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RATGEBER/340: Schluß mit dem Gerücht - Leinölgebrauch bedarf der Umsicht nicht (SB)



Chemische Grundlagen gefragt ...

Leinöl ist ein hervorragendes Naturprodukt, das in unterschiedlichsten Formen in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens zur Anwendung kommt. In der Ernährung, Medizin, Kosmetik oder im Holzhandwerk findet man es seit Jahren als Bestandteil von Produkten. Auf reines Leinöl, das man bereits seit dem 15. Jahrhundert zur Herstellung von Ölfarben in der Malerei nutzt, werden zudem unnachahmliche Farbeindrücke im fertigen Kunstwerk zurückgeführt, die Acrylfarben nicht zustande bringen. Holzhandwerker schätzen im Vergleich zu modernen Lacken die besonders tiefgehende Imprägnierung und Versiegelung, die sehr nachhaltig und langlebig ist und auch die natürliche Bewegung des "arbeitenden" Holzes nicht "abspringen" läßt. Und schließlich soll ein hoher Gehalt an sogenannten "Omega-3-Fettsäuren", ebensogut wie die in Fischöl vertretenen, einen positiven Einfluß auf verschiedene Funktionen des Herz-Kreislaufsystems und auf den Bewegungsapparat (Knochen und Gelenke) nehmen, wenn man es als Nahrungsergänzung oder als schmackhaftes Speiseöl zu sich nimmt. [1]

Alle diese positiven Effekte werden letztlich auf den überdurchschnittlich hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren zurückgeführt (Ölsäure ca. 17 bis 23,5%, Linolsäure 13,8 bis 17,5% und Linolensäure 50 bis 60%), die mit der richtigen Mischung von Licht, Sauerstoff (Luft) und Wärme leichter oxidieren als andere Fettsäuren. Die schnelle Oxidation macht die ungesättigten (Omega-3-)Fettsäuren ebenso zu den oft zitierten Radikalenfängern, auf die wir im Folgenden nicht näher eingehen wollen, wie zu Grundbausteinen der gewünschten Polymerisationsreaktion, die nach entsprechender Zeit und oftmals mehrfacher Anwendung zu der gewünschten Holzversiegelung führt. [2]

Die gleiche Oxidationsreaktion hat Leinöl jedoch in der jüngeren Vergangenheit häufiger als Ursache von Unfällen und Bränden in die Kritik gebracht und Schlagzeilen wie polizeiliche Hinweise, in denen von "selbstentzündlichem Leinöl" die Rede war, zu Verunsicherungen geführt, in deren Folge bereits die Verbannung des alten Hausmittels aus Küchenschrank und Hobbykeller diskutiert wurde. [3] Viele haben das für harmlos gehaltene Naturprodukt zwischen Farbdosen im Regal oder in der Küche (als Speiseöl) stehen oder bereits genutzt. Doch wird nun das damit eingestrichene Brett explodieren oder die noch halbgefüllte Flasche im Schrank? Was ist mit der Zeitung, die man untergelegt hatte oder mit dem mit Leinöl verklebten Schraubverschluß? [3]

Manch einer fühlte sich vielleicht gerade noch einmal mit heiler Haut davongekommen. Denn selbst ein genauer Blick auf das Sicherheitsdatenblatt oder auf das "Kleingedruckte" der Flasche oder des Kanisters kann die Sorge nicht entkräften. Einerseits wird die Unbedenklichkeit des nicht toxischen, umweltfreundlichen Naturprodukts unterstrichen: "Das Produkt wird als nicht gefährlich eingestuft." Bei der "Handhabung" (Punkt 7) steht z.B. "keine besonderen Schutzmaßnahmen erforderlich". Allerdings weisen schon die Hinweise zur Lagerung, "in ölfesten, luftdicht verschlossenen Behältern" und "getrennt von starken Oxidationsmitteln", "bei maximal 35 Grad Celsius" darauf hin, daß es sich auch bei dem natürlichen Produkt um potente Chemie handelt, was spätestens im Punkt 10 "Stabilität und Reaktivität" bestätigt wird:

Stabil unter den angegebenen Bedingungen der Lagerung und des Gebrauchs gemäß Abschnitt 7. Mit Leinöl getränkte Textilien, Papiere, Abfälle, hochporöse Stoffe wie Stroh, Holzspäne, Isolierstoffe können bei Feinzerstäubung und starker Luftzufuhr zur Selbstentzündung neigen. Daher nicht unbeaufsichtigt lassen und in brandsichere, wassergefüllte und geschlossene Behälter legen oder kontrolliert verbrennen. Kontakt mit starken Oxidationsmitteln meiden. [4]


... um Kleingedrucktes zu verstehen

Ausdrückliche offizielle Warn- oder Gefahrenhinweise auf den Produkten werden jedoch im Datenblatt selbst für überflüssig erklärt. Besonders verwirrend für den Laien sind die derzeit in neuen Produkten gerne verwendeten Datenblatt-Vordrucke, die alle möglichen auch gesundheitlich relevanten Effekte ansprechen, die dann vom Datenblatt-Labor gewissenhaft abgehakt werden, die aber im Falle von Leinöl z.B. bei der nicht relevantem "Akuten Toxizität" in allen Punkten, wie Primäre Reizwirkung, Ätz-/Reizwirkung auf die Haut, Schwere Augenschädigung/-reizung usw. immer nur die folgende Angabe machen: "Aufgrund der verfügbaren Daten sind die Einstufungskriterien nicht erfüllt." [5]

Das hört sich nicht gut an. Alles zu verstehen, erfordert Grundlagen oder Kenntnisse in der Fachterminologie, die der heimwerkelnde Verbraucher und auch mancher Handwerker, der schon bei der Frage nach starken Oxidationsmitteln möglicherweise passen muß, normalerweise nicht mitbringt.

Dabei würden genaue Hinweise, was passiert und warum, dem Verbraucher die Entscheidung für oder gegen ein Naturprodukt, das aufwendiger in der Verarbeitung ist als schnelltrocknende, modernere Synthetiklacke, dafür aber die nötige Geduld und Mühe vielleicht im Ergebnis dauerhafter entlohnt, erleichtern. Vor allem in den Medien wurden Unfälle mit Leinöl nur genutzt, um es als unzeitgemäß und gefährlich darzustellen.

Ein mögliches Beispiel für die Umstände, die zusammenkommen müssen, damit Leinöl ein Auslöser für einen Brand werden kann, wurde seinerzeit in der Süddeutschen Zeitung zu einem Wohnungsbrand in Altona folgendermaßen beschrieben:

Die Entstehung des Brandes war schnell geklärt. Eine Mieterin hatte ihre Balkonmöbel mit Leinöl imprägniert. Den ölgetränkten Lappen hatte sie in der Abstellkammer aufbewahrt. Über Nacht hatte der Lappen dann mit Sauerstoff reagiert, wobei so viel Wärme entstand, dass er sich schließlich entzündete. [ ... ] Für Susanne Woelk, Geschäftsführerin der Aktion "Das Sichere Haus e.V.", kein Einzelfall: "In Schreinereien und der Holzverarbeitung kommt es immer mal wieder zu Bränden durch Leinöl. Seit die Verbraucher lieber Naturprodukte für die Holzpflege verwenden, passiert das gelegentlich auch in Privathaushalten." Dass von Leinöl eine Brandgefahr ausgehe, sei weitgehend unbekannt, sagt Woelk.

Anette S., eine Bewohnerin des ausgebrannten Mietshauses, sagt verwundert: "Auf dem Kanister steht groß drauf, dass Leinöl ein reines Naturprodukt ist, frei von Chemie und Giftstoffen. Und ganz kleingedruckt ist die viel wichtigere Info, dass es sich um selbstentzündliches Material handelt." (SZ, 11. Februar 2008) 

Bei einem Flammpunkt von 300 °C, in manchen Verbindungen sogar erst bei ca. 315 °C (Marcusson) ist die Kennzeichnung "selbstentzündlich" ohne die weiteren Voraussetzungen zu nennen, definitiv mißverständlich. Streng genommen gelten Leinöl und andere Fette und Öle, die bis mindestens 300 °C aufgeheizt werden müssen, bis man sie mit einem Streichholz in Brand stecken kann, sogar als schwer entflammbar.

Unter bestimmten Umständen entzündet sich Leinöl - aber auch andere Speiseöle, die einen hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren haben. [6] Eine sogenannte Selbstentzündung verläuft aber nicht plötzlich, ihr geht in der Regel zunächst eine merkliche Selbsterwärmung voraus.

An einer solchen Selbsterwärmung können verschiedene exotherme (Wärme freisetzende) biologische, chemische und physikalische Prozesse beteiligt sein. Setzen diese exothermen Reaktionen nun mehr Wärme frei als vom brennbaren Material wieder abgeführt werden kann, z.B. in Folge eines Wärmestaus, führt dies zu einem Temperaturanstieg im Material. Da die Reaktionsgeschwindigkeit und in der Folge auch die Wärmefreisetzung solcher Reaktionen meist mit steigender Temperatur zunehmen, beschleunigt sich dadurch der Selbsterwärmungsprozeß. Wird schließlich die Zündtemperatur des brennbaren Materials überschritten, kommt es zunächst zu einem Glimmbrand, der dann beim Erreichen der Oberfläche in einen offenen Flammenbrand übergeht.

Bei Leinöl ähnelt der wärmebildende Prozeß zunächst dem Ranzigwerden von Fetten. Im Unterschied zu gesättigten Fettsäuren können ungesättigte Fettsäuren durch eine exotherme Oxidationsreaktion (z. B. mit Luftsauerstoff) oder Polymerisationsreaktionen merklich Wärme freisetzen, die an die Umgebung abgegeben wird. Aus diesen Gründen spielen bei der Selbsterwärmung besonders ungesättigte Fettsäuren eine Rolle, und zwar umso mehr, je mehr Kohlenstoffdoppelbindungen die Fettsäuren beinhalten. Damit die Reaktionen jedoch zur Selbstentzündung führen können, müssen sich die Öle bzw. Fette auf einer großen Oberfläche eines brennbaren Trägermaterials befinden. Es muß also eine möglichst große Oberfläche für den Sauerstoffzutritt vorhanden sein. Darüber hinaus muß das System aber auch gut isoliert sein, damit die hierbei produzierte Wärme nicht an die Umgebung abgeführt werden kann.

Eine weitere Ursache für Selbstentzündung kennt man von spontan auftretenden Staub- oder Mehlexplosionen in der Getreideverarbeitung (Mühlen). Dabei kann die durch Reibung verursachte elektrostatische Aufladung einen Funken auslösen, der in den fein zerstäubten Mehlteilchen auf ausreichend brennbares Material trifft.

Ähnlich neigt Leinöl bei einem hohen Zerstäubungsgrad auch bei Raumtemperatur zur Entzündung. Hier sollen jedoch noch wärmefreisetzende chemische Prozesse dazukommen, die die Umgebungstemperatur aufheizen. [7]

Deshalb sollten mit Ölen verschmutzte Lappen, Tücher und Polierpads oder Pinsel unbedingt nach dem Gebrauch mit Wasser befeuchtet und in einem dicht verschlossenen Glas- oder Metallbehälter aufbewahrt werden. Ebenfalls kann man sie zunächst auf einer nicht brennbaren Fläche flach zum Trocknen auslegen oder auch nach Gebrauch kontrolliert verbrennen.

Ebenso unproblematisch ist es, gebrauchte Lappen oder Pinsel gut auszuwaschen und in einigem Abstand voneinander an eine Wäscheleine zu hängen. Dann wird die möglicherweise bei chemischen Reaktionen noch entstehende Wärme ebenfalls ganz an die Umgebungsluft abgeleitet.

Fazit: Auch wenn die einer sachlichen Aufklärung zumeist vorgezogene Entmündigung des Verbrauchers zu seiner Sicherheit durchaus im Trend liegt, blieb Leinöl weiterhin als Werkstoff-, Schutz- und Pflegemittel für Holz das Mittel der Wahl. Abgesehen davon läßt sich bei synthetischen Produkten, für die möglicherweise die Antileinölkampagne eine Bresche schlagen sollte, unter den oben genannten Voraussetzungen eine Entzündung oder leichte Entflammbarkeit ebenfalls nicht ausschließen. Vorsichtsmaßnahmen und Umsicht beim Umgang mit allen brennbaren Farb- und Lackprodukten und Leinöl im Besonderen sind aber durchaus angebracht! Die häufiger nahegelegte Schlußfolgerung für Leinöl, "lieber die Finger davon zu lassen", müßte in aller absurder Konsequenz aber auch den Gebrauch von Speiseölen einschließen, denn auch diese waren bereits in der Vergangenheit für Hausbrände durch Selbstentzündung verantwortlich. So hatte ein Korb warmer, frisch gewaschener Wäsche auf dem Küchentisch abgestellt offenbar ausreichend Wärmeenergie, um Sesamölreste zu selbstentzündlichen Prozessen anzuregen ... [6]


Anmerkungen:

[1] Werbung und Hinweise auf die positiven Wirkungen sind zahlreich im Internet zu finden u.a. auch hier:
http://www.lein-oel.net/

[2] Durch diesen langsamen Prozeß ist Leinöl ein besonders wirksamer, schonender Holzschutz, der schon seit Jahrhunderten für die Imprägnierung von Holz, Putz, Stuck, Mauerwerk und Terracotta verwendet wird. Bogenbauern und Flötenherstellern ist es ebenfalls ein unverzichtbares Hilfsmittel geworden, da es die Poren des jeweiligen Holzinstrumentes verschließt, Wasser und Feuchtigkeit abweist und die Elastizität und Schwingungsfähigkeit des Holzes verstärkt.
Im Unterschied zu synthetischem Lack dringt Leinöl tief in die Poren des Holzes ein und polymerisiert dann im Innern zu einer unlöslichen Verbindung.
Dazu sättigt man das Holz durch einen sogenannten Naß-in-naß-Auftrag und läßt das Öl aushärten. Hierbei machen sich Qualitätsunterschiede des Öls später besonders bemerkbar.
Reines, kalt gepreßtes, rohes (nicht gekochtes) und daher dünnflüssiges Leinöl kann sehr tief eindringen, und eignet sich daher am besten für die erste Behandlung bzw. zum Grundieren. Holzgegenstände, die auf diese Weise behandelt wurden, wobei man das Leinöl einige Male neu aufträgt, was sehr viel Trocknungszeit beansprucht, müssen später kaum noch einmal behandelt oder lackiert werden und behalten ihren matten und doch tiefen Glanz ein ganzes Leben.
Unter Luftabschluß gekochtes Leinöl, wobei laut dem Internetlexikon Wikipedia.de eine schneller trocknende, anpolymerisierte dickflüssige Form des Öls (Hartöl) entsteht, eignet sich am besten für den Schlußanstrich oder zur Farbenherstellung, da es schneller aushärtet und stärker glänzt. Werden diesem zusätzlich Trocknungsstoffe beigesetzt, erhält man Leinölfirnis. Dieser Stoff dringt nicht mehr so tief ins Holz ein und muß daher mit Lösemitteln (Terpenen) verdünnt werden. Der Holzschutz ist folglich nicht so wirksam wie mit unverdünntem, rohem Leinöl.

[3] https://www.dasheimwerkerforum.de/threads/leinoelfirnis-selbstentzuendung-entsorgung.4125/

http://www.stimme.de/polizei/heilbronn/Brand-durch-Selbstentzuendung-Polizei-warnt-vor-Leinoel;art1491,2767747

[4] Sicherheitsdatenblätter kennzeichnen die Produkte als unbedenklich, mit ausdrücklicher Einschränkung bei damit getränkten Lappen u. dgl.:
http://www.leinoelpro.de/fileadmin/media/PDFs/SD-Leinoel_roh.pdf

[5] http://www.meyer-chemie.de/img/db/datensaetze/files/152/sdbMEYERLeinl-FirnisDE.pdf

[6] http://www.schadenprisma.de/pdf/sp_2013_3_1.pdf

[7] Förster, H.; Hempel, D.; Hirsch, W.: Brand- und Explosionsgefahren beim Versprühen von flüssigen Kohlenwasserstoffen mit hohem Flammpunkt in industriellen Anlagen. PTB-Mitteilungen 108 (06/1998), S. 442-447.

Erstveröffentlichung 5. März 2008
aktualisierte und ergänzte Version

12. Juni 2017


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