Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

UMWELTLABOR/268: Ölpest im Golf (2) Wo ist es denn, das Öl - diskrepante Wissenschaftsanalysen (SB)


Erdöl - Lebenselixier der Zivilisation oder der Anfang vom Ende?

Wo ist es denn hin?

Lauert die Ölwolke versteckt?


Die von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und dem Innenministerium veröffentlichten Zahlen von vermeintlich schon verschwundenen 600 Millionen der ursprünglich bestätigten 800 Millionen Liter Öl (rund 4,9 Millionen Barrel oder 666.400 Tonnen) werden inzwischen sogar von mehreren Forschergruppen vehement angezweifelt.

Die amerikanische Forschergruppe "Sea Grant" um Samantha Joye und Charles Hopkinson von der University of Georgia in Athens hatte, wie bereits erwähnt, schnell Zweifel an dieser Darstellung angemeldet [siehe: UMWELTLABOR/267]. Ihrer eigenen auf anderen statistischen Grundlagen und Wahrscheinlichkeiten basierenden Auswertung der NOAA- Daten für die ablaufenden Prozesse im Meerwasser zufolge könne man nur für rund 20 bis 30 Prozent des Öls mit hinreichender Sicherheit annehmen, daß es aus dem Meer entfernt wurde, verdunstet ist oder abgebaut worden sei.

Ein wissenschaftlicher Illusionistentrick - erst ist sie da...

Noch am 20. August 2010 gab das Ergebnis einer weiteren Studie von Wissenschaftlern der US-amerikanischen Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) Anlaß zu weiterer Spekulation, wohin das vermeintlich verschwundene Öl, entgegen anders lautender Berichte, denn nun eigentlich entschwunden sei. Richard Camilli und seine Kollegen hatten sich vor allem dem Verbleib der gigantischen Wolke aus fein dispergierten Öltröpfchen gewidmet, deren Entwicklung man seinerzeit schon in der Umgebung des havarierten Bohrlochs beobachten konnte, als das Öl noch ungehindert hervorquoll.

Und voila, die Wissenschaftler fanden das verlorene Öl. Obwohl oberflächlich nicht sichtbar, dümpelt es in einer ausgedehnten, etwa 35-36 km langen, 2 km breiten und 200 m hohen Wolke aus feinsten Ölpartikeln, Dank Corexit u.a. chemischer Dispergieriungsmittel fein zerstreut, in den Tiefen des Golfs von Mexiko vor sich hin. Überdies konnte das Team von Camilli keinerlei Hinweise darauf finden, daß sich dort, wie erwartet, ölfressende bzw. Kohlenwasserstoff abbauende Mikroben massenhaft vermehrt hätten, was der eigentliche Sinn des Einsatztes von chemischen "Dispergatoren" war [ein Thema, auf das wir in einer unserer nächsten Folgen noch zu sprechen kommen werden. Anm. d. Red]. Und ohne die auch kein "natürlicher Abbau" stattfinden wird.

Gesucht wurde nach Ölbestandteilen aber auch nach den mit der Vermehrung aerober, d.h. sauerstoffverbrauchender Bakterien einhergehenden, sogenannten "Sauerstofflöchern" in dem gesamten erforschten Gebiet, welche ein Indiz für die Mikroben gewesen wären. Der Nachweis von Sauerstoffmangel wäre zwar auch nur ein indirekter Hinweis auf das bakterielle Vorkommen, aber auch angesichts des reichlichen Nährstoffangebots für ölfressende Bakterien ein sehr zuverlässiger, da sie sowohl für die Vermehrung als auch für das Abspalten und Zerkleinern der einzelnen Grundbestandteile des Öls (z.B. aliphatische Kohlenstoffketten verschiedener Länge, neben zahlreichen anderen Verbindungen) einen Großteil des Sauerstoffs verbraucht haben müßten. Solche auffällig sauerstoffverarmten Regionen konnten die Wissenschaftler in ihren Analysen nicht detektieren. Entweder fehlen also die nötigen Bakterien oder sie sind nicht besonders hungrig!

Damit wäre die von der WHOI entdeckte, schwebende Ölwolke vielleicht eine Erklärung für den Verbleib der restlichen, vermeintlich verschwundenen 70 bis 80 Prozent des Öls. Denn die Menge, die Camilli und sein Team in der unterseeischen Wolke entdeckten, sei einfach zu gigantisch, um sich durch natürlich austretendes Öl wegerklären zu lassen. Nach Angaben der Forscher, so hieß es in der Wissenschaftszeitung im Internet "Spektrum direkt", entspricht ihr Umfang etwa "dem Doppelten dessen, was aus sämtlichen natürlichen Ölquellen in das Wasser des Golfs gelangen könne." [1]

Die Woods-Hole-Forscher berichten über ihre Ergebnisse im Fachjournal "Science" [2]. Im Unterschied zu zahlreichen bisherigen Analysen der Ölpest soll es sich bei ihrer Studie um eine Veröffentlichung handeln, die einem sogenannten Peer-Review-Prozess unterzogen wurde. Dabei sollen Fachkollegen die Stichhaltigkeit der Aussagen und die Verläßlichkeit der Untersuchungsmethode überprüfen, wodurch die Ergebnisse der WHOI-Untersuchungen gewissermaßen ein Qualitätsgütesiegel für wissenschaftliches Arbeiten erhalten. Und das ist bei derart brisanten und wenig populären Ergebnissen heutzutage wohl auch nötig, damit sie von öffentlicher Seite überhaupt ernst genommen werden. Denn obwohl das nichts an der Grundaussage ändert und die für andere Hochrechnungen zugrunde liegenden Daten teilweise noch älter sind, wurde bereits erwähnt, daß die erst jetzt veröffentlichten Messungen schon zwischen dem 19. und 22. Juni durchgeführt wurden, also lange vor dem endgültigen Verschluß des Bohrlochs am 5. August [2]. Daß dies nichts an der Aussagekraft der Ergebnisse ändert, versteht sich aus den Zusammenhängen. Dazu hieß es in Spektrum direkt:

Es sei nicht davon auszugehen, dass das Öl in absehbarer Zeit verschwinde. Ob die Verschmutzungen gefährlich für die Umwelt sind, können die Wissenschaftler allerdings noch nicht sagen. Auch fein verteilte Öltröpfchen könnten Kleinstlebewesen schädigen und sich über die Nahrungskette anreichern. Andererseits ist auch denkbar, dass die Konzentration zu gering ist, um auf Fauna und Flora im Golf Einfluss zu nehmen. [1]

Die Frage, wie lange die bereits so gefeierten "natürlichen Abbauvorgänge" wohl dauern werden, bis sämtliches Öl tatsächlich verschwunden ist, läßt sich schwer beantworten, wenn nicht einmal die hierfür notwendigen, "natürlich vorkommenden", erdölreduzierenden Bakterien vor Ort sind.

... und schon wieder alles weggezaubert!

In einer weiteren kürzlich veröffentlichten Studie, über welche das englischsprachige Wissenschaftsjournal New Scientist ebenfalls am 20. August berichtete, und in welcher der natürliche Ölabbau unter Laborbedingungen nachvollzogen und hochgerechnet wurde, sieht natürlich alles viel besser aus.

Robert Hallberg von der National Oceanographic and Atmospheric Administration (NOAA) Bereich "Geophysical Fluid Dynamics Laboratory" in Princeton, New Jersey, versuchte anhand von Modellen abzuschätzen, wie lange die bakteriellen Ölfresser wohl unter den im Golf gegebenen "Strömungsbedingungen" brauchen könnten, sämtliches Öl aufzulösen und zu beseitigen. Er kam zu dem recht zuversichtlichen Ergebnis, daß das Öl nahe der warmen, sauerstoffreichen Oberfläche (optimale Bakerienwachstumsbedinungen, abgesehen vom überreichlichen Nährstoffangebot) schon innerhalb von Wochen verschwunden sein könne (genauere Angaben wurden hier nicht gemacht), während das Öl in den tieferen und wesentlich kälteren Regionen, unter 1100 Meter, wohl bis zu zwei Monaten brauchen würde, um vollständig zu verschwinden [3]. Zwei Monate sind seit der von Camilli ausgemachten Erdölplume fast verstrichen, demnach müßte sie nicht mehr vorhanden sein, könnte man voraussetzen, daß sich doch noch die nötigen Freß-Bakterien inzwischen eingefunden hätten. Doch diese Details werden geflissentlich nicht weiter überprüft, sondern nur ein wissenschaftliches Modell neben das andere gesetzt. Die Studie von Robert Hallberg wird demnächst in der gedruckten Version der "Geophysical Research Letters" [4] erscheinen.

Zieht man allerdings aus den Ergebnissen von sowohl Hallbergs als auch Camillis Funden bzw. Hochrechnungen eigene Schlüsse, so ist zu erwarten, daß, sobald sich relevante Mengen an Bakterien in der "leckeren" Plume (Wolke) entwickelt haben, es mindestens noch 2 Monate dauern wird, bis auch ein meßbarer Kohlenwasserstoffrückgang in der Region nachweisbar wird.

Aber nur, wenn nach den Stoffen gesucht wird, die längst verdaut sind...

Ob nämlich der Rückgang an meßbaren Ölbestandteilen tatsächlich bedeutet, daß auch sämtliche Ölrückstände verschwunden sind und das Wasser in dem betroffenen Gebiet tatsächlich nur aus Wasser und den natürlichen Meeressalzen besteht, sei dahingestellt. Die Frage nach den möglichen Spalt- oder Abbauprodukten, die durch die Bakterien zurückgelassen werden, nachdem diese das offensichtliche, weil nachweisbare, Öl durchgemampft haben, wird seltsamerweise nirgends berührt.

Zwei Monaten aber sind viel Zeit für alle toxischen Substanzen wie auch alle anderen Ölbestandteile, die einfach nicht ins Meer gehören, um ihr ökologisches Unwesen zu treiben.

So weit, so schlecht. Käme da nicht doch noch ein Hoffnungsschimmer, ebenfalls in Gestalt einer amerikanischen Studie von einem Wissenschaftler, der nun behauptet, er habe die gleiche Ölwolke mikrobiologisch untersucht, die von den Woods Hole-Forschern unter Camilli als quasi steril attestiert wurde, und sei zu ganz anderen Hochrechnungen gekommen. Terry Hazen, Mikrobiologischer Ökologe des Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien, glaubt seine Ergebnisse, die ebenfalls in Kürze veröffentlicht werden sollen (und dessen zugrundeliegende Messungen ebenfalls Monate zurückliegen), ließen auf eine reichliche Freßaktivität der ölabbauenden Mikroorganismen schließen. Seiner Überzeugung nach - und die scheint der behördlich-offiziellen Lesart viel mehr entgegen zu kommen - arbeiteten die Bakterien derzeit so effektiv, daß sie schon jetzt sämtliches Öl beseitigt haben müßten. Hazen ist sich da tatsächlich ganz sicher, gegenüber dem New Scientist meinte er: "The plume is no longer there. It's gone." [3] ["Die Wolke ist längst nicht mehr da. Sie ist verschwunden." Übersetzung Schattenblick-Red.]

Wie kann es nur zu derart widersprüchlichen Aussagen kommen?

...fragte sich zu Recht auch der Autor, des New Scientist Artikels und förderte einige aufschlußreiche Details zutage, die allerdings weder das Vertrauen in wissenschaftliche Arbeiten rechtfertigen, noch Anlaß zu Hoffnung geben, die derzeitige und zukünftige Bedrohung durch das aus dem havarierten BP-Bohrloch ausgetretenen gigantischen Ölmengen könne durch irgendeine wissenschaftliche Studie eingeschätzt oder ihr Ausmaß vernünftig eingegrenzt werden.

Betonte man noch in der Zeitschrift Spektrum direkt, man habe extra ein autonomes Unterwasserfahrzeug zum Einsatz gebracht, das in einer Wassertiefe von über 1000 Metern mit einem eingebauten Massenspektrometer Proben auf ihren Gehalt an verräterischen Kohlenwasserstoffen absuchte und das man in einem weiträumigen Zickzackkurs gesteuert habe, um die Grenzen des Plumes in Breite und Länge auszuloten. Darüber hinaus wären aber auch noch an ausgewählten Stellen Proben in der Wassersäule genommen worden, die - ebenfalls mit einem Massenspektrometer - die Verteilung in der Vertikalen erfaßten.

Frühere Untersuchungen hätten hauptsächlich die Vertikalmethode angewendet und seien daher zu falschen Ergebnissen gekommen, erklären die Forscher die Widersprüche zu den Daten ihrer Kollegen. Auch dass andere Wissenschaftler sauerstofffreie Zonen gefunden hätten, die auf einen raschen Abbau des Öls durch Mikroben deuteten, lasse sich durch ein Versagen der Technik plausibel machen. Moderne Sonden könnten fehlerhafte Resultate liefern, wenn sie durch einen feinen Ölüberzug behindert würden. Das Team um Camilli verlegte sich deshalb auf ein bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickeltes Verfahren - die Titration nach Winkler -, bei dem der Sauerstoffgehalt anhand einer Reaktion mit Mangan und Iodid ermittelt wird. [1]

Wonach diese Gruppe zunächst alle erdenklichen Fehler eliminiert zu haben schien. Nun ergänzte der Umweltjournalist Sujata Gupta im New Scientist eine offensichtlich übersehene Fehlerquelle: "Es sei doch ganz einfach, verschiedene Forschergruppen würden ganz verschiedene Dinge messen", auch wenn es sich immer um toxische Dinge handeln würde. Damit meinte er die verschiedenen Bestandteile des Öls (auf die wir ebenfalls in einer der nächsten Folgen kommen werden). Rohöl besteht bekanntlich aus einer Mischung einer großen Anzahl individueller chemischer Verbindungen. Jedes Erdölvorkommen ist eine einmalige Mischung, die in ihrer Zusammensetzung und ihren Eigenschaften keinem anderen Vorkommen exakt gleicht, obwohl sie aus Mischungen mehr oder weniger derselben Gruppen von vergleichbaren chemischen Verbindungen bestehen, die sich wieder als Gemisch in den sogenannten Fraktionen, wie Schmieröl, Petroleum, langkettigen Paraffinen, Dieselöl, Benzin bis zu den kurzkettigen, flüchtigen Paraffinen u.a. flüchtigen Bestandteilen auftrennen lassen. Alle gehören letztlich zur großen Gruppe der gestreckten, verzweigten oder ringförmigen Kohlenwasserstoffe oder ihren stickstoff-, sauerstoff- oder schwefelhaltigen Derivaten, die in langen oder kürzeren Ketten oder ganz kleinen Molekülen vorkommen können.

Neben diesen vielen unterschiedlichen Bestandteilen, die alle aber einer Gruppe zugeordnet werden, gibt es wiederum verschiedene Mikroorganismen, die auf einzelne Erdölkomponenten spezialisiert sind. Darüber hinaus hat jeder Mikroorganismus eine ureigene Art, seine spezielle "Nahrung" zu spalten und für sich verfügbar zu machen, so daß nach der "Verdauung" eines längeren Paraffins zumindest kürzere Bruchstücke davon übrig bleiben, für die, wenn sie denn vollständig aufgearbeitet werden sollen, weitere darauf spezialisierte Bakterien gefunden werden müssen, die diese Aufgabe übernehmen.

Laut New Scientist habe die WHOI Forschergruppe vor allem den Abbau einer bestimmten Gruppe von Kohlenwasserstoffen untersucht, die mit der Abkürzung BTEX aus den Anfangsbuchstaben für Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol klassifiziert werden. Das sind bekanntlich sehr gesundheitsschädliche Bestandteile des Öls, die auch unter dem Verdacht stehen krebserregend zu sein.

Hazen habe dagegen vor allem langkettige Paraffine, auch häufig chemisch "Alkane" genannt, untersucht.

Das würde dann erklären, warum die eine Wissenschaftlergruppe noch große Mengen an Öl, die andere hingegen nur wenig oder sogar "nichts" detektierte. Voraussetzung wäre aber auch die unterschiedliche Aktivität von Bakterien, die dann für besonders toxische Erdölkomponenten in der fraglichen Erdölwolke auch noch besonders niedrig ausfallen müßte (Beispiel: Camilli), während die auf weniger giftige, aber doch die Umwelt schädigende Kohlenwasserstoffe spezialisierten Mikroben sehr viel aktiver sein müßten (Beispiel: Hazen).

Doch hatte nicht Camilli, wie in Spektrum und Science behauptet wird, vor allem auch über den nicht zu messenden Sauerstoffrückgang nachgewiesen, daß überhaupt keine auffallenden Mengen von Mikroben an der Arbeit sind, ganz gleich welcher Gattung oder Spezialisierung? Zwar ist nicht nur die Menge der Bakterien entscheidend, einzelne Bakterienarten könnten auch besonders faul oder besonders verfressen sein, doch das allein kann die Diskrepanzen nicht erklären.


*


Widersprüche über Widersprüche und keine erhellenden Aufschlüsse seitens der Wissenschaft. Von dieser Seite können die Zweifel an den bestehenden Erkenntnissen eigentlich nur noch geschürt werden.

Steven Lohrenz, Ozeanograph an der University of Southern Mississippi, Stennis Space Center Campus sei laut New Scientist ebenfalls von der Diskrepanz der Untersuchungsergebnisse und speziell über die Funde der Woods Hole-Gruppe erstaunt. Seiner Meinung nach könnte gerade die BTEX-Gruppe nicht lange in Meerwasser existieren "I wouldn't expect [the BTEX] to persist for a very long time in seawater", meinte er.

Laut New Scientist sei Mikrobiologe Hazen der einzige der drei Forschungsgruppen, der überhaupt untersucht habe, was Mikroorganismen im Golf tatsächlich tun. Für ihn sprechen zahlreiche andere, amerikanische Mikrobiologen wie Gary King von der Louisiana State University in Baton Rouge und Jay Grimes von der University der Southern Mississippi in Ocean Springs, die seine Zahlen für glaubwürdig halten. Doch was sagt das schon aus?

Hatte nicht auch der Regierungsbericht behauptet, das Öl sei fast verschwunden?

Damals waren rein rechnerisch vom NIC (National Incident Command) die Gesamtmenge des Öls hochgerechnet bzw. abgeschätzt worden, die seit dem 20. April aus dem havarierten Bohrloch entwichen sein mußte. Dann wurde zusammengezählt, was direkt am Bohrloch abgepumpt werden konnte, was von der Oberfläche geschöpft worden war, was in geschätzten Mengen verbrannt worden, verdunstet oder mit chemischen Mitteln dispergiert worden war. Zusammengezählt, wobei allerdings ein großer Schätzanteil nach eigenem Gutdünken variiert werden konnte, ergab das 74 Prozent Öl, das nicht mehr im Golf sein sollte. Danach sollte man sich also nur noch um 26 Prozent Sorgen machen.

Diese Zahlen wurden wie eingangs erwähnt unlängst von Wissenschaftlern der Universität von Georgia revidiert, die aufgrund der gleichen Fakten genau das umgekehrte Ergebnis zutage förderten. Vor allem aber die in zu Öltröpfchen dispergierte Wolke oder Plume konnte ihrer Ansicht nach nicht einfach als "verschwunden" eingestuft werden. So sagte Charles Hopkinson von der University of Georgia in Athens, und wissenschaftlicher Leiter der "Georgia Sea Grant"- Forschungsgruppe,"One major misconception is that oil that has dissolved into water is gone and, therefore, harmless" [3] [Es ist grundfalsch zu glauben, daß das in Wasser gelöste Öl verschwunden und somit ungefährlich sei. Übersetzung Schattenblick-Red.].

Laut Robert Hallberg (NOAA) behauptet die amerikanische Umweltorganisation EPA (Environmental Protection Agency), daß eine Milliarde Wassertröpchen, die mit einem Tröpfchen Öl kontaminiert wurden, noch getrunken werden können, ohne daß sie gesundheitliche Beeinträchtigungen hinterlassen. Anders gesagt muß sich das Öl im Golf, das dort noch in toxischen Konzentrationen wolkenartig lauert, nur in dieser Weise im Golf und den umliegenden Meeren verteilt und ausgeweitet haben, dann sind alle menschliche Lebewesen außer Gefahr.

An dieser Stelle drängt sich doch die Frage nach der Bevölkerungszahl der im Wasser lebenden Menschen, sprich "Aquahumanoiden", geradezu auf. Doch Scherz beseite, selbst wenn der Mensch in der Lage ist, mit gewissen Ölmengen fertig zu werden und sei es, daß er sie einfach nur fein verteilt über die ganze Welt verstreut, die in der Tiefsee lebenden Tiere und Organismen mögen auch über kleine Mengen Öl ganz anders denken. Was sie dazu sagen werden bzw. nicht mehr sagen können, wird sich erst auf etwas längere Sicht herausstellen, weil sich die Meeresökologie am Golf schon längst verändert hat und immer noch weiter verändern wird. Vor allem dann, wenn man der oben aufgeworfenen Frage nachgeht, was aus dem von Mikroorganismen abgebautem Öl wird, oder in welche Substanzen sie es verwandeln.

Daß weiterer Forschungsbedarf besteht, darüber gibt es keinen Zweifel, die Frage bleibt, welche Fragestellungen damit untersucht werden. Bisher scheint man aber nur darauf aus zu sein, die gewünschten Abbauprozesse zu bestätigen.

So wollen weitere Forschungsgruppen nach dem verlorenen Öl suchen, das sich in der Tiefsee auf Tauchstation versteckt hält, auch sie wollen nach Sauerstofflöchern Ausschau halten und Kohlenwasserstoffgehalte analysieren. Dafür wird die Gruppe von Joseph Montoya, Biologe vom Georgia Institute of Technology in Atlanta, sogar schon in der nächsten Woche eine ausgedehnte Tiefseekreuzfahrt beginnen.

Doch selbst, wenn der unwahrscheinliche Fall eintritt, und man findet, daß das dispergierte Öl unter Wasser tatsächlich abgebaut werden konnte, weil es die analytische Erfassungsgrenze unterschreitet, so reichen diese nicht erfaßbaren Spuren doch noch aus, um das bestehende Ökosystem vollständig umzukrempeln. Schon jetzt sind laut Gupta Generationen von Fischen in den tiefen Regionen des Golfs ausgestorben, die beschleunigte Bodenerosion in den Marschgebieten dank der absterbenden Mangroven ist längst eine Tatsache, und zumindest die mikrobiellen Populationen des Golfs wurden oder werden durch die zu erwartenden oder schon vorhandenden Massen an Ölzersetzlingen längst verdrängt. Und im Zuge dessen sinkt der Sauerstoffgehalt in den tiefen Regionen des Golfs, so daß dort nur noch Organismen leben können, die anaerobe oder sauerstoffverarmten Lebensbedingungen bevorzugen.

Ob diese Entwicklung auch Mikroorganismen hervorbringen könnte, auf die man bisher noch nicht aufmerksam geworden ist, die aber Stoffe erzeugen, die wir weder im Meer noch in der Atmosphäre haben wollen, ist eine weitere offene Frage, mit der wir uns ebenso in der nächsten Folge dieser Serie beschäftigen werden, wie mit den toxischen Spuren, die das Öl hinterläßt bzw. was eigentlich das Öl so lebensfeindlich macht.

Anmerkungen:

[1] Spektrum direkt - Die Woche, 20. August 2010 "Forscher finden riesige Ölwolke" von Jan Dönges

[2] Camilli, R. et al.: Tracking Hydrocarbon Plume Transport and Biodegradation at Deepwater Horizon. In: Science 10.1126/science.1195223, 2010.

[3] New Scientist, 20. August 2010 von Sujata Gupta, "Gulf spill: Is the oil lurking underwater?" im Internet: www.newscientist.com/article/dn19345-gulf-spill-is-the-oil- lurking-underwater.html?full=true

[4] Geophysical Research Letters, DOI: 10.1029/2010gl044689, (im Druck)

26. August 2010