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FORSCHUNG/134: Die Störche sind's - Fehlschlüsse (forsch - Uni Bonn)


forsch 4/2008 - November 2008
Bonner Universitäts-Nachrichten

Die Störche sind's
Vor Fehlschlüssen sind auch Forscher nicht gefeit

Von Frank Luerweg


Der jüngste Beweis dafür, dass die Störche die Kinder bringen, stammt von Thomas Höfer: Im Jahr 2004 veröffentlichte der Mitarbeiter des Bundesinstituts für Risikobewertung in einer Fachzeitschrift den Artikel "New Evidence for the Theory of the Stork". Darin weist er erstaunliche Parallelen zwischen der Geburtenentwicklung in Niedersachsen und der Zahl der dort ansässigen Störche nach. Eine seiner beiden Koautorinnen war übrigens eine Hebamme.


Natürlich ging es Höfer in seinem Text eigentlich um etwas anderes: Nämlich darum, wie falsch es sein kann, aus dem gemeinsamen Auftreten von zwei Ereignissen auf einen kausalen Zusammenhang zu schließen. "Cum hoc ergo propter hoc" (lat.: "mit diesem, also deswegen") nennen Philosophen diesen Fehlschluss, vor dem auch Wissenschaftler nicht gefeit sind. Denn die Annahme, zwei Beobachtungen seien ursächlich miteinander verknüpft, ist oft einfach zu verführerisch.

Ist es aber wirklich so, dass Rotweinkonsum Arterienverkalkung vorbeugt, Schokolade Akne verursacht und Aspirin gegen Kopfschmerzen hilft? "Derartige Kausalitäten wirklich zu beweisen, ist fast unmöglich", erklärt Dr. Rolf Fimmers vom Institut für Medizinische Biometrie, Informatik und Epidemiologie. Viel einfacher ist die Frage zu beantworten, ob überhaupt eine Korrelation zwischen zwei Ereignissen besteht (beispielsweise Schokoladenkonsum und Akne).

Die Antwort liefert ein Buchstabe, der fast in jeder empirischen Studie auftaucht: Das kleine p. "p beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Beobachtung rein auf Zufall beruht", erklärt Rolf Fimmers. Eine große Rolle spielt dabei die Stichprobengröße: Wenn ein Würfelspieler zehnmal hintereinander eine Sechs würfelt, kann das sehr wohl Zufall sein. Ist bei 100 Versuchen 100 Mal die Sechs dabei, riecht das nach Betrug.

Zu Beginn einer Studie formuliert der Wissenschaftler eine Erwartung - etwa: Aspirin hilft gegen Kopfschmerzen. Er überprüft diese Erwartung an einer Gruppe von Kopfschmerzpatienten. Von diesen Probanden sucht er nach dem Zufallsprinzip die Hälfte aus und behandelt sie mit Aspirin. Der Rest dient ihm als Kontrolle. Angenommen, kurz nach Einnahme des Aspirins klagt tatsächlich ein Großteil der Patienten nicht mehr über Kopfschmerzen, und zwar mit einem p-Wert von fünf Prozent. Dann heißt das nichts anderes als: Mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent wären genauso viele Patienten auch rein zufällig schmerzfrei, also ohne Aspirin.

In einem sauber konzipierten Experiment legt der Wissenschaftler vorher fest, ab welchem p-Wert er das Ergebnis als signifikant gelten lässt. Eine übliche Schwelle ist ein Prozent. "Letztlich bedeutet das aber nichts anderes als: In 99 von 100 Fällen liegt der Forscher richtig. In einem aber liegt er falsch, und den behaupteten Zusammenhang gibt es gar nicht", betont Fimmers.

Doch selbst wenn es ihn gibt: Was ist Ursache, was ist Wirkung? Verstopfen die Fette in der Schokolade die Poren und verwandeln das Gesicht in eine Pickellandschaft? Oder ist es genau andersherum? Vielleicht führt ja die Erkrankung an Akne zu einem Heißhunger auf Schokolade. Oder die Hormonumstellung in der Pubertät bedingt einerseits die Hautunreinheiten und gleichzeitig den gesteigerten Appetit auf Süßes.

"Wir helfen Wissenschaftlern, ihre Studien sauber zu planen und durchzuführen, so dass die Ergebnisse mehr Gewicht erhalten", sagt Dr. Rolf Fimmers. "Dennoch lassen sich mit statistischen Daten immer nur Korrelationen feststellen, niemals Kausalitäten." Andererseits können Studienergebnisse in ihrer Fülle so zwingend werden, dass sie nur noch einen Schluss zulassen: Dass Aspirin gegen Kopfschmerzen wirkt, wird heute ernstlich niemand mehr bezweifeln. Dass Störche die Kinder bringen, dagegen schon.


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 4, November 2008, Seite 14
Herausgeber:
Rektorat und Senat der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2008