Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

PHARMAZIE/080: Alkohol - auch mäßig genossen keineswegs gesund (SB)


... Ist die Leber dick und knubbelig,
ist das Herz gesund (Pathologenwahlspruch)


Die positive Wirkung des Alkohols am Herzen, die gemeinhin auch als gern zitierter Vorwand für den regelmäßigen, wenn auch mäßigen Alkoholkonsum verwendet wird, scheint nach heutigen Erkenntnissen pharmakologisch doch sehr überschätzt worden zu sein. Besonders Rotwein macht immer wieder wegen seines hohen Gehalts an Polyphenolen und dem vermeintlich herzschützenden, sekundären Inhaltstoffs Resveratrol von sich reden. Doch schon vor Jahren wurde die Euphorie über herzstärkende Trinkerfreuden durch eine Studie relativiert, die u.a. in der Internetzeitschrift Telepolis diskutiert wurde:

Danach soll auch mäßiger Alkoholkonsum nachweislich Gehirnatrophie auslösen. Einfach ausgedrückt: Nicht nur Trinker werden "blöde im Kopf" auch dem kulturbewußten, gelegentlichen Genießer eines gepflegten Glases guten Weins soll das Gehirn quasi mit jedem Tropfen, oder jedem Schluck schrumpfen, den er zu sich nimmt:

Nach einer in der Zeitschrift Stroke veröffentlichten Studie von Wissenschaftlern der Bloomberg School of Public Health an der Johns Hopkins University in Baltimore habe sich nämlich gezeigt, dass nicht nur chronischer Alkoholmissbrauch, sondern bereits mäßiger Alkoholkonsum zu Gehirnatrophie führt, also zu einem Abbau des Gehirns, der wiederum für Einschränkungen der Kognition und der Motorik verantwortlich sein kann.
(Telepolis 7. Dezember 2003)

Hierfür haben Jingzhong Ding und seine Kollegen von fünf weiteren Instituten insgesamt 2.821 Personen im Alter von 55 Jahren und älter untersucht, die an einer Langzeitstudie über Arteriosklerose teilnahmen. Dabei konnten sie auf Daten zugreifen, die zwischen 1987 und 1989 erfaßt worden waren, wobei alle drei Jahre bis 1995 weitere medizinische Untersuchungen folgten. Zwischen 1993 und 1995 wurde bei 1.909 Personen eine Kernspintomographie durchgeführt und festgestellt, welche Hirninfarkte vorliegen, in welchem Ausmaß graue Zellen beschädigt und wie groß die mit cerebrospinaler Flüssigkeit gefüllten Ventrikel und der Subarachnoidalraum waren. Die Versuchspersonen habe man nach ihren Trinkgewohnten befragt und in fünf Gruppen eingeteilt: Nichttrinker, ehemalige Trinker, gelegentliche Trinker (weniger als ein alkoholhaltiges Getränk (Drink) in der Woche), geringe Trinker (zwischen einem bis sechs Drinks in der Woche) und mäßige Trinker (sieben bis 14 Drinks).

Darüber hinaus wurden Daten wie Einkommen, körperliche Tätigkeit, gesundheitliche Faktoren wie Rauchen, Bluthochdruck etc. erfaßt.

Das Ergebnis wird viele erschrecken, die immer noch an die gesundheitsfördernde Wirkung von Alkohol in kleinen Dosen glauben:

Mit zunehmenden Alkoholkonsum, ..., nimmt auch die Größe der Ventrikel und des Subarachnoidalraums zu. Nehmen diese Bereiche, die mit Flüssigkeit gefüllt sind, zu, so sind die umliegenden Bereiche mit Gehirngewebe geschrumpft und es liegt eine Gehirnatrophie vor. Allerdings gab es keine Unterschiede im Hinblick auf die Zahl der Hirninfarkte und der grauen Zellen.
(Telepolis 7. Dezember 2003)

Bei genauerer Betrachtung läßt sich allerdings die Betonung und Dokumentation einer doch relativ vernachlässigbaren Schrumpfung der Hirnmasse, die mit mäßigem Trinken einhergehen soll, nur mit einem ausgesprochenen Interesse an diesem Ergebnis in Zusammenhang bringen. Zudem zeigen sich keine nachteiligen Auswirkungen durch die verlorene Hirnmasse in diesen Fällen. Der Leiter des Projekts, Jingzhong Ding, gab diese Unsicherheit auch unumwunden zu:

"Da die Kernspintomographien des Gehirns nur einmal während der Beobachtungszeit durchgeführt wurden, ist es schwierig, ein kausales Verhältnis zwischen Alkoholkonsum und Gehirnatrophie herzustellen."
(Telepolis 7. Dezember 2003)

Um schon im nächsten Satz auf die statistisch relevante, sehr große Zahl der untersuchten Personen sowie auf die Konsistenz der Ergebnisse zu verweisen, die unabhängig von Geschlecht und Rasse seien.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Alkohols für die Energiegewinnung, macht der wissenschaftlich fundierte Paradigmenwechsel diesbezüglich einen völlig anderen Sinn.

Vor diesem Hintergrund scheint dann auch verständlich, warum in dieser Studie nun die schon seit Jahren verbriefte positive Wirkung des Alkoholkonsums auf das Herz, einhergehend mit einem verminderten Risiko für Herzinfarkte, das man gemeinhin als Folge gemäßigter Trinkfreuden und -gewohnheiten (zum Beispiel den Menschen im submediterianen Raum) verstanden hatte, überhaupt nicht bestätigt werden konnte.

Dabei müssen sich die an der Studie beteiligten Wissenschaftler allerdings die Frage gefallen lassen, wie bei Probanden auf Lebenszeit, die aufgrund der Testsituation unentwegt unter einem starken gesundheitlichen Streß stehen, die ständig in ihrer Privatsphäre überprüft und kontrolliert werden, wobei man praktisch jede ihrer Stoffwechseläußerung dokumentiert, überhaupt noch die nötige Lebensfreude aufkommen soll, die bei den feuchtfröhlichen Trinkvergnügen vermutlich einen wesentlich stärkeren lebensverlängernden Effekt hat, als gerade die optimale chemische Zusammensetzung des "täglichen Inputs".

Erstveröffentlichung 2003
neue, aktualisierte Fassung

2. März 2009