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UMWELTLABOR/237: Fallstudie Moor - Senke oder CO2-Quelle je nach Bedarf (SB)


Dienen Moore wirklich dem Klimaschutz?

Wenn sich CO2-Senken zu CO2-Schleudern verkehren


Moore gelten gemeinhin als sogenannte CO2-Senken und damit als heimliche Hoffnungsträger von Klimatologen, was sich bei genauerer Betrachtung jedoch, wie bei allen Senken dieser Art, als eine Grundlage für faule Kompromisse erweist. Die "sinks" (der internationale Begriff dafür), die schon im Protokoll von Kyoto festgelegt wurden, sind nämlich keine echten Abflüsse (engl. sink = Abfluß) für Kohlenstoffdioxid, sondern nur virtuelle Schlupflöcher, mit denen sich die beteiligten Industrieländer ihrer Verpflichtung entziehen, durch Energiesparprogramme landesweit weniger Kohlenstoffdioxid (CO2) zu produzieren. Sie können sich statt dessen nämlich auch das Schaffen oder den Ankauf entsprechender CO2-Senken in hinlänglichem Maße anrechnen lassen und weitermachen wie zuvor.

Was allerdings offiziell als CO2-Senke anerkannt werden sollte, darüber herrscht unter Klimaforschern wie Politikern Unstimmigkeit. Denn mit der Definition, was als Senke anerkannt wird und in welchem Umfang sie in die Bilanzierung eingeht, wird letztlich nur durch Zahlenverschieben auf Papier der Ist-Zustand neu aufgeteilt und Regierungen ihren möglichen Verpflichtungen gegenüber der Weltgemeinschaft enthoben. Am Treibhausgas-Status quo in der Atmosphäre ändert sich dagegen so gut wie nichts.

Bisher zählt man zu den Senken all jene Flächen - d.h. Ozeane, Wälder und sogar landwirtschaftlich genutzte Flächen -, die passiv CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und in gelöster Form oder in anderen Kohlenstoffverbindungen fixieren. Darüber hinaus rechnet man Moore und Feuchtgebiete dazu, die nur ein CO2-Archiv darstellen, in das in Biomasse umgewandeltes CO2 eingelagert wird. Da diese Biomasse bei der Treibhausgasberechnung schon vorher, nämlich bei ihrer Produktion in Wäldern oder anderen Nutzpflanzen als CO2-Minderung in die Rechnung eingeht, besteht die Gefahr, daß der jährliche Neuzugang an totem Pflanzenmaterial in die Moore doppelt abgezogen bzw. einmal als lebendes und einmal als totes Material gestrichen wird. Das verschönt die Bilanz gewaltig...

Solche Vorgehensweise ist nicht abwegig, gingen die USA seinerzeit in Den Haag sogar so weit, sich auch noch bestimmte Formen der Landnutzung gutzuschreiben. Damit ist die Anrechnung einer weniger tiefgreifenden, mehr oberflächlichen Bodenbearbeitung gemeint, die sich mit zwei Worten umschreiben läßt: "flacher pflügen". Anders gesagt: Wer den Boden nicht so tief bearbeitet, setzt weniger Kohlendioxid frei. Mit solchen undurchschaubaren Rechenexempeln ist hier der Punkt erreicht, an dem man nur noch von faulen Kompromissen sprechen kann.

Auf einer Tagung in der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern am 10. und 11. November 2008 zum Thema "Moore - Nutzungsmöglichkeiten im Kontext ihrer Klimarelevanz", die von der Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur (Greifswald), der Friedrich Ebert Stiftung, dem Landesbüro M-V (Schwerin) sowie dem Lehrstuhl für Geobotanik und Landschaftsökologie und Institut DUENE e.V. am Institut für Botanik und Landschaftsökologie der Universität Greifswald organisiert wurde, wurde deutlich, daß der Nutzen der Feuchtgebiete genaugenommen an seinem Kehrwert (d.h. an der Prävention einer möglichen Belastung) definiert wird:

Rund 30 % der gesamten Treibhausgasemissionen der deutschen Landwirtschaft, 4 % der Gesamt-Treibhausgasemissionen Deutschlands, werden durch die Entwässerung und landwirtschaftliche Nutzung von Moorflächen verursacht. Die Klimarelevanz der Moore im Rahmen einer integrierenden Betrachtung für Deutschland und die Welt, sowie die Zusammenhänge zwischen Klima/Biodiversität/Wiedervernässung/ Bewirtschaftung wurden auf der Veranstaltung dargestellt. (idw, 11. November 2008 Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Moore dienen dem Klimaschutz)

(im Schattenblick unter -> Infopool -> Umwelt -> Lebensräume
MOOR/011: Tagung "Moore - Nutzungsmöglichkeiten im Kontext ihrer Klimarelevanz" (idw))


Hier wurde nun von Wiedervernässung mit anschließender nasser Bewirtschaftung ("Paludikultur") oder Naturentwicklung ohne Bewirtschaftung gesprochen, in denen man - so ein Fazit der Tagung -, "einen deutlichen Beitrag zur Reduktion der negativen Klimawirkungen von entwässerten Mooren" und damit eine Lösung des Problems sieht. Dabei wird aber leicht vergessen, wie schnell sich ein doppelt gezählter Speichereffekt (sprich: "Senke Moor") mittels klimatischer Veränderungen ins krasse Gegenteil verkehrt oder wie leicht Kohlenstoffdioxid mittels Krankheiten oder Bränden durch großflächig vernichtete Baumzonen wieder freigesetzt werden kann. Abgesehen davon, daß sowohl Wälder als auch Feuchtgebiete und Moore - durch ihre isolierenden Eigenschaften und die darin stattfindenden Stoffwechselprozesse - auch noch direkt zur klimatischen Erwärmung beitragen können.

Wie schnell man sich hierbei verrechnen kann, zeigen die Zusammenhänge, die schon vor Jahren ein Wissenschaftlerteam der University of Wales bei der Untersuchung der CO2-Speicherfähigkeit von Mooren aufdeckte:

Unter den anaeroben Bedingungen (d.h. unter Sauerstoffabschluß) verrotten abgestorbene Pflanzen im Moor nicht, sondern werden zu Torf und speichern den beim Wachstum aus der Atmosphäre aufgenommenen Kohlenstoff. Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Nature" (Bd. 409, Seite 149, 2001) darstellten, ist hierfür maßgeblich die Inaktivierung eines bestimmten Enzyms, der Phenoloxidase verantwortlich, das sonst die mikrobielle Tätigkeit und damit den Abbau der abgestorbenen Pflanzenresten begünstigt.

Durch den Mangel an Phenoloxidase unter sauerstoffarmen Bedingungen reichern sich phenolische Bestandteile der Pflanzen an, die wiederum als regelrechte Konservierungsmittel das Wachstum von Mikroorganismen behindern. Erst wenn die Torflager oder Moore, beispielsweise in einem heißen Sommer (aber auch durch die allgemeine klimatische Erwärmung) durch den sinkenden Wasserspiegel wieder mit Luftsauerstoff in Berührung kommen, wird der Umkehrprozeß in Gang gesetzt. Sauerstoff aktiviert das Enzym. Dieses zersetzt die Phenole. Danach können Bakterien die organische Substanz abbauen, wobei CO2 freigesetzt wird. Eine nachträgliche Wiederbefeuchtung kann diesen Prozeß dann auch nur aufhalten, nicht rückgängig machen.

In den Mooren der nördlichen Breiten sind rund 455 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert, etwa siebzigmal soviel wie die Industrie weltweit jährlich ausstößt. Die ohnedies nicht mehr aufzuhaltene Klimaänderung (der Steigerungswert des "Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC) für die globalen Temperaturen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts war bisher noch bei jeder Prognose höher als im Vorjahr) könnte die Freisetzung weiteren Kohlenstoffs aus den Torfen, Mooren und Feuchtgebieten anstoßen - und damit den Treibhauseffekt zum unaufhaltsamen Circulus vitiosus werden lassen. Der mittlere Temperaturanstieg in der Atmosphäre würde dann noch sehr viel schneller erfolgen.

Aktuelle Berechnungen des globalen Temperaturanstiegs ergaben 1,4 bis 5,8 Grad für dieses Jahrhundert.

Aber auch hier sind noch viele Faktoren (wie die Moore und Feuchtgebiete) nicht berücksichtigt, so daß man nur von einer groben Schätzung sprechen kann. Der eigentlich begrüßenswerte Rückgang schwefelhaltiger Emissionen in die Atmosphäre hat darüber hinaus einen größeren negativen Effekt auf das Klimageschehen als vorausberechnet, d.h. der abkühlende Nebeneffekt des Schadstoffs SO2 in der Atmosphäre wird immer kleiner, was in der Gesamtbilanz eine zusätzliche Erwärmung bringt.

Noch niemals in den letzten paar Millionen Jahren haben sich die globalen Temperaturen um mehr als fünf Grad nach oben oder unten verschoben. Und noch nie in der Geschichte der Erde wurde der in Abermillionen Jahren aus der Atmosphäre gesammelte, in Biomasse verwandelte Kohlenstoffvorrat in Form von Torf, Erdöl und Kohle binnen weniger Jahrzehnte verbrannt und schlagartig zurück in die Atmosphäre entsorgt.

Die Fakten stehen allerdings schon jetzt für sich:

Tiere und Pflanzen können sich nach heutigem Wissen bestenfalls an Temperaturerhöhungen von maximal einem Zehntel Grad im Verlauf eines Jahrzehnts anpassen, schon ein weiteres Zehntel sind nach Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung "nicht mehr tolerierbar". Allein im letzten Jahrhundert hat sich die globale mittlere Temperatur der Erde bereits um das gerade noch tolerierbare eine Grad Celsius erhöht.

Die Zahl wetterbedingter Katastrophen hat sich im Durchschnitt der neunziger Jahre gegenüber dem der fünfziger Jahre vervierfacht. Klimaforscher erwarten darüber hinaus zunehmend mehr extreme Witterungsverhältnisse wie Hitzewellen oder massive Niederschläge.

Dagegen sind Diskussionen um die Definition dessen, was als echte Senke angerechnet werden darf und was nicht, reine Scheingefechte, die darüber hinwegtäuschen sollen, daß die politischen Entscheidungsträger auf den Klimakonferenzen ausschließlich wirtschaftliche Interessen verfolgen. Doch wie blind muß man sein, um nicht zu sehen, daß man wohl kaum eigene Schäflein ins Trockene bringen wird, wenn der Erdenball in der großen Flut versinkt.

Erstveröffentlichung 2001
neue, aktualisierte Fassung

12. November 2008