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RATGEBER/326: Schluß mit dem Gerücht, Talkum sei harmlos wie Puderzucker (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT

Talkum sei harmlos wie Puderzucker...


Talkumhaltiger Babypuder sei ein Gesundheitsrisiko, ließ im vergangenen Sommer das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) verlauten und die sollten es ja eigentlich ganz genau wissen. Auch schon in den Jahren davor geriet Talkum immer wieder mal in Mißkredit. So warnt die verbraucherorientierte Webseite "Zentrum der Gesundheit" schon seit 2009 im Internet davor, daß das vielgebräuchliche Talkum so gefährlich wie Asbest sei [1]. Dennoch schien uns die Vorstellung, daß sowohl Post- wie vor allem auch Prä-Pampers-gewickelte Generationen von Säuglingen und Kleinkindern gewissermaßen mit Asbest-Staub gepudert und "trockengelegt" wurden, recht drastisch. Man fragt sich doch, wie diese Behandlung überhaupt überlebt werden konnte und warum man nicht schon früher auf die vermeintlich gefährliche Substanz aufmerksam wurde.

Anlaß für die Empfehlung des BfR, talkumhaltigen Babypuder fernerhin ganz zu verbieten oder die Dosen mit kindersicheren Verschlüssen auszustatten, war dann auch "nur" ein akuter, schwerer Vergiftungsfall eines zweijährigen Mädchens aufgrund elterlicher Unachtsamkeit. Das Kind hatte beim Wickeln mit einer verschlossenen Puderdose gespielt, bis sich die Dose öffnete. Der Puder ergoß sich über das Gesicht des Kindes und wurde von ihm eingeatmet. In der Folge mußte das Kind mehrere Tage lang intensivmedizinisch behandelt werden. Auch anderer Staub geringer Korngröße in diesen Mengen direkt in die Lunge inhaliert, hätte in jedem Fall eine ähnlich verheerende Wirkung gehabt, ganz gleich wie toxisch der Grundstoff. Man denke da z.B. an den bereits erwähnten, harmlosen Puderzucker, der, in die Bronchien eingeatmet, auch kein Zuckerschlecken ist...

Talk ist ein Mineral, das beim Abbau von Talkgestein, Speckstein, Steatit oder anderen Mineralien gewonnen wird. Der Talk wird anschließend zerkleinert, getrocknet und zermahlen. Durch diese Verarbeitung wird ein Teil der Spurenelemente entfernt, erhalten bleiben feine schuppen- oder blättchenartige Strukturen aus etwa 90 Prozent Magnesiumsilikat, die gut aneinander vorbeigleiten, was das angenehme trockene, aber geschmeidige an Fett erinnernde Hautgefühl ausmacht, die das Puder hinterläßt. Es gibt allerdings auch noch Anteile von Chlorit, Kalkspat, Magnesit und Quarz, die nicht entfernt werden und bisher auch niemanden störten. Darüber hinaus - und das gibt allerdings Anlaß zur Sorge - können, wie in allen Mineralien, auch geringe Spuren von faserförmigen Mineralien vorkommen, die an Asbest erinnern bzw. sogar asbestähnlich sind.

Im Vergleich zu Puderzucker ist Talkum jedoch wie alle Mineralien hoch biobeständig und kann noch Jahrzehnte nach Exposition im Lungengewebe nachgewiesen werden. Die Vorstellung ist zwar nicht gerade angenehm, doch nimmt der Mensch im Laufe seines Lebens ohnedies einiges an anorganischen oder sehr langsam bzw. gar nicht abbaubaren Stäuben auf, die in der Lunge verbleiben und möglicherweise vor Ort inkorporiert werden. Die Spuren von runden, zarten Talkumblättchen, die mit der Nutzung von Puder in die Lunge gelangen, sollten aber eigentlich nicht weiter ins Gewicht fallen, es sei denn, man wollte jede zusätzliche Belastung des Atemorgans vermeiden. Und das ist doch eigentlich schon Grund genug...

Nicht von ungefähr enthält das Sicherheitsdatenblatt zu "Talkum" (sowohl das als Füllstoff zu gebrauchende, als auch das für Talkum als Pudergrundlage) sowohl im Punkt "Handhabung und Lagerung", als auch zum Punkt "Begrenzung und Überwachung der Exposition" jeweils den Hinweis, die Stäube nicht einzuatmen. Talkose wird die durch Talkum hervorgerufene Staublungenerkrankung genannt, wobei laut BfR noch nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich hierbei, um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt oder ob Verunreinigungen durch Asbestfasern ("Asbestose") oder Quarz ("Silikose") die ursächlichen Faktoren sind.

Das Gefährdungspotenzial anorganischer Stäube ist offensichtlich von verschiedenen Faktoren abhängig, wie z.B. Größe und Form der Staubteilchen, Staubmenge und Expositionszeit, spezifischen Eigenschaften des Staubes sowie der individuellen Reaktionsweise der exponierten Personen.

Sollte allerdings Talkum tatsächlich mit Asbest verunreinigt sein, was aufgrund der ähnlichen Ausgangsmineralien wie auch der analytischen Erfassungsgrenzen wohl nicht ganz auszuschließen ist (s.u.) und sollte vor allem das Asbest einer bestimmten faserförmigen Sorte und Größe in die Lunge geraten, dann sieht das Ganze schon wieder anders aus. Denn tatsächlich geht vom faserförmigen oder stäbchenförmigen Steinstaub die Gefahr aus, eine sogenannte Lungenfibrose (Entzündung des Lungengewebes bzw. Silikose oder Asbestose) zu fördern. Von Asbestfasern einer bestimmten Geometrie (Länge-Stärke-Verhältnis oder Nadelform) ist bekannt, daß sie bei der Aufnahme über die Atemwege allein durch Reizung des Lungengewebes Krebs (in den Lungen krebskranker Personen wurde häufiger bis zu 1 g Asbest gefunden) oder auch sogenannte Mesotheliome (schon weniger als 1 mg ganz bestimmter Asbestfasern soll hier reichen) auslösen können. D.h. nicht jede Asbestfaserart ist gleich gefährlich. Je nach Abbaugebiet und mineralischer Zusammensetzung kommen ganz bestimmte Faser- oder Kristallformen vor, die mehr oder weniger gefährlich sein können. Von chemisch inerten, glatten und nadelförmigen Asbestfasern wie dem blauen Asbest (Krokydolithe) soll beispielsweise eine größere Gefahr ausgehen als von weißem Asbest (Chryssotils). Letzterer besteht aus spiralförmigen Fasern, die, sobald das Magnesium daraus gelöst wird, selbst in der Lunge "verwittern" und sich in ihre Bestandteile auflösen können.

Doch was bedeutet das für Talkum?

In einer Arbeit der Ruhr-Universität Bochum zum Thema "Lungenfibrosen in der Gummiindustrie" im März 1999 [2] wird das bei der Gummiherstellung verwendete Talkum als eine mögliche Ursache hierfür diskutiert:

Diskutiert werden insbesondere fibrogene und kanzerogene Wirkungen. Für beide Effekte besteht weiterhin Unklarheit darüber, ob die Asbest- und Quarzkontamination für das in verschiedenen Studien beschriebene vermehrte Auftreten von Lungenkrebs und Mesotheliomen bzw. Lungenfibrosen verantwortlich ist. Es wird angenommen, dass Talkum zu einer Lungenfibrose im Sinne einer "reinen Talkose", zu einer Talkum-Asbestose oder Talkum-Silikose führen kann. Unter "reiner Talkose" wird meist eine diffuse Lungenfibrose mit oder ohne Pleuraverdickung, verstanden. Diese tritt nur nach hoher Exposition auf (Wild et al., 1995) und wird nicht beobachtet bei Personen, die gering gegenüber praktisch nicht kontaminiertem Talkum exponiert waren (Gamble et al., 1982).

Tierexperimentelle Befunde mit Talkum sind uneinheitlich, eine karzinogene Wirkung in Tierversuchen wird nicht konsistent beschrieben (Übersicht DFG, 1987). Der MAK-Wert für Talkum beträgt 2mg/m3 Feinstaub. [2]

Daß bei Talkum, das zur Verbesserung der Gummigeschmeidigkeit und Haltbarkeit eingesetzt wird, keine pharmazeutischen oder lebensmittelchemischen Maßstäbe angelegt werden, ist vorstellbar. Doch welche Mengen an Asbest für das verarbeitende Personal als normal oder tolerierbar gelten, wird hier nicht diskutiert.

Kurz als "nichts Genaues weiß man nicht" zusammengefaßt, läßt diese Untersuchung sehr viele Fragen offen, die aber die allgemeine Verunsicherung erklären, die in Foren wie oben genanntes Zentrum der Gesundheit zu Tatsachen postuliert werden.

In dem Sicherheitsdatenblatt der Ravensberger Schmierstoffvertrieb GmbH vom Dezember 2003 für als "Talkumpuder" verwendbares Talkum wird ausdrücklich keine akute Toxizität oder Gesundheitsgefährdung durch das Produkt dokumentiert. Nur bei regelmäßigem, langandauerdem Einatmen des Feinstaubes könne es zu Ablagerungen von Staubpartikeln in der Lunge (einer leichten Pneumokoniose) kommen. Deshalb wird die Einhaltung der MAK-Werte empfohlen. Allerdings setzt das Sicherheitsdatenblatt offensichtlich eine Prüfung voraus, mit der "Asbest" als Begleitstoff ausgeschlossen wurde. Denn das Talkum wird als "Blattsilikat, frei von Asbest und Quarz" klassifiziert.

Als chemisch inertes (unveränderliches), feuchtigkeitsbeständiges Material kommt Talkum aber nicht nur als Babypuder oder technischer Füllstoff vor, sondern es wird auch in vielen pharmazeutischen Anwendungen als Hilfs- oder Füllstoff verwendet, selbst zur oralen Einnahme z.B. als Bestandteil einiger Antacida (Mittel zur Neutralisierung der Magensäure). Der Puder auf einigen Kaugummis (um das Verkleben mit dem Papier zu verhindern) enthält ebenfalls auch Talkum.

Darüber hinaus findet man es in pulverförmigen Pestiziden, in Floh- und Zeckenpuder für Haustiere sowie in Deodorants, Kreide, Buntstiften, Textilien, Seife, Isoliermaterial, Farben, Füllmaterial für Asphalt, Papier sowie Nahrungsmitteln. Überall hier wären weder Asbest noch asbestähnliche Stein-, Quarz- oder Silikatfasern erwünscht.

Aber läßt sich Asbest als Begleitstoff tatsächlich vollkommen ausschließen?

Nun, ebenso wie sich Verunreinigungen mit Asbest feststellen lassen, sollten entsprechende Qualitätsprüfungen auch dieses Kriterium ausschließen können, so würde man zumindest denken. Doch noch 2003 konnten in "asbestfreiem" Talkum, das für die Anwendung als Fließmittel in Tierfutter vorgesehen war, vom Bundesinstitut für Risikobewertung Rückstände von Asbest nicht komplett ausgeschlossen werden [3]:

Bei dem Futterzusatzstoff E 560 "Natürliche Mischung aus Steatiten und Chlorit" handelt es sich um eine Mischung aus Magnesium- und Aluminiumsilikaten. Er wird entweder als Füllstoff oder als Fließhilfsmittel bei der Mischfutterherstellung in Dosierungen zwischen 0,3 % und 3 % verwendet. Dabei ist vorgeschrieben, dass der Zusatzstoff "asbestfrei" sein muss. Allerdings ist im Futtermittelrecht im Gegensatz zum Chemikalienrecht nicht ausdrücklich definiert, was "asbestfrei" bedeutet [3].

Danach kann zumindest ein Futtermittelzusatzstoff, der ja per Definition keine Chemikalie ist, Asbest enthalten? Das BfR prüfte in einer Studie "Futtermittel mit möglicherweise asbestverunreinigtem E 560" nur die möglichen gesundheitlichen Risiken für den Verbraucher, das lebensmittelliefernde Tier und das tierpflegende Personal (Anwender).

Das Ergebnis des BfR war entlastend:

Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand liegt bei natürlicher Kontamination von Futterzusatzstoffen über Speckstein oder andere Mineralien wie im vorliegenden Fall keine konkrete gesundheitliche Gefährdung des Verbrauchers beim Verzehr von Lebensmitteln tierischer Herkunft vor, wenn Lebensmittel liefernde Tiere mit E 560-haltigen Futtermitteln gefüttert wurden. Auch für die Tiere selbst besteht keine Gefährdung. Für Personal, das Futtermittel mit möglicherweise asbestverunreinigtem E 560 verfüttert hat oder damit in Kontakt gekommen ist, ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand ebenfalls ein konkretes gesundheitliches Risiko nicht belegbar.[3]

Doch die Fakten, auf die sich diese Schlußfolgerungen beziehen und die in der Begründung der Studie vorliegen, sind für einen kritischen Betrachter ernüchternd. So kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, daß mittels unterschiedlichen EU-Verordnungen für Futtermittelzusatzstoffe bzw. Lebensmittel sowie mit dem ständigen Verweis auf andere Zuständigkeitsbereiche der als vertretbar angesehene Anteil an Asbest verschleiert werden soll.

So wird für Talkum, hier mit dem Kürzel E 560, die VO (EG) 2439/1999 (ABl. L 297 vom 18.11.1999, S. 8) in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 739/2000 (ABl. L 87 vom 8.4.2000, S. 14) Asbestfreiheit einfach vorausgesetzt ("Natürliche Mischungen von Steatiten und Chlorit, asbestfrei, Mindestreinheit 85%"), ohne dies weiter zu definieren. Im Lebensmittelbereich ist das Produkt E 560 "gemäß Zusatzstoff-Verkehrsverordnung (ZVerkV)" aber gar nicht vorgesehen und mithin nicht zulässig und wird hier deshalb kurzerhand mit der E-Nummer 553b einstuft.

Seltsamerweise ist für letzteres die in Anlage 2 Liste 7 ZVerkV aus dem Jahr 1984, die noch für Zusatzstoffe gilt, die vor dem 25. November 2000 hergestellt worden sind, gültig, und darin wird bei den Reinheitsanforderungen für Talkum (E 553b) das Thema Asbest offiziell ganz ausgeklammert, u.a. heißt es da:

Wasserlösliche Bestandteile (30 Min., 100°C): max. 0,2 %
Salzsäurelösliche Bestandteile: max. 2 %
Fluorid: max. 20 mg/kg
Asbest: n.n. (mikroskopisch) [...] [3]

"n.n." bedeutet "nicht nachweisbar". In diesem Fall konnten keine Asbestfasern in der mikroskopisch untersuchten Probe gesehen werden. Fraglich bleibt, ob damit wirklich ausgeschlossen ist, daß in anderen Teilen der jeweiligen Probe oder in einer mikroskopisch nicht erfaßbaren Größenordnung Asbestanteile vorkommen.

Weiter heißt es in der Begründung des BfR:

In der für später hergestellte Zusatzstoffe geltenden Fassung der ZVerkV vom 29. Januar 1998, zuletzt geändert durch Artikel 1 der 2. Änderungsverordnung vom 24.06.2003, wird zu den Reinheitsanforderungen für Talk E 553b auf die Richtlinie 96/77/EG vom 02.12.1996, geändert durch die Richtlinie 2002/82/EG vom 15.10.2002, verwiesen, in der die Asbestfreiheit von Talkum nicht erwähnt ist. Allerdings wird in dieser Richtlinie auf die Richtlinie 95/2/EG Bezug genommen, in der für Talkum (E 553b) "Asbestfreiheit" gefordert wird (Anhang IV, amtliche Anmerkung). [3]

Na, da kenn sich noch einer aus... Es bedarf schon entsprechend vorgebildeter juristischer Fachpersonen, um aus diesem Sprach-Wust zum Urteil des BfR zu gelangen: "Damit seien die Reinheitsanforderungen an Talkum als Lebensmittelzusatzstoff denjenigen in den futtermittelrechtlichen Vorschriften vergleichbar." [3]

Vergleichbar wohl nur in ihrer Aussagelosigkeit, wieviel Asbest noch als "asbestfrei" bezeichnet werden darf...

Aufschlußreich in diesem Zusammenhang scheint nur ein Kommentar im Europäischen Arzneibuch zu Talkum, das im pharmazeutischen Bereich als Fließregulierungsmittel zur Verbesserung der Gleitfähigkeit von Tablettiermassen verwendet und in Wundpudern zugesetzt wird. Darin wird grundsätzlich darauf hingewiesen, "dass die Forderung der Ph.EUR. 'frei von Asbest' nicht erfüllbar ist, da jede analytische Methode eine endliche Detektionsgrenze besitzt".

Zur Prüfung auf Identität werden die typischen Banden bei 3677, 1018 und 669 cm-1 in der IR-Spektroskopie herangezogen. Gemäß dem Kommentar zum Europäischen Arzneibuch setzt die Prüfung auf Asbest sehr komplexe und aufwendige instrumentelle Methoden voraus, die von Untersuchungsämtern und Laboratorien der Industrie deshalb nicht oder nur sehr bedingt durchgeführt werden. [3, 4]

Laut BfR-Studie wird ferner im Deutschen Arzneibuch [5] gefordert, daß Talkum "frei von mikroskopisch sichtbaren Asbestfasern" sein muß. Also das, was nicht sichtbar ist, hiernach auch nicht vorhanden ist... Während die Richtlinie 2003/18/EG (4) zum Zwecke der Messung von Asbestfasern in der Luft mit der Vorgabe, nur Fasern mit einer Länge von mehr als 5 µm, einer Breite von weniger als 3 wie einem Verhältnis Länge/Breite von mehr als 3:1 wären zu berücksichtigen, auch noch einen Teil des Sichtbaren wegdefiniert...

Mit anderen Worten können in Talkumpuder durchaus Asbestteilchen enthalten sein, auch wenn es geprüft und als "asbestfrei" ausgewiesen wurde. Sicher sagen läßt sich dabei bestenfalls, daß diese unterhalb einer bestimmten analytisch erfaßbaren Größenordnung liegen, von der die Experten behaupten, sie sei toxikologisch nicht relevant. Kanzerogene Wirkungen sollen erst von Asbestfasern mit einer Länge von mehr als 10 µm einem Aerodynamischen Durchmesser von < 0,5 s ausgehen. Dann ist ja alles in Butter...

Es bleibt die Frage, wie man die toxikologische Wirkung von vermeintlich nicht vorhandenen Fasern überhaupt je überprüft hat.

Weiter heißt es in der "Begründung" des BfR: Eine Definition des Begriffes "asbestfrei", die sowohl die analytische Nachweisbarkeit als auch die gesundheitliche Unbedenklichkeit sehr geringer Mengen einbezieht, liegt in futtermittelrechtlichen Vorschriften nicht vor. Bei einem geringen Gehalt von ca. 0,1 bis 0,2 Prozent liegt wahrscheinlich nur ein sehr geringes Risiko vor. Wegen der großen Unsicherheit aufgrund mangelnder Daten muß die Forderung nach einer vollständigen Elimination der Asbestfasern im Grunde bestehen bleiben. "Es erscheint jedoch nicht vernünftig und wäre schwer zu vermitteln, Stoffe und Produkte nur deshalb als 'asbestbelastet' zu beanstanden, weil die Nachweismethoden empfindlicher geworden sind." [3] Mit anderen Worten, wer doch winzige Asbestfäserchen sieht, die eigentlich nicht zu sehen sein dürften, weil er andere als die herkömmlichen Analysemethoden verwendet, der soll das nicht so genau nehmen...?

Klarer Fall von Überreaktion?

Wenn es um die Ernährung oder Tierfutter geht, soll der Verbraucher also gefahrlos ein paar Augen zudrücken. Anders aber bei der Anwendung des Puders auf der Haut, bei dem Talkum im Sommer letzten Jahres erst in die Lunge und dann ins Gespräch kam. Bereits in der Vergangenheit waren dem BfR ähnliche Fälle gemeldet worden.

Insgesamt haben für den Zeitraum von 1979 bis 2008 die Giftinformationszentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz 113 Aspirationsunfälle mit Babypuder dokumentiert. In den meisten Fällen waren Kinder im Alter von einem halben bis zu zwei Jahren betroffen. In den dokumentierten Fällen haben die Kinder keine bleibenden Schäden davon getragen.
(BfR, Presseinformation 20/2011, 27.06.2011)

Da aber nach Ansicht vieler Kinderärzte aus medizinischer Sicht die Verwendung von talkumhaltigem Babypuder überhaupt nicht notwendig sei und Kinderpos seit der Verwendung von Superabsorbern (die nur manchmal ein wenig dioxinbelastet sind) geradezu makellos trocken bleiben, empfiehlt das BfR in seinem letzten Beschluß "zur Vermeidung von Aspirationsunfällen" daher, die Puderdosen entweder auf sichere Verschlusssysteme umzustellen oder "talkumhaltigen Babypuder zu verbieten". Daß man auf diese Weise quasi im nebenherein auch das ja vermeintlich nicht vorhandene Asbestproblem (oder soll man sagen Asbest-"Babypoblem") in Kinderwiegen unter Ausschluß jedweder Öffentlichkeit beseitigt, ist schon fast - wäre es denn beabsichtigt - als kleines Husarenstückchen zu bezeichnen...


Anmerkungen:

[1] siehe URL: http://www.zentrum-der-gesundheit.de/talkum-ia.html

[2] siehe URL: http://www.ipa.ruhr-uni-bochum.de/publik/info0399/gummi.php
Das IPA - Forschung für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz "Lungenfibrosen in der Gummiindustrie (Projekt-Abschlussbericht)" R. Merget, X. Baur

[3] Stellungnahme des BfR vom 22. September 2003, "Asbest in E 560 'Natürliche Mischungen aus Steatiten und Chlorit'"

[4] Kommentar zum Europäischen Arzneibuch. Talkum. K. Hardtke, H. Hartke, E. Mutschler, G. Rücker, M. Wichtl (Hrsg.). Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mgH Stuttgart, Govi-Verlag, Pharmazeutischer Verlag GmbH, Eschborn, 15. Lieferung (2002).

[5] Deutsches Arzneibuch. Band 3: Monographien M-Z. Amtliche Ausgabe. 10. Ausgabe. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart, Govi-Verlag GmbH, Frankfurt (1991).

[6] Sicherheitsdatenblatt gemäß 91/155/EWG, RAVENOL Talkumpuder überarbeitet am: 17.06.2003, Art. Nr. 3014 Seite: 1/3 (3014_RAVENOL_Talkumpuder.pdf) und Sicherheitsdatenblatt "Talkum 22/HK" (Carl Jäger Tonindustriebedarf GmbH) gemäß Kommission Verordnung 91/155/EEC und zwei Änderungsanträgen: 93/112/EC & 2001/58/EC

18. Januar 2012


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