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RATGEBER/312: Gefährliche Ingredienzen - Wunderformeln in Kosmetika (SB)


VON APFELESSIG BIS ZITRONE

Über den Sinn und Unsinn von Wirkstoffen in Kosmetika


Vitamine und andere sogenannte Mikronährstoffe gelten gemeinhin als "gesund" und unbedenklich, wenn man sie beispielsweise in Form von Nahrungsergänzungsmitteln im Supermarkt erwirbt. Die positiven Vorurteile werden auch auf hautnährende Kosmetika oder externe Vitaminpräparate übertragen und werten die verschiedenen Tages-, Nacht- oder Antifaltencremes, Lotionen und andere hautnährende Kosmetika auf, die der Faltenbildung entgegenwirken sollen.

Damit sich erst gar nichts entfaltet, legen heute schon viele junge Menschen das Schicksal ihrer Haut in die Hände der Kosmetikindustrie, "regenerieren" ihre Haut mit Spezialmischungen für die Haut zwischen 20 und 30, 30 und 40 usw. Wenn dann mit zunehmendem Alter doch Spuren sichtbar werden, greift man zu stärkeren, vermeintlich wirksameren und vor allem neuesten "Wirkstoffkompositionen", um auch diese Spuren mehr oder weniger erfolgreich verschwinden zu lassen. Doch ganz gleich wie kostspielig das Produkt, das Ergebnis ist immer enttäuschend, denn im Höchstfall glätten sich die Falten minimal für wenige Stunden, um danach um so tiefer einzufallen.

Die Straffung beruht gewöhnlich auf einer vorübergehenden Wasseransammlung im Gewebe, die auf verschiedene Weise bewirkt wird und unter Umständen allein dadurch entsteht, daß die Poren der Haut durch die fragliche Nährcreme annähernd luftdicht verschlossen werden. Folglich funktioniert der Wasseraustausch nicht mehr. Feuchtigkeit und Schweiß können nicht mehr abfließen und schwemmen das auf diese Weise erhitzte Gewebe auf. Eine leicht gerötete Gesichtsfarbe, die mit gesunder Frische verwechselt wird, ist das ganze Ergebnis.

Mit den Inhaltsstoffen, Vitaminen oder neuartigen Wirkstoffkombinationen, mit denen Kosmetikhersteller herumexperimentieren und die dann als neue Geheimformel verkauft werden, hat dies alles nichts zu tun, nur der Fettgehalt der Mischung ist letztlich ausschlaggebend.

Viele der Wirkstoffe, die der Verbraucher auch noch teuer bezahlen muß, schaden ihm zumindest nicht, doch das läßt sich nicht für alle sagen. Für manche ist der Preis sogar doppelt hoch.

Vitamin A-Säure bzw. Retinol ist eine dieser Substanzen. Chemisch gesehen ist sie ein fettlösliches Antioxidationsmittel, d.h. sie verhindert das "Ranzigwerden" einer fetthaltigen Creme oder eines Lebensmittels. Besser bekannt ist Retinol als "Augenvitamin", was damit zusammenhängt, daß ein Mangel an Vitamin A wegen seiner Funktion in den Stäbchen und Zapfen des Auges zu Sehstörungen, in schweren Fällen sogar zu Blindheit führen kann. Ein Mangel an Vitamin A oder Carotin führt zunächst zu Nachtblindheit, später Atrophie und Verhornung der Haut und Schleimhaut, die dadurch leichter von Mikroorganismen angegriffen werden kann.

Neueren Spekulationen zufolge soll Vitamin A (aber auch seine Vorstufe ß-Carotin) die Zellteilung und Zelldifferenzierung von Hautzellen unterstützen, die Modulation der Kollagenase bewirken sowie epitheliale Zellen stimulieren, womit ihm eine Bedeutung bei der Wundheilung zugesprochen wird.

Letzteres wie auch seine antioxidative Wirkung könnte zwar eine begrenzte Menge von Vitamin A in Cremes und Salben erklären, die zu diesem Zweck vielleicht auch sinnvoll erscheint. Doch die Kosmetikhersteller gehen von ganz anderen Wirkungskonzepten für den Zusatz an Retinol aus und versprechen damit Wunder, die sie nicht erfüllen können.

Werden sie vor dem Sonnenbad aufgetragen, können sie die sogenannte Fotoalterung der Haut aufhalten, berichtete der amerikanische Dermatologe John Voorhees jetzt auf einem Kongress der European Academy of Dermatology & Venerology in München. Durch die UV-Strahlung erhöhe sich die Menge an sogenannten Metalloproteasen, die das Kollagen, die Stützsubstanz des Bindegewebes, abbauen. Gleichzeitig werde das Protein c-Jun nach einem Sonnenbad vermehrt gebildet, fanden Voorhees und seine Mitarbeiter heraus. Das behindere die Nachbildung von Kollagen im Gewebe (Journal of Clinical Investigation , Bd.106, S.663, 2000). Die Vitamin A-Säure soll nun die Menge der Metalloproteasen verringern und so den Abbau des Kollagens verhindern.
(Süddeutsche Zeitung vom 30. Oktober 2001)

Tatsächlich läßt sich auch beim Auftragen von Vitamin A-Säure in dem oben beschriebenen Sinne eine Straffung und Rötung der Haut erkennen, die aber zum größten Teil daran liegt, daß die Haut von der Säure gereizt und darauf mit Schwellung und kleinen Entzündungen reagiert. Es ist geradezu gefährlich, derartige Kosmetika unkontrolliert anzuwenden, denn statt der gewünschten Faltenlosigkeit handelt man sich damit leicht das Gegenteil ein: Vitamin A-Säure kann schwere Hautentzündungen verursachen und darf deswegen in Deutschland auch nur von Ärzten verschrieben werden.

Zu hohe orale Gaben von Vitamin A-Präparaten, die der Vitaminwahn gleichfalls nach dem Motto "viel hilft auch viel" mit sich brachte, haben schon oft zu gravierenden Hypervitaminosen (bei über 1 Millionen IE pro Tag) geführt, die sich in Schmerzen, Schwindel und Erbrechen äußern. Da Vitamin A-Säure gut fettlöslich ist, kann sie auch durch die Haut in den Organismus gelangen. Die chronische Form zeigt neben Blutspiegel und einem klinisch nachweisbaren Anstieg der alkalischen Phosphatase im Serum sehr schmerzhafte Schwellungen, Haarausfall und starke Reizbarkeit. Schwangere sollten diese Substanz innerlich wie äußerlich auf jeden Fall meiden, denn sie kann fetale Mißbildungen verursachen.


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In frei verkäuflichen Kosmetika verwenden viele Hersteller auch sogenannte AHA-Säuren, was für "Alpha-Hydroxy-Acids" steht. Es handelt sich dabei um Fruchtsäuren, also organische Säuren, die auf dem ersten C-Atom des organischen Säurerests hinter der Säuregruppe eine weitere OH-Gruppe besitzen (R-CHOH-COOH).

Diese Säuren werden kosmetisch dazu verwendet, das Abschälen äußerer Zellschichten zu beschleunigen und eine Erneuerung der Haut zu bewirken. Dabei wird selten erwähnt, daß es sich dabei um eine konstante unterschwellige Verletzung handelt, auf die die Haut mit ganz gewöhnlichen Wundheilungsreaktionen reagiert und mehr nicht. Dabei ist diese Methode schon für sogenannte Überempfindlichkeitsreaktionen bekannt, in denen es zu Reizungen und feinen Rissen in der Haut kommen kann.


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Daß Säuren die Haut schon rein mechanisch und an der Oberfläche verletzen, beginnend mit dem Entfetten und Austrocknen wie bei schwachen Säuren (Zitronensäure oder Essigsäure), fortschreitend durch das Fördern von Abschilferungsprozessen (mit Vitamin A- und AHA- Säuren), widerspricht jeder Vorstellung von Hautpflege. Letztere erreicht man, indem das große Oberflächenorgan, das ständig Luft, Wasser und den darin enthaltenen Schadstoffen ausgesetzt ist, einfach nur geschmeidig und gesund erhalten wird.

Gerade die zunehmende UV-Belastung, die viel schneller zur gewünschten Braunnote, aber auch zu Sonnenbrand und Austrocknung führt, macht unserer Körperhülle schon in jungen Jahren viel mehr zu schaffen als in früheren Jahren und als man gemeinhin glaubt. Eine sinnvolle Pflege und auch ein entsprechender Schutz vor der Strahlung ist deshalb tatsächlich gesundheitlich notwendig und keine reine Kosmetik mehr.

Deshalb enthalten viele Kosmetika zusätzlich Lichtschutzfaktoren, die, neben einer Öl-/Wasseremulsion, die möglichst dem natürlichen Säureschutzmantel der Haut angepaßt sein sollte, die Haut vor Strahlung und Austrocknen schützt. Alles weitere, was darüber hinaus darin enthalten ist, hat jedoch nichts mehr mit Schutz und Pflege zu tun.

Selbst die Wirkung der in medizinischen Salben verwendeten Hyaluronsäure, die als zusätzlicher Feuchtigkeitsspender gehandelt wird, läßt sich anzweifeln. Diese stark hygroskopische Substanz bindet ähnlich wie Harnstoff oder Glyzerin größere Mengen Wasser, hält auf diese Weise die Haut feucht und läßt die Zellen quellen. Einfaches Kochsalz hätte den gleichen Effekt, nur würde es auf Verpackung und Werbung nicht weiter auffallen. Harnstoff hat einen schlechten Klang, weshalb er in kosmetischen Produkten, die ihn dennoch als Feuchtigkeitsspender und Abschuppungshilfe enthalten, unter seinem lateinischen Pseudonym "Urea" gehandelt wird. In beiden Fällen kommt es zu einer osmotischen Wasseranreicherung im Gewebe, eventuell sogar in den Hautzellen selbst, die keinesfalls gesund ist. Sie führt sogar, wie im Fall "Harnstoff/Urea" zum frühzeitigen Absterben und Abschuppen der Haut, was meist als Erneuerung (im Sinne der Kosmetikindustrie) interpretiert wird.

Mit Hautpflegeprodukten auf Basis des einen oder anderen Wirkstoffs kann man durchaus kurzzeitig kleine Fältchen verschwinden lassen. Die Wirkung hält dann auch höchstens zwei bis drei Stunden an. Die Haut rötet und erwärmt sich dabei, was bei manchen auch als unerwünschtes Spannen und keinesfalls als angenehm empfunden wird. Letzteres weist eigentlich schon konkret auf eine Reizung hin.


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In dieser Aufzählung sinnloser Kosmetikazusätze dürfen natürlich auch nicht die Antioxidantien fehlen, die - wie das eingangs erwähnte Retinol - bei der Verhinderung des Ranzigwerdens der Fettphase von Salben und Cremes durchaus ihren Zweck erfüllen.

Retinol bzw. Vitamin A gehören neben Vitamin C und Vitamin E zu den derzeit am häufigsten verwendeten Vitaminen, die geradezu "en Mode" sind, wenn es darum geht, Alterungsprozessen vorzubeugen.

Antioxidantien, die dann oft auch als Radikalenfänger bezeichnet werden, sollen angeblich aggressive Molekülbruchstücke, sogenannte freie Radikale, abfangen, die vor allem durch Sonneneinstrahlung in der Haut entstehen, die Zellalterung fördern und den Zellen des Bindegewebes das Signal geben sollen, mehr kollagenabbauende Enzyme zu produzieren.

Dieser Irrtum stammt aus der theoretischen Chemie, in der das Radikal als hypothetische Zwischenstufe für sonst unerklärliche Photoreaktionen eingeführt wurde, zum Beispiel bei der Photooxidation von Fetten (dem Ranzigwerden).

Der Begriff "Radikal" schien deshalb passend, weil diese Zwischenstufe, die sich nicht nachweisen ließ, als "äußerst instabil und kurzlebig, deshalb nicht nachweisbar und zudem im Höchstmaß reaktiv" definiert wurde. Unter diesen Voraussetzungen ließ es sich als theoretischer Brückenkopf in alle bis dahin ungeklärten Reaktionsmechanismen einführen. Ein Radikal hat aber als theoretische Zwischenlösung im Grunde überhaupt keine nachweisbare Existenzberechtigung. Inzwischen dient es in der Medizin ebenfalls als Scheinerklärung oder Zwischenlösung für viele unerklärbare Phänomene wie die Zellalterung oder die Krebsentstehung und ist somit der ubiquitäre Oberbuhmann dieser Zeit und wird als der wohl größte, eigentliche Feind des Menschen gehandelt.

Bezeichnenderweise handelt es sich bei der genaueren Spezifizierung dieses Feindes oder Radikals immer um den gleichen Brückenkopf, den man auch schon zu Beginn der Radikalentheorien für die Oxidation von Fetten postulierte, nämlich das Sauerstoffradikal oder einatomige O.

Und das erklärt auch, warum gerade jene Stoffe, die eigentlich nur im Salatöl oder anderen fetthaltigen Produkten zu finden sind, inzwischen als Antikrebsmittel und Jungbrunnen verkauft werden.

Neben den oben genannten verschiedenen Vitaminen kommt auch immer wieder das sogenannte Coenzym10, auch Q10 genannt, zur Anwendung, das schon dem Namen nach mehr hermacht als die bekannten und relativ abgenutzten Vitamine. Q10 soll in allen Körperzellen quasi als körpereigenes Antioxidationsmittel vorkommen, seine Konzentration nimmt allerdings mit zunehmendem Alter ab.


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Während die Haut als relativ undurchlässige Membran bis jetzt die Angriffe der angeblichen Wundermittel naturgemäß ganz gut abwenden konnte, da größere Moleküle einfach nicht hindurchgelangen, versucht die kosmetische Industrie mit weiteren Mittelchen künstlich eine größere Durchlässigkeit zu erreichen, damit Wirkstoffe auch in tiefere Hautschichten gelangen können. Es handelt sich dabei um sogenannte Liposome. Das sind künstlich hergestellte Fett-Protein-Hohlkügelchen, die als Transportkapsel eingesetzt werden sollen. Sie sind zwar auch so groß, daß sie nicht einfach durch eine Membran dringen, doch sollen sie durch den eigenen membranähnlichen Aufbau mit dieser verschmelzen und ihren Inhalt dabei freigeben können.

Was die Nutzung dieser Träger betrifft, blieben bisher noch einige Fragen offen. Verantwortungsbewußte Pharmazeuten und Mediziner warnen deshalb vor einer verfrühten Anwendung des Stoffes. Wenn sich diese Minifettkügelchen tatsächlich einen Zugang in die Zelle verschaffen können, dürfte sich der Einsatz von Wirkstoffen, die dort Nebeneffekte zeigen könnten, schon einschränken.

Ob der Thymusextrakt (d.h. der hormonhaltige Extrakt der Thymusdrüse), den Dior in seinem Produkt "Capture" beigibt, langfristig nicht vielleicht doch bedenklich ist, wird sich erst in etwa 10 Jahren herausstellen. Daneben sollen, laut Dior, auch Kollagen- und Elastinpeptide mit in die Hautzellen eingeschleust werden, die in den 70er Jahren schon einmal in Mode waren. Damals schworen fortschrittsbewußte Verbraucher auf diese Kosmetika, weil man ihnen weisgemacht hatte, daß sich das fremde Kollagen und Elastin in die gleichen Bestandteile der eigenen Haut einbauen lassen und sich die Haut dadurch regenerieren würde. Hinweise seriöser Wissenschaftler, daß dies gar nicht möglich sei, weil die fadenähnlichen, langen Kollagen- und Elastinmoleküle viel zu groß sind und die Oberschicht der Haut gar nicht durchdringen können, sickerten erst langsam ins Bewußtsein der Käufer durch.

Bei den neuen, in Liposom eingeschleusten Elastin- und Kollagenprodukten handelte es sich um zerstückelte Aminosäuremoleküle und ob diese sich in der Haut wieder zu den entsprechenden Fäden und Ketten zusammensetzen, ist zu bezweifeln.

Doch das ist noch nicht alles: Abgesehen davon, daß der Transport in mikroskopisch kleinen Kapseln durchaus möglich und vorstellbar wäre, konnte man bisher nicht nachweisen, daß die Kapseln tatsächlich auch ihr Ziel erreichen. Wäre es aber möglich, hiermit Wirkstoffe in die Zelle einzuschleusen, dann müßten diese Mittel eindeutig als Arzneimittel klassifiziert werden, unterlägen der Zulassungspflicht und damit längeren Versuchsreihen zum Nachweis ihrer Unbedenklichkeit.

Daß dies bisher nicht geschehen ist, liegt daran, daß die vermeintlichen Transportkapseln schon an der äußeren Hautschicht durch das Einreiben zerstört werden. Der Nachweis für ihre Beständigkeit steht also immer noch aus.

Kurzum: Es gibt keinen kosmetischen Jungbrunnen! Allerdings ist die Glaubensbereitschaft des Menschen wohl auf kaum einem Gebiet so groß wie auf dem der Kosmetik. Und so wird uns wohl auch in Zukunft die Werbung der kosmetischen Industrie mit neuen Wirkstoffen und Geheimformeln einzuhämmern versuchen, daß sich ihre Produkte in einem Zustand der permanenten und revolutionierenden Entwicklung befinden und es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir mit dem ultimativen Wundermittel endlich dem Alter und der damit zusammenhängenden natürlichen Faltenbildung der Haut ein Schnippchen schlagen könnten. Wohl dem der diesbezüglich eine Elephantenhaut besitzt...

Erstveröffentlichung 2002
neue, aktualisierte Fassung
29. Dezember 2009