenfettes aus den Samen herausgequetscht werden konnte. Mit den ursprünglich rein mechanischen Verfahren gelang es dagegen nur, einen kleinen, aber sehr hochwertigeren Teil des kostbaren Naturnährstoffs zu mobilisieren.

Mit den effizienteren Verfahren wird das Öl seither (auch heute noch) unter hohen Temperaturen (bei denen die Begleitstoffe vertrieben oder denaturiert werden) und mittels chemischen Lösungsmitteln aus den Pflanzenfasern herausgetrieben.

Unter letzteren verwendet man insbesondere die Benzinfraktion n-Hexan. Da das Produkt anschließend auch so schmeckt, d.h. letztlich ungenießbar wird und auch andere unzuträgliche Bestandteile (wie Bitterstoffe oder Giftstoffe, die damit gleichfalls extrahiert werden) aufweist, werden die so gewonnenen Rohöle anschließend industriell raffiniert.

Das ist ein aufwendiger, stark ins Gefüge der Fette eingreifender Prozeß, bei dem die Rohöle in Fraktionen destilliert und chemisch aufbereitet werden (Entschleimung mit Phosphat, Neutralisation mit Natronlauge, Entfärbungs-, Dämpfungsprozesse usw.), und so ein zwar chemisch genauer definiertes flüssiges Fett entsteht, das aber nichts mehr mit der ursprünglichen Erdnuß, der Olive oder den Sonnenblumenkernen gemein hat, aus denen es gewonnen wurde. Damit es den typischen Geruch und Geschmack bekommt, muß es anschließend sogar mit Aromastoffen oder mit einem Anteil eines kaltgepreßten, teureren Öls ergänzt werden. Trotz der aufwendigen chemischen Raffination ist die Ölausbeute am Ende dieses Prozesses um ein Vielfaches höher, das Öl also wesentlich billiger.

Dieses synthetische und somit billige Öl sollte nun die Fettversorgung der ärmeren Bevölkerung sicherstellen und hatte nur noch einen Nachteil: Man konnte es zwar schon zum Braten, zum Backen, für Salate oder andere Gerichte verwenden, aber nicht aufs Brot schmieren.

Schon damals war den Chemikern klar: Wem es als erstem gelänge, die Härtung von Pflanzenölen in den Griff zu bekommen, der würde nicht nur Chemiegeschichte schreiben, er hätte kurz gesagt "ausgesorgt". Entsprechend groß war die Konkurrenz.

Schließlich gelang der Coup vor etwa hundert Jahren (1901) einem deutschen Chemiker aus Lohne, Wilhelm Normann, als er erstmals Pflanzenöl unter Einsatz von Nickel als Metallkatalysator auf die gewünschte Weise härtete. Wenige Jahre später wurde noch ein weiteres Verfahren entwickelt, um den Schmelzpunkt der Öle heraufzusetzen. Dazu werden sie mit einem Natrium-Katalysator versetzt und bei hohen Temperaturen im Vakuum umgeestert. Dieser weitere Eingriff in die Molekülstruktur machte die Margarine zu einem rein synthetischen Kunstprodukt.

In den darauffolgenden Jahren wurde fieberhaft an der praktischen Umsetzung der Erfindung gearbeitet. Gleichzeitig steckte man auch bereits die Ziele für den zu erwartenden gigantischen Markt ab. Schon damals waren die ersten Speiseöl-Raffinerien mit von der Partie, die sich inzwischen zu riesigen Konzernen auf dem Weltmarkt entwickelt haben.

Die Werbetrommel wurde schon früh gerührt: Auf der ganzen Welt feierte man die Fetthärtung als gewaltigen Fortschritt der Lebensmitteltechnologie und vor allem als "uneigennützige Großtat beim Kampf gegen den Welthunger". Letzteres ließ sich allerdings auch gut versilbern.

Ging man nämlich von einem Produktionspreis von 1,00 Dollar für ein Pfund Butter aus, so betrug der Kostenaufwand für die Herstellung derselben Menge an gehärtetem Pflanzenfett nur 0,17 Dollar. Kurzum, Margarine eröffnete geradezu schwindelerregende Gewinnspannen. Und schon bald war die Nachfrage kaum noch zu decken. Innerhalb des ersten Jahrzehnts bis 1913 stieg der Absatz von Margarine in Deutschland sprunghaft auf rund 200.000 t (Butter 470.000 t) an.

Jetzt mußte nur noch die richtige Werbestrategie gefunden werden, um auch konservative Konsumenten, die sich noch gesunde Butter leisteten, zum Umstieg auf das Kunstprodukt zu bewegen. Und richtig, der Rubel begann erst wirklich zu rollen, als man auch hierfür eine Marketingstrategie gefunden hatte und das "herzgesunde" pflanzliche Streichfett erfand.

Indem Margarine zur Gesundheitskost hochstilisiert wurde, kam niemand mehr auf den Gedanken, die verwendeten chemisch-physikalisch erzeugten Rohstoffe könnten gesundheitlich bedenklich sein. Selbst die Gesundheitsbehörden sowohl diesseits als auch jenseits des "großen Teiches" belasteten sich damit weiter nicht.

Bis heute wurde weder von Behörden noch von den Herstellern genau untersucht, welche Nebenprodukte bei der Härtung oder Teilhärtung von flüssigen, pflanzlichen Ölen überhaupt entstehen und ob sich diese möglicherweise ungünstig auf die Gesundheit des Verbrauchers auswirken. Das wäre allerdings auch eine Sisyphusarbeit, denn neben den zahllosen chemisch-physikalischen Umsetzungen und Modifikationen von Fettsäure-Molekülen, die nachzuvollziehen vermutlich sogar die analytischen Möglichkeiten sprengen würden, müßte auch noch überprüft werden, inwieweit Nickel oder andere heute gebräuchliche Katalysatoren oder Hilfsstoffe (z.B. Aluminium oder andere Metalle) ins Endprodukt übergehen. Ob der Anstieg von Nickelallergien im letzten Jahrhundert etwas mit dem gestiegenen Margarinekonsum zu tun hat, läßt sich deshalb auch nur vermuten.

Zu diesem Thema äußerte in der Zeitschrift "Natur und Heilen" (5/2001) der amerikanische Chemiker und Speisefettspezialist Herbert Dutton die Meinung, der Industrie komme es heute zugute, daß es sich bei raffinierten Ölen und gehärteten Fetten um ein schon so altes Produkt handele. Würde das Härten von Pflanzenfetten zu Speisezwecken nämlich heute erst entdeckt, hätte es wohl keine Chance, die Zulassungshürden der Gesundheitsbehörden zu meistern: Zu zahlreich seien die bei der Produktion entstehenden, in der Natur bislang unbekannten biochemischen Verbindungen und zu unkalkulierbar die Nebenwirkungen. Die Anwendung der Hydrierungserzeugnisse, so der Experte, würde voraussichtlich auf technische Zwecke (Schmiermittel für Motoren u.a.) beschränkt werden. Daß der Mensch Margarine durchaus unbedenklich genießen kann, ohne davon krank zu werden, liegt wohl weniger an der Margarine, als an der ausgezeichneten Widerstandsfähigkeit des menschlichen Organismus, der allerdings durch solche zusätzlichen ernährungsbedingten Anforderungen neben der ohnehin durch umweltchemische Veränderungen steigenden Belastung an chemischen Stoffen in Nahrung, Luft und Wasser zunehmend an seine Grenze geraten könnte.

Daß allerdings auch heute noch unterschiedslos daran festgehalten wird, Margarine sei ein gesundheitsförderndes Erzeugnis, mit dessen Konsum sich typische Zivilisationskrankheiten vermeiden ließen, sollte dem Verbraucher zu denken geben. Das gilt verstärkt auch für jene Halbfettprodukte, die darüber hinaus eine schlanke Linie versprechen, dafür aber noch mehr chemische Hilfsmittel enthalten als Vollfett-Margarine.

Mehr noch als Marktanteile und wirtschaftliche Erwägungen sind hier Interessen im Spiel, die nach und nach ein Eßverhalten fördern, das immer mehr auf entleerte, nährstoffarme Kunstprodukte abzielt. Die Einführung der Margarine war nur der erste Schritt.

Erstveröffentlichung 2001
neue, aktualisierte und ergänzte Fassung
29. Mai 2009