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MELDUNG/003: Korrosion - Saubere Windenergie auf wackeligen Füßen (SB)


Korrosion mit und ohne Sauerstoff

Offshore-Windanlagen drohen bisher ungeahnte Gefahren

Alternative Energiegewinnung gerät zunehmend in die Kritik


Erst im April dieses Jahres, überschattet von den Ereignissen in Japan, geriet die Technik von bisher als sauber und umweltfreundlich ausgewiesenen Windkraftanlagen in den Fokus öffentlicher Kritik, weil besonders effiziente Entwicklungen auf dem Markt den Seltenen Erden Rohstoff Neodym verwenden. Wie der Schattenblick in seiner Rubrik "Infopool -> Umwelt -> Redaktion -> Ressourcen" (siehe: RESSOURCEN/133: Neodym-Abbau - Verkürzte Kritik an umweltschädlichen Windrädern (SB)) berichtete, hatten der NDR in der Fernsehreihe "Menschen und Schlagzeilen" und die ARD in der Sendung "Panorama" einen Beitrag über "katastrophale Umweltzerstörungen in China" als Folge der Produktion von Windrädern darüber informiert, daß das seltene Element, das in einer Mine in der Inneren Mongolei abgebaut wird, maßgeblich zur Verseuchung von Boden und der Bevölkerung mit weiteren damit vergesellschaftet vorkommenden radioaktiven Elementen beiträgt.

Nun scheint ein bisher nicht beachteter Faktor eine weitere, besondere Kategorie von Windrädern als "saubere Alternative zur Stromgewinnung" komplett in Frage zu stellen. Wie die Sendung "forschung aktuell" des Deutschlandfunks am 14. Juli 2011 in einem Beitrag anstieß, ist das Problem der sogenannten "Biokorrosion", obwohl im Erdölbereich seit 80 Jahren bekannt, beim Bau von Offshore-Windkraftanlagen offenbar nicht berücksichtigt worden.

Der vom DLF zum Thema befragte Mikrobiologe Jan Küver von der Materialprüfungsanstalt in Bremen schien selbst davon "überrascht", daß die Windenergieanlagenkonstrukteure beim Bau der Fundamente einen wichtigen Faktor offenbar völlig übersehen haben: die Mikroorganismen im Meeresboden, besonders die hier zahlreich vertretenen sulfatreduzierenden Bakterienarten.

Die Windräder im Meer stehen je nach Hersteller und Meerestiefe auf unterschiedlichen Fundamenten. Aber die meisten von diesen sind Stahlpfähle, die in den Boden gerammt werden.
(DLF, forschung aktuell 14. Juli 2011)

Dazu sagte Küver wörtlich:

"Das Kritische ist eigentlich der Bereich unter Wasser, also praktisch der Bereich, wo die Struktur in den Meeresboden reingeht, und dort kann es also zu Korrosionserscheinungen kommen; und diese Korrosionserscheinungen, da sind in erster Linie Bakterien für verantwortlich und zwar eine bestimmte Gruppe von Bakterien man nennt diese Gruppe sulfatreduzierende Bakterien, weil die Sulfat anstelle von Sauerstoff zu einer Art Atmung benutzen und dann Schwefelwasserstoff produzieren, also dieses Faule-Eier-Gas."
(DLF, forschung aktuell 14. Juli 2011)

Das Stoffwechselendprodukt der Bakterien, Schwefelwasserstoff (H2S), ist jedoch ohne Beisein von Sauerstoff dazu in der Lage, Eisenmetall anzulösen (d.h. korrodieren zu lassen). Im Gegensatz zu rotbraunem Rost (Eisenoxid) wird das Metall durch Schwefelwasserstoff als "Sulfid" (hellbraune bis schwarze Verbindungen) gelöst. Ganz besonders effizient macht das - nomen est omen - "Desulfobacterium corrodens". Es wurde von Küver und seinen Kollegen schon 2004 beschrieben und benötigt außer CO2 nur Eisen für den eigenen Energiestoffwechsel. Tatsächlich vermuten die Forscher, daß dieses Bakterium, anders als die zuvor erwähnten sulfatreduzierenden Arten, das Eisen direkt anlöst, indem es eine Möglichkeit gefunden hat, die im Metall frei beweglichen Elektronen "abzuzapfen". Dies aber läßt Desulfobacterium corrodens zu einer ernsthaften Gefahr für das Fundament aller möglichen im Meeresboden verankerten Bauten und Anlagen werden, da der übliche Korrosionschutz von ihnen nicht nur übergangen, sondern als nahrhafte Energiespende gewissermaßen als Nährboden genutzt werden kann. Im DLF hieß es:

Und das macht es möglicherweise unangreifbar für eine zentrale Methode des Korrosionsschutzes: Fremdstromanlagen, die in der Nähe des zu schützenden Metalls installiert werden. Sie erzeugen einen Stromfluss, der Elektronen zum Metall bringt und verhindern so, dass Eisen oxidiert wird und das Metall verrostet. Küver:

"Die funktionieren sehr, sehr gut in dem Bereich, wo Sauerstoff vorhanden ist, das ist aber bisher völlig ungeklärt wie das sich verhält in den Bereichen, wo zum Beispiel diese Mikroorganismen eine Rolle spielen, wo kein Sauerstoff vorhanden ist."
(DLF, forschung aktuell 14. Juli 2011)

Ob mit Korrosionsschutz oder ohne, eisenabbauende Bakterien werden - falls diese Theorie zutreffend ist - allein auf diese Weise durch die Einwirkung des Menschen vom Fundament industrieller Offshore-Anlagen mit einem reichhaltigen Nahrungsangebot angelockt und indem sie sich dort vermehren, wird eine gravierende Veränderung im Ökosystem vorgenommen. Maßnahmen, die gegen die Bakterien beispielsweise von der Erdölindustrie eingesetzt werden, um Fundamente vor Bakterien zu schützen, der Einsatz von Giften, wären ebenfalls nicht gerade "umweltfreundlich", zudem mit sehr ungewissem Erfolg, da diese oder auch andere Beschichtungen der Stahlträger zu ihrem Schutz, während des Einrammens zerstört werden. Die wohl schonendste Methode, damit das Fundament von Windkraftanlagen zumindest die Nutzungszeit übersteht, sei, auf möglichst viel und möglichst dickem Stahl zu bauen, an dem die Bakterien lange zu knabbern haben. Doch Schätzungen darüber, wie schnell die mikrobiellen Stahlfresser arbeiten und wie viel Stahl sie während der Lebensdauer einer Anlage umsetzen werden, gibt es noch nicht. Das wäre aber wichtig, denn wie schon im SB-Beitrag "RESSOURCEN/133: Neodym-Abbau - Verkürzte Kritik an umweltschädlichen Windrädern (SB)" deutlich wurde, könnte sich mit diesem weiteren Zusatzaufwand in Form von energieaufwendiger Stahlproduktion die Energiebilanz für die Herstellung von Energietechnologien - in diesem besonderen Fall -, wenn tatsächlich sämtliche energieverbrauchenden Prozesse vom Rohstoffabbau über Herstellung und Betrieb bis zur Entsorgung berücksichtigt werden, sehr viel ungünstiger darstellen, wenn sich nicht der erhoffte Energiegewinn sogar als Verlust herausstellt.

Ansonsten kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß zumindest dem schönen Traum der alternativen, sauberen Offshore-Energietechnologie allmählich der Wind aus den Segeln genommen werden soll.

15. Juli 2011