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UMWELTLABOR/182: Neue Feinstaubquelle entdeckt - Räucherstäbchen


Neue Feinstaubquelle entdeckt - Räucherstäbchen


Den Studien der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind es gerade die unsichtbaren, feinsten Staubteilchen, mit denen unsere Atemluft verunreinigt ist, die weltweit für 500.000 Todesfälle jährlich verantwortlich sind. Angeblich geht die international steigende Tendenz von Erkrankungen der Luftwege und des Herzens auf das Einatmen von Feinstaub zurück.

Nun läßt sich der Staub aus unserer Umgebung kaum wegdenken. Es ist das erste, was man in den frühen Sonnenstrahlen, die ins Fenster hereinfallen, tanzen sieht, das erste vielleicht, womit schon der Urmensch auf der Erde Kontakt hatte. Die Luft, die wir atmen, ist voller kleinster Partikel. Sie entstehen aus natürlichen Quellen wie Feuern, Vulkanausbrüchen, Meeresböden oder Pollen und Sporen abgebenden Pflanzen. Dazu kommen künstliche, vom Menschen freigesetzte Partikel, die aus den Schornsteinen der Privathaushalte, der Industrie, von Kraftwerken oder den Auspuffanlagen vor allem von Dieselfahrzeugen aufsteigen. Autos verursachen eine weitere Belastung der Luft mit Kleinstteilchen durch den Abrieb der Reifen beim Rollen auf dem Straßenbelag und noch mehr beim Bremsen.

Da Staub gewissermaßen alles sein kann, von tödlichem Asbest bis zu harmlosem Ruß oder Sand und es abgesehen von der Korngröße keine weiteren Unterscheidungen in Qualität und Gefahrenklassen gibt, hat man mit dem Begriff Feinstaub genaugenommen einen harmlos klingenden Begriff für die gesamte undefinierbare Luftverschmutzung geprägt: den reaktiven Chemikaliencocktail, mit dem wir uns umgeben und der nicht nur als feine Tröpfchen oder Gase in der Atmosphäre verbreitet wird, sondern auch in wilder wahlloser Unordnung auf den Oberflächen der festen Luftpartikel haftet. Was da zusammenkommt, miteinander reagiert und unsichtbar in winzigen Poren von UV-Impulsen angeheizt vor sich hinbrodelt, mag man sich kaum vorstellen.

Daß es einige doch tun, sieht man daran, daß besonders kleine Teilchen, die als Feinstäube bezeichnet werden, auch als besonders gefährlich gelten, weil sie in den Organismus gelangen und dort gespeichert oder verstoffwechselt werden können.

Doch was ist Feinstaub genau?

Unterschieden werden nur drei Kategorien: Inhalierbarer Feinstaub mit einer Partikelgröße von weniger als 10 Mikrometern, lungengängiger Feinstaub mit weniger als 2,5 Mikrometern und ultrafeine Partikel mit weniger als 0,1 Mikrometer. Vor allem letztere werden vom Straßenverkehr verursacht und gelten wegen ihrer chemischen Zusammensetzung als besonders gefährlich.

Feinstaub entsteht besonders viel, wenn etwas verbrannt wird. Daher gelten Zigaretten inzwischen ebenso als verteufelungswerte Quellen für Feinstaub wie bisher nur für Nikotin und krebserregende Teerprodukte.

Mit der geschürten Angst vor unheilbaren und schmerzhaften Erkrankungen wird der Mensch wie schon bei früheren Rauschmitteln und Alkohol um ein weiteres Genußmittel gebracht. Durch den Wegfall der damit leicht herstellbaren Bastion von Wohlgefühl und Behagen, die sich um eine angebrannte Zigarette entfalten könnte, dem möglichen Grund sich mit anderen zu treffen, zu reden und damit auch dem Wegfall einer weiteren Stätte potentiellen Widerstands, wird der neue, "gesundheitsbewußte" Mensch zusehens vereinzelt, gebrochen und verfügbar gemacht.

Das gleiche kann man über die jüngste Entdeckung und zur empfohlenen Meidung der neuen, bisher noch völlig unerwähnten Feinstaubquelle sagen: dem Räucherwerk.

Weihrauch, Räucherkegel und vor allem die exotischen, asiatischen Räucherstäbchen, ebenfalls Verbreiter von Gemütlichkeit und wohligem Schummer, sollen nach einer jüngsten Studie mindestens ebenso gefährlich für die Gesundheit wie Zigaretten sein.

So hieß es vor kurzem in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung von Philipp Berens:

Besonders für Allergiker kann der Feinstaub, den die brennenden Duftquellen fein säuberlich im Raum verteilen, unangenehme Folgen haben. Der Rauch eines solchen Stäbchens ist gar mit dem von Tabak vergleichbar: So berichten Wissenschaftler im Fachblatt Athmospheric Environment, dass ein Räucherstäbchen die Luft genauso stark wie eine Zigarette belastet (Bd. 40, S. 821, 2006).
(SZ, 22. November 2006)

Das ist allerdings gar nicht so neu: Schon 2003 wurde beim Verbrennen von Räucherwerk nachgewiesen, daß die Konzentration von Feinstaub in der Zimmerluft stark ansteigen kann. Der europaweite Grenzwert für die Feinstaubbelastung der Außenluft von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wurde bei dem Experiment im Labor um das Dreifache überschritten.

Doch wie beim Feinstaub in der Außenluft, sagt dieser Wert letztlich nichts. Erst der lungengängige Feinstaubanteil und eigentlich erst die chemische Zusammensetzung des Staubes können tatsächlich etwas über seine gesundheitsgefährdende Wirkung aussagen.

Leider sieht das, was dabei herauskommt für alle Liebhaber duftender Räuche sehr übel aus, denn der Klimatologe Stephan Weber von der Universität Duisburg-Essen wies nach, daß beispielsweise bei dem in Kirchen verbrannten Weihrauch die Konzentration der kleinsten Feinstaubteilchen hoch ist (Environmental Science, Bd. 40, S. 5251, 2006):

Diese dringen besonders tief in die Lunge ein und schädigen möglicherweise auch das Herz-Kreislauf-System. Dennoch werden diese winzigen Teilchen in vielen Untersuchungen vernachlässigt, weil sie zur Gesamtmasse nur wenig beitragen. "Sehr viele sehr kleine Partikel haben aber eine sehr große Oberfläche, an die sich Schadstoffe binden können", sagt Stephan Weber.
(SZ, 22. November 2006)

Zunächst einmal kann man nur von einer mechanischen Beeinflussung des Lungengewebes durch die kleinsten Partikel sprechen, selbst wenn sie in Gefäße eindringen. Indem sie sich auf der Lungenoberfläche niederlassen, nehmen sie dem in der Atemluft ohnehin schon verminderten Sauerstoff die Kontaktfläche, was zu Atemnot und Kreislaufproblemen führen kann.

Räucherstäbchen enthalten darüber hinaus zahlreiche Komponenten organischen Ursprungs, meist mit unklaren Mischungsverhältnissen: Sägemehl als Brennstoff, Harze und Phenole als Klebstoffe und Aromastoffe für den Geruch, um hier nur einige Beispiele zu nennen. Wenn die Stäbchen langsam abglühen, verbrennen diese Stoffe nur unvollständig. Dabei entstehen weitere Schadstoffe, die sich an die gleichzeitig entstehenden feinen Staubpartikel, Mikroschadstoffreaktoren gewissermaßen, binden können.

So zeigte sich in einer Studie des dänischen Umweltministeriums, dass bei vielen Räucher-Produkten die Konzentration von Benzol und Formaldehyd im Rauch besonders hoch war.
(SZ, 22. November 2006)

Beide Substanzen gelten als krebserregend und giftig. Sie können wie alle organischen Lösungsmittel bei direktem Kontakt Schwindel und Benommenheit auslösen, Formaldehyd reizt zudem Augen und Atemwege. Weiter heißt es in dem Artikel:

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass "mögliche Folgen für die Gesundheit der Verbraucher nicht ausgeschlossen werden können". Eine Einschätzung, der sich auch Norbert Englert vom Umweltbundesamt anschließt.

Der EU-Grenzwert von 50 Mikrogramm für Feinstaub sei ohnehin schon sehr hoch angesetzt. Wenn dieser Wert durch Räucherstäbchen sogar noch weit überschritten werde, "dann sehen wir das mit großen Bedenken".
(SZ, 22. November 2006)

Während sich die Konzentration und Zusammensetzung von Feinstaub aus abgebranntem Räucherwerk einigermaßen übersichtlich gestaltet, läßt er sich kaum mit den Aggregaten undurchsichtiger Schad- und Giftstoffe der Außenluft kaum vergleichen. Die Sorge um Weihrauch und Co wäre denn auch nicht so gravierend, und mit einigen tiefen Zügen guter sauberer Luft wieder auszukurieren, wenn es die denn noch geben würde.

Somit läßt sich auch der Feinstaubgehalt einer entsprechend "verräucherten Bude", der mit der möglicherweise geringer mit Stäuben belasteten aber dafür mit einem größeren Spektrum an potentiellen Schadstoffen durchsetzten oder behafteten Außenluft beim sogenannten "Lüften" ausgetauscht wird, nur als Spitze des Eisbergs betrachten.

Seine Vermeidbarkeit (indem man auf Räucherwerk verzichtet) als willfährige und extrem einfache Problemlösung läßt das Feinstaubproblem insgesamt allerdings viel geringer erscheinen als es tatsächlich ist. Und das ist vermutlich auch der eigentlich Zweck dieser winterweihnachtlichen Entdeckung: Mit einem weiteren Verzicht auf einen harmlosen Genuß und der damit verbundenen Gemütlichkeit auf andere Weise für die rechte, friedliche Weihnachtsstimmung zu sorgen, in der man sich über die wirklich gravierenden und lebensbedrohlichen Umweltprobleme dieser Zeit sprichwörtlich "blauen Dunst" vormacht. Das wäre, nebenbei bemerkt, u.a. die nirgends gestellte Frage nach der zunehmenden Verstrahlung oder Sterilisation der Erde, die ebenfalls für die zunehmende Verstaubung verantwortlich ist.

28. November 2006