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BERICHT/089: Das Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 1/2008

Zeitreise durch vier Milliarden Jahre
Biodiversitätsforschung auf allen Kontinenten: das Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg

Von Doris Bünnagel


Ein Dinosaurier auf dem Grünstreifen mitten in der Stadt? Für die Frankfurter ein vertrauter Anblick, denn vor "ihrem Senckenberg" stehen gleich zwei lebensgroße Dinosaurier-Nachbildungen. Imposant erscheint auch das historische Gebäude des berühmten Naturmuseums an der Frankfurter Senckenberganlage. Hinter den massiven Mauern des 1904 errichteten Museums begeistern aber nicht nur spektakuläre Ausstellungsstücke das Publikum, hier wird vor allem Forschung betrieben. Senckenberg ist ein Zentrum der Biodiversitätsforschung und eines der bedeutendsten Naturmuseen in Europa.


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Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft (SNG), noch heute Träger des Forschungsinstituts und Naturmuseums, wurde 1817 von Frankfurter Bürgern mit dem Auftrag gegründet, Naturforschung zu betreiben und die Ergebnisse der Allgemeinheit zu präsentieren. Bedeutende Forscher wurden zu korrespondierenden Mitgliedern, darunter Johann Wolfgang von Goethe, Georges Cuvier, Alexander von Humboldt und auch Charles Darwin. "Es war die Zeit der Entdecker, die ihr Sammlungsmaterial nach Frankfurt brachten", sagt Direktor Volker Mosbrugger. "Im Kern hat dieser Auftrag bis heute Bestand. Doch während man früher die weißen Flecken auf der Weltkarte erforschte, geht es heute vor allem um das Verständnis dessen, was in den verschiedenen Ökosystemen der Erde geschieht, um den menschlichen Impact und den sinnvollen Schutz von Natur auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse. In diesen Kontext sind unsere weltweit angesiedelten Forschungsprojekte eingebunden."

Ein Schwerpunkt der Forschungsaktivitäten ist die Meeresforschung. Schon 1928 wurde in Wilhelmshaven "Senckenberg am Meer", eine Außenstelle für Meeresgeologie und Aktuopaläontologie gegründet. Im Jahr 2000 kam mit der Gründung des "Deutschen Zentrums für Marine Biodiversitätsforschung" (DZMB) eine zweite Abteilung nach Wilhelmshaven, zu der auch ein Standort am Zoologischen Institut der Universität Hamburg gehört. Unbekannte Meerestiere der Tiefsee, dem größten und am wenigsten erforschten Lebensraum, ihre Lebensweise und Verbreitung sind ein Schwerpunkt des DZMB. Die Gewässer der Polargebiete werden dabei ebenso beprobt wie die Tiefsee am Mittelatlantischen Rücken und im Mittelmeer. Mit dem Projekt CeDAMar (Census of the Diversity of Abyssal Marine Life), das sich mit den Wechselwirkungen im Ökosystem Tiefsee beschäftigt und Teil des globalen Meeresforschungsprogramms Census of Marine Life (CoML) ist, leisten die Senckenbergforscher einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des riesigen Lebensraumes.

Drei weitere Außenstellen gehören zu Senckenberg: Im hessischen Gelnhausen dreht sich die Forschung um Gewässerökologie und Naturschutz, in Weimar wird am Institut für Quartärpaläontologie Eiszeitforschung mit einem Schwerpunkt auf Großsäugern betrieben und bei Darmstadt betreuen die Naturforscher federführend das UNESCO-Weltnaturerbe "Grube Messel". Die berühmte Fossilienfundstätte gibt wie keine andere die vielfältige Flora und Fauna des Eozäns preis - darunter die weltweit bekannten Urpferdchen, aber auch nahezu vollständig erhaltene Insekten, Krokodile, Vögel und Fledermäuse, die unter paratropischen Klimabedingungen an einem einstigen Maarsee lebten. Im Rahmen einer gGmbH wird das Land Hessen unter Beteiligung Senckenbergs dort im nächsten Jahr ein modernes Besucherinformationszentrum eröffnen.

Anfang 2009 werden sich die Naturhistorischen Sammlungen Dresden und das Staatliche Naturhistorische Museum Görlitz sowie das Deutsche Entomologische Institut aus dem brandenburgischen Müncheberg unter dem Dach Senckenbergs zu einem Forschungsverbund zusammenschließen. Derzeit lagern weit mehr als 20 Millionen Sammlungsobjekte in den Frankfurter Archiven - nach der Fusion mit den ostdeutschen Einrichtungen werden über 30 Millionen unter der Obhut Senckenbergs stehen.

Und noch ein Projekt steht an: Im Rahmen der hessischen "Landesoffensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz" (LOEWE) will Senckenberg gemeinsam mit der Frankfurter Universität ein neues Forschungszentrum einrichten, in dem rund 30 Wissenschaftler den Zusammenhang von Klimawandel und Biodiversitätsentwicklung untersuchen sollen. Das Exzellenzprogramm soll Kooperationen stärken und Hochschulen und Forschungseinrichtungen dabei unterstützen, ihre Schwerpunktplanung zielgerichtet umzusetzen.

Rund 80 Wissenschaftler beschäftigt das Forschungsinstitut heute. Ihre Projekte führen sie nach Mittel- und Südeuropa, in den arabischen Raum, nach Südostasien, in die Antarktis ebenso wie nach Mittel- und Südamerika und Afrika. So untersuchen seit 2001 Frankfurter Forscher gemeinsam mit Kollegen aus Burkina Faso, Benin und der Elfenbeinküste in dem Projekt "BIOTA Afrika" die Artenvielfalt in Westafrika. Die Ergebnisse ihrer Vegetationsaufnahmen sollen zusammen mit Klima- und Umweltdaten in Konzepte zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Biodiversität einfließen.

Doch die Frankfurter Wissenschaftler forschen auch direkt vor der Haustür. Seit fast 20 Jahren untersuchen sie in einem Langzeitprojekt Naturwaldreservate in Hessen und haben dabei Erstaunliches herausgefunden: Drei neue Tierarten wurden in den heimischen Wäldern entdeckt, über 70 Arten erstmals für Hessen nachgewiesen und auch verschollen geglaubte Käferarten wiedergefunden.

Stadtökologie sei das regionale Thema der Zukunft, meint Direktor Mosbrugger. Während insgesamt die Artenvielfalt zurückgehe, entwickelten sich Städte zu regelrechten Diversitätszentren. "In Zukunft werden immer mehr Menschen in Städten leben. In Frankfurt z.B. steigt die Einwohnerzahl. Wir brauchen daher fundierte stadtökologische Kenntnisse, um unsere Städte als lebenswerten Raum zu erhalten." Da liegt es nahe, dass die Wissenschaftler Frankfurt zum Forschungsobjekt gemacht haben.

Die Themen der Forschungsprojekte aus aller Welt werden im Naturmuseum in Sonderausstellungen präsentiert. Eine ist gerade nach Verlängerung zu Ende gegangen: "Menschheit in 3D" hieß sie und zeigte in Kooperation mit dem European Virtual Anthropology Network (EVAN) aktuelle Forschung zur Entwicklungsgeschichte des Menschen. Ausgestattet mit einer 3D-Brille konnte der Besucher durch eine virtuelle Welt fossiler Körper und Gesichter flanieren und einen Einblick in moderne wissenschaftliche Arbeitsmethoden bekommen.

Die Frankfurter lieben ihr Naturmuseum. Fast 340.000 Besucher kamen allein im letzten Jahr, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Pressereferentin Doris von Eiff: "Das liegt auch an unserer bildungsorientierten Ausrichtung. Sonderausstellungen und Events wecken gezielt das Interesse für die Natur und das Verständnis für Lebensräume. Das vielseitige museumspädagogische Programm fügt sich in das Konzept der Hausleitung." Neben Kindergartengruppen und Schulklassen richtet sich das Angebot auch an Erwachsene. Im letzten Jahr haben mehr als 40.000 Besucher eine Führung gebucht. "Wir haben bewusst die Informationen an den einzelnen Exponaten sehr rudimentär gehalten, denn die Ausstellungsstücke sollen im Vordergrund stehen", sagt Direktor Mosbrugger. Da jedes Exponat aber auch seine eigenen Geschichten erzählen kann, wurden kürzlich Audioguides eingeführt. Tierstimmen - wie etwa der Ton des Parasaurolophus im Sauriersaal oder der gellende Ruf eines Argusfasans lassen den Gang durchs Museum zu einem informativen und nahezu "belebten" Ausflug in Natur und Urzeit werden. Das Hämmern bei den Grabungsarbeiten in der Grube Messel ist ebenso zu hören wie zirpende Zikaden, die die Entdeckung der drei Millionen Jahre alten Australopithecinen-Dame "Lucy" in der äthiopischen Afar-Ebene atmosphärisch nachvollziehbar machen.


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Das Institut im Überblick

Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg der SNG

Das Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg der SNG in Frankfurt am Main ist eine national und international herausragende Einrichtung der Biodiversitätsforschung. Die Vielfalt der Natur beschreiben, verstehen und bewahren - unter diesem Leitmotiv sind Senckenberg-Wissenschaftler in marinen, limnischen und terrestrischen Lebensräumen verschiedenster Klimaregionen der Welt unterwegs. Mit einem anwendungsorientierten Ansatz betreibt Senckenberg eine an den großen Zukunftsfragen orientierte Naturforschung und legt die Grundlagen für einen wissenschaftlich fundierten Naturschutz sowie ein nachhaltiges Naturmanagement, dessen Basis sowohl die klassische anatomisch-morphologische Taxonomie und Systematik wie auch die molekular-biologische und die biometrischnumerische Analyse rezenter und fossiler Organismen sind. Besondere Schwerpunkte sind die Meeresforschung mit dem Zentrum für marine Biodiversitätsforschung und die Messelforschung, die sich wissenschaftlich mit dem UNESCO-Weltnaturerbe Grube Messel befasst und Informationen über die Funktion eines Wald- und Seeökosystems unter den extremen Treibhausbedingungen vor zirka 47 Millionen Jahre liefert.

Gründungsjahr: 1817
Direktor seit 2005: Prof. Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger
Standorte: Frankfurt am Main (Forschungsinstitut u. Naturmuseum), Gelnhausen (Limnologie u. Naturschutzforschung), Grube Messel (Grabung, Labor, Präparation u. Röntgen), Weimar (Quartärpaläontologie), Wilhelmshaven (Meeresforschung u. DZMB mit Forschungskutter), Hamburg (Zweigstelle DZMB).
Mitarbeiter: 330, davon 80 Wissenschaftler
Jährlicher Etat: 21 Mio. Euro
Drittmittel: 3 Mio. Euro
Institutionelle Förderung: 13,7 Mio. Euro
Ausstellungsfläche Museum: 6.000 Quadratmeter


Kontakt:
Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt am Main
Doris von Eiff
Pressereferentin
Tel.: +49 (0)69 75 42-12 57
E-Mail: doris.voneiff@senckenberg.de
www.senckenberg.de


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 1/2008, Seite 18-19
Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft
Postfach 12 01 69, 53043 Bonn
Telefon: 0228/30 81 52-10, Fax: 0228/30 81 52-55
Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de

Jahresabonnment (4 Hefte): 16 Euro, Einzelheft: 4 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2008