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BERICHT/072: Mit dem Gewehr über schmelzenden Schnee (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 10-12/2008

Mit dem Gewehr über schmelzenden Schnee
Geophysiker erforschen Erdbebenaktivitäten in arktischer Region

Von Petra Görlich


Geowissenschaftler der Universität Potsdam beendeten soeben ein Projekt, das sie mehrfach auf die Inselgruppe Spitzbergen und in deren Umgebung führte. Die Initiative war Bestandteil eines unter norwegischer Leitung stehenden Großvorhabens, in dem die Erdbebenaktivität am Kontinentalrand zwischen dem mittelatlantischen Rückensystem und der im Süden Spitzbergens gelegenen Bäreninsel genauer untersucht wurde. Gemeinsam mit Kollegen vom Alfred Wegener Institut installierten sie dazu 12 Ozeanbodenseismometer und auf der Bäreninsel 13 seismologische Detektionsgeräte. Für die Forscher war die Arbeit in der arktischen Region eine völlig neue Erfahrung. Wieder nach Hause zurückgekehrt, haben sie inzwischen mit der Auswertung erster Daten begonnen.


Nur selten gelangen Meldungen über Schäden, die durch Erdbeben am Kontinentalrand zwischen dem mittelatlantischen Rückensystem und der Bäreninsel entstehen, an die Öffentlichkeit. Doch auch in dieser arktischen Region zittert die Erde. Die Stöße sind in der Regel nicht sehr stark, treten aber relativ häufig auf. Nur wenige Stationen haben diese Aktivitäten bisher registriert. Aufgrund ihrer geringen Anzahl konnten sie die seismischen Ereignisse jedoch nie genau lokalisieren. Ein im Internationalen Polarjahr 2007 gestartetes, vom norwegischen Forschungsrat finanziertes und gerade beendetes Forschungsprojekt mit Teilnehmern aus Norwegen, Deutschland und Polen hat nun Abhilfe geschaffen. Denn in dessen Verlauf wurde das Netz seismologischer Dauerstationen deutlich enger gestrickt. Das war es jedoch nicht allein, was das Vorhaben erreichte. Unter anderem wurden auch Erdbebenaktivitäten mit zuvor ausgesetzten Breitband-Ozeanbodenseismometern gemessen und auf der Bäreninsel mittels neu installierter seismologischer Detektionsgeräte Bewegungen der Erde aufgezeichnet. An dem Erfolg beider Maßnahmen haben Geophysiker der Universität Potsdam wesentlichen Anteil. Während einige von ihnen an Bord des polnischen Forschungsschiffs "Horyzont II" Schwerstarbeit leisteten und zwischen Seekrankheit, dem Bewegen schwerer Lasten und akribischer Forschertätigkeit hin und her pendelten, waren Dr. Frank Krüger, Ingenieur Daniel Vollmer und Diplomandin Katrin Lipke Ende Mai/Anfang Juni dieses Jahres unterwegs auf der Bäreninsel, um ein seismologisches Detektionsarray aufzubauen. "Durch ein dichtes Netz seismologischer Stationen, erst eine von ihnen existierte schon vor unserem Einsatz auf der Insel, können technische Verfahren benutzt werden, die es erlauben, sehr viel kleinere Signale als bislang üblich aufzuzeichnen", erläutert Frank Krüger.


Wetter-Kapriolen

Dafür hat seine Gruppe gern die ungewöhnlichen Arbeitsbedingungen, nur eine kleine Radiostation bot Unterstützung und Unterkunft, in Kauf genommen. "Als wir bei unserer Ankunft erst einmal großkalibrige Flinten in die Hand bekamen, haben wir verblüfft dreingeschaut", erinnert er sich. Eisbären stellen auf der Insel eine Gefahr für Menschen dar, doch zum Glück ließ sich Meister Petz nicht blicken. Größere Probleme bereitete den Wissenschaftlern dagegen das Wetter. Der Schnee begann gleich an einem der ersten Tage zu schmelzen und machte es unmöglich, weiter die Ski-doos (Motorschneeschlitten) zu benutzen. Damit scheiterte der zunächst gefasste Plan, in die Mitte der Insel vorstoßen und dort installieren zu wollen. Bereits ausgebrachtes Material musste deshalb eiligst zurückgeholt und eine neue Strategie entwickelt werden. Und die hieß: Mit 15 Kilogramm Gepäck plus Flinte oder Spitzhacke auf dem Rücken täglich zehn Kilometer und mehr zu Fuß laufen, um entweder geeignete Plätze für die Messinstrumente zu finden oder um sie am nächsten Tag in die Erde einzubuddeln. "Mit der Spitzhacke Permafrostboden auszuheben, ist schwere Arbeit", unterstreicht Frank Krüger. "Genauso schwer ist es auch, wirklich gute Stellen dafür auszumachen. Das heißt trockene Standorte, bei denen nicht aus höheren Lagen Wasser zuläuft."


Tsunami-Gefahr

Hintergrund all der Mühen sind insbesondere zwei wissenschaftliche Fragestellungen, die die norwegischen Experten zum Großprojekt inspirierten. Zum einen gilt es herauszufinden, welche seismisch aktiven Strukturen es in der Region um Spitzbergen gibt und vor allem, wie nahe sie dem Schelfbereich am Ausgang der Barentssee kommen. Die Wissenschaftler wissen durch Untersuchungen des Meeresgrundes nämlich, dass sich hier große, dicke Sedimentfächer befinden, die sich in der Vergangenheit vermutlich bereits verschoben haben. Käme es unter einer solchen Struktur zu einem stärkeren Beben, könnte dies eine untermeerische Rutschung auslösen und gegebenenfalls auch einen Tsunami.

Zum anderen geht es um grundsätzliche Fragen der Plattentektonik. Nur an wenigen Stellen in der Welt existiert eine vergleichbare Altersdifferenz in der Lithosphäre und in der Dicke der Lithosphärenplatten. "Mit dem Netz der Stationen wollen wir aufklären, wie der Übergang zwischen den beiden Systemen, der ganz neu gebildeten ozeanischen Platte im Atlantischen Ozean und der sehr, sehr alten unter der Barentssee, beschaffen ist", beschreibt der Geophysiker eines der Anliegen.


Vielversprechende Daten

Bis erste Ergebnisse vorliegen, dauert es allerdings noch etwas. Inzwischen sind die zwölf Ozeanbodenseismometer wieder herausgefischt worden und auch die 13 Detektionsgeräte auf der Bäreninsel befinden sich wieder in Potsdam. Erste Daten von dort stimmen die Forscher zuversichtlich. Sie zeigen eine hervorragende Sichtbarkeit nicht nur größerer, sondern auch kleinerer Beben mit einer Magnitude von beispielsweise 1,5 in Entfernungen bis zu 300 Kilometern. Die Uni-Mitarbeiter wollen jedoch nicht nur diese Daten konkret auswerten. Wahrscheinlich, so Krüger, werde auch die Analyse der Herdmechanismen der Beben von ihnen durchgeführt, also die Abbildung aktiver seismischer Zonen.

Die Resultate dürften für die norwegische Regierung von größter Bedeutung sein. Geben sie doch voraussichtlich Auskunft über das in der Region aus geowissenschaftlicher Sicht vorhandene Risikopotenzial. "Wenn es dort tatsächlich in Zukunft zu einer Veränderung der Wassertemperatur kommt", sagt Frank Krüger, "hat das wahrscheinlich Auswirkungen auf die Stabilität der Sedimentstruktur. In dem Falle wäre es wichtig zu wissen, ob und mit welcher Magnitude unter ihr Erdbeben stattfinden können."


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 10-12/2008, Seite 32-33
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2008